28. Jan. 2022 © dpa
Corona / Demokratie / Demonstrationsbeobachtung / Pressefreiheit

#AusgebranntePresse – Journalistische Berichterstattung in Zeiten von Corona

In den vergangenen zwei Jahren der Corona-Pandemie waren in Deutschland nicht nur Ärzt*innen, Pfleger*innen oder Politiker*innen häufig Zielscheibe von öffentlichen Beleidigungen und Anfeindungen, auch Journalist*innen sehen sich vermehrt Angriffen und Bedrohungen ausgesetzt. Allein im ersten Jahr der Pandemie wurden nach offiziellen Zahlen über 250 Gewaltdelikte gegen Medienschaffende registriert, wobei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist.

Diese Zahl, welche sich im Vergleich zum Jahr 2019 mehr als verdoppelt hat, lässt sich auch durch die zunehmende Gewalt gegen Journalist*innen bei den Protesten der „Querdenken“-Bewegung erklären. Auch der Deutsche Journalisten-Verband prangert eine deutschlandweit erhöhte Gewaltbereitschaft gegen Medienschaffende an und berichtet von gesteigerter Gewalt gegen Pressevertreter*innen besonders im Zusammenhang mit der Berichterstattung über „Querdenken“- Proteste.

Wurden im Jahr 2020 noch ein Großteil der Corona-Proteste durch die verschiedenen „Querdenken“-Initiativen angemeldet, ist der Einfluss von „Querdenken“ seit Anfang 2021 stark zurückgegangen.

Unverändert ist der nach wie vor sehr heterogene Charakter der Bewegung. Diese besteht neben Personen des bürgerlichen Milieus, der Esoteriker*innen- und Impfgegner*innen-Szene auch aus teils altbekannten rechten bis rechtsextremen Akteur*innen und Teilen der Reichsbürgerbewegung. Im Zuge einer deutlich zu beobachtenden Radikalisierung dieser Bewegung (im folgenden hier „Corona-Protestierende“), ist auch die Gewaltbereitschaft – insbesondere gegenüber Journalist*innen – noch einmal drastisch angestiegen.

Davon ausgehend beschreiben seit Ende Dezember 2021 eine große Anzahl von Journalist*innen unter dem Hashtag #AusgebranntePresse auf Twitter ihre teils traumatischen Erfahrungen während der Berichterstattung von Corona-Demonstrationen. Liest man die verschiedenen Erfahrungsberichte, wird eines schnell klar: Auf Corona-Protesten bespuckt, beleidigt, bedroht, gejagt und körperlich angegriffen zu werden, gehört für dutzende Journalist*innen in Deutschland zum normalen Alltagsgeschäft.

Während dieses Problem die ganze Branche betrifft, sind es gerade freie und nicht hauptberufliche Journalist*innen und Fotograf*innen, welche von dieser Entwicklung am stärksten getroffen werden. Ohne den Rückhalt einer Redaktion, oftmals ohne Begleitschutz und demnach häufig allein, sind diese den zunehmenden Anfeindungen und Angriffen meist schutzlos ausgeliefert. Die Frage nach der Ursache für die (ansteigende) Gewalt gegen Pressevertreter*innen auf Corona-Protesten lässt sich dabei unter anderem durch die in der Szene weit verbreiteten pressefeindlichen Verschwörungserzählungen erklären.

Im rechtsextremen Milieu zu verordnende Schlagwörter wie „Lügenpresse“, „Lügenmedien“ oder „Volksverräter“ lassen sich in unzähligen der unter #AusgebranntePresse geposteten Videos und Berichten von Corona-Protesten wiederfinden. Dem häufig zitierten Vorwurf, die Szene der Corona-Protestierenden hätte ein Problem mit Rechtsextremismus, ist dabei insofern zuzustimmen, dass neben der Teilnahme von bekannten rechten bis rechtsextremen Akteur*innen an einer Vielzahl der Proteste, gerade rechtsextreme und zudem oft antisemitische Verschwörungsmythen in Verbindung mit einer häufigen Relativierung des Holocausts  eine zentrale Konstante innerhalb der Bewegung darstellen.

Gerade im Hinblick auf den verbreiteten Glauben an solche Erzählungen und wiederholte Gleichsetzungen zwischen dem Widerstand gegen das NS-Regime und dem Protest gegen die Corona-Maßnahmen, verschwimmt die Linie zwischen „normalen“ Bürger*innen und dem rechtsextremen Milieu zusehends. Neben den Berichten über die zunehmende Behinderung freier journalistischer Berichterstattung durch teils aggressive Demonstrationsteilnehmer*innen auf Corona-Protesten finden sich unter dem Hashtag #AusgebranntePresse auch zahlreiche Erzählungen über die emotionalen und psychischen Folgen dieser Erlebnisse.

Abgesehen davon, ausgebrannt, überarbeitet und ständig bedroht zu sein, äußern viele Journalist*innen auch ihre Wut über die ausbleibende Unterstützung der Zivilgesellschaft und das bei Angriffen oftmals sehr zurückhaltende Agieren der Polizei. Es kann nicht sein, dass Journalist*innen kollektiv feststellen, nicht mehr allein oder nur bewaffnet vor die eigene Haustür gehen zu können, sich für jede Demonstration einen Begleitschutz organisieren zu müssen, und auf der Straße wie im Netz tagtäglich Beschimpfungen und Bedrohungen zu ertragen zu haben.

Die Pressefreiheit darf in Deutschland nicht nur möglich sein, sie muss gewährleistet werden. Neben der Zivilgesellschaft sind hier insbesondere Politik und Polizei in der Pflicht, sich intensiv dafür einzusetzen, dass eine freie und sichere Berichterstattung in stattfinden kann, gerade wenn es sich um die Dokumentation von Corona-Protesten handelt.

Schutz für Pressevertreter*innen sollte dabei allerdings nicht ausschließlich von staatlich-polizeilicher Seite erwartet werden. Auch eine zivilgesellschaftliche Solidarisierung mit Journalist*innen, sei es durch Gegenprotest, öffentlichen Austausch oder Hilfsangebote, beispielsweise in Form einer Begleitung bei Berichterstattungen, sind Mittel, um Rückhalt und Wahrnehmung zu signalisieren.

Eine (finanzielle) Unterstützung von Out of Action-Strukturen für Journalist*innen, wie beispielsweise das in Antwort auf #AusgebranntePresse entstandene Unterstützungsprogramm von Minzgespinst, sind zudem hilfreich, um gerade freien und nicht hauptberuflichen Journalist*innen, die Zielscheibe von Bedrohungen oder Angriffen geworden sind, professionelle psychologische und gegebenenfalls auch rechtliche Hilfe zu bieten.

Gleichzeitig ist es unerlässlich, die Ursachen von #AusgebranntePresse auch politisch in den Fokus zu rücken. In der Szene der Corona-Protestierenden existiert eine strukturelle und zunehmende Gewaltbereitschaft gegen Pressevertreter*innen. Das muss auf allen politischen Ebenen klar und deutlich verurteilt werden.

Wiederholte Gesprächsangebote gegenüber offen rechtsextremen Pandemieleugner*innen, beispielsweise durch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, sind in dieser Hinsicht ebenso sinnlos und gefährlich wie eine konsequente Verharmlosungen der Szene durch Aussagen wie „Nur eine kleine Minderheit sei radikal und setze auf Bedrohung und Gewalt“ durch Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Dabei ist gerade das Bundesinnenministerium im Verbund mit den Innenministerien der Länder in der Pflicht, zusammen mit den Länderpolizeien und in Absprache mit den Journalist*innen-Verbänden, konkrete Maßnahmen zum besseren Schutz von Journalist*innen auf Corona-Demonstrationen zu entwickeln.

Letztendlich ist es aber die Rolle der Polizei, die Sicherheit und Freiheit der Berichterstattung für Journalist*innen auf Protesten und Demonstrationen zu gewährleisten. Polizeiliche Schutzangebote dürfen hierbei nicht erst im Anschluss an einen erfolgten Angriff ergehen, ebenso wenig sollten diese ausschließlich auf bestimmte Bereiche begrenzt sein. Vielmehr könnte es helfen, während eines Protestgeschehens aktiv auf Journalist*innen zuzugehen und nach gemeinsamer Absprache polizeilichen Schutz zu anzubieten.

Zusätzlich müssen Angriffe auf Journalist*innen auf Corona-Protesten von der Polizei vermehrt als zu erwartende Handlungen aufgefasst und wahrgenommen werden. Die Gewalt gegen Pressevertreter*innen passiert hier weder zufällig, noch ist sie unvorhersehbar – Journalist*innen werden angegriffen, einfach weil sie als solche zu erkennen sind. Darüber hinaus sollten Journalist*innen – insbesondere von der Polizei – in einem Protestgeschehen nicht als Akteur*innen einer „Seite“ angesehen werden, sondern als (neutrale) Beobachter*innen. Eine Anweisung an Pressevertreter*innen, ihre Arbeit in kritischen Situationen aufgrund einer provozierenden Wirkung ihrer journalistischen Berichterstattung einzustellen (was durchaus häufig vorkommt), sollte ausgehend davon keine Grundlage der polizeilichen Deeskalation von Konflikten innerhalb von Demonstrationen sein.

Schlussendlich müssen Bedrohungen und Angriffe gegen Pressevertreter*innen durch die Polizei deutlich konsequenter verhindert, aber auch geahndet werden. Eine Täter-Opfer-Umkehr durch Polizeibeamt*innen darf dabei ebenso wenig stattfinden wie willkürliche Platzverweise oder Gefährderansprachen gegenüber Journalist*innen, welche ihrer Arbeit nachgehen.

Alles in allem findet man unter dem Hashtag #AusgebranntePresse einen tiefen Einblick in die schwierigen und emotionalen Arbeitsbedingungen von Journalist*innen, welche seit beinahe zwei Jahren von den hunderten Kundgebungen und Demonstrationen der Corona-Protestierenden in Deutschland berichten.

Gerade im Hinblick auf die zunehmende Radikalisierung der Szene auch außerhalb von angemeldeten Demonstrationen, ist es unabdingbar, dass über diese Bewegung weiterhin offen und detailliert berichtet wird. Ein Ignorieren der unter #AusgebranntePresse öffentlich gemachten Missstände und Probleme in Bezug auf die Berichterstattung über Corona-Proteste sollten und können wir uns als Gesellschaft schlicht nicht leisten.