21. Okt. 2020
Komitee Geschichte

40 Jahre Grundrechtekomitee. Ein Blick zurück nach vorn. Online-Veranstaltungsreihe

Jetzt sind wir dran! Wie einige Freund*innen vor uns haben auch wir nun das Alter von 40 Jahren erreicht und wir blicken mit meist guten Erinnerungen auf die zurückliegenden Jahre zurück. Wir wollten 2020 mit euch anstoßen, auf die Vergangenheit und auf die Zukunft – natürlich nicht ohne inhaltliche Diskussion. Wir haben uns aufgrund der Corona-Pandemie nun für digitale Veranstaltungen entschieden, an denen ihr an den angegebenen Daten aktiv teilnehmen könnt. Die Veranstaltungen werden aufgezeichnet und können damit auch später angesehen werden.

Hier findet ihr alle vier Veranstaltungen in der Übersicht:

2. Dezember 2020 | 19.00 bis 21.00 Uhr | VIDEO DER VERANSTALTUNG

»Baustein im sich ausweitenden Gefüge der sozialen Bewegungen«. Gründung und Entwicklung des Grundrechtekomitees

Ein Gespräch mit Elke Steven und Roland Roth über Anfänge und Stationen des Komitees für Grundrechte und Demokratie. Moderation: Laura Kotzur und Tom Jennissen vom Vorstand des Grundrechtekomitees

Roland Roth gehörte 1980 zu den Gründer*innen des Grundrechtekomitees und war lange Jahre Teil des Vorstands. Elke Steven arbeitete von 1994 bis 2017 als politische Referentin in der Kölner Geschäftsstelle. Beide gestalteten damit in unterschiedlichen Generationen über viele Jahre das Wirken des Grundrechtekomitees maßgeblich mit.

Mit unseren Gästen wollen wir darüber sprechen, welche politischen und gesellschaftlichen Fragen sich bei der Gründung des Grundrechtekomitees und in den folgenden Jahrzehnten stellten und wie die Situation von den damals Aktiven jeweils politisch beantwortet wurde. Die Veranstaltung richtet sich gleichermaßen an langjährige Gefährt*innen des Grundrechtekomitees und an jüngere Interessierte. Wir laden dazu ein, damalige politische Strategien und heutige Herausforderungen gemeinsam zu reflektieren:

Was ermöglichte die Gründung des Grundrechtekomitees in Abgrenzung zum nahestehenden Sozialistischen Büro in der politischen Landschaft der 1980er Jahre und wie war das Verhältnis zur neu entstandenen Grünen Partei? Wodurch zeichnete sich der politische Ansatz praktisch aus, den Andreas Buro 2011 als »keine Abkehr von sozialistischen Positionen, sondern eine verstärkte Zuwendung zum Thema Menschenrechte« beschrieb? Welches Fazit für die Arbeit des Grundrechtekomitees wurde aus der Zäsur 1990 gezogen, mit der Einverleibung der ehemaligen DDR und dem Zusammenbruch der Sowjetunion?

Wir wollen in der Veranstaltung den politischen Faden des Grundrechtekomitees bis heute nachverfolgen und uns vor diesem Hintergrund gegenwärtigen politischen Auseinandersetzungen widmen. Klimawandel, der Kampf um Ressourcen und anhaltende Fluchtbewegungen werden aktuell mit ansteigendem Nationalismus und Autoritarismus beantwortet. Wie sollten unsere Antworten auf diese Entwicklungen lauten und was bedeutet dies für die zukünftige Arbeit des Grundrechtekomitees?

 

16. Dezember 2020 | 19.00 bis 21.00 Uhr | VIDEO DER VERANSTALTUNG

Ziviler Ungehorsam – Motor radikaler Demokratie oder zahnloser Wohlfühlprotest?

Ein Gespräch zwischen unserer politischen Referentin Michèle Winkler und dem Philosophen Robin Celikates - moderiert von der Journalistin Katharina Schipkowski

„Die akuten Gefährdungen von Menschenrechten lassen keine Heiligsprechung von unbedingtem Rechtsgehorsam und staatlichem Gewaltmonopol zu. [...] Vom Ideal einer wirklich zivilen Gesellschaft sind wir so weit entfernt, daß wir Zivilen Ungehorsam als notwendiges radikaldemokratisches Mittel begreifen sollten.“ Diese Worte der Gründergeneration des Grundrechtekomitees im Editorial des Buchs „Ziviler Ungehorsam – Traditionen, Konzepte, Erfahrungen, Perspektiven“ (1992) sind bald 30 Jahre alt und zugleich brandaktuell.

Das noch junge Grundrechtekomitee blickte bereits Anfang der 1990er Jahre auf gewaltfreie Blockaden gegen Waffenlagerung und Aufrüstung in Mutlangen oder Fischbach zurück und hatte Zivilen Ungehorsam gegen die Volkszählung 1987 unterstützt. Die im Grundrechtekomitee vertretene Idee Zivilen Ungehorsams hatte allerdings wenig mit den vorherrschenden, staatstreuen Definitionen von John Rawls oder Jürgen Habermas gemein. Vielmehr ging es darum, aus einer oppositionellen, ungehorsamen Haltung heraus, ein Mehr an Demokratie zu erstreiten, sozusagen den Staat durch radikal-demokratische Mittel zurückzudrängen und sich eine eigene Handlungsfähigkeit zu erkämpfen. Nur gewaltfrei sollte es bleiben.

Bis heute polarisieren Aktionen des Zivilen Ungehorsams: nicht wenige wähnen durch die kalkulierten Regelübertritte den Rechtsstaat in Gefahr. Wurde also durch Zivilen Ungehorsam tatsächlich ein Mehr an Demokratie erkämpft? Sind gewaltfreie Aktionen des Zivilen Ungehorsams auch weiterhin das Mittel der Wahl, um der tatsächlichen Realisierung von Menschenrechten und radikaler Demokratie ein Stück näher zu kommen? Was hebt sie von herkömmlichen Demonstrationen und Kundgebungen ab? Müssten die alten Theorien entstaubt und aktualisiert werden oder braucht es heute ganz andere Formen und Mittel?

Ausgehend von den Überlegungen der Gründergeneration wollen wir in der Veranstaltung das radikaldemokratische Verständnis des Zivilen Ungehorsams beleuchten, um uns dann den aktuellen Fragen zu Wirkung und Grenzen der Aktionsform zu widmen. Die Veranstaltung soll auch einen Raum für Diskussionen bieten.

 

13. Januar 2021 | 19.00 bis 21.00 Uhr | VIDEO DER VERANSTALTUNG

Von Sitzblockaden, Fünf-Finger-Taktik und Baggerbesetzungen – Ziviler Ungehorsam in der Praxis

Ein Podiumsgespräch zwischen Kerstin Rudek von der BI Lüchow-Dannenberg, Julia von ausgeco2hlt und Karin von der Interventionistischen Linken - moderiert von Britta Rabe (Grundrechtekomitee)

Ziviler Ungehorsam wird meist mit den ›neuen sozialen Bewegungen‹, der Friedens- und der Anti-AKW-Bewegung verbunden. Doch über die Jahrzehnte entwickelte sich das Konzept weiter: auf Repression wurde kreativ reagiert und so bleibt linke Bewegung vielfältig ungehorsam. Von der Blockade internationaler Gipfeltreffen über freitägliche Schulstreiks, das Stören des EZB-Betriebs und die Verhinderung von Abschiebungen bis zu den spektakulären Aktionen der Anti-Kohle-Bewegung: Ziviler Ungehorsam ist nicht wegzudenken aus der Praxis einer widerständigen Zivilgesellschaft. Teilweise stecken hinter derartigen Aktionen jahrzehntelange Erfahrung und Organisierung, manchmal wird der Ungehorsam ganz spontan praktiziert. Doch so verschieden die Ziele und Aktionsformen auch sind, einige Fragen stellen sich immer wieder:

Geht es um symbolische Aktionen oder soll ganz konkret interveniert werden? Mit wem gehen wir Bündnisse ein? Nennen wir unsere Aktionen „gewaltfrei“ und was verstehen wir unter Gewalt? Wie verhält sich die Form der Auseinandersetzung zum politischen Inhalt? Lassen sich Aktionskonzepte vom wendländischen Acker auf die Frankfurter Innenstadt übertragen? Wie kann kollektiv mit der staatlichen Reaktion umgegangen werden? Und stimmt es tatsächlich, dass Ziviler Ungehorsam vor allem von privilegierten bürgerlichen (Berufs-) Jugendlichen praktiziert wird?

In der dritten Veranstaltung unserer Jubiläumsreihe wollen wir uns mit Vertreter*innen von Gruppen, die Zivilen Ungehorsam damals und heute praktizieren, darüber austauschen was sie darunter verstehen. Warum haben sie sich zur kollektiven Regelübertretung entschieden? Wie sieht ihre politische Praxis aus?

27. Januar 2021 | 19.00 bis 21.00 Uhr | VIDEO DER VERANSTALTUNG
 

Radikale Menschenrechte!? Wolf-Dieter Narrs materialistisches Konzept der Menschenrechte heute

Mit Beiträgen von Lars Bretthauer, Yvonne Franke, Fabian Georgi und Guillermo Ruiz

In linken Kreisen werden Menschenrechte oft als wenig radikales Konzept angesehen: zu zahm und staatsnah, zu bürgerlich und reformistisch, zu sehr verstrickt in die Geschichte kapitalistischer, patriarchaler und kolonialer Herrschaftsverhältnisse. Schon 1951 stellte Hannah Arendt fest: »Die Menschenrechte haben immer das Unglück gehabt, von politisch bedeutungslosen Individuen oder Vereinen repräsentiert zu werden, deren sentimental humanitäre Sprache sich oft nur um ein geringes von den Broschüren der Tierschutzvereine unterschied.«
 

Solcher Skepsis steht ein kritischer und materialistischer Begriff von Menschenrechten gegenüber, der seit den 1980er Jahren im Umfeld des Komitees für Grundrechte und Demokratie von Wolf-Dieter Narr und vielen Mitstreiter*innen entwickelt wurde. Sie verstehen Menschenrechte als die begriffliche Fassung menschlicher Bedürfnisse, welche in der Menschheitsgeschichte historisch immer wieder neu, anders und konkret in Protesten, Aufständen und sozialen Kämpfen formuliert, aber auch in Kunst und Kultur artikuliert werden. Materialistisch ist dieses Konzept nicht nur, weil es die Menschenrechte in historisch-konkreten Bedürfnissen und Kämpfen verankert. Zugleich fordert es, überhaupt die materiellen Bedingungen herzustellen, in denen sich menschliche Bedürfnisse tatsächlich realisieren ließen. Menschenrechte ernst nehmen heißt dann, radikal eine Politik zu verfolgen, die politische, soziale und ökonomische Ordnungen so transformiert, dass sie den Bedürfnissen der Menschen genügen.

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen zwei Fragen: Was genau verstanden Wolf-Dieter Narr und seine Mitstreiter*innen unter Menschenrechten und wie begründeten sie ihr radikales Verständnis? Und (wie) kann ein solch radikaler Menschenrechtsbegriff heute – trotz weit verbreiteter Skepsis und überaus berechtigter Kritik – als zentrales politisches Konzept emanzipatorischer Politik dienen? Die Veranstaltung öffnet, ausgehend von mehreren kurzen Beiträgen, einen Raum für Austausch und Diskussion.