12. Aug. 2001
Demonstrationsbeobachtung / Praxis & Aktion / Versammlungsrecht

Demonstrationsbeobachtungen

Neben dem Aufruf zu Aktionen oder der eigenen Beteiligung an Aktionen hat das Komitee für Grundrechte und Demokratie schon früh die Demonstrationsbeobachtung als Möglichkeit und Notwendigkeit eines praktischen, demokratisierenden Verfassungsschutzes entwickelt. Diejenigen, die - oft trotz Allgemeinverfügungen und Demonstrationsverboten - ihr Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit gewaltfrei und lebendig in Anspruch nehmen, tragen zum Schutz dieser Verfassung bei. Der Schutz und die Verteidigung dieser Art demokratischer Partizipation sind dringend geboten. von Elke Steven

Die Kette der Demonstrationsbeobachtungen des Komitees begann bei der Brokdorf-Demonstration im Jahr 1981. Der damalige Bericht widerlegte die verfälschten Medien-Darstellungen einer gewalttätigen Demonstration. Eine Reihe weiterer Beobachtungen folgte. Nach einer Unterbrechung ist diese Form der Einmischung seit den Transporten von Atommüll nach Gorleben wieder aufgegriffen worden. Die bisherigen vier Beobachtungen der Transporte in den Frühjahren 1995, 1996, 1997 und 2001wurden dokumentiert und veröffentlicht. (1) Auch bei dem Treffen der Punks in Hannover Anfang August 1996, den sogenannten Chaos-Tagen, waren einige Beobachter des Komitees zugegen.. Demonstrationen erzeugen potentiell Unruhe. Sie ermöglichen die ständige geistige Auseinandersetzung und den Streit um Meinungen. Sie können auch - je nach Umständen - von beiden Seiten (Polizeiund Demonstrierenden) gewaltförmige Begleiterscheinungen mit sich bringen. Vielen gelten Demonstrationen nach wie vor als eine Äußerungsform, die eher suspekt ist, und an der man" sich nicht beteiligt. Es kommt hinzu, daß Demonstrationen, erst recht vielfältige Protestaktionen in einer ganzen Region, von einer oder von wenigen Personen in aller Regel nicht zureichend in ihrem Verlauf und in ihrer Ausdrucksform beschrieben und beurteilt werden können. Polizei und Demonstrierende sind eindeutig Partei in diesem Konflikt und in der Wahrnehmung desselben. Auch darum sind zumeist die offiziellen, polizeilich-informierten Äußerungen, die die Wahrheit" über Demonstrationen bestimmen, höchst unzureichend. Um solchen meist einseitigen Wahrheiten" über Demonstrationen entgegentreten zu können und dies nicht nur meinungshaft zu tun, muß man selbst über verläßliche Informationen verfügen. Diese erhält man nur, wenn man sich am Ort des Geschehens selber informiert und dies in einer solchen Weise tut, daß gewährleistet werden kann, daß man die Demonstration insgesamt zu überblicken vermag. Hierfür sind viele Beobachter und Beobachterinnen nötig. Angesichts des Politikums der Information spielt die informationelle Konstruktion von Demonstration eine große Rolle. Sie kann zuweilen den Sinn einzelner Demonstrationen geradezu verkehren. Es kommt entscheidend auf angemessene, in den Informationen verläßliche und zugleich im Urteil begründete Gegeninformationen an. Den Demonstationsbeobachtungen geht es exakt darum. Sie sollen es ermöglichen, über eine je besondere Demonstration detailliert und genau zu berichten. Die Demonstrationsbeobachtung soll demgemäß in die Lage versetzen, zum einen zu verhindern, daß am Ende nur noch Berichte über begleitende Gewalterscheinungen den Demonstrationszweck verdunkeln. Zum anderen soll sie sicherstellen, daß Gewalterscheinungen nicht nur einer Seite - es sei denn, dies träfe zu - undifferenziert und vorurteilshaft zur Last gelegt werden. II. Die Demonstrationsbeobachtung steht dem Inhalt der Demonstration prinzipiell "neutral" gegenüber. Sie nimmt allerdings Partei für das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit. In einer repräsentativen Demokratie sind die freie Meinungsäußerung und die Freiheit der Bürger und Bürgerinnen, sich zu versammeln, ein grundlegendes Recht und Korrektiv für die sich borniert entwickelnde abgehobene Entscheidungsbefugnis der Repräsentanten. Gemäß einem solchen exzessiv verstandenen grundgesetzlich garantierten liberalen Konzept der Demonstrationsfreiheit sind alle gewaltfreien Versammlungen und Meinungsäußerungen grundrechtlich geschützt. Auch diejenigen Andersdenkender. Auch dann, wenn uns der Inhalt politisch problematisch erscheint oder wir diesem ablehnend gegenüberstehen. Das Recht, sich zusammenzuschließen, sich unter freiem Himmel zu versammeln, wie es im Gesetz heißt, seine Meinung und seinen Protest zu äußern, gehört zu den wenigen im Grundgesetz gegebenen Möglichkeiten, die es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, sich unmittelbar direkt öffentlich zu äußern, indem sie selbst die Art der Öffentlichkeit thematisch und formal bestimmen. Darum gehört das Demonstrationsrecht (vgl. Art. 8 GG), abgesichert durch das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG), zu den wenigen radikaldemokratischen Ansätzen und Korrektiven der repräsentativ allzu stark verdünnten Demokratie bundesdeutschen Musters. Insbesondere das sog. Brokdorf-Urteil (1985) des Bundesverfassungsgerichts hat die Bedeutung des Versammlungsrechts hervorgehoben. In dem Urteil heißt es: "das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewußten Bürgers. (...) sie (Versammlungen, Anm. d.V.) enthalten ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren." Demonstrationen dienen dem Ausdruck von Interessen mit dem Ziel bei anderen Verständnis für diese Überzeugungen zu erreichen. Es geht darum, Diskussionen zu befördern, Defizite deutlich zu machen und gegebenenfalls neue Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln. Gerade Minderheiten müssen diese Ausdrucksform nutzen, um auf ihre Interessen aufmerksam zu machen. Gerade sie sind durch das Recht auf Demonstrationsfreiheit geschützt. Im Falle der Nutzung der Atomenergie kommt zu den Problemen parlamentarischer Entscheidungen in einer repräsentativen Demokratie ein anderes hinzu: die demokratische Vereinbarung für die Nutzung schafft unumkehrbare Folgen auf Dauer. Die einmal getroffenen Entscheidungen sind nicht folgenlos revidierbar. Künftige Generationen sind davon betroffen, obwohl sie an diesen hochrelevanten Übereinkünften nichtbeteiligt werden können. Dies macht den Streit um die Nutzung der Atomenergie verzweifelter als bei Entscheidungen, die leicht umkehrbar sind. III. Entgegen dieser hohen verfassungsrechtlich geschützten Bedeutung wird das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit immer wieder eingeschränkt. Obwohl auf das Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes häufig formal und oberflächlich Bezug genommen wird, häufen sich die Allgemeinverfügungen. Demonstrationen werden geradezu reihenweise verboten oder örtlich und zeitlich so beschränkt, daß sie ihren Sinn verlieren. Die aus der Verfassung abgeleiteten Argumente des Verfassungsgerichts werden beiseite gewischt. Diese Mißachtung von Verfassung und oberstem Gericht wird im Namen eines vordemokratischen Rechtsstaatsverständnisses betrieben. Häufig werden schon im Vorfeld die Informationen über die bevorstehenden Proteste einseitig vermittelt. In den Medien wird einseitig berichtet. Darstellungen in den Verfassungsschutzberichten tragen zu einer verfälschten Sichtweise bei. Die Vorbereitung der Polizei ist häufig unangemessen auf angeblich zu erwartende Gewalt orientiert. Demonstrationsverbote ermöglichen einen Polizeieinsatz, der sich in seiner Härte und Unangemessenheit auf das vorangegangene Verbot berufen kann. Begründet werden solche Verbote mit allgemeinen und unsachgemäßen Gefahrenvermutungen, die oft nicht im geringsten stichhaltig sind. Beispielsweise werden gewaltfreie Atkionen Zivilen Ungehorsams als unfriedlich eingestuft, selbst verboten und für weitere Demonstrationsverbote als Grund herangezogen. Das Fehlen der Legitimation eines Verbots kann häufig erst lange nachher festgestellt werden. So wurden per Allgemeinverfügung 1995 während des ersten Castortransport nach Gorleben Demonstrationen über einen langen Zeitraum und weiträumig untersagt. Dies diente während der ganzen Zeit des Protestes zur Rechtfertigung von jeglichen polizeilichen Maßnahmen und Ingewahrsamnahmen. Erst im Frühjahr 1996 stellte das erkennende Gericht fest, daß das damalige Demonstrationsverbot rechtswidrig war. Auch von Politikern wird die Teilnahme an Demonstrationen immer wieder kriminalisiertund werden die teilnehmenden Bürger und Bürgerinnen verunglimpft. Einen der Höhepunkte stellten die Reaktionen von Politikern während und nach dem zweiten Transport von hochradioaktivem Müll nach Gorleben im Jahr 1996 dar. Innenminister Kanther sprach am Tag nach dem Transport in der Aktuellen Stunde des Bundestages vom "unappetitlichen Pack". Die Demonstrierenden wurden in dieser Diskussion des weiteren als "Kriminelle", "Gesindel" und "verbrecherische Meute" bezeichnet. Auch der Innenminister des Landes Niedersachsen, Glogowski, machte deutlich, daß er von demonstrierenden Bürgern und Bürgerinnen nichts hält. Am Tag des Transportes forderte er auf: "Alle, die friedlich sind, müssen nach Hause gehen. Sie dürfen es der Polizei nicht schwerer machen." (Zit. Nach Elbe-Jeetzel-Zeitung, 9.5.1996) Statt das Demonstrationsrecht zu achten und sich mit den protestierenden Bürgern und Bürgerinnen politisch auseinanderzusetzen, beschränken die politisch zuständigen Instanzen den politischen Prozeß und setzen Verbot und polizeiliche Gewalt an seine Stelle. Verbot und Polizeieinsatz werden zur Ersatzpolitik; schlimmer noch: ihr Einsatz demonstriert seinerseits die Unfähigkeit der etablierten politischen Instanzen und ihrer Vertreter zur Politik, zur Auseinandersetzung mit Hilfe überzeugender Argumente. Daran aber zeigt sich die politische Unverantwortlichkeit. IV. Die Demonstrationsbeobachtungen des Grundrechte-Komitees umfassen konkret folgende Schritte: Alle Veröffentlichungen und Verlautbarungen der verschiedenen Beteiligten im Vorfeld einer Demonstration - also seitens der Protestierenden, der offiziellen Politik und der Polizei - werden ebenso wie die Berichterstattungen in den Medien gesammelt und ausgewertet. Mehrere Beobachtende verteilen sich während der Demonstration am Ort oder an den Orten des Geschehens. Bei den Protesten gegen den Transport von hochradioaktivem Müll nach Gorleben waren jeweils Gruppen von 12 bis 20 Personen über ca. 5 Tage im Wendland anwesend und beobachteten alle größeren und viele kleinere Protestaktionen. Wichtig ist, daß hier die Ausdrucksformen und evtl. Provokationen beider" Seiten, also von Demonstrierenden und Polizei, genau beobachtet und dokumentiert werden. Die Beobachter schreiben möglichst bald nach Ende der Demonstration - gestützt auf vor Ort angefertigte Notizen und Skizzen - ihre Berichte, die dann gesammelt und zusammengefaßt ein Bild von dem gesamten Ablauf ermöglichen. Ergänzt und gegenübergestellt wird dieser Bericht den Presseerklärungen der Polizei und den Verlautbarungen von Politikern und Politikerinnen. Die Berichterstattung in den Medien wird wiederum gesammelt und kritisch ausgewertet. Nach einem ersten zusammenfassenden Bericht in einer Presseerklärung kurz nach der Demonstration werden auf der Grundlage der gesammelten Informationen jeweils ausführliche Berichte erstellt und in einer Broschüre veröffentlicht. Maßstab unserer Auswertung ist ein demokratisch grundrechtlich weit verstandener Art. 8 Grundgesetz. Die bisherigen Berichte sind auf breites Interesse gestoßen, bei denjenigen, die sich an den Demonstrationen beteiligt haben, aber auch bei vielen anderen. Zusammenfassungen sind manchmal in den Medien wiedergegeben worden. In letzter Zeit interessieren sich zunehmend mehr Polizeipräsidenten und Polizeibehörden für die Berichte.

Anmerkung: 1. Castor eingelagert - Grundrechte und Demokratie ausgelagert. Demonstrationsbeobachtung des Komitees für Grundrechte und Demokratie vor und während des ersten Castor-Transportes von Philippsburg nach Gorleben vom22. bis 25. April 1995 *Zweiter Castor-Transport nach Gorleben - Der Atomstaat zeigt seine Gewalt. Demonstrationsbeobachtung des Komitees für Grundrechte und Demokratie vor und während des zweiten Transportes von hochradioaktivem Müll nach Gorleben vom 4. bis 8. Mai 1996 Der starke Staat zeigt seine politisch-demokratische Schwäche. Demonstrationsbeobachtung des Komitees für Grundrechte und Demokratie vor und während des dritten Transportes von hochradioaktivem Müll nach Gorleben vom 28. Februar bis 5. März 1997