Etappensieg für Spähbehörde

Die "junge welt" berichtet am Donnerstag, 5. November 2015, dass das Verwaltungsgericht im Verfahren zur jahrzehntelangen Überwachung von Rolf Gössner durch den Verfassungsschutz einen "Etappensieg" errungen hat. Für das Komitee für Grundrechte und Demokratie bestätigt Elke Steven erneut die Solidarität und kommentiert die Gefahr die vom Verfassungsschutz für Demokratie und Grund- und Freiheitsrechte ausgehen. https://www.jungewelt.de/2015/11-05/016.php

 

Aus  junge welt: Ausgabe vom 05.11.2015, Seite 4 / Inland

 

Etappensieg für Spähbehörde

 

Verfahren um Dauerüberwachung des Bürgerrechtlers Rolf Gössner wird neu aufgerollt. Grundrechtekomitee erneuert Solidarität

 

Von Markus Bernhardt

 

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) kann zumindest kurzzeitig einen späten Teilerfolg für sich verbuchen. Wie der Freiburger Rechtsanwalt Udo Kauß am Mittwoch mitteilte, hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 24. Oktober die Berufung des Inlandsgeheimdienstes gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 20. Januar 2011 »wegen tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten« nach vielen Jahren zugelassen. In dem Kölner Verfahren ging es um die über fast vierzig Jahre anhaltende Dauerüberwachung des bekannten Rechtsanwaltes, Publizisten und Bürgerrechtlers Rolf Gössner durch bundesdeutsche Geheimdienste.

 

Das Verwaltungsgericht der Domstadt war 2011 in dem über fünf Jahre andauernden Verfahren zu dem Schluss gekommen, dass die Bespitzelung Gössners durch das BfV unverhältnismäßig und von Anfang an rechtswidrig gewesen sei. Die Sammlung von Daten zu seiner Person im Hinblick auf seine journalistische Arbeit, aber auch seine rechtsberatende Tätigkeit im parlamentarischen Raum sei »als schwerwiegender Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Positionen zu bewerten«, stellten die Richter damals klar. Für Gössner sei erschwerend hinzugekommen, dass vor allem bei Recherchen in seinem Haupttätigkeitsfeld innere Sicherheit eine »besondere Vertrauensbasis zu Auskunftspersonen nötig ist, die durch eine Beobachtung seitens des Verfassungsschutzes erheblich tangiert wird«. Insofern billigten die Richter Gössner damals ein »Rehabilitierungsinteresse« zu.

 

Gegen diesen Urteilsspruch ging die Kölner Behörde jedoch in Berufung. Nun, nach über viereinhalb Jahren der Prüfung, entschied das OVG, die Berufung zuzulassen. Die zugrunde liegende Rechtssache weise besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten auf, was ein Grund für die lange Bearbeitungsdauer sein könnte, urteilte das OVG. »Das bedeutet, dass die Berufung nur aus diesem Grunde zugelassen wurde, und nicht etwa, weil ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des VG-Urteils bestünden oder ein Verfahrensmangel vorliege«, so Gössners Rechtsanwalt Kauß am Mittwoch.

 

Der gegen Gössner gerichtete Überwachungswahn staatlicher Behörden ist bemerkenswert. So wurde der Bürgerrechtler, der aktuell Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte ist, seit 1970 über vier Jahrzehnte lang ununterbrochen vom BfV geheimdienstlich beobachtet und ausgeforscht. Dies begann bereits in seiner Zeit als Jurastudent, dann als Gerichtsreferendar und danach, ein Arbeitsleben lang, in allen seinen beruflichen und ehrenamtlichen Funktionen als Publizist, Rechtsanwalt, parlamentarischer Berater, später auch als Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte und seit 2007 zudem als stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen. »Es dürfte die längste Dauerbeobachtung einer unabhängigen, parteilosen Einzelperson durch den Inlandsgeheimdienst sein, die bislang dokumentiert werden konnte«, mutmaßte Rechtsanwalt Kauß.

 

Gössner, der sich seit Jahrzehnten für den Schutz der letzten verbliebenen Grund- und Freiheitsrechte – und in jüngster Zeit vor allem der Rechte von Whistleblowern wie Edward Snowden – stark macht, hat sich von den gegen seine Person gerichteten Ausforschungsmaßnahmen nie einschüchtern lassen. Dies, obwohl der Inlandsgeheimdienst Profile über seine beruflichen Kontakte erstellte und so ziemlich alles ausspähte, speicherte und auswertete, was er als Anwalt, Publizist und Bürgerrechtler tat und von sich gab. »Mandatsgeheimnis und Informantenschutz waren nicht mehr zu gewährleisten. Ich wollte mich dennoch nicht einschüchtern lassen«, berichtete er 2013 in einem jW-Interview.

 

Gleichwohl erfuhr Gössner viel Solidarität. Unter anderem von verschiedenen Bürgerrechtsorganisationen, dem Verband deutscher Schriftsteller, Gewerkschaftsgliederungen und auch vom mittlerweile verstorbenen Literaturnobelpreisträger Günther Grass.

 

Am Mittwoch erneuerte Elke Steven, Soziologin, Journalistin und Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie e. V. aus Köln, ihre Solidarität mit Gössner. »Das Komitee für Grundrechte und Demokratie solidarisiert sich wie schon damals«, sagte sie im Gespräch mit jW. »Es ist vollends inakzeptabel, einen engagierten Bürgerrechtler wie ihn über fast 40 Jahre auszuspionieren und somit zugleich zu kriminalisieren.« Aber noch aus jeder »Krise« des Verfassungsschutzes sei dieser gestärkt hervorgegangen. »Die unter dem sachlich falschen Label ›Vefassungsschutz‹ agierenden Inlandsgeheimdienste sind mitunter die größte Gefahr für Grund- und Freiheitsrechte und die Demokratie. Sie gehören endgültig aufgelöst, denn sie sind prinzipiell unkontrollierbar«, stellte die Soziologin klar. Die Kritik, die Gössner und andere Bürgerrechtler an diesen Behörden übten, hätte sich schließlich bestätigt. »So wäre beispielsweise das mörderische Treiben des neofaschistischen Terrornetzwerks NSU ohne die Alimentierung der militanten Naziszene durch die Inlandsgeheimdienste kaum in bekanntem Ausmaß möglich gewesen«, erinnerte Steven.

 

Nachdem nun die Berufung zugelassen ist, werde es vor dem OVG Münster zu einer mündlichen Verhandlung kommen – »mit ungewisser Dauer des Berufungsverfahrens und mit ungewissem Ausgang«, kündigte Gössners Anwalt Kauß an.

 

Informationen: www.rolf-goessner.de, www.grundrechtekomitee.de