19. Apr. 2018 © pxhere
Repression / Strafrecht

Der strafende Staat. Plädoyer gegen den Populismus in der Kriminalpolitik und eine Instrumentalisierung des Strafrechts

Es gibt kaum ein gesellschaftliches Problem, auf das die Politik in den letzten 20 Jahren nicht mit dem Ruf nach dem Strafrecht reagiert hat. Vermeintliche Gesetzeslücken wurden geschlossen und härtere Strafen eingeführt. Allein in der letzten Legislaturperiode des Bundestages stehen dafür die Verschärfung des Sexualstrafrechts, des Tatbestands des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (einschließlich von Krankenwagenfahrern, „weil die auch Anerkennung verdienen“), des Einbruchsdiebstahls, die Kriminalisierung von „Grabschern“ oder illegalen Autorennen. Justizminister Heiko Maas brachte es durch den bekannten Kolumnisten der Zeit, Thomas Fischer, den für einen Leiter dieses Ressorts zweifelhaften Titel eines Sicherheitsministers ein. Mehr Strafrecht fordern, weniger nach Ursachen fragen, lautete auch die Devise des Ministers. Kriminalpolitik als Gesellschaftspolitik – mittlerweile Fehlanzeige. Auch der gegenwärtig ausgehandelte Koalitionsvertrag legt davon Zeugnis ab. Es geht vorrangig um die Stärkung des zupackenden Staates.

2017 erschien in deutscher Sprache das Buch des französischen Soziologen Geoffrey de Lagasnerie „Verurteilen. Der strafende Staat und die Soziologie“. De Lagasnerie, in der wissenschaftlichen Tradition von Michel Foucault und Pierre Bourdieu stehend, besuchte monatelang Strafprozesse. Das Ergebnis seiner Analyse ist desillusionierend. Es bleibt nämlich nicht viel übrig von der erhabenen Rhetorik der Moral des Strafrechts, seinen Mystifikationen und den dem Strafrecht zugeschriebenen präventiven Zielen. Es ist bekannt, dass härteres und längeres Strafen keinen nennenswerten Einfluss auf die Kriminalitätsstatistik besitzen. So fand beispielsweise der norwegische Kriminologe Nils Christie durch Analyse der Gefangenenzahlen in verschiedenen Industrieländern und ihres Verhältnisses zur jeweiligen Kriminalitätsrate heraus, dass sich beide unabhängig voneinander ändern.

Oder: Die Strafschärfung beim Wohnungseinbruchsdiebstahl 2017 erfolgte mit der gleichen Begründung wie bei der Anhebung der Mindeststrafe für dieses Delikt 1998. Das Eindringen in die Privatsphäre sei unerträglich, äußerte der Minister. Die Ineffizienz der 98er-Verschärfung wurde mit keiner Silbe erwähnt. Die Kriminalität geht ihre eigenen Wege, umschrieb der Strafrechtslehrer Winfried Hassemer das Phänomen. Strafjustiz bedeutet demnach zuerst, so die Erkenntnis de Lagasneries, Gewalt auszuüben und Leiden aufzuerlegen, indem der Staat Menschen einsperrt oder ihnen ihre Güter wegnimmt. Das Verbrechen wird in Zeit und Geld umgewandelt. Eine Demonstration der Macht des Staates.

Woher kommt dann aber das Hohelied auf die repressive Funktion des Strafrechts, das allerorten angestimmt wird? Um sich dieser Frage anzunähern, müssen Strafrecht und Kriminalpolitik im Modus der Macht diskutiert werden. Vier Bemerkungen seien dazu gestattet:

Erstens: Fast alle politischen Parteien haben die Nützlichkeit des Strafrechts in unsicheren Zeiten für den Machterhalt oder zur Gewinnung derselben erkannt. Das Strafrecht wird durch die Politik kommunikativ instrumentalisiert. Mit der Kriminalpolitik wird um die Gunst der Wähler gebuhlt. Krimalisierungsforderungen versprechen eine hohe politische Rendite. Die höchste wirft dabei die nach Verschärfung des Sexualstrafrechts ab. Erinnert sei hier nur an den Ausspruch des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder in Bild: „Wegsperren – und zwar für immer“ (2001). Dabei sind die Parteien kaum unterscheidbar. Es gibt keinen Streit mehr um die richtige Kriminalpolitik. Alle Positionen kommen mehr oder weniger im Gewand einer Politik des „Law and order“ daher. Eine totale Entpolitisierung der Kriminalpolitik nannte das der Kriminologe Fritz Sack 2003. Die wissenschaftliche Expertise ist immer weniger gefragt. Akteure der politischen, medialen und demoskopischen Öffentlichkeit bestimmen die Richtung der Kriminalpolitik.

Hierbei können die Parteien an ein in der Gesellschaft verbreitetes Syndrom der Unsicherheit und Bedrohung, das jedoch nicht mit der realen Kriminalitätsrate korrespondiert, anknüpfen. Die tieferen Ursachen für dieses Syndrom liegen vielmehr in dem gegenwärtigen gesellschaftlichen Strukturwandel, der u.a. mit einem wachsenden Heer von Niedriglohnbeschäftigten, dem Ausbau von befristeten Arbeitsverhältnissen und verfestigten Hartz-IV Milieus verknüpft ist. Die mit der „Abstiegsgesellschaft“ (so der Titel eines Buchs des Soziologen Oliver Nachtwey) verbundenen Ängste werden teilweise in Kriminalitätsfurcht kanalisiert. Die wiederum zieht Gewalterwartungen nach sich und befördert die gesellschaftliche Straflust. Die Politik ihrerseits bestärkt, ja schürt und instrumentalisiert dieses Vergeltungsdenken im Interesse ihrer Macht. So reagierte die CDU im Brandenburger Landtag im Februar mit heftiger Kritik auf den Umstand, dass trotz sinkender Gefangenenzahlen die resozialisierungsfördernden Freigänge und Hafturlaube in den Gefängnissen Brandenburgs gestiegen sind. Das verstoße, so ihr rechtspolitischer Sprecher Danny Eichelbaum, gegen das Rechtsempfinden vieler Bürger. Daher wolle die CDU, dass die Verbrecher ihre gerechte Strafe verbüßten und nicht frühzeitig Lockerungen erhielten (B.Z. vom 15.2.18: „Weniger Knackis, mehr Ausgang“). Vergeltung, die Fritz Bauer (1903–1968), der frühere Generalstaatsanwalt in Hessen, als Erbe aus der Affenzeit gekennzeichnet hatte, statt Resozialisierung ist angesagt. […]

Bestrafung der Armen

Zweitens: Der Ruf nach dem Strafrecht ist auch der Ruf nach der Individualisierung gesellschaftlicher Probleme. Der Bestrafungsapparat begründet seine Anklagen und Urteile immer individualistisch. Persönliche Verantwortung ist hier der Schlüsselbegriff. Der soziale, ökonomische und politische Kontext der kriminellen Handlung, der sich unter anderem an solchen Variablen wie der Klasse, des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, der Biographie, der Bildung oder des Alters des Täters festmacht, wird in der Regel ausgeblendet oder lediglich formal berücksichtigt.

Der Ausblendungsmechanismus des Strafrechts besitzt für die Politik einen hohen Gebrauchswert. Indem soziale Problemlagen auf individuelle Normabweichungen reduziert werden, erspart sie sich strukturpolitische Interventionen. Es werden im Strafrecht Lösungen für Probleme angeboten, deren originäre Zuständigkeiten bei ganz anderen politischen Ressorts angesiedelt sind. Insofern macht sich die Politik den von der Strafjustiz betriebenen Ritus der Entpolitisierung, Enthistorisierung und Entsozialisierung zu Nutze. Zugleich demonstriert sie mit der Strafrechtsproduktion Handlungsfähigkeit. Ein Beispiel dafür ist der vor wenigen Jahren eingeführte Straftatbestand der „Genitalverstümmlung“. Bis zu 13.000 Frauen sind nach Angaben der Frauenrechtsorganisation „Terre des femmes“ vom Juli 2017 davon in Deutschland bedroht. Eine Strafbarkeit war jedoch bereits vor der Einführung des neuen Tatbestandes durch den der gefährlichen Körperverletzung gegeben. Nichtregierungsorganisationen forderten deshalb bessere Präventionsarbeit, die Schaffung von Zufluchtsstätten und den Ausbau der Rechtsberatung. Der Gesetzgeber hingegen setzte auf die symbolträchtige und billigere Verabschiedung einer wirkungslosen neuen Strafrechtsnorm.

Auch im gegenwärtig in München geführten NSU-Prozess ist die Tendenz der Entpolitisierung und Enthistorisierung zu sehen. So geht die Bundesanwaltschaft in der Anklageschrift davon aus, dass Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt ein allein agierendes, symbiotisch und ideologisch miteinander verflochtenes Trio gewesen seien. Eine Behauptung, die selbst im Schlussplädoyer nach einer umfänglichen Beweisaufnahme durch die Ankläger aufrechterhalten wurde. Dabei ist bekannt, dass das Trio in gewaltbereite Neonazistrukturen eingebettet war und der Rechtsradikalismus schon lange seine Tentakel bis in die Mitte der Gesellschaft ausstreckt. Allein etwa 40 Spitzel der Geheimdienste umgaben die Terroristen. Doch die Strategie der Anklagebehörde spielt die Verantwortung der Staatsapparate herunter und blendet die gesellschaftlichen Ursachen des Rechtsradikalismus aus.

Drittens: Der Fokus des Strafrechts liegt primär auf dem „Crime in the streets“, nicht auf dem „Crime in the suites“. Die Mehrzahl der einsitzenden Strafgefangenen verbüßt kurze oder mittlere Freiheitsstrafen wegen Eigentums- bzw. Vermögensdelikten. Überwiegend sind es „Rückfall­täter“, die den sozialen Unterschichten angehören. Bis zu zehn Prozent der Inhaftierten sitzen eine Ersatzfreiheitsstrafe ab, weil sie eine auferlegte Geldstrafe nicht bezahlen können. Der französische Soziologe Loic Wacquant charakterisierte das Gefängnis in diesem Kontext in seinem 2009 auf Deutsch erschienenem Buch „Bestrafen der Armen“ als eine Art „Sozialstaubsauger, der den menschlichen Abfall der derzeitigen ökonomischen Transformation beseitigt“. Hingegen wird die kriminogene Potenz des Reichtums, seine Entstehung, Verwendung und Wirkung von der Kriminalpolitik kaum in den Blick genommen. Dabei wusste schon Bertolt Brecht: „Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“

Viertens: Das Denken der Kriminalität aus einer individuellen Logik ist heutzutage eng verknüpft mit dem neoliberalen Strukturwandel der Gesellschaft und den ihm zugrunde liegenden Menschenbild des „homo oeconomicus“. Die Theorie der Weltbank ist die Individualisierung der Armut, schrieb der Dichter Volker Braun. Zu beobachten ist, dass parallel zur Renaissance des Strafrechts und zur Steigerung gesellschaftlicher Straflust das Politikfeld sozial- und wohlfahrtsstaatlicher Leistungen an Bedeutung einbüßt. Staatstheoretisch ist ein Übergang vom sozialintegrativen Wohlfahrtsstaat der 70er Jahre zum präventiven Sicherheitsstaat zu konstatieren.

Erosion des Rechtsstaats

Die skizzierte Inanspruchnahme des Strafrechts durch die Politik führt zu einer Erosion des rechtsstaatlichen, des den Eingriff des Staates begrenzenden Strafrechts. Der Rechtsstaat lässt strafende Repression lediglich in gesetzlich ausgegrenzten Einzelfällen von grundsätzlicher Bedeutung zu. Dabei muss die Kriminalisierung geeignet und angemessen sein. Angeklagten- und Beschuldigtenrechte sind „die einzige Waffe des Angeklagten gegenüber der Heiligen Allianz von Staatsanwälten und Richtern“ (so der Rechtshistoriker Uwe Wesel 1994 in seinem Buch „Der Honecker-Prozess“). Die Strafe bemisst sich nach Tatschwere und Schuld. Demgegenüber werden nun wieder täterstrafrechtliche Ansätze, die nicht die Tat, sondern die vermeintliche Gefährlichkeit des Täters zum Anknüpfungspunkt für die Sanktion nehmen, salonfähig. Bestes Beispiel dafür ist der Ausbau der von den Nazis 1933 eingeführten Sicherungsverwahrung zwischen 1998 und 2007. Erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte setzte dem 2009 ein Stoppzeichen. Weitere Merkmale jener Erosion sind der Abbau prozessualer Garantien, was auch der neue Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD vorsieht, oder die weite Vorverlagerung dessen, was strafbar ist.

Parallel dazu verdrängt auch im Polizeirecht das Prinzip einer scheinbaren Effektivität das der Rechtsstaatlichkeit. Was man sich im Strafrecht noch nicht wagt, nämlich die Sanktionierung völlig losgelöst von einer rechtswidrigen Handlung, wird im Polizeirecht nun mit der elektronischen Fußfessel für „Gefährder“, (im April 2017 mit der „Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes“ vom Bundestag beschlossen) in Angriff genommen. Und Bayern führte im Sommer 2017 nicht nur die elektronische Fußfessel ein, sondern regelte sogar in seinem Polizeigesetz die unbestimmte Präventionshaft. War bis dahin ein polizeilicher Gewahrsam von maximal 14 Tagen möglich, so ist jetzt eine Obergrenze für die Haft bei „drohenden Gefahren“ durch beliebige Personen nicht mehr vorgesehen. Der präventive Freiheitsentzug, also eine Einsperrung ohne Anklage, ohne Prozess und ohne Urteil, kann jetzt in Bayern theoretisch bis ins Unendliche ausgedehnt werden. Er muss lediglich von einem Richter oder einer Richterin alle drei Monate genehmigt werden. Das „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ charakterisierte diese Entwicklung Ende Juli 2017 als einen nächsten „Schritt in Richtung Guantánamo“. Aber auch die Erfahrungen mit der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ durch die Polizei unter der Naziherrschaft, der politische Gegner, „Berufsverbrecher“, „Arbeitsscheue“, „Gemeinschaftsfremde“, Prostituierte, Homosexuelle oder unangepasste Jugendliche zum Opfer fielen, sollten an dieser Stelle sensibilisieren.

Die hier angerissene Entwicklung der Kriminalpolitik ist jedoch nicht von naturgesetzlichen Zwangsläufigkeiten bestimmt. Die Kriminalpolitik ist der Gestaltung durch politische und gesellschaftliche Akteure zugänglich. Dafür gilt es aber eine konkrete Utopie in Stellung zu bringen. Zunächst ist es eine politische Aufgabe, den Versuchungen einer Politik des Populismus zu widerstehen. Eine konsequente Anti-Ressentiment-Politik ist gefragt. Zu skandalisieren ist das Ausweichen der Gesellschaftspolitik auf die Kriminalpolitik und die gleichzeitige Relativierung der Grundrechte.

Dem Juristen und Sozialwissenschaftler Bernd Maelicke zufolge gehören 70 Prozent der in Deutschland Inhaftierten nicht ins Gefängnis („Das Knast-Dilemma“, 2015). Für den ehemaligen Gefängnisdirektor Thomas Galli sind es sogar 90 Prozent („Die Gefährlichkeit des Täters“, 2017). Ihre Taten sind nicht der schweren Kriminalität zuzurechnen. Da das Gefängnis als totale Institution per se kein Ort des positiven sozialen Lernens ist, sondern ein Ort der Entindividualisierung, der Machtdemonstrationen, der Anpassung, Gewalt, Unterordnung, der unterdrückten Sexualität, der Verrohung, ist es für die meisten der Einsitzenden präventiv unwirksam. Der Knast wird für viele Gefangene zum „Drehtürvollzug“. Daraus ergibt sich, konsequent für eine Reduktion der Gefangenenzahlen einzutreten.

Ein Weg dahin ist die Entkriminalisierung von Bagatelldelikten (z.B. Schwarzfahren) und im Drogenstrafrecht. Es sind nämlich überwiegend gerade die Opfer, die das Drogenstrafrecht in ihrer ausweglosen Situation kriminalisiert. 80 Prozent der wegen entsprechender Delikte Eingesperrten sind suchtabhängige Kleindealer. Die repressive Drogenpolitik ist sozialschädlich und gescheitert. Das Drogenproblem ist aus dem strafrechtlich-polizeilichen Bereich in den sozial-gesundheitlichen zu verlagern. Darüber ­hinaus sollte die Ersatzfreiheitsstrafe abgeschafft werden. Das sozialpolitische Problem der Zahlungsunfähigkeit muss auch sozialpolitisch gelöst werden. In die kriminalpolitische Debatte ist in diesen Bereichen in den letzten Monaten Bewegung gekommen. Motor sind dabei weniger Argumente einer rationalen, humanen Politik, sondern eher ökonomische Kosten-Nutzen-Erwägungen.

Alternativen der Rechtspraxis

Grundsätzlich müsste das Ziel – einer Sentenz des großen Rechtsphilosophen Gustav Radbruch folgend – nicht in einem besseren Strafrecht, sondern in etwas Besserem als dem Strafrecht bestehen. Eine frühe Konfliktlösung im und durch das soziale Umfeld von Schädiger und Geschädigtem, orientiert an Wiedergutmachung und Entschuldigung, wäre für viele der zu einer Gefängnisstrafe Verurteilten allemal sinnvoller gewesen. Dafür gibt es Ansatzpunkte. Maelicke verweist auf das Konzept der „Restorative ­Justice“, nach dem insbesondere das Opfer an der Suche nach alternativen Formen der Konfliktlösung, jenseits des gerichtlichen Strafverfahrens, beteiligt wird. Untersuchungen ergaben, dass dadurch der Rückfall reduziert und die Zufriedenheit der am Konflikt Beteiligten erhöht wird. Ein historisches Vorbild dafür sind bei einem ideologisch ungetrübten Blick die Gesellschaftlichen Gerichte in der DDR, denen nur Laienrichter angehörten. Im Kern standen sie für eine Rückverlagerung der Konfliktregulierung auf vorjustitielle Institutionen bei Beibehaltung strafprozessualer Schutzrechte. Für die von den Gesellschaftlichen Gerichten festgelegten Maßnahmen war kennzeichnend, dass sie auf die Beseitigung materieller und ideeller Konflikte zwischen dem Täter und dem Geschädigten gerichtet waren. Sie entschieden unter Berücksichtigung der Lebenswelten der Betroffenen. Etwa 25 Prozent aller Strafsachen wurden durch diese Gerichte erledigt. Auch der Ausbau des bereits praktizierten Täter-Opfer-Ausgleichs als Möglichkeit der Konfliktlösung ohne Strafe würde in die richtige Richtung gehen. Denkbar wäre auch die Erweiterung des Rechtsinstituts der tätigen Reue, um eine Haftstrafe zu vermeiden.

Da „die Welt seit Kain durch Strafen weder gebessert noch eingeschüchtert worden ist“ (Karl Marx), muss nach sozialeren Regulierungsmitteln gesucht werden. Solche liegen auf dem Feld der Sozialpolitik oder im Aufbau konkreter gesellschaftlicher Ressourcen zur Bewältigung schwieriger Situationen. Frauenhäuser sind dafür ein gutes Beispiel. Letztlich geht es bei einer Alternative zur vorherrschenden Kriminalpolitik um eine Politik, die auf allen Gebieten gegen den sozialen Ausschluss gerichtet ist. Wohl wissend, dass der Kapitalismus „auf die Ausgrenzung und auf das Vergessenmachen der Ausgegrenzten“ (Heiner Müller) zielt.

 

Volkmar Schöneburg ist Mitglied des brandenburgischen Landtags (Die Linke) und war von 2009 bis 2013 Justizminister des Landes Brandenburg.

https://www.jungewelt.de/artikel/329191.der-strafende-staat.html

junge Welt, 17.03.2018 / Thema / Seite 12