15. Sept. 2008
(Anti-)Rassismus / Versammlungsrecht

Aufklärung tut not! Polizeilichen Maßnahmen im Kontext des AntiRa- und Klimacamps

Systematische Verletzung der Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch Politik und Polizei im Kontext des AntiRa- und Klimacamps im August 2008 in Hamburg; Offener Brief an den Innensenat: Zu den Polizeilichen Maßnahmen im Kontext des AntiRa- und Klimacamps im August 2008 in Hamburg:

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie beklagt die systematische Verletzung der Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch Politik und Polizei im Kontext der vom AntiRa- und Klimacamp im August ausgehenden Demonstrationen in Hamburg. Dies sei sowohl institutionell bedingt als auch durch das Vorgehen einzelner Polizeibeamter, die im Schutze der Gruppe und ohne Kennzeichnung mit äußerster Gewalt einzelne Personen verletzten und das Grundrecht auf körperliche Unvershertheit grob missachteten. Das Grundrechtekomitee fordert den Hamburger Innensenator Christoph Ahlhaus und den Innenausschuss des Hamburger Senats auf, dafür Sorge zu tragen, dass die Vorfälle alle aufgeklärt werden. Es seien Vorkehrungen zu treffen, um solchen Entwicklungen zukünftig entgegenzuwirken. Kurzfristig sei zumindest eine Kennzeichnungspflich von Polizeibeamten und eine unabhängige Polizeikommission einzuführen.

Der Brief des Grundrechtekomitees, das während des Camps an einigen Tagen eine Demonstrationsbeobachtung gemacht hat, kann als pdf-Datei heruntergeladen werden und folgt hier im Fließtext.

 

Herrn Innensenator Christoph Ahlhaus

Behörde für Inneres

Johanniswall 4

20095 Hamburg

 

An den Innenausschuss des Hamburger Senats

Der Presse zur Kenntnis

Stellungnahme zu den polizeilichen Maßnahmen im Kontext des AntiRa- und Klimacamps im August 2008 in Hamburg

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hat mit einer kleinen Gruppe einige Demonstrationen aus dem AntiRa- und Klimacamp beobachtend begleitet. Auf der Grundlage unserer eigenen Beobachtungen und aufgrund weiterer uns vorliegender Berichte und Dokumente fordern wir den Innenausschuss des Hamburger Senats auf, sich eingehend mit den Vorgängen zu beschäftigen, zur Aufklärung beizutragen und Sorge zu tragen, dass schwerwiegende Verletzungen der Grundrechte auf

Versammlungs- und Meinungsfreiheit (Art. 8 GG und Art. 5 GG) wie auch des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 (2) GG) in Zukunft nicht wieder geschehen können.

Systematisch wurde das Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit im Kontext der vom Camp ausgehenden Demonstrationen missachtet. Dies geschah sowohl institutionell als auch durch das Vorgehen einzelner Polizeibeamter, die im Schutze der Gruppe und ohne Kennzeichnung mit äußerster Gewalt einzelne Personen verletzten und das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit grob missachteten.

So wollte die Versammlungsbehörde die Schlusskundgebung am 22.8.2008 weder direkt vor dem Flughafen Hamburg noch über die geplante Zeit von sechs Stunden zulassen. Zwar hob das Verwaltungsgericht diese Verfügung teilweise auf und betätigte, dass die Demonstrierenden auch über die zeitliche Länge ihres Protestes entscheiden können. Die Abschlusskundgebung "Für grenzenlose Bewegungsfreiheit – Keine Abschiebungen vom Flughafen Hamburg" dürfe in der Zeit von 13.00 bis 19.00 Uhr stattfinden. Solche Gerichtsbeschlüsse nutzen jedoch nichts, wenn – wie hier geschehen – die Polizei ihre Auffassung über Demonstrationen dann eben unmittelbar und ohne Rechtsschutzmöglichkeiten durchsetzt. Der Gesamteinsatzleiter erteilte ohne eigene Kenntnis der Lage vor Ort kurzerhand vom Polizeipräsidium aus die Anweisung zur Auflösung der Demonstration zu dem Zeitpunkt, zu dem die Versammlungsbehörde das Ende der Demonstration gewollt hatte. Hier wird nur besonders deutlich, in welchem Maße die Polizei willkürlich Demonstrationen aufgelöst hat. Dies geschah auch bei anderen Gelegenheiten. Pauschalisierte Vorwürfe von Straftaten, die irgendwo geschehen seien, wurden zur Begründung herangezogen, ohne dass diese Straftaten von den jeweiligen Demonstrationen ausgingen oder von diesen veranlasst wurden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem sogenannten Brokdorf-Beschluss jedoch unmissverständlich festgestellt: "Steht kollektive Unfriedlichkeit nicht zu befürchten, ist also nicht damit zu rechnen, dass eine Demonstration im Ganzen einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt oder dass der Veranstalter oder sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen, dann muss für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben, wenn einzelne andere Demonstranten oder eine Minderheit Ausschreitungen begehen."

Mit übermäßiger Gewalt ist die Polizei des weiteren immer wieder gegen kleine Gruppen von Demonstrierenden und Einzelpersonen vorgegangen. Auch dies geschah häufig gemäß einem Einsatzkonzept, das jede Abweichung vom polizeilich vorgesehenen Ablauf mit polizeilicher Gewalt statt im Rahmen von Kooperationsgesprächen zu "lösen" ausging. Der Einsatz von Wasserwerfern und Schlagstöcken im Kontext von Demonstrationen ist fast immer unverhältnismäßig. Ihr Einsatz gegen eine kleine Gruppe von SitzblockiererInnen, wie dies am 23.8.2008 vor der Kraftwerksbaustelle in Moorburg geschah, verletzt deren Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit.

Ein von einer Video-Journalistin aufgezeichneter Film von Festnahmen im Anschluss an einen Stadtteilrundgang unter dem Motto "Landgang durch die Sonderrechtszone" dokumentiert, in welch erschreckendem Maße die Polizei mit äußerster Gewalt gegen einzelne BürgerInnen vorgegangen ist. Florian S. (vgl. auch taz vom 26.08.2008) wurde bewusstlos geschlagen. Kurzfristig wurde er zwar in einen Krankenwagen aufgenommen, dann aber doch bewusstlos auf die Straße gelegt und in ein Polizeiauto gezerrt. Wie ist es möglich, dass ein ahnungslos dahergehender Bürger mit solcher Gewalt von der Polizei angegriffen und dann auch noch der ärztlichen Behandlung entzogen wird? Faustschläge gegen bereits überwältigte Personen, die das Video auch dokumentiert, verletzen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und müssen geahndet werden.

Berichtet wird auch von mehreren polizeilichen Gewalttaten gegen Journalisten. Eine sich als Journalistin ausweisende Frau wurde zu Boden gestoßen. Ein filmender Kameramann wurde geschlagen, und der Presseausweis wurde ihm vom Hals gerissen. Auch eine unserer Beobachterinnen wurde tätlich angegriffen, obwohl sie sich als Demonstrationsbeobachterin zu erkennen gab.

Polizeibeamte scheinen zu glauben, dass sie die Bestrafung für ihnen nicht genehmes Verhalten in die eigenen Hände nehmen dürften. Geschützt in der Gruppe begehen sie Straftaten und machen allzu oft die Erfahrung, dass sie hierfür nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Immer wieder ist es nicht möglich, die Täter zu identifizieren, weil sie sich gerade in solchen Einsätzen gegen Demonstrationen unidentifizierbar machen.

Der Innenausschuss des Hamburger Senats hat dafür Sorge zu tragen, dass die Vorfälle alle aufgeklärt werden. Es sind Vorkehrungen zu treffen, um solchen Entwicklungen zukünftig entgegenzuwirken. Kurzfristig sind zumindest eine Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten und eine unabhängige Polizeikommission wieder einzuführen.

 

Prof. Dr. Peter Grottian, Sonja Tesch

(für die Gruppe der DemonstrationsbeobachterInnen des Grundrechtekomitees)2008-09-16