04. März 2024 © Laila Abdul-Rahman
Demokratie / Demonstrationsbeobachtung / Polizeigewalt / Repression / Versammlungsrecht

Feindstrafrecht nach Hamburgs G20-Gipfel: Was bleibt übrig von der Versammlungsfreiheit?

Im Januar 2024 startete die Hamburger Justiz rund 6,5 Jahre nach den Gipfelprotesten gegen das G20-Treffen einen dritten Anlauf im sogenannten Rondenbarg-Komplex.

Das Grundrechtekomitee hatte zum Hamburger G20-Gipfel eine umfangreiche Demonstrations­beobachtung organisiert und im Nachgang einen der zahlreichen Strafprozesse gegen Protestierende begleitet: den Prozess gegen den 19-jährigen ­Fabio V. Dieser war zusammen mit rund 80 weiteren Demonstrierenden am Mor­gen des 7. Juli 2017 im Rahmen der G20-Proteste in der Hamburger Straße Rondenbarg festgenommen worden, nachdem die Polizei den Demonstrationszug brutal zusammen geprügelt hatte. Er blieb knapp fünf Monate in Untersuchungshaft, obwohl ihm persönlich keine strafbaren Handlungen vorgeworfen werden, sondern allein das Aufgreifen am Ort des Geschehens.

Die Besonderheit der Rondenbarg-­Ver­fahren ist, dass den Angeklagten keine individuelle Tat zur Last gelegt wird, sondern eine Art Kollektivschuld festgestellt werden soll. S­chuldsprüche hätten potentiell gravierende ­ Folgen für zukünftige Demonstrationen: ­straf­bare Handlungen Einzelner könnten künftig allen Teilnehmenden zugerechnet werden. Eine massive Abschreckungswirkung in Bezug auf die Teilnahme an Versammlungen wäre die Folge. Der Prozess gegen Fabio V. wurde nicht zu Ende geführt; ebenso der Ende 2020 unter Ausschluss der ­Öffentlichkeit ­gestartete zweite ­Prozess gegen fünf Personen. Im ersten Prozess ging die Richterin in den Mutter­schutz, der zweite wurde wegen der Corona-­Pandemie abgebrochen. Nun also Verfahren Nummer drei: Gegen fünf Beschuldigte sind ­25 ­Ge­richtstermine bis in den August 2024 geplant.

Den Angeklagten wird schwer­er gemeinschaftlicher Land­friedens­bruch in Tateinheit mit tät­lichem ­Angriff auf Vollstreckungs­be­amte in besonders schwerem Fall, ­versuchte ge­fährliche ­­Körper­ver­­letzung, die ­Bildung bewaffneter Gruppen und Sachbeschädigung vorgeworfen. Wie auch in den Prozessen zuvor, geht es nicht um den Vorwurf selbst be­gangener Handlungen, sondern allein um die Anwesenheit vor Ort.

Da dies nach geltendem Straf- und Versammlungsrecht nicht strafbar ist, leugnet die Staatsanwaltschaft den Versammlungscharakter und deutet den ­Protest zu einem „Aufmarsch“ um. Ein vermeintlicher „von allen ­geteilter Tatplan“, soll vorgesehen haben, Polizei­kräfte „zu provozieren, zu binden und gewaltsam zu attackieren“. Über diesen Umweg will die Staatsanwaltschaft die sogenannte „Hooligan“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs anwendbar machen, nach der sich alle des schweren Landfriedensbruchs strafbar machen, die in einem auf eine gewaltvolle A­useinandersetzung zielen­ den Aufmarsch „ostentativ mitmarschieren“, auch wenn sie selbst keine Gewalthandlung vollziehen. Einer der Angeklagten droht bei Ver­urteilung zusätzlich die Abschiebung in die Türkei.

Dass es sich um Tatsachenver­drehung und somit um eine politisch ­motivierte Anklage handelt, ist offensichtlich, wenn man sich öffentlich im Netz stehende Videos des betreffenden Morgens ansieht. Darin wird die Protest­gruppe nicht nur klar als ­ Demonstrationszug erkennbar, sondern auch die ­Brutalität, mit der die Polizei diesen von mehreren Seiten angriff. Innerhalb von ­Sekunden lagen sämtliche Teilnehmende, die nicht flüchten konnten, am Boden. In der entstandenen Massenpanik stürz­ten mehrere Personen auf einen tiefer gelegenen Parkplatz, was zu Schwerverletzten führte.

Aber nicht die Polizist*innen ­müssen sich für die Gewalt vor Gericht ver­ant­­worten, sondern d­iejenigen, die sie abbekommen haben. Die ­­Ver­teidi­ger ­Jacob Schwieger und Ulrich von Kling­gräff kommentierten, die Staats­an­walt­­schaft versuche, aus ihren Man­dant­*innen „politische Hooligans“ zu ma­chen. Verteidigerin ­Franziska Nedelmann benannte das Ziel der Staats­­anwaltschaft wie folgt: „Mit die­ser Unterstellung will die Staatsanwalt­schaft eine Ausweitung der Strafbarkeit des Landfriedensbruchs und damit eine Einschränkung des Demonstrationsrechts erreichen, wie wir sie aus den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts kennen.“

In der Tat würde sich bei einer Ver­urteilung die Frage stellen, was dann von der Versammlungsfreiheit noch übrig bliebe? Die vorsitzende ­Richterin hat signalisiert, dass sie das „Hooligan“-Urteil für nicht anwendbar hält. Das heißt allerdings nicht, dass nicht eine andere Staatsanwaltschaft an einem anderen Ort einen ­weiteren Versuch in diese Richtung starten könnte, um das Demonstrationsrecht justiziell zu beschneiden.

Die Solidaritätskampagne „Gemeinschaftlicher Widerstand“ stellt auf ihrer Web­seite Informationen zum Prozessgeschehen zusammen und plant Kundgebungen zu den Prozesstagen. Die sehr lesenswerten Eingangsstatements der Angeklagten und ihrer Anwält*innen sind dort dokumentiert.