Das 30-jährige Bestehen des Dialogprojektes Wi.e.dersprechen wurde in Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Serbien, wo das Projekt 1994 als humanitäre Aktion des Grundrechtekomitees für binnenvertriebene Kinder entstand, gebührend gefeiert. Für ein Dialogprojekt, das nicht nur in Südosteuropa, sondern auch seit über 20 Jahren mit Partner*innen in Israel und Palästina zusammenarbeitet, ist 2024 allerdings ein bedrückendes Jubiläumsjahr.
Der schrittweise eskalierende Ausnahmezustand, in dem unsere Partner*innen in Israel und Palästina arbeiten, ist in vielerlei Hinsicht nicht neu – der Konflikt, die Besatzung, die Kreisläufe der Gewalt, die eklatant asymmetrischen Machtverhältnisse. Gleichzeitig war der 7. Oktober eine tiefe Zäsur und die Situation hat seitdem unfassbare Dimensionen von Brutalität angenommen. „Niemand von uns ist mehr in der Lage, alle Nachrichten zu verfolgen. Jeden Tag passieren so viele abscheuliche Dinge“, schildert Karim A.*, palästinensischer Projekt-Koordinator im Westjordanland. Die Lebensrealitäten und Betroffenheit der Partner*innen in der Region sind vielfältig und sehr ungleich. Teammitglieder wie Teilnehmende der Dialogprogramme sind betroffen, leben in Angst, und sind als Aktivist*innen zunehmend von Repression bedroht.
Es scheint wie ein Wunder, aber die Partner*innen arbeiten weiter, wo sie können. Eine Gruppe Teammitglieder und Teilnehmende des letztjährigen Frauen*seminars war im August 2024 sogar zu vertieftem Dialog und Konzeptarbeit für zukünftige Seminare in Deutschland. Weder die in Erwartung eines Angriffs aus dem Iran kurzfristig annullierten Flüge, noch die Angst um ihre Familien zuhause konnten sie aufhalten. Sie fühlen sich verpflichtet, weiter an einer menschlichen Perspektive für ihre Region zu arbeiten.
In den radikal veränderten politischen Rahmenbedingungen haben die Emotionalität und Intensität des Dialogs spürbar zugenommen. Leen D.*, Teilnehmende aus dem Westjordanland sagte dazu: „Es war schwierig, nach dem 7. Oktober hierherzukommen. (…) Ich sitze mit Israelis in einer Dialoggruppe zusammen und verfolge gleichzeitig täglichdie Nachrichten. Ich sehe die israelischen [militärischen] Angriffe. Es ist jeden Tag eine Herausforderung.“
Esther K.*, jüdisch-israelische Teilnehmerin, drückte ihre Motivation so aus: „Ich bin letztes Mal mit dem Gefühl hier rausgegangen, dass es noch mehr zu tun gibt und ich empfinde es auch so, dass die aktuelle Situation mich verpflichtet, mich damit zu beschäftigen.
Gemeinsam entwickelten sie Ideen für die Zukunft der Dialogseminare: „Meine persönliche Vision wäre, dass diese Seminar Anerkennung schafft (…) und die Israelis auf eine Art Verantwortung übernehmen. Das kann auch umgekehrt für die palästinensische Seite schwer sein; als ich mit der Frage konfrontiert wurde, ob ich Verantwortung dafür übernähme, was die Hamas getan hat, war das eine sehr schwierige Konversation für mich. (…) Es hat also damit zu tun, ob Teilnehmende [generell] bereit sind, Dinge anzuerkennen“, reflektiert Alethia B.*, Palästinenserin mit israelischer Staatsangehörigkeit.
„Am 7. Oktober waren unter den ersten Menschen, die nach mir und meiner Familie fragten, Teilnehmerinnen aus dem Westjordanland. Da wusste ich, dass was wir hier machen, hat Sinn“, erzählt Mushka K., jüdisch-israelische Teilnehmerin. Jenseits innerdeutscher medialer oder politischer Diskurse bleibt das Projekt dem Ansatz treu, mit Menschen in Palästina und Israel Dialogräume zu öffnen, offen zu halten und Aktivist*innen in ihrer Arbeit für eine politische Lösung zu unterstützen.
*Namen geändert