Der Streit ums Versammlungsrecht

Aus dem Infobrief 5 / 2011

Um die Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit wird zur Zeit häufig im Kontext von Demonstrationen von NPD und Kameradschaften und den gegen diese Meinungen gerichteten Gegendemonstrationen gestritten. Wir sind überzeugt, dass auch diejenigen, die abscheuliche Meinungen vertreten, das Recht haben dies zu tun. Allerdings haben die Bürger und Bürgerinnen selbstverständlich auch das Recht, gegen diese Meinungen zu protestieren und zu verdeutlichen, dass sie rassistische, nationalistische und antisemitische Aussagen nicht in ihren Städten dulden wollen.

Juristisch gehen Versammlungsbehörden und Polizei jedoch immer wieder gegen jene vor, die diesen Gegenprotest organisieren und für Menschenrechte und Demokratie auf der Straße sind.

In Stolberg, in der Region Aachen, wurden sogar einer Versammlung, die lange vor dem geplanten Aufmarsch von NPD und Kameradschaften stattfinden sollte, erhebliche einschränkende Auflagen erteilt. Das geplante Training gewaltfreier Blockaden durfte nicht stattfinden, obwohl real an diesem Tag nichts und niemand blockiert werden sollte. Das Training, so meinte die Polizeibehörde, könnte dazu befähigen, „nicht verbotene zukünftige Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern, zu sprengen oder zu vereiteln“. Die Personalien der Redner und Ordner sollten sogar der Polizei gemeldet werden. Bürger und Bürgerinnen sollten wohl vor allem von jedem Protest abgehalten und eingeschüchtert werden. Die Versammlungsbehörde argumentierte hier mit § 21 Versammlungsgesetz, der jedoch nur verbietet, „Gewalttätigkeiten“ vorzunehmen „oder grobe Störungen“ zu verursachen. Die Klage gegen diese Auflagen hat das Verwaltungsgericht Aachen abgelehnt. Zu hoffen ist, dass das Oberverwaltungsgericht Münster, bei dem das Verfahren nun anhängig ist, verständiger in Sachen Grundrechte urteilt.

Ohne Beweise verurteilt

In Remagen demonstrierten im November 2010 Kameradschaften in nationalistischer Manier. Auch hier fanden Gegendemonstrationen statt. Eine größere Gruppe Jugendlicher, die fern vom Geschehen auf einer Straße unterwegs war, fiel einem Streifenpolizisten auf, der nicht in Bezug auf die Versammlungen eingesetzt war. Er meinte allerdings diese aufhalten zu müssen und stellte sich ihnen, bewaffnet mit Schlagstock und Pfefferspray, in den Weg. Die eingesetzte Bereitschaftspolizei hatte nicht den Eindruck, dass von der Gruppe eine Gefahr ausginge. Im folgenden Handgemenge wurde der Polizist verletzt. Als er später erfuhr, dass von Sanitätern ein Jugendlicher mit Pfeffersprayverletzungen ins Krankenhaus gebracht worden war, führte er eine Verhaftung dieses Jugendlichen herbei. Er war überzeugt, dass er den Angreifer, der ihn verletzte, mit Pfefferspray getroffen hatte, identifizieren konnte er diesen nicht. Das Amtsgericht Bad Neuenahr-Ahrweiler verurteilte zu einer hohen Strafe, obwohl die Identifizierung nicht zweifelsfrei stattfinden konnte, das Tatwerkzeug, eine Tasche, nicht gefunden wurde und andere bezeugten, dass der Angeklagte eine solche Tasche nicht hatte. Ein Zeuge, der mit dem Angeklagten zusammen unterwegs war und eher vorsichtig und genau beschrieb, was er gesehen hatte, wurde noch im Prozess auf Veranlassung des Staatsanwalts verhaftet. Ohne Anwalt wurde er von der Polizei befragt und unter Druck gesetzt. Falschaussage wurde ihm vorgeworfen. Bereitschaftspolizisten hatten jedoch ähnliche Aussagen wie er gemacht.

Im Berufungsprozess am Landgericht Koblenz hatte der Richter dem Angeklagten von Anfang an klar gemacht, dass er in jedem Fall verurteilen würde, aber für einen zeitaufwändigen Prozess sorgen werde. Diesem psychischen Druck, mit der Aussicht auf weitere Verhandlungstage, ohne dass am Ende ein Freispruch stehen würde, fühlte sich der Angeklagte nicht gewachsen. So zogen schließlich beide Seiten – auch die Staatsanwaltschaft hatte Berufung eingelegt, da sie eine höhere Bestrafung forderte –  die Berufung zurück.  Es blieb also bei der Verurteilung. Nur die schikanösen Bewährungsauflagen konnten zurückgedrängt werden.


Elke Steven