11. Apr 2021© phere
Demokratie / Lebenslange Haftstrafe / Soziale Menschenrechte / Armut / Strafrecht / Rechtsstaatlichkeit / Gefangenenunterstützung / Menschenrechte / Abolitionismus

Für eine Gesellschaft ohne einsperrende Institutionen und Logiken des Strafens

Das Grundrechtekomitee arbeitet seit seiner Gründung vor 40 Jahren zu Haftbedingungen und Politiken des Strafens. Praktische Unterstützung erhalten Gefangene von uns durch die Vermittlung von Schreibmaschinen und durch Büchersendungen. Weiterhin beantworten wir Gefangenenbriefe und geben Beratung. Das Grundrechtekomitee setzt sich zudem gegen die Lebenslange Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung ein, seit vielen Jahren fordern wir außerdem die Einbeziehung von Strafgefangenen in die staatliche Rentenversicherung.

Über diese praktische Arbeit hinaus zur Verbesserung von Haftbedingungen haben wir als langfristige Perspektive die Vision einer Gesellschaft ohne einsperrende Institutionen und ohne Logiken des Strafens.

Nicht nur verhindern Freiheitsstrafen keine Verbrechen und auch haben auch sonst wenig praktischen Nutzen für die Gesellschaft. Für die Inhaftierten heißt das Gefängnis oft die weitgehende Fremdbestimmung über ihre Person durch Rechtlosigkeit und Unterwerfung. Haft wirkt zudem auch nach der Entlassung fort, denn Ex-Gefangene sind häufig mit Arbeitsplatzverlust, Wohnungsnot und sozialer Deklassierung konfrontiert.

Dazu kommt, dass auch für Gefängnisse in Deutschland gilt: Es existiert ein rassistisches Gefälle: In Deutschland haben 25,1 Prozent der Inhaftierten keine deutsche Staatsangehörigkeit. Mit einem Anteil von nur 12,4 Prozent der Gesamtbevölkerung befinden diese sich demnach überproportional häufig im Gefängnis. 

Haft ist zudem eine Klassenfrage. Als Disziplinierungsinstrument dient das Gefängnis der Verwaltung marginalisierter sozialer Gruppen und zur Durchsetzung des Arbeitszwangs, bei gleichzeitigem Abbau der sozialen Absicherung.  Dies zeigen auch Straftatbestände, die in Zusammenhang mit Armut stehen und zu einer Ersatzfreiheitsstrafe führen können. 

Jede Diskussion um Alternativen zu Knast und Strafe muss sich daher an ihrem Vermögen zur Beseitigung von Klassismus, Rassismus und Sexismus messen lassen.

Das Grundrechtekomitee versteht sich als Brücke zwischen den sozialen Bewegungen und einer linksliberalen Öffentlichkeit. Wir möchten mit der öffentlichen Verhandlung der Abschaffung von Freiheitsstrafe und Strafsystem einen Beitrag leisten und die Diskussion in eine breitere Öffentlichkeit tragen. Zusätzlich stellen wir die Frage, was „Sicherheit“ bedeutet und für wen.

Als Gesellschaft müssen wir uns Gedanken machen, wie wir mit Verhalten umgehen, das Menschen physisch oder psychisch schädigt. Alternative Konzepte zu Strafe und Freiheitsentzug gehen davon aus, dass schädigendes Verhalten veränderbar ist und seine Ursache nicht allein in der gewaltausübenden Person liegt, sondern durch gesellschaftliche Strukturen mit hervorgebracht wird. Es ist daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, einen anderen Umgang mit (massiver) Gewalt zu finden.

Wir freuen uns, dass es auch in Deutschland seit einigen Jahren zumindest in einigen Nischen Versuche gibt, Konzepte von  Transformative Justice und Community Accountability praktisch anzuwenden – trotz all der berechtigten Kritik, den Rückschlägen und offenen Fragen. Diese Mängel dürfen jedoch das grundsätzliche Infragestellen einsperrender Institutionen und des herrschenden Strafsystems  nicht aufwiegen.

Konsequenz sollte vielmehr sein, gemeinsam die Konzepte und ihre praktische Anwendung auf strukturelle Gewalt und Machtverhältnisse sowie Fehler und Misserfolge hin zu analysieren und weiterzuentwickeln und schwierigen Fragen nicht mit Verweis auf eine zukünftige bessere Gesellschaft aus dem Weg zu gehen.

 

Dieser Beitrag stellt die Arbeit des Grundrechtekomitees hinsichtlich der abolitionistischen Forderung nach der Abschaffung von Freiheitsstrafe und Strafsystem dar, anlässlich des Manisfests zur Abschaffung von Strafanstalten und anderen Gefängnissen sowie der Vorstellung der Neuerscheinung International Handbook of Penal Abolition.