03. Aug. 2017

Auf dem Weg zur Abschaffung des Gewaltmonopols?

Die Polizei scheint im demokratischen Rechtsstaat selbstverständlich das Monopol der legitimen physischen Gewaltsamkeit inne zu haben. Das Gewaltmonopol des Staates, das sie repräsentiert, wird fast immer als notwendig vorausgesetzt. Damit wird assoziiert, dass sie die Bürger*innen vor Gewalt- und sonstigen Straftaten schützt und für Recht und Ordnung sorgt. In ihrem Alltag kommen viele Menschen kaum in Berührung mit diesem Gewaltmonopol. Wer jedoch sein Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit wahrnimmt, läuft – neben all den anderen gesellschaftlich marginalisierten oder diskriminierten Gruppen, z.B. Obdachlose und Flüchtlinge  - viel eher Gefahr, in direkten Kontakt mit dieser physischen und psychischen Gewaltausübung zu kommen.

Nicht zuletzt aufgrund solcher Erfahrungen fordern Bürgerrechtsorganisationen wie das Komitee für Grundrechte und Demokratie u.a. schon lange, dass eine demokratische Kontrolle polizeilicher Arbeit geboten ist. In diesem Kontext wird vor allem die Einführung der individuellen Kennzeichnungspflicht als Notwendigkeit gesehen, wie sie im Land Berlin inzwischen Gesetz ist. Als weitere wichtige Maßnahme wird schon seit Jahren die Einrichtung einer unabhängigen Kontrollinstanz zur Untersuchung von Polizeigewalt gefordert.

Nicht zuletzt im Kontext von Versammlungen zeigen alle Erfahrungen, dass ein Problem entsteht, wenn die Polizei in eigener Sache ermittelt. Der vorherrschende Korpsgeist steht einer offenen Ermittlung der Tatsachen entgegen. Typischerweise folgt auf die Anzeige eines Bürgers wegen unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch die Polizei eine Gegenanzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Das Dezernat Interne Ermittlungen der Hamburger Polizei, das offensiv dazu auffordert, Übergriffe der Polizei im Kontext der Proteste gegen G20 anzuzeigen, macht gerade die Erfahrung, wie groß der Vorbehalt gegen polizeiliche Ermittlungen ist. Unbeteiligte erstatten aufgrund von Videos Anzeige gegen Polizeibeamt*innen. Opfer polizeilicher Gewalt aber melden sich fast nicht bei der Polizei und erheben erst recht keine Klage. Sie müssen ja auch mit Gegenanzeigen rechnen.

Zum 1. Juni 2017 ist zudem ein Sonderstrafrecht zum Schutz von Polizisten eingeführt worden (Neuregelung §§ 113, 114 StGB-E). In einem neuen § 114 StGB ist der „tätliche Angriff“ auf „Amtsträger“ deutlich härter als bisher sanktioniert. Die Mindeststrafe beträgt drei Monate Gefängnis, der Strafrahmen geht bis zu fünf Jahren. Schon vor Abschluss dieser Gesetzgebung warnten wir, dass die Angst vor der Teilnahme an Demonstrationen immens steigen muss.

Aus den vielen Gewaltvorwürfen gegen die Polizei im Kontext der Proteste gegen den G20 seien zwei Beispiele herausgegriffen, die deutlich machen, was der Missbrauch des Monopols auf physische (und psychische) Gewaltsamkeit für Bürger*innen bedeutet. Daraus sind Konsequenzen zu ziehen.

In der Nacht auf Samstag fuhr ein angemeldeter Bus der Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken (NRW) nach Hamburg, um an der angemeldeten Demonstration gegen den G20 teilzunehmen. Sozusagen die Jugendorganisationen der in Hamburg regierenden Parteien - Grüne Jugend und Gewerkschaftsjugend waren ebenfalls dabei - reisten an. Ihr Bus wurde kurz vor Hamburg angehalten, nach kurzer Zeit in die Gefangenensammelstelle verbracht. Sie wurden einzeln herausgeführt, mal mit mehr, mal mit weniger Gewalt. Viele mussten sich ganz ausziehen, ihnen wurden Haftstrafen oder lange Gewahrsamnahmen angedroht. Ihre Rechte wurden missachtet. Ein Gespräch mit einem Anwalt, das jedem Gefangenen zusteht, wurde verweigert. Auch die Minderjährigen konnten keine Telefonanrufe tätigen, obwohl ihnen sogar zwei Anrufe zugestanden hätten. Auf die Frage, was ihnen vorgeworfen werde, erhielt ein Jugendlicher die Antwort: Straftaten. Auf die Nachfrage, welche das denn seien, erhielt er die Antwort, das wüsste man noch nicht.

Diese absolute Macht, die die Polizei in solchen Situationen hat und auf die sie pocht, kennzeichnet viele der Berichte von Betroffenen. Die Polizei meint, im Zweifelsfall könne man die Rechtmäßigkeit ihres Handelns ja nachträglich überprüfen lassen. Das kennzeichne den Rechtsstaat. Damit liegt sie jedoch falsch. Denn die Rechtsstaatlichkeit muss sich schon darin erweisen, dass die Vertreter des Gewaltmonopols sich selbst an Recht und Gesetz halten.

Die Lehre der Polizei aus den Klagen gegen ihr Handeln ist jedoch: Entweder sie bekommen Recht, weil ihnen auch vor Gericht eher geglaubt wird, oder die Urteile, die polizeiliche Maßnahmen als rechtswidrig erkennen, haben für sie keine Konsequenzen. Für Hamburg wird dies besonders deutlich an den diversen Gerichtsentscheidungen, dass Hartmut Dudde rechtswidrig gegenüber Versammlungen vorgegangen ist. Jetzt war er Gesamteinsatzleiter für die Hamburger Gipfel. Man könnte den Eindruck haben, dass das rechtswidrige Handeln zur Beförderung beiträgt. Die Schadenersatzklagen z.B. von zu Unrecht Eingekesselten, die manchmal erfolgreich sind (z.B. aufgrund diverser Kessel in Frankfurt im Kontext der Blockupy-Proteste), helfen letztlich nicht weiter. Denn die Demonstrierenden wollen sich nicht ihre Grundrechte abkaufen lassen, sondern diese wahrnehmen. Im Fall des „entführten“ Busses hat sich die Polizei nachträglich entschuldigt. Der Innensenator meint, der Bus sei verwechselt worden. Das rechtswidrige Verhalten gegenüber den Jugendlichen ist damit aber nicht entschuldigt, denn es wäre auch gegenüber keinem anderen Bürger legitim. So kommen auch Die Falken zu dem Ergebnis, dass die Entschuldigung sie eher „nachdenklich und wütend“ mache. Denn „die Verletzung der Bürger*innenrechte war geplant, sollte nur andere Menschen treffen. Eine Situation mit denen der Kinder- und Jugendverband überhaupt nicht einverstanden ist.“

Einer Gruppe der Verdi-Jugend aus NRW erging es noch schlimmer. Der Geschäftsführer berichtet, dass sie mit 20 Bonner Verdi-Mitgliedern an einer Blockade des Gipfeltreffens teilnehmen wollten. Weit außerhalb der Versammlungsverbotszone (Am Rondenbarg) wurden sie von der Polizei eingekesselt, mit Schlagstöcken und Wasserwerfern angegriffen. 13 Mitglieder der Bonner Gruppe seien mit insgesamt ca. 70 Personen in Gewahrsam genommen worden. „In allen Fällen habe der Vorwurf des Landfriedensbruchs im Raum gestanden. Niemand aus der Gruppe sei bewaffnet oder vermummt gewesen“, so Jansen. Auch diese Gruppe beschreibt, dass die Zustände in der Gefangenensammelstelle menschenunwürdig waren. Drei von ihnen kamen in U-Haft, die mit schwerem Landfriedensbruch und tätlichem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte begründet wurde.

Man kann als Geschädigter mit Wut im Bauch die Klage gegen die Polizei zwar unterlassen, weil man um die Gefahren weiß; wer aber in die Mühlen der Gewalt geraten ist, der ist den Vorwürfen und polizeilichen Konstruktionen zunächst einmal ausgeliefert. Eine öffentliche Debatte über das Gesetz, das die Polizei über den Bürger stellt und sie gesondert schützt, Bürger*innen aber in Unsicherheit bringt, ist geboten. Die Verhältnisse in Hamburg bedürfen einer Aufarbeitung durch einen unabhängigen Untersuchungsausschuss.

Darüber hinaus ist eine grundsätzliche Debatte über die Legitimität und die Notwendigkeit dieses Gewaltmonopols notwendig. In den USA ist mit der „Black-Lives-Matter-Bewegung“ die Idee der Abschaffung der Polizei zu einem „ernstzunehmenden realpolitischen Vorschlag“ geworden, meint Daniel Loick. Aktivist*innen schlagen „eine umfassende Entkriminalisierung, unbewaffnete, community-basierte Interventionsteams zur nachbarschaftlichen Konfliktschlichtung, die radikale Verbesserung der sozialen und kulturellen Infrastruktur und vor allem die radikale Demokratisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse vor“.  

Auf dem Weg dahin bleibt noch viel zu tun.