13. März 2012 © @dpa
Demonstrationsbeobachtung / Praxis & Aktion / Versammlungsrecht

Gesetz zum Schutz der Versammlungsfreiheit?

Zum Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Versammlungsfreiheit für das Land Schleswig-Holstein, vorgelegt von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, ist Elke Steven für das Grundrechtekomitee gebeten worden, eine Stellungnahme für den Innen- und Rechtsausschuss zu verfassen. Nachfolgend und im Anhang veröffentlichen wir die Stellungnahme.

Der Gesetzestext ist zu finden unter:

www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl17/drucks/1900/drucksache-17-1955.pdf

Diese und weitere Stellungnahmen sind zu finden unter:www.landtag.ltsh.de/export/sites/landtagsh/infothek/wahl17/aussch/iur/einladung/2012/17-089_03-12.pdf

Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Versammlungsfreiheit für das Land Schleswig-Holstein der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Drucksache 17 / 1955

Vorbemerkungen

Zu Recht betont der Gesetzentwurf die hohe Bedeutung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Versammlungen „enthalten ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren“, so heißt es im Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1985. Seither hat das Gericht immer wieder die fundamentale Bedeutung dieses Grundrechts für die parlamentarische Demokratie herausgestellt. Das Bundesversammlungsgesetz, das noch von hierarchisch geführten Aufmärschen ausgeht, wird diesem Verständnis des Grundrechts nicht gerecht. Die Versammlungsfreiheit gehört zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens.

So richtig der Ansatz und die Perspektive des vorliegenden Gesetzentwurfes sind, bleiben doch einige wichtige Kritikpunkte zu benennen, in denen diese Perspektive nicht durchgehalten wird. Unsere Kritik bezieht sich insbesondere darauf, dass der Gesetzentwurf versucht, bisheriges Engagement von Bürgern und Bürgerinnen – Demonstrationsbeobachtungen – neu gesetzlich zu regulieren. Bürgerliches Engagement bedarf jedoch keiner gesetzlichen Regulierung. Einige weitere Regelungen greifen wir kritisch heraus ohne alle Paragraphen zu kommentieren.

(1) Unabhängige Versammlungsbeobachtung (§ 17) Demonstrationsbeobachtungen, wie sie das Komitee für Grundrechte und Demokratie seit über 30 Jahren organisiert, sind eine gute und notwendige Form bürgerrechtlichen Engagements. Demonstrationen erzeugen fast notwendigerweise Unruhe. Vorrangig geht es in Demonstrationen um Kritik an staatlichem Handeln, an Regierungspolitik und an herrschenden gesellschaftlichen Zuständen, häufig geht es um das Aufzeigen von Missständen. Das Demonstrationsrecht ist wesentlich ein Recht von Minderheiten, die Aufmerksamkeit erlangen wollen.

Mit Demonstrationsbeobachtungen beabsichtigen wir, das Grundrecht als fundamentales Grundrecht zu schützen. Wir beobachten das, was auf Demonstrationen geschieht, um aus dieser grundrechtlichen Perspektive darüber zu berichten. Die Entwicklung von Auseinandersetzungen, die Entstehung und Ausübung von Gewalt, Eskalations- und Deeskalationsprozesse werden möglichst genau beschrieben. Die Vorgeschichte und die politische und mediale Einstimmung auf die Demonstrationen gehören zur Auswertung des Geschehens dazu. Genaue Berichte über die Entwicklung der Geschehensabläufe sollen alle einseitigen Gewalt-Vorwürfe und Schuldzuschreibungen verhindern. Mit unseren Berichten nehmen wir zugleich teil an dem fortwährenden politischen Streit um das Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit.

Zu den Konflikten, die in Versammlungen manchmal manifest werden, gehört „die Politik“ entscheidend dazu. Die sich versammelnden Bürger und Bürgerinnen stehen vor Ort zwar der mit den Gewaltmitteln ausgerüsteten Polizei gegenüber. Diese wird jedoch vom Staat auch gemäß politischer Vorgaben eingesetzt. Die Art des Einsatzes der Polizei ist auch von der Politik zu verantworten.

  • Im Gesetzentwurf ist die Rede von „unabhängiger und neutraler“ Versammlungsbeobachtung. In Bezug auf unsere Demonstrationsbeobachtungen sprechen wir nicht von Neutralität oder Objektivität. Maßstab unserer Demonstrationsbeobachtungen ist die Geltung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit in Verbindung mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Diese Grundrechte interpretieren wir auf der Grundlage und in Fortführung dessen, was insbesondere Konrad Hesse im Kontext des sogenannten Brokdorf-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts ausgeführt hat.
  • Eine staatlich kontrollierte Demonstrationsbeobachtung widerspricht den Grundgedanken, an denen sich das Grundrechtekomitee orientiert. Der § 17 VersFG-SH würde eine wichtige bürgerrechtliche Aufgabe zu einer staatlich gelenkten machen. Das Justizministerium würde nach dem Versammlungsgesetzentwurf „zivilgesellschaftliche Verbände“ akkreditieren, die dann allein berechtigt sein sollen, Demonstrationsbeobachter zu entsenden. Das Justizministerium kann jedoch nicht darüber entscheiden, wer Demonstrationen beobachten und darüber berichten darf. Demonstrationsbeobachtungen würden zu einem staatlich gelenkten Instrumentarium. Über die „sorgfältige Auswahl“ und „regelmäßige Fortbildung“ würden Vereine unter staatliche Kontrolle gestellt, zur Anpassung gezwungen, sowie einer unnötigen „Professionalisierung“ unterworfen, wenn sie diese wichtige Aufgabe wahrnehmen wollen.
  • Darüber hinaus würden willkürlich bürokratische Hürden aufgebaut. Die Beobachtung soll 48 Stunden vorher beim Innenministerium angemeldet werden. Namen und sogar Adressen aller Beobachter und Beobachterinnen sollen dem Innenministerium mitgeteilt werden. Beobachter müssten also auch die Sorge haben, dass ihre Daten aufgrund ihres bürgerrechtlichen Engagement behördlich gespeichert werden.
  • Überflüssigerweise regelt das Gesetz auch, dass Abgeordnete der verschiedenen Parlamente das Recht zur Versammlungsbeobachtung haben. Tatsächlich haben Abgeordnete der verschiedenen Parlamente immer mal wieder beobachtend an Demonstrationen teilgenommen. Ihr besonderer Status ermöglicht es ihnen, manchmal an Orte zu kommen, die für alle anderen Bürger und Bürgerinnen polizeilich abgesperrt werden. Ihre beobachtende Teilnahme an Versammlungen erlaubt es ihnen, konfliktminimierend einzuwirken. Das kann sinnvoll und hilfreich sein. Insgesamt hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass es sehr unterschiedlicher Gruppen und Aufgabenwahrnehmungen bedarf, um das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu sichern. So kann das Zusammenspiel von Ermittlungsausschüssen, Legal Teams, Demonstrationsbeobachtern, Abgeordnetengruppen sinnvoll sein. Es kann jedoch nicht darum gehen, diese verschiedenen Eingriffsformen gegeneinander abzuwägen oder gar staatlich zu kontrollieren.

 

Versammlungen sind Versammlungen von Bürgern und Bürgerinnen. Sie haben das Recht, sich ohne staatliche Kontrolle und Reglementierung gemäß ihren Vorstellungen zusammenzuschließen. Einer staatlichen Legitimierung bedürfen sie nicht nur nicht, diese ist sogar kontraproduktiv, weil der Staat damit beginnt, in freie Versammlungen regulierend einzugreifen.

 

(2) Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot (§ 15)

Das bisherige Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot schafft der Polizei vor allem nach Gutdünken Eingriffsrechte in eine Versammlung. Die Frage, welche Gegenstände einer Identitätsverschleierung dienen, kann sehr unterschiedlich beantwortet werden. Sonnenbrille, Schal, Mütze können jedenfalls nützliche Zwecke jenseits der Identitätsverschleierung haben. Kostüme können der Verdeutlichung des Demonstrationsziels dienen. Sie können künstlerischer Ausdruck sein.

  • Es kann durchaus legitime Gründe geben, „Kleidungsstücke zu tragen, die gegen befürchtete, ungerechtfertigte Gewalt schützen oder verhindern, dass man durch Filmen oder Fotografieren einer Versammlung erkannt und gespeichert werden kann. Es besteht keineswegs ein zwingender Zusammenhang zwischen Vermummung bzw. Schutzkleidung und einer Absicht, unfriedlich zu demonstrieren.“ (vgl. auch Stellungnahme von Dr. Klaus Hahnzog und Hartmut Wächtler zur Verfassungsbeschwerde gegen das Bayerische Versammlungsgesetz vom 5.7.2010)
  • Technische Hochrüstung und neue Distanzwaffen machen es auch für friedlich Demonstrierende notwendig, sich gegen den Einsatz dieser Waffen zu schützen. Der Einsatz der Waffen geschieht oft ungezielt oder betrifft zumindest auch Unbeteiligte. Des Weiteren werden polizeiliche Waffen auch immer wieder unberechtigt eingesetzt. Die mit dem Einsatz verbundene Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit kann nicht zum normalen Risiko der Teilnahme an einer Versammlung gehören.
  • Die neuen Überwachungstechnologien – auch die Überwachung städtischer Plätze - können es erforderlich erscheinen lassen, sich gegen jede Identifizierung zu schützen, um das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit frei vor behördlicher Registrierung wahrzunehmen.

 

Ein generelles Vermummungsverbot stellt folglich einen übermäßigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht dar und ist überflüssig.

 

Zumindest sind die in Absatz 2 und 3 vorgesehenen Lockerungen zum generellen Vermummungsverbot zur Norm zu machen. Nur in begründeten Ausnahmefällen und bei konkreten Verdachtsmomenten bezüglich der unfriedlichen Absichten der ganzen Versammlung wäre die zuständige Behörde berechtigt, konkrete Verbote zu verhängen.

 

(3) Störungs- und Waffenverbot (§ 14)

Versammlungen richten sich zwar häufig gegen behördliches Handeln, aber auch Versammlungen, die sich gegen andere Versammlungen, deren Handlungen oder vertretenen Meinungen richten, stehen unter dem Schutz des Versammlungsrechts. Die öffentlichen Gelöbnisse der Bundeswehr haben hier ebenso zu Auseinandersetzungen geführt wie die Gegendemonstrationen gegen Kundgebungen von NPD und Kameradschaften.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits festgestellt, dass die Bundeswehr, wenn sie Gelöbnisse im öffentlichen Raum zelebrieren will, nicht das Recht hat, dies ungestört von Protesten zu tun. Und auch Gegendemonstrationen haben das Recht, in Hör- und Sichtweite ihren Protest vorzubringen. Das Bundesversammlungsgesetz stellt in § 21 „grobe Störungen“, die mit Gewaltanwendung verbunden sind, unter Strafe.

Der vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, dass nun schon jede Handlung verboten sein soll, die die Durchführung einer Versammlung „erheblich behindert“. Die Frage, was eine „erhebliche Behinderung“ ist, wird aus der jeweiligen Perspektive sehr unterschiedlich bewertet werden. Schon deutlich sichtbare Transparente, Zwischenrufe und erst recht Sitzblockaden werden aus der Sicht von Veranstaltern eine „erhebliche Behinderung“ darstellen. Eine solche vage und unbestimmte Regelung schafft der Polizei Eingriffsrechte nach eigenem Gutdünken. Rechtssicherheit im Umgang mit Gegenprotesten wird so nicht geschaffen.

Im Gesetzentwurf wird unter Strafe nur gestellt (§ 21), wenn zur erheblichen Störung Gewalttätigkeiten vorgenommen werden. Konsequent wäre es, auch nur diese zu verbieten.

 

(4) Beschränkungen, Verbot, Auflösung (§ 19)

Verbote von Versammlungen müssen die absolute Ausnahme darstellen und dürfen nur dann ausgesprochen werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass von einer Versammlung insgesamt Gewalttaten beabsichtigt werden. § 19 (2) des vorliegenden Gesetzentwurfes regelt, dass Versammlungen beschränkt und verboten werden können, wenn die unmittelbare Gefahr besteht, dass „durch die Versammlung Gewalt- und Willkürherrschaft gebilligt, verherrlicht oder gerechtfertigt und dadurch der öffentliche Friede gestört wird“.

  • Straftaten müssen nicht im Versammlungsgesetz verboten werden. Schon gemäß § 130 (4) StGB wird bestraft, „wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt“. Diese Regelung im vorliegenden Gesetzentwurf ist somit überflüssig. Sollen jedoch Meinungen verboten werden, so widerspricht dies den Grundrechten auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit, von denen auch abscheuliche und unerträgliche Meinungen geschützt sind.
  • Das in § 19 (3) vorgesehene Verbot für „symbolträchtige Stätten oder Tage“ ist völlig überflüssig und stellt deutlich den Einstieg in Meinungsverbote dar, wie es inzwischen auch im Bundesversammlungsgesetz (§ 15) vorgesehen ist. Stätten oder Tage können gemäß der eigenen Überzeugung symbolisch aufgeladen werden. Wer anfängt, Demonstrationen an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten zu verbieten, wird neu geschaffenen Deutungen nur immer hinterherlaufen. Die immer neuen Veränderungen der § 86 a und 130 (4) StGB legen hierfür beredtes Zeugnis ab.

 

gez. Dr. Elke Steven (Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.)