20. Nov. 2013
(Anti-)Rassismus / Polizeigewalt / Praxis & Aktion / Prozessbeobachtung / Rechtsstaatlichkeit

Brandstiftung nicht mehr auszuschließen – die „Oury-Jalloh-Initiative“ hat ein neues Brandgutachten vorgestellt

Am 7. Januar 2005 verbrannte der aus Sierra Leone stammende Asylsuchende Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle, in die er aus nichtigen Gründen widerrechtlich unter polizeilicher Gewaltanwendung eingeliefert worden war. Dabei war er an Händen und Füßen auf einer vermeintlich feuerfesten Matratze gefesselt worden. Ein nun vorgelegtes Brandgutachten, initiiert und finanziert von der beharrlich auf Aufklärung drängenden „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“, legt nahe, dass Polizeibeamten das Feuer in der Gewahrsamszelle gelegt haben müssen.

In bislang zwei langwierigen Strafverfahren konnten die Umstände, unter denen Oury Jalloh zu Tode kam, nicht aufgeklärt werden. Das Landgericht Dessau verhandelte von März 2007 bis Dezember 2008, verhedderte sich im Lügengespinst der Polizei und sprach die beiden angeklagten Polizeibeamten schließlich frei. Nach Aufhebung des Urteils gegen einen der Beschuldigten durch den Bundesgerichtshof im Januar 2010 versuchte das Landgericht Magdeburg von Januar 2011 bis Dezember 2012, allerdings gebremst aufklärungswillig, die Brandursachen zu rekonstruieren.

Letztendlich wurde der angeklagte Dienstgruppenleiter wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 10.800 € verurteilt. Das Gericht erkannte, es sei seine Pflicht gewesen, den gefesselten und alkoholisierten Verwahrten unter ständiger Beobachtung zu halten. Dieses habe er unterlassen. Alle Verfahrensbeteiligten haben Revision beim Bundesgerichtshof beantragt.  

 

Trotz vieler gegenteiliger Indizien hielt die 1. Große Strafkammer bis in die Urteilsverkündung unbeirrt an der polizeientlastenden Annahme der von Anfang an wenig engagiert ermittelnden Staatsanwaltschaft fest, Oury Jalloh selbst habe das Feuer in der Gewahrsamszelle gelegt. Diese Darstellung insinuierte und koordinierte die Polizeiführung bereits kurz nach dem Tod Oury Jallohs. Die Vermutung unterstellt, Oury Jalloh habe, mehrfach durchsucht und an Händen und Füßen gefesselt, einem der Beamten ein Feuerzeug während der Tortur der Freiheitsentziehung entwenden oder anderweitig in Besitz nehmen können. Unbeantwortet bleibt jedoch bis heute die aufklärungszentrale Frage, wie Feuerzeugreste, die sich nicht bei der ersten Spurensicherung, sondern erst nachträglich bei den Asservaten angefunden haben, die Existenz eines Feuerzeuges belegen sollen, mit dem Oury Jalloh vorgeblich in der Gewahrsamszelle das Feuer entfachte, obwohl an eben diesen Feuerzeugresten weder DNA-Spuren des Opfers noch Faserspuren seiner Kleidung oder der Matratze festgestellt werden konnten. Der polizeiliche Umgang mit erheblichen Beweismitteln ist nicht dazu angetan, in dieser entscheidenden Frage die gerichtliche Aufklärung zu unterstützen. Der geringer verbrannte Rücken des Toten war von dem Videografen des landeskriminalpolizeilichen Ermittlungsteams auf gesonderte Anordnung des Einsatzleiters gefilmt worden. Ein Feuerzeug war dabei, laut Aussage des Videografen, erst einmal nicht entdeckt worden. Diese Videosequenz ist allerdings verlorengegangen oder gelöscht worden. Jedenfalls ist sie bei den Polizeibehörden nicht mehr auffindbar. Ebenso die Fotografien, die die Polizeibeamten des Reviers am Tag des Brandes noch vor den Tatortermittlern aufgenommen hatten. Die „Wahrheit“ des unterstellten Feuerzeuges bleibt sprichwörtlich im Dunklen. Das Gericht aber will keine Beweismanipulationen erkennen, denn das müsste als Beweismittelunterschlagung gewertet werden. Stattdessen vermochte die Strafkammer „nicht ausschließen“, so der wiederkehrende Urteilsrefrain, dass Oury Jalloh selbst das Feuer gelegt haben müsse, um wahrscheinlich Aufmerksamkeit zu erregen und entfesselt zu werden. Im Zweifel für die deutsche Polizei, selbst wenn dadurch das Opfer zum brandentfachenden Täter gemacht wird. 

 

Die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Magdeburg hatte aufgrund der nicht mehr in Zweifel gezogenen Vorannahme, Oury Jalloh habe seinen Tod in der Gewahrsamszelle selbst herbeigeführt, im Laufe des Verfahrens ein in seiner Untersuchung eng begrenztes zweites Brandgutachten in Auftrag gegeben: Zu „klären“ war lediglich, ob die feuerfeste Matratzenhülle angeschmort und die Matratzenfüllung entzündet werden und sich ein Brand entfalten konnte; ob der „Bewegungsspielraum“, den die Fesslung Oury Jalloh ließ, zum Entzünden der Matratze ausreichte und ob er bei einer entsprechenden Brandentwicklung einen tödlichen Inhalationsschock habe erleiden können. Die experimentellen Versuche und Brandsimulationen ließen einen derartigen Geschehensverlauf nach Ansicht der Kammer jedenfalls nicht ausschließen, so dass sie zu der Feststellung gelangte, dass Oury Jalloh „den für ihn todbringenden Brand am 7. Januar 2005 in der Zelle 5 des Reviers Dessau selbst verursacht hat“. (Urteil S. 181) Nach Überzeugung der Kammer schied eine Brandlegung durch andere Personen aus. Gegen weiterführende Untersuchungen, die andere Brandentstehungen überhaupt erst einmal zu prüfen gehabt hätten, hatte sich das Gericht bereits während des Verfahrens vehement gesperrt. 

 

Deshalb beauftragte die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ den irischen Brandexperten Maksim Smirnou mit weiteren Branduntersuchungen, die allein aus Spenden finanziert wurden. Sie stellte die Ergebnisse seines Gutachtens am 12. November 2013 im Berliner Haus der Demokratie im Rahmen einer Pressekonferenz vor, an der der Thermophysiker selbst, zahlreiche Medienvertreter aus dem In- und Ausland sowie Vertreter der Staatsanwaltschaft Dessau teilnahmen. Den Journalisten und Journalistinnen wurden auf der Pressekonferenz teils entsetzliche und grauenvolle Fotos des verbrannten Leichnams Oury Jallohs zugemutet. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass das Abbrandbild der völlig zerstörten Matratze und die umfängliche Hautdurchkohlung und die Entflammung des Unterhautfettgewebes, wie sie bei Oury Jalloh festgestellt wurden, nur unter Verwendung von mehreren Litern Brandbeschleuniger möglich gewesen seien. Der Brandversuch ohne Brandbeschleuniger – alle Brandexperimente wurden mit einem Schweinekadaver ausgeführt – hätte nicht das vorgefundene Brandbild der Tatortvideografien erzeugt. Es seien lediglich leichtere Hautschädigungen aufgetreten. Die Entzündung der Matratzenfüllung allein reiche nicht aus, um ein Feuer zu entfachen, das die gesamte Matratze so gleichmäßig verbrennen und tiefgreifend schädigen lasse, wie es fotografisch in der Gewahrsamszelle am Brandtag festgehalten wurde.  

 

Der bleiche Dessauer Oberstaatsanwalt Folker Bittmann sprach von „überraschenden und zum Teil erschreckenden Informationen“, die nicht einfach weggewischt werden könnten. Ob neue Ermittlungen aufgenommen werden, werde zu prüfen sein. Dass Oury Jalloh von Polizeibeamten am 7. Januar 2005 verbrannt wurde, lässt sich nun seriös nicht mehr ausschließen. Vorsorglich hat die Initiative Strafanzeige wegen Mordes oder Totschlag beim Generalbundesanwalt gestellt, da die sachsenanhaltinischen Ermittlungsbehörden und Gerichte den Verbrennungstod Oury Jallohs nicht rückhaltlos aufzuklären bereit gewesen seien. Ob allerdings ausgerechnet der Generalbundesanwalt als politischer Beamter, unter anderem zuständig für den Staatsschutz, widerrechtliches polizeiliches Gewalthandeln aufzuklären sich zu eigen machen wird, ist höchst unwahrscheinlich, wenn nicht sogar ausgeschlossen.  

 

Alle Informationen zum Brandgutachten und der Presseinformationen unter: initiativeouryjalloh.wordpress.com/  

 

Dirk Vogelskamp