12. Juni 2024 © pxhere
Gesundheit / Menschenrechte

Die Änderung des § 18 PsychKG-Nds zurücknehmen!

Die Landesregierung Niedersachsen hat am 15. Mai 2024 das PsychKG-Nds in § 18 geändert. Für die behördliche Anordnung einer vorläufigen Zwangsunterbringung in der geschlossenen Psychiatrie wird nun das Zeugnis einer Ärztin oder eines Arztes ausreichen, der bzw. die – anders als bisher – keine „Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie“ mehr haben muss, sondern allenfalls haben „soll“. Dabei droht die Ausnahme zur Regel zu werden.

Abgesehen von der grundsätzlichen grund- und menschenrechtlichen Problematik psychiatrischer Zwangseinweisungen – und das gilt auch für eine vorläufige Einweisung, die in ihren unmittelbaren Auswirkungen auf die Betroffenen und in ihren mittelbaren Auswirkungen für das weitere Verfahren nicht unterschätzt werden darf – ist dieses Vorhaben in zweierlei Hinsicht zu beanstanden: 

Erstens ist es schlicht skandalös, dass bis dahin seit einiger Zeit (formal) rechtswidrige Freiheitsentziehungen angeordnet wurden (nachzulesen in LT-Drs.19/2843 S. 4/5).

Zweitens hatte sich der Gesetzgeber etwas dabei gedacht, dass eine solche – wenn auch ‚nur‘ vorläufige – psychiatrische Freiheitsentziehung bislang ausschließlich auf der Grundlage des Gutachtens einer Ärztin oder eines Arztes „mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie“ erfolgen darf: 

Gerade weil es eine Sofortmaßnahme unter Zeitdruck ist, bedarf es (mindestens) einer solchen Erfahrung – sonst erhält „die zuständige Behörde“ letztlich freie Hand. Der Arzt/die Ärztin soll sich zu den Voraussetzungen des § 16 PsychKG äußern, also zunächst dazu, ob von der betroffenen Person „infolge ihrer Krankheit oder Behinderung im Sinne des § 1 Nr. 1 eine gegenwärtige erhebliche Gefahr (…) für sich oder andere ausgeht“, vor allem aber auch dazu, „ob diese Gefahr auf andere Weise nicht abgewendet werden kann.“

Gerade auch um Letzteres beurteilen zu können, bedarf es der geforderten Erfahrung!

Dass derzeit nicht genügend Ärztinnen und Ärzte „mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie“ gefunden werden können, mag ein Problem sein, darf aber nicht auf dem Rücken der Betroffenen und zu Lasten ihrer Rechte gelöst werden. Spätestens im Rahmen der endgültigen Unterbringung nach §§ 16, 17 PsychKG wäre ohnehin gem. §§ 312 ff. FamFG die Einholung eines weiteren Gutachtens gem. § 321 Abs. 1 S. 4 FamFG erforderlich, wobei „der Sachverständige … Arzt für Psychiatrie“ sein soll und mindestens „Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie“ haben muss. Vor diesem Hintergrund ist der angebliche „Notstand“ nicht nachvollziehbar. 

Die Unterzeichnenden fordern die Niedersächsische Landesregierung dringend auf, das Gesetz zurückzunehmen!

Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener
Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener (BPE)
Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg
Irrren-Offensive
Strafvollzugsarchiv an der Fachhochschule Dortmund, Leitung: Prof. Dr. jur. Christine Graebsch
Autonomes Knastprojekt Köln
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Gefangenengewerkschafts-Solidariätskreis NRW
Knastschadenkollektiv
SET-FREE e.V. Freie Straffälligenhilfe
Prof. Dr. Helmut Pollähne, Strafverteidiger
Christoph Willms, Sozialarbeiter & Kriminologe, Köln
Gundel Berger, Juristin, Magdeburg 
Dr. Volkmar Schöneburg (ehemaliger Brandenburger Justizminister)