22. Sept. 2020
(Anti-)Rassismus / Europa / Flucht / Lager / Menschenrechte / Praxis & Aktion

Redebeitrag: "Aufnahme von Geflüchteten aus Moria jetzt!"

Jeden einzelnen Tag, jetzt in diesem Moment, wehren sich die Menschen auf Lesbos gegen ein neues Moria. Sie fordern Freiheit statt neuer Lager. Freiheit statt Gefängnis. Angst und Widerstand sind mehr als berechtigt. Das erste neue Lager in Kara Tepe ist ein geschlossenes Camp, in Windeseile auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz errichtet und von Beginn an umzäunt. Den Menschen im Lager wird der Ausgang und Journalist*innen sowie humanitärer Hilfe der Zugang verwehrt. Das kommt der aktuellen Politik der griechischen Regierung geradezu gelegen. Sie nutzte den Ausbruch von Covid19 dafür, all die Lager komplett zu umzäunen. Langfristig sollen die Camps geschlossenen Einrichtungen weichen. Das nennt man Gefängnis! Menschen, die ihr Recht auf Asyl einfordern, werden zu entrechteten Gefangenen gemacht. Ohne rechtliche Grundlage und vor allem, ohne verantwortlich zu sein.

Ein neues Lager, die gleiche Hölle. Damit ist jetzt Schluss!

Die Bundesregierung hat die Verpflichtung, eine Migrationspolitik zu betreiben, die den Menschenrechten entspricht. Stattdessen verfolgt sie eine Abschottungs- und Blockadepolitik. Die Menschenrechte der Geflüchteten auf Würde, auf Leben, auf würdigen Wohnraum, Gesundheitsversorgung und Bildung werden nicht nur offen ignoriert, sondern massiv verletzt. Wir fordern die Bundesregierung auf, zu handeln – JETZT!

Es geht hier nicht nur um eine ethische oder humanitäre Verantwortung. Die Bundesregierung trägt eine politische Mitverantwortung. Deutschland beteiligt sich an der Besetzung Afghanistans und exportiert Waffen an Autokratien, die bewaffnete Konflikte massiv verschärfen. Die Flucht von Menschen aus Konfliktländern trägt den Stempel der Außenpolitik Deutschlands.

Wir dürfen nicht zulassen, dass die Geflüchteten auf Lesbos als Sündenböcke missbraucht werden, um Menschen aus Konfliktländern davon abzuschrecken, Schutz in Europa zu suchen.

Wir dürfen nicht zulassen, dass die Bundesregierung duldet, dass ein Mitglied der Europäischen Union, Griechenland, ungehindert über Jahre hinweg systematisch Asylrecht verletzt. Griechenland agiert hier als Türsteher Europas.

Wir dürfen nicht zulassen, dass die Europäische Union und Deutschland, das gerade den Ratsvorsitz der Europäischen Union hat, in Lesbos einen Ort der Rechtlosigkeit und der systematischen Menschenrechtsverletzungen weiterhin aufrechterhalten.

Wir dürfen nicht zulassen, dass an den Außengrenzen der Europäischen Union das Asylrecht zunichte gemacht wird, so dass Geflüchtete faktisch keinen Zugang mehr zu Asyl und Schutz finden können.

Wir dürfen nicht zulassen, dass die vermeintliche Angst vor einem neuen 2015 weiter von rechts durch gezielte Missinformation geschürt wird und sich die Bundesregierung diesen Ideologien beugt.

Wir fordern keine Utopie. Wir fordern eine notwendige Lösung. Die Bundesregierung hat zugestimmt, 1553 Geflüchtete von den griechischen Inseln aufzunehmen. Aber das ist uns nicht genug. Die Länder und Kommunen sind bereit, noch viel mehr geflüchtete Menschen aus Griechenland aufzunehmen. Und auch das ist uns nicht genug. Es muss jetzt endlich ein Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik her. Wir brauchen einen humanen und gerechten Aufnahmemechanismus, der ohne Lager auskommt und Sackgassen wie Moria ein Ende setzt.

Wir, das Komitee für Grundrechte und Demokratie, fordern Innenminister Seehofer und Kanzlerin Merkel auf, die Entscheidung über die Zahl der aufzunehmenden Menschen den Ländern und Kommunen zu überlassen.

Wir fordern ein Ende des Lager- und Hotspotsystems an den Grenzen Europas.

Wir fordern eine sofortige Evakuierung der griechischen Inseln.

Wir fordern legale und sichere Wege nach Europa.

Wir fordern, dass Faschist*innen bekämpft werden und nicht jene, die vor ihnen fliehen.

 

Redebeitrag des Grundrechtekomitees auf der Demonstration "Wir haben Platz!" am 20. September 2020 in Berlin