18. Aug. 2016
Antimilitarismus / Frieden/Pazifismus / Komitee Geschichte

Friedenspolitisches Symposium in Erinnerung an Andreas Buro

Um strategische Konzepte und praktische Initiativen zu erörtern, die mit der Arbeit unseres Freundes und Vordenkers Andreas Buro verbunden sind und über seinen Tod hinaus fortwirken, kamen in Frankfurt am 19. Juni 2016 etwa 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einem Symposium zusammen. Die Vielfalt der friedenspolitischen Ansätze, die zur Sprache kamen, bildete etwas von der Breite der Themen ab, die Buro in über 50 Jahren unermüdlichen politischen Wirkens bearbeitet hat.

Dr. Volker Böge ließ in seinem einleitenden Vortrag die biographischen Linien von Buros lebenslanger Arbeit deutlich werden, von den für so viele seiner Altersgenossen tödlichen Erfahrungen als jugendlicher Flak-Helfer im Zweiten Weltkrieg über den Kampf gegen die Remilitarisierung Deutschlands und die damit verbundene bewaffnete Blockkonfrontation, gegen die in Deutschland stationierten Atomwaffen wie auch gegen die kriegerischen Interventionen der deutschen Regierung nach der Wiedervereinigung 1990. Andreas Buro war dabei nicht im „gegen“ stehen geblieben, sondern hat z.B. schon im jugoslawischen Bürgerkrieg Konzepte für friedliche Konfliktbearbeitung entworfen, und konkrete Hilfsaktionen für die zivilen Opfer  mitorganisiert. In der Diskussion brachte Böge Positionen ein, die auch von Buro vertreten wurden: die Bedeutung der Anschlussfähigkeit zu anderen sozialen Bewegungen; die Kritikfähigkeit auch gegenüber der Arbeit regierungsnaher NGO-Friedensstifter. Erhellend war das von ihm untersuchte Beispiel autochthoner ziviler Konfliktbearbeitung in Bougainville (Papua-Neuguinea). Aus dem Publikum kam der bedenkenswerte Vorschlag, nicht nur europäische Friedensstifter in die Konfliktregionen von Afrika, Asien und Lateinamerika zu entsenden, sondern auch umgekehrt aus diesen Regionen der „Peripherie“ Berater nach Europa einzuladen, um die Friedensfähigkeit hier zu stärken. Böge erinnerte an die in Andreas Buros Leben deutliche „Verschränkung von Persönlichem und Politischem“ und an die Bedeutung, die Buro langwierigen Prozessen des Bewusstseinswandels in der Bevölkerung beimaß, bei denen diese Verschränkung wichtig ist.*

Prof. Hanne-Margret Birckenbach, eine weitere wissenschaftliche und politische Weggefährtin Buros, trug Erfahrungen vor, die sie bei der Implementierung der Ideen ziviler Konfliktbearbeitung machen konnte: die Gefahr der „Kaperung“ der Zivilen Konfliktbearbeitung (ZKB) zur Ergänzung von Militäreinsätzen, im Sinne einer „Zivil-militärischen Zusammenarbeit“ (CIMIC), wie dies in Afghanistan gerade auch von der Bundeswehr versucht wurde. Aufgeschlossenheit für authentische ZKB erlebt sie vor allem im Auswärtigen Amt, welches erstmals ein „Peace Lab“ veranstalte, und damit das zuvor verpönte Wort „Frieden“ benutze. Überraschend war für einige Zuhörer die Einschätzung von Frau Birckenbach: „… die Bundesregierung will keinen Krieg führen“.

Prof. Egbert Jahn, langjähriges Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) und Mitstreiter im „Sozialistischen Büro“ (SB) brachte einen deutlich realpolitischen Akzent in die Tagung: den politisch-gesellschaftlichen Konflikt sieht er, in Anlehnung an den liberalen Politikwissenschaftler Dahrendorf (früher auch als FDP-Politiker hervorgetreten) als Wesenselement der liberal-demokratischen Gesellschaft, die nach dem Untergang sozialistischer Utopien nun das einzige Modell modern-zivilisierten Zusammenlebens repräsentiere. Dichotomes Denken (z.B. im Sinne eines strukturellen Konflikts „Oben – Unten“ in der Gesellschaft) sei abzulehnen. Die Wirkungsmacht von ZKB im Sinne von Kriegsverhütung sei recht begrenzt, eher seien ihre Möglichleiten in der post-Konflikt-Bearbeitung zu sehen.

Zu den Motiven deutscher Militäreinsätze und zur Notwendigkeit der stärkeren Kooperation sozialer Bewegungen wurde ein kurzer, sehr aktuell wirkender Ausschnitt aus einer Rede von Andreas Buro 2011 eingespielt: (Ausschnitt ca. 4 min, 11.30 bis 15.41)

Im von Uli Wohland (Werkstatt Gewaltfreie Aktion Baden) moderierten Panel mit Böge / Birckenbach / Jahn brachte Susanne Grabenhorst (IPPNW) ihr entschiedenes Votum für ein praktisches, lösungsorientiertes Handeln der Friedensbewegung im Sinne der ZKB ein. Als Beispiel für konkrete Interventionsmöglichleiten stellte sie auch die von ihr mitorganisierte Initiative vor, in koordinierter, planvoller Weise an die Abgeordneten des Bundestages in ihren Wahlkreisen heranzutreten, um diese zur Ablehnung einer Mandatsverlängerung des Bundeswehreinsatzes im syrischen Kriegsgeschehen zu bewegen.

Das abschließende Panel zum Nah-/Mittelostkonflikt befasste sich mit der Lage und den friedenspolitischen Handlungsmöglichkeiten in dieser Region, mit der sich Andreas Buro analysierend und zivilgesellschaftlich handelnd intensiv befasst hat, u.a. im Rahmen seines „Monitoring“-Projekts.

Prof. Werner Ruf, emeritierter Professor für internationale Beziehungen und aktives Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Friedensforschung an der Universität Kassel, gab einen analytischen Einstieg zur Lage in der Region, die von zwei Konflikten besonders geprägt sei, welche auf das britisch-französische Sykes-Picot-Abkommen von 1916 zur Aufteilung der Einflusssphären zurückgehen: der Palästina-Konflikt und der Kurdistan-Konflikt. Diese Konflikte würden als religiöse präsentiert, ganz im Sinn dessen, was in der jüngeren sozialwissenschaftlichen Literatur „Sectarian Policy“ genannt wird. Diese Art der Konfessionalisierung der Politik wurde von den USA im Irak nach 2003 systematisch betrieben. Die Politik der USA und des Westens in der Region muss als doppelbödig bezeichnet werden, da hinter dem Vorwand des Kampfes gegen Diktaturen massiv eigene Interessen verfolgt und islamistische Gewaltakteure unterstützt werden. Dieser Linie folgt auch Israel, das im Konflikt in Syrien die terroristische „NUSRA-Front“ unterstützt. Zu dieser Doppelbödigkeit zählt auch, dass zwar ein Abkommen zum Verzicht Irans auf Atomwaffen durchgesetzt wurde, aber keine Vereinbarung über eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten angestrebt wird. Der syrische Krieg sei durch massive externe Interventionen gekennzeichnet, nicht nur durch Russland und USA/GB/Frankreich/BRD/Israel, sondern auch durch die Regionalmächte, allen voran die Türkei, Saudi-Arabien und Qatar. Zudem kämpfen im Irak, aber auch in Syrien Spezialeinheiten aus dem Iran gegen den „Islamischen Staat“, neben dem außerdem mindestens 13 wesentlich von außen gestützte Milizen in Syrien tätig sind. Der Sender „Radio Free Europe“ hat vor kurzem eine Karte für die ethnisch-konfessionelle Neuaufteilung der Region vorgestellt: an der syrischen Mittelmeerküste erscheint ein schmaler Landstreifen als „Alawitischer Staat“, ein „sunnitischer Staat“ umfasst den Rest Syriens und fast zwei Drittel des Irak, im Süden des Irak erscheint ein „schiitischer Staat“, ganz im Norden eine schmaler Streifen, der als „kurdischer Staat“ bezeichnet wird. Werden diese Vorstellungen umgesetzt, dürfte die bisherige Massenflucht allenfalls ein Vorgeschmack dessen sein, was im Zuge kommender ethnischer und konfessioneller Säuberungen noch kommen mag, warnte Werner Ruf.

Memo Sahin, mit Buro gemeinsam Gründer des Dialog-Kreises „Die Zeit ist reif für eine politische Lösung im Konflikt zwischen Türken und Kurden“, machte deutlich, in welch dramatischer Lage die Bevölkerung im mehrheitlich kurdisch bewohnten Landesteil der Türkei aktuell lebt. Zehn der Städte in diesem Landesteil seien von der türkischen Armee weitgehend zerstört worden, ca. eine Million Menschen seien dort auf der Flucht. Die in die Türkei geflohenen Menschen aus Syrien würden nur selektiv aufgenommen, und benutzt, um die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung in diesem Teil der Türkei planvoll zu verschieben. Die von der EU in Aussicht gestellten Milliardenzahlungen für die Aufnahme dieser Flüchtlinge würden für solche Siedlungsprojekte eingesetzt, und insbesondere die Bundesregierung ignoriere die massiven Menschenrechtsverletzungen ihres Verbündeten.

Gisela Penteker (IPPNW) reist seit vielen Jahren mit Ärztedelegationen in die kurdische Region nicht nur der Türkei, sondern auch des Irak und Syriens. Erst in diesem März war sie wieder in der Ost-Türkei, und musste die verzweifelte Lage der Menschen dort angesichts der eskalierenden Repression und der Beendigung des hoffnungsvollen Verhandlungsprozesses mit der kurdischen PKK wahrnehmen. In ihrem Beitrag forderte sie, die Bundesregierung möge zu einer friedlichen Lösung in der Türkei beitragen, indem sie die Einstufung der PKK als einer „terroristischen Organisation“ beende, und den türkischen Bündnispartner zu einer friedlichen Lösung des Konflikts drängen möge. Die Bundesregierung sei sonst auch mitverantwortlich für eine weitere Flüchtlingswelle nach Europa, diesmal von Kurden türkischer Staatsangehörigkeit.

Werner Ruf fasste seine Vorschläge für unser zivilgesellschaftliches Engagement so zusammen:

  • an die Medien herantreten, unser Recht auf umfassende Information einfordern
  • Rüstungsexporten wie Panzerlieferungen nach Algerien und Saudi-Arabien entgegentreten
  • die Aufhebung des PKK-Verbots fordern, diese kurdische Organisation
    von der Terror-Liste streichen

Helga Dieter (Grundrechtekomitee) informierte zum Ende unserer Veranstaltung noch über eine friedenspolitische Begegnungsinitiative „Ferien vom Krieg“, die in den letzten Jahren insbesondere junge Israelis und Palästinenser miteinander in Verbindung und in den friedlichen Dialog gebracht hat.

Martin Singe (Grundrechtekomitee) dankte abschließend den Teilnehmenden des Symposiums für eine Tagung, die wichtige Aspekte der Arbeit von Andreas Buro reflektierte und zur engagierten Fortsetzung seines Werks ermutigen möge.

Matthias Jochheim (IPPNW)

* Andreas Buro: Gewaltlos gegen Krieg. Lebenserinnerungen eines streitbaren Pazifisten. Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2011, ISBN 978-3-86099-709-3