Die Politik der Mitte hat AfD und …-gida den Boden bereitet.

Ratschlag: Kampf gegen Nationalismus und Rassismus – demokratische Milieus stärken

Am 5. Februar 2017 kamen über 70 Bürger*innen im Robert-Havemann-Saal des Hauses der Demokratie und Menschenrechte zum Ratschlag des Komitees für Grundrechte und Demokratie zusammen.

Das Thema des Ratschlags ist im Verlauf der Planungen eher immer aktueller geworden. So starren gegenwärtig alle vor allem auf die US-amerikanische Politik, auf einen Präsidenten Donald Trump, der seine Wahlreden einfach in die Tat umsetzt und in einer Weise nationalistisch, rassistisch und islamfeindlich agiert, wie es bisher von einem US-Präsidenten nicht vorstellbar war. Dies macht auch deutlich, dass das Problem nicht einfach nur NPD, AfD, Kameradschaften, Pediga etc. sind. Denn unser größtes Problem ist zugleich eine Politik, die diesem Gedankengut und der Bereitschaft, sie öffentlich zu äußern, den Boden bereitet hat. Kurz lassen sich die gegenwärtigen Erfahrungen, etwas willkürlich zusammengestellt, auch so formulieren:

„Der Privatisierungswahn des Neoliberalismus hat den gesellschaftlichen Zusammenhalt zerstört. Beispiele: Es gibt keine bezahlbaren Wohnungen mehr in Großstädten; Energiekonzerne dürfen den Staat erpressen und verklagen, weil sie ihre Gewinne nicht mehr realisieren können; Armut und Altersarmut nehmen rapide zu; die Infrastruktur verrottet; Bildung ist abhängig von der sozialen Herkunft. Das Bildungssystem entlässt jährlich mehr als 40 000 junge Menschen ohne Schulabschluss. Banken machen prächtige Gewinne, nachdem sie vom Staat - also von uns - gerettet wurden. Autokonzerne können betrügen, ohne dass es harte Konsequenzen nach sich zieht. Der Mittelstand muss den sozialen Abstieg befürchten. Am unteren Ende der Skala kämpfen die Armen gegen die noch Ärmeren.“ (aus Leserbrief von Rolf Uher im KStA, 3.2.2017)

So griffen die beiden Referent*innen, Robert Misik und Heike Kleffner, das Thema aus sehr unterschiedlichen Perspektiven auf.  Robert Misik eröffnete den Ratschlag mit einem internationalen Blick auf die gegenwärtige politische Lage und die sich ausbreitende Tendenz zum autoritären Regieren. Er schlussfolgerte, dass wir ein Narrativ für die Gegenwart brauchen, in der eine bessere Zukunft sichtbar wird, für die sich zu leben und zu kämpfen lohnt. Er endete mit drei „Regeln“, die im Verlauf der Tagung immer wieder aufgegriffen wurden. Wir dürfen nicht nur „Nein!“ sagen, wir brauchen ein Zukunftsbild und wir müssen breite Bündnisse schmieden. Ob wir tatsächlich breite Bündnisse brauchen, stand im Verlauf der Tagung immer wieder zur Diskussion.  Vielleicht muss dies doch von Fall zu Fall und von Frage zu Frage je neu entschieden werden. Denn die radikale Kritik bleibt wichtig, damit die „Mitte“ nicht immer enger gedacht und jede Kritik als extremistisch an den Rand und darüber hinaus gedrängt wird. Perspektiven für eine andere Gestaltung der Verhältnisse entstehen zugleich in Projekten, die in der Gegenwart und in den bestehenden Verhältnissen möglich gemacht werden.

Heike Kleffner blickte auf die Kontinuitäten und die Differenzen im Umgang mit rassistischer Gewalt Anfang der 1990er Jahre und gegenwärtig. Wie sehr sich ein rassistischer Mob entfalten kann, hängt auch wesentlich davon ab, wie sich Politik und Strafverfolgungsbehörden gegenüber der (drohenden) rassistischen Gewalt verhalten. Der Protest oder auch nur schon die Anwesenheit antirassistischer Bündnisse ermutigt andere, sich den öffentlichen Raum wieder zurückzuholen. Die traurige, aber dann wieder ermutigende Erfahrung ist, dass die Polizei zumindest dann anwesend ist, wenn solche antirassistischen Bündnisse kommen und ihre Solidarität zum Ausdruck bringen. Sonst aber sieht die Polizei oft genug weg. Der Ruf nach Strafverfolgung und einem Eingreifen der Polizei ist jedoch für ein linkes Politikverständnis zugleich ein Widerspruch.

Mit der Podiumsdiskussion stellte sich dann noch stärker die Frage, welche Perspektiven und Handlungsansätze im Kampf gegen Nationalismus und Rassismus zu verfolgen und wie zugleich demokratische Milieus zu stärken seien. Albrecht von der Lieth von „Nazifrei – Dresden stellt sich quer“ und Michal Trube von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus berichteten aus ihrer langjährigen Arbeit. Dabei lässt sich einerseits feststellen, dass die langen Erfahrungen des Gegenprotestes in Dresden auch dazu geführt haben, dass der Gegenprotest eher als legitim wahrgenommen wird und manchmal auch von der Polizei geschützt wird. Auch hier entsteht ein – unter anderen Gesichtspunkten auch fragwürdiger – Ruf nach staatlichem Eingreifen gegen nationalistische und rassistische Gewalt. In der mobilen Beratung haben sich die Anfragen von der Suche nach Hilfe gegen offene Nazipropaganda auf die Frage nach einem Eingreifen gegen nationalistische und rassistische Aussagen im Alltag und mitten in den gesellschaftlichen Zusammenhängen verschoben. Stephan Nagel und Heiner Busch vom Komitee für Grundrechte und Demokratie machten deutlich, dass man weder die soziale Frage noch die Frage nach der Inneren Sicherheit für einen Kampf gegen Rechts instrumentalisieren kann. Selbstverständlich aber muss der Mainstream-Diskurs in diesen Bereichen kritisiert und diesem ein menschenrechtlich-demokratisches Verständnis entgegengesetzt werden. Sozialpolitik muss verknüpft werden mit einer klaren Absage an Rassismus und Nationalismus. Zugleich muss deutlich gemacht werden, dass Menschenrechte, auch die sozialen Rechte, für alle gelten.

Im „Freitag“ fragte Katja Kullmann schon im November 2016 (Nr. 46, 17. November 2016): „Wenn sich Strickmuster und Bausteine des Faschismus jetzt und hier, in dieser Gegenwart, an vielen Orten gleichzeitig zu häufen scheinen: Ab wann ist der richtige Zeitpunkt, laut darauf hinzuweisen? Ist es jetzt noch zu früh, gar ‚alarmistisch‘, von vorfaschistischen Strukturen zu sprechen? Oder ist es allerhöchste Zeit?“

Was gegen die weltweiten und zugleich die konkreten Entwicklungen in unserer aller Alltag  zu tun ist, wo wir ansetzen können, wie wir Alarm schlagen können, ohne alarmistisch zu werden, das bleibt auch nach diesem Ratschlag die Frage, die wir uns immer wieder neu stellen müssen.

Elke Steven