Der Castor-Protest lässt sich nicht so einfach einteilen!

Leserbrief

zu Heribert Prantls Kommentar „Der Castor: die rollende Ratlosigkeit“

(Süddeutsche Zeitung, Montag, 8.11.2010)


Mit seinem Kommentar „Der Castor: die rollende Ratlosigkeit“ (SZ v. 8.11.2010) verschärft Heribert Prantl genau das Problem, vor dem er zu warnen meint, indem er offenkundig völlig unüberprüft die Perspektive und teilweise auch die Sprache der für diesen Transport Verantwortlichen in Politik und Polizeiführung übernimmt.

Prantl unterscheidet zwischen vermeintlich guten und schlechten Protestierern, hat damit in beiderlei Hinsicht im Konkreten unrecht und übernimmt so eine an den Tatsachen ungeprüfte polizeitaktische und politische Linie. So ging nach unserer recht umfassenden Beobachtung von den „Schotterern“ keinerlei Gewalt gegen Polizisten aus. Die Aktion war öffentlich und namentlich ausgerufen, als Aktion zivilen Ungehorsams mit eindeutiger Abgrenzung zu Gewalt gegen Polizisten. So fehlte diesem Protest auch jede von Form von Heimtücke, die Prantl als Vergleichsmoment heranzieht. Auch die Polizei vor Ort wusste, dass von den „Schotterern“ keine Gefahr für sie ausging. Stundenlang gingen sie und Polizisten auf den engen Waldwegen zu den Gleisen dicht an dicht, ohne dass es dort auch nur zu irgendeiner Hakelei gekommen wäre. An den Gleisen warteten andere Einsatzkräfte, die dann – ohne jede Form des rechtsstaatlich notwendigen Procederes zu beachten – ansatzlos und mit großer Gewaltbereitschaft auf die Protestierenden einschlugen und Pfefferspray versprühten. Viele von diesen Protestierern waren wenige Stunden später auch unter denen, die – das sind Prantls „Gute“ – nachts die Schienen und Straßen besetzten.

Aber auch die Verkürzung des vermeintlich guten Protests auf „Hausfrauen, Pfarrer, Lehrer und Bauern“ ist objektiv falsch. Viele Bauern gaben den „Schotteren“ Unterkunft und beteiligten sich selbst mit einer ungezählten Fülle von gezielten Blockaden daran, dass Polizeikräfte nicht ungehindert von Einsatzort zu Einsatzort gelangen konnten. Gerade die Tatsache, dass es im Wendland in den vergangenen Jahrzehnten und konkret auch in diesen Tagen gelungen ist, über die verschiedenen politischen Traditionen und Vorstellungen, Herkunft, Beruf und Alter hinweg einen Protest zu organisieren, der ungeachtet seiner unterschiedlichen Ausdrucksformen als Einheit verstanden wird, steht der einerseits romantisierenden Darstellung der Volksbewegung und der diskriminierenden der „Schotterer“ diametral entgegen. Natürlich ist es notwendig, über unterschiedliche Formen des Protests zu diskutieren, sie zu bewerten und zu entscheiden. Genau das aber geschah und geschieht im Wendland, allerdings substantiell anders als Prantl es sich vorstellt.

Dass Politik und Polizei immer wieder darauf abzielen, diesen Protest an der Frage der Gewalt zu spalten, ist naheliegend. Dass Heribert Prantl sich in offenkundiger Unkenntnis der konkreten Situation vor diesen Karren spannen lässt, eigentlich nicht und darum umso schlimmer.


Theo Christiansen

Komitee für Grundrechte und Demokratie