Beleidigte Obrigkeit

Seit dem dubiosen Militärputschversuch in der Türkei und den dadurch entfesselten (aber offenkundig schon vorher in zahlreichen Schubladen liegenden) Plänen zur „Säuberung“ von Militär, Justiz, Verwaltung, Bildungs- und Mediensektor etc., von den Massenverhaftungen ganz zu schweigen, ist es stiller geworden um die Auseinandersetzungen im Vorfeld dieses Präsidialputsches, z.B. um die massenhaften Beleidigungsanzeigen Erdogans gegen Kritiker im In- und Ausland.

Über vergleichbare Anzeigen von Seiten des Bundespräsidenten ist zwar nichts bekannt, aber dass die hiesige Obrigkeit auch gerne zum Mittel der Anzeige gegen Kritiker greift, ist notorisch, und (zu) viele Staatsanwaltschaften und Gerichte geben sich dafür her, die Angezeigten auch zu verurteilen: Wegen Beleidigung, übler Nachrede oder Verleumdung (§§ 185 ff. StGB), wie es gerade passt. Dass damit gegebenenfalls  „berechtigte Interessen“ wahrgenommen werden (wie das in § 193 StGB heißt) oder gar von dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (incl. Medien-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit) Gebrauch gemacht wird (Art. 5 GG), gerät dabei allzu leicht in Vergessenheit.

Umso mehr ist es der 3. Kammer des ersten Senats am BVerfG zu danken, in den vergangenen Wochen die Meinungsfreiheit gleich in mehreren Entscheidungen gegen die vermeintlich beleidigte Ehre der Obrigkeit verteidigt zu haben:

Fall 1: >A.C.A.B.<: all cops are bastards, eine seit Jahrzehnten im Umlauf befindliche Parole, zu finden in Tattoos, auf Hauswänden, in Demos, auf T-Shirts etc. – wen regt das noch auf, sollte man meinen?! Weit gefehlt: die Gerichte haben es immer mal wieder mit Anzeigen vermeintlich beleidigter „cops“ zu tun. In zwei Fällen haben die Karlsruher Verfassungsschützer am 17.5.2016 einschlägige rechtskräftige Verurteilungen wegen Verstoßes gegen Art. 5 GG aufgehoben:

Bei der Parole handele es sich um eine Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, die nicht von vornherein offensichtlich inhaltlos sei, sondern eine allgemeine Ablehnung der Polizei und ein Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck bringe. Zudem hätten sich die Gerichte nicht angemessen damit auseinandergesetzt, dass unmittelbar vor der Verwendung des Akronyms „ACAB“ Kritik an den Beweis(sicherungs)- und Festnahmeeinheiten „(BFE)“ sowie an den Polizeieinsätzen im Rahmen des Projekts „Stuttgart 21“ geäußert und damit eine in der Öffentlichkeit viel diskutierte Frage aufgenommen worden war. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang auch an die >FCK CPS<-Entscheidung des BVerfG vom 26.2.2015, die auf derselben Linie liegt:

Fall 2: Die zuständige Staatsanwältin sei eine „durchgeknallte, dahergelaufene, widerwärtige, boshafte, dümmliche, geisteskranke …“ Staatsanwältin (um nur einige der verbalen Ausfälle zu zitieren), so ließ sich ein Anwalt als Strafverteidiger in einer Zeitung zitieren: Er hatte sich heftig darüber aufgeregt, dass sein Mandant wegen des Vorwurfs der Veruntreuung von Spendengeldern auf Antrag jener Staatsanwältin in U-Haft geraten war. Die Verurteilung des Verteidigers wegen Beleidigung wurde vom BVerfG am 29.6.2016 aufgehoben:

Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG schütze nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen, vielmehr dürfe gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen; insoweit liege die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist. Eigentlich nix Neues – muss vom BVerfG aber offenbar immer wieder betont werden. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang auch an den >Friedmann<-Beschluss des BVerfG von 2009:

Die Bezeichnung „durchgeknallter Staatsanwalt“ stelle nicht in jedem Fall eine Beleidigung dar.

Aber auch Richter fühlen sich bisweilen beleidigt und lassen die Kontrahenten dann von Kollegen entsprechend aburteilen: Der Protest eines ehemaligen Klägers im Rahmen einer nachfolgenden Dienstaufsichtsbeschwerde gegen „das schäbige, rechtswidrige und eines Richters unwürdige Verhalten der Richterin“ und die geäußerte Meinung, diese „müsse effizient bestraft werden um zu verhindern, dass diese Richterin nicht auf eine schiefe Bahn gerät“, sei nicht per se eine Beleidigung dieser Richterin, so ihre Kollegen vom BVerfG:

Fall 3: Ein Polizist, der offenbar „nix besseres zu tun [habe, als] in irgendwelchen Einfahrten mit Auf- und Abblendlicht zu stehen und in die gegenüberliegenden Häuser in den Hausplatz zu leuchten“, wird von einem Betroffenen in >facebook< als „Spanner“ bezeichnet. Die Verurteilung wegen „übler Nachrede“ wurde vom BVerfG am 29.6.2016 aufgehoben:

Damit hier kein Missverständnis entsteht, und das stellen auch die Bundesverfassungsrichter klar: Selbstverständlich dürfen Vertreter der Obrigkeit (hier: Richter, Staatsanwälte und Polizisten) nicht wahllos beleidigt und verleumdet werden, und man darf ihnen auch nicht „übel nachreden“ – ob solches strafbar sein muss, ist wiederum eine kriminalpolitische Frage, die das BVerfG nicht zu klären hatte. Bei der Anwendung einschlägiger Rechtsnormen (hier: des Strafrechts) ist allerdings die Meinungsfreiheit deutlich höher zu veranschlagen, als die „Ehre“ der Obrigkeit. Etwas mehr professionelle Gelassenheit wäre nicht nur anzuraten, sondern ist auch verfassungsrechtlich geboten: Kritik an der Obrigkeit strafrechtlich abzuurteilen, gerät sonst zur Beleidigung des Grundgesetzes.

Helmut Pollähne