17. Juni 2013
Demonstrationsbeobachtung / Praxis & Aktion / Versammlungsrecht

Blockupy: Geschlossene und aufgerüstete Stadt Frankfurt

Blockupy kam wieder, und es schien als würde in diesem Jahr das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit auch in Frankfurt gelten. Freitag, 31. Mai 2013, fanden viele große und kleine Proteste gegen das europäische Krisenregime, gegen neokolonialen Landraub und Spekulationen auf Nahrungsmittel, gegen innerstädtische Vertreibungen und Gentrifizierung, gegen brutale Arbeitsverhältnisse der globalen Textilproduktion und gegen die deutsche und europäische Abschiebepolitik statt. Das Grundrechtekomitee wird einen ausführlichen Bericht über die Blockupy-Demonstrationen erstellen und veröffentlichen.

Massenblockaden und Aktionen Zivilen Ungehorsams

Die Polizei hatte die Europäische Zentral Bank (EZB) in den frühen Morgenstunden selbst weiträumig abgeriegelt. Die Demonstrierenden nahmen diese Blockade gerne auf, umringten die polizeiliche Bankenmauer und sperrten die Korridore zum Eurotower. Bunt, kreativ, voller Selbstbewusstsein und zugleich mit viel Wissen und Kompetenz setzten die Demonstrierenden den Protest in der Stadt fort. Vor der Deutschen Bank wurde auf Töpfe gegen Hunger-Spekulationen geklopft. Statt echter flogen symbolische Pflastersteine aus Kunststoff, die an den Scheiben hafteten, sie aber nicht beschädigten, auf die Scheiben einer Immobilienfirma. Vor wechselnden Geschäften in der Einkaufsstraße erinnerten sie daran, dass die billigen Klamotten in Bang­ladesch beim Feuer in einer Fabrik mit dem Leben bezahlt wurden und alltäglich von menschenverachtenden Produktionsbedingungen begleitet sind. Über diesen lebendigen europäischen Protest, über die Inhalte und Formen der Zusammenarbeit wäre eigentlich viel zu berichten. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hatte eine Demonstrationsbeobachtung organisiert und war an vielen Orten zugegen. Wir hatten vermutet, dass die Polizei möglicherweise gegen die Aktionen Zivilen Ungehorsams am Freitag gewaltvoll eingreifen würde. Auch wenn es zu einigen Einsätzen von Pfefferspray und einer erheblichen Behinderung der Demo am Flughafen kam, war dem insgesamt nicht so. Schon Samstag morgen begannen wir unsere Besprechung jedoch mit dem irritierenden Eindruck, dass die Polizei vor allem für die Großdemonstration am Samstag aufgerüstet hatte.

Verhinderte Großdemonstration

Schnell mussten wir erleben, dass die gerichtlich durchgesetzte Großdemonstration von der Polizei kurz nach ihrem Beginn gestoppt wurde. Der weit vorne laufende Block von circa tausend Demonstrierenden wurde eingekesselt. Jedem, der nur etwas Verständnis für Demonstrationen und die sie tragenden Bündnisse hat, muss es zynisch anmuten, dass die Polizei meinte, die anderen vielleicht 15.000 könnten ihre Demonstration ja fortsetzen. Sie wolle nur die Personen dieses Blocks einzeln durchsuchen. Nichts, rein gar nichts rechtfertigte diesen Eingriff in das Grundrecht. Eine Großdemonstration und die geplanten politischen Kundgebungen wurden verhindert, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und die Pressefreiheit wurden schwer verletzt. Der Eingriff war schon im Vorhinein geplant – dafür sprechen alle Zeichen. Ein massives Polizeiaufgebot stand am Schauspielhaus bereit. Kurzfristig wurde der Block eng von der Polizei begleitet, die sich dann zurückzog, um hinter dem Block in die Demonstration einzudringen und die Versammlung zu spalten.

Die Explosion von zwei Leuchtraketen fünf Minuten vor dem Eingriff können die Planung nicht ausgelöst haben. Die angebliche „Bewaffnung“ bestand vorrangig aus Sonnenbrillen, bunten Schirmen (europäischer Rettungsschirm) und aus einigen symbolischen Büchern. Die Polizei nennt dies Vermummung und passive Bewaffnung und macht so selbst deutlich, dass diese Gegenstände allenfalls schützen sollen, nicht aber zu einem Angriff und zu Gewalttaten taugen. Das Verhindern einer Großdemonstration kann all dies nicht rechtfertigen. Das Bundesverfassungsgericht hat schon im Brokdorf-Beschluss festgehalten, dass der Schutz der Versammlungsfreiheit erhalten bleiben muss, wenn nicht die Versammlung insgesamt einen „gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf“ nimmt.

Mehr als neun Stunden wurde der Kessel aufrecht erhalten. Am Anfang flogen zwei oder drei Farbbeutel, ansonsten nahm dieser Block von gewaltbereiten und vermummten Straftätern – wie die Polizei behauptete – diese Provokation hin und führte damit der Öffentlichkeit vor, wie gewalttätig die vermummte Polizei und die hinter ihr stehende Politik sind. Nach fast sechs Stunden begann die Polizei, in den Kessel einzudringen und führte die Personen unter Anwendung schmerzhafter Polizeigriffe ab. Verletzte blieben auf der Straße liegen und mussten von Sanitätern behandelt werden.

Viele Verletzte gab es auch in dem von der Polizei als friedlich definierten ausgesperrten Teil der Demonstration. Auch diese politzeilichen Gewalttaten entstanden nicht, weil dort etwa die Polizei angegriffen wurde, sondern weil die Polizei mit Gewalt in die Demonstration stürmte und die Teilnehmenden bedrängte. Davon, dass eine Demonstration prinzipiell „staatsfrei“ ist (Brokdorf-Beschluss), war nichts zu spüren. Der Schlagstock wurde eingesetzt, Pfefferspray wurde wahllos in die Menge gespritzt. Kinder, Frauen, Männer, Alte und Junge, Journalisten, die ihrer öffentlichen Aufgabe der Berichterstattung nachgingen, wurden verletzt. Die Demo-Sanitäter berichten später von geschätzten 320 Verletzten. „Dazu kommen noch alle, die sich selbst helfen konnten oder die im Chaos keinerlei Behandlung erfuhren.“

Gegen 22.30 Uhr, nachdem sie die Personalien von 1052 Personen aufgenommen hatte, ließ die Polizei es zu, dass die nicht eingeschlossene aber von der Versammlung ausgeschlossene Spitze des Demonstrationszugs zu dem Rest der Demonstration gehen konnte. Ein noch immer von der Polizei behinderter, teils videografierter Demonstrationszug ging nur noch den kurzen Weg zurück zum Bahnhof, Dort fand gegen 24.00 Uhr eine kurze Abschlusskundgebung statt.

Diese planvolle und systematische Polizeigewalt muss viele Nachspiele haben. Die ersten Klagen sind eingereicht. Die Verantwortung für diesen Einsatz ist im politischen Betrieb zu suchen. Aber auch die Polizei muss sich fragen lassen, wieso sie sich so rechtswidrig einsetzen lässt.

Das Grundrechtekomitee wird noch ausgiebig berichten.