Freiwilligkeit auf Zeit

Überwachungsinstrumente werden von den Betroffenen am ehesten akzeptiert, wenn sie mit ein paar kleinen Bequemlichkeiten verbunden sind.

 

Heiner Busch schrieb in "Neues Deutschland" vom 6./7. November 2010 über den neuen Personalausweis.

 

«Auto kaufen, zulassen, losfahren – der neue Personalausweis macht es möglich!» So warben das Bundesinnenministerium und der Berliner Innensenator vor ein paar Tagen für das neue Checkkarten-große Identitätsdokument, das wir uns möglichst schnell besorgen sollen. Der neue Perso erleichtere uns das «Online-Shopping, Online-Banking oder den Online-Kauf von Tickets», vereinfache den elektronischen Verkehr mit Behörden und erlaube das sichere elektronische Signieren von Dokumenten. Das alles können wir nun tun, ohne unseren Hintern auch nur einen Zentimeter vom Schreibtischstuhl zu heben. Welch eine Errungenschaft!

Es ist die alte Leier: Überwachungsinstrumente werden von den Betroffenen am ehesten akzeptiert, wenn sie mit ein paar kleinen Bequemlichkeiten verbunden sind. Das ist so bei den Kundenkarten der Kaufhäuser, mit denen selbst intelligente Leute ihr gesamtes Einkaufsverhalten für ein paar lumpige Prozent Rabatt an die Unternehmen verkaufen. Warum also sollte sich nicht auch der Staat diese Methode zu Nutze machen? Alles sei ganz sicher, sagen das Ministerium und die Industrie, die die Karte produziert. Der Chaos-Computer-Club, der kürzlich vorführte, dass die Signatur eben doch zu knacken ist, übertreibe wieder einmal. Aber selbst wer dieses Sicherheitsversprechen glaubt, sollte sich vor Augen halten, dass die eigentliche Neuerung nicht in den kleinen Bequemlichkeiten besteht, sondern in den biometrischen Daten, die auf dem Chip eingetragen sind. Zwangsweise ist dort das digital lesbare Foto enthalten. Freiwillig können die Bürgerinnen und Bürger Fingerabdrücke speichern lassen. Diese Daten, so beteuert das Innenministerium, dürften «nur» zur «hoheitlichen Kontrolle» verwendet werden, an den Grenzen und im Inland. Der neue Personalausweis sei damit wie der elektronische Reisepass ein «sicheres Reisedokument».

Wer die Werbesprache wegstreicht, findet also vor allem das Wort «Kontrolle». Und das ist auch kein Wunder: Der Personalausweis ist nie etwas anderes gewesen als ein staatliches Instrument zur Identifizierung und Kontrolle zunächst von Minderheiten und dann der Bevölkerung als Ganzer.

In der BRD war er bis 1986 ein kleines grünes oder graues Heftchen. Dann folgte der «neue» Personalausweis, der nun maschinenlesbar und fälschungssicher war. Die Debatte um die neuen biometrischen Personaldokumente begann im Herbst 2001. Der Staub über den zusammen gestürzten Twin Towers hatte sich noch nicht gelegt, als der damalige Bundesinnenminister Otto Schily sein Anti-Terror-Paket vorlegte. Dieser «Otto-Katalog» enthielt unter vielem anderen einen Artikel, der die Einführung biometrischer Pässe und Personalausweise vorschreiben sollte. Nach harten Auseinandersetzungen erreichte der grüne Koalitionspartner, dass es im Anti-Terror-Gesetz vom Januar 2002 bei einer bloßen Ankündigung blieb. Eine zusätzliche gesetzliche Regelung sollte folgen. Für den biometrischen Reisepass war die nicht mehr notwendig. Der Bundesrat musste nur noch eine Verordnung abhaken, auf die sich die Innenminister der EU im Dezember 2004 geeinigt hatten.

Hinsichtlich der Personalausweise hatte die EU vor dem Lissabonner Vertrag keine Zuständigkeiten. Hier mussten also die einzelnen Mitgliedstaaten aktiv werden. Die deutsche Version ist zugegebenermaßen vergleichsweise sanft: Die Speicherung von Fingerabdrücken erfolgt freiwillig und auch nur auf dem Personalausweis selbst, nicht in einer zentralen Datenbank. Großbritannien, das bisher überhaupt keine Personalausweise hat, wollte dagegen unter den Regierungen Blair und Brown «von null auf hundert» starten und mit den Identitätskarten auch gleich ein umfassendes Personenregister einführen. Die neue, sonst nicht gerade sympathische konservativ-liberale Koalition wird dieses Projekt wohl vorerst stoppen.

Vorerst: Ob es in Deutschland auf Dauer bei der Freiwilligkeit bleibt, ist durchaus fraglich. Denn für eine zwangsweise Speicherung von Fingerabdrücken braucht es erstens nur eine gesetzliche Änderung, aber keine technischen Anpassungen mehr –weder bei den Behörden noch bei den Herstellern. Und zweitens können auch die Datenschutzbeauftragten, die den neuen Personalausweis heute als ungefährlich durchwinken, nicht garantieren, dass sich eine EU-Regelung, die vielleicht in einigen Jahren kommt, an den deutschen Gesetzestext hält. Dann wird es vielleicht ein neues Zückerchen geben, das uns davon überzeugen soll, dass auch die Speicherung unserer Fingerabdrücke in einer zentralen Datei nur Vorteile bringt. Zum Beispiel, dass wir dann viel schneller durch Kontrollen an den Grenzen oder im Inland kommen.

Heiner Busch