Hoheitliche Verrufserklärungen und ihre Folgen

Erneut zum Verfassungsschutz, der die Demokratie, die ihm so fremd ist, gefährdet. Seine Berichte sind alles andere als folgenlos. Im April 2016 hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe entschieden, dass die Bespitzelung und Überwachung des Lehrers Michael Csaszkóczy durch den Verfassungsschutz rechtmäßig ist. Das Urteil macht vor allem eines deutlich: Gegen das vom Verfassungsschutz konsequent aufgebaute Konstrukt eines gefährlichen Linksextremismus kann man sich juristisch kaum wehren. Es geht eben nicht um konkrete Taten. C. forderte Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten und deren Löschung. Gemäß den unvollständig vorliegenden Daten ist ersichtlich, dass er seine Grundrechte auf Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit wahrgenommen hat. Sein „Fehler“ bestand darin, dass er es in Kontexten tat, in dem auch „Linksextremisten“ dabei gewesen sein könnten. Also schließt der Verfassungsschutz  ̶  und das Gericht folgt ihm –, dass diese Daten zu sammeln und aufzubewahren seien.

 

Er ist im Vorstand der Roten Hilfe, einer Organisation, die  diverse Ämter des Verfassungsschutzes, so auch das Baden-Württembergische Landesamt, ebenfalls für überwachungsbedürftig halten. Das Urteil übernimmt kritiklos diese Konstrukte, die vor allem deutlich machen, dass fundamentale Kritik an den politischen Verhältnissen, Solidarität mit Angeklagten und Wahrnehmung von Freiheitsrechten dem Staat suspekt sind.

 

Die Satzung der Roten Hilfe wird zitiert (§ 2 Abs. 2): „… Politische Betätigung in diesem Sinne ist zum Beispiel das Eintreten für die Ziele der Arbeiter_innenbewegung, die internationale Solidarität, der antifaschistische, antisexistische, antirassistische, demokratische und gewerkschaftliche Kampf sowie der Kampf gegen Antisemitismus, Militarismus und Krieg. …“ Dass diese Orientierung gegen die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ verstößt oder den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik oder des Landes Baden-Württemberg gefährdet, ist nicht ersichtlich. Behauptet wird die grundsätzliche Ablehnung von Staat und Kapitalismus durch „Autonome“ und Kommunisten. Aus dem Zusammenhang gerissene Zitate und Sprüche von Demonstrationen belegen allenfalls einen gewissen Verbalradikalismus. Konkret benannt werden Aktionen gegen nationalistische und rassistische Demonstrationen. Solche Gegendemonstrationen haben immer wieder auch das Ziel, die andere Demonstration zu blockieren – auch Wolfgang Thierse hat schon dazu aufgerufen. Mit Gewalt hat das nichts zu tun. Es gibt gute Gründe zu schreiben, die Bundeswehr würde „in Angriffs- und Weltordnungskriegen“ agieren. Gefährdet wird die Bundesrepublik sicher nicht durch diese Analyse und Bewertung.

 

Im Urteil wird zitiert, dass der Verfassungsschutz für seine Arbeit „tatsächliche Anhaltspunkte“ „für verfassungsfeindliche Bestrebungen“ haben muss, aber der „Beobachtungsauftrag“ reiche selbstverständlich „weit in das Vorfeld von Straftaten“. Unkontrollierbarkeit ist das Ziel eines Geheimdienstes.

 

Die Verfassungsschutzämter (zumindest der alten Bundesrepublik) sind seit ihrer Gründung geprägt vom Antikommunismus, und das ist und bleibt das eigentliche Feindbild. Die Verfassung ist von Anfang an von der Skepsis gegenüber den Bürgern geprägt, deren Freiheitsrechte als Schutzrechte gegenüber dem Staat gedacht wurden, deren Beteiligungsrechte aber zwiespältig gesehen und unter Vorbehalt gestellt wurden – am deutlichsten beim Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Und dies wird im Urteil so richtig deutlich, wenn das Gericht sich darüber empört, dass die Rote Hilfe die Verfassungswirklichkeit kritisiert. Diese sei legal zustande gekommen, Gerichte entschieden darüber, nicht die Bürger. Von Veränderungen, von Meinungsbildungsprozessen, von Meinungsfreiheit als „unentbehrlichem und grundlegendem Funktionselement eines demokratischen Gemeinwesens“ (BVerfG) will dieses Gericht nichts wissen.

 

Und all die Erkenntnisse über das Versagen des Verfassungsschutzes im Kontext des NSU, seine Verstrickungen über V-Leute in die Mordserie einer bis heute nicht aufgeklärten Gruppe von Rechtsterroristen hat nichts an dieser Ausrichtung verändert. Der (eigentliche) Feind steht links.

 

Das Gericht überprüft leider nicht, ob die Beschreibungen des Verfassungsschutzes, die bunt zusammengewürfelten Aussagen, tatsächlich das Land gefährden. Es fragt sich nicht, zu was die Konstrukte dienen und wie sehr das die Demokratie gefährdet.

 

Die von Verfassungsschutz und Gericht zitierte Kritik der „Linksextremisten“ dass die Gerichte nicht wirklich unabhängig sind, sondern Teil dieses Herrschaftssystems, scheint also betätigt worden zu sein. C. wird weiterhin überwacht werden. In seinem Berufsverbotsverfahren von 2003 bis 2007 hat er immerhin auch eine andere  Erfahrung gemacht. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim ist letztlich nicht dem Ministerium gefolgt, sondern hat das Berufsverbot als rechtswidrig erkannt und seine „Verfassungstreue“ bestätigt. Das Land musste Schadenersatz zahlen.

 

Immerhin hat er sich trotz dieser Erfahrungen nicht von seiner politischen Betätigung abbringen lassen. Aber es fragt sich, wann die Schere im Kopf ansetzt. Angesichts solcher Vorgänge mag sich jede*r fragen, ob er oder sie sich grundlegende Kritik, radikale – also an die Wurzeln gehende – Analysen noch leisten will. Wer mag noch in breiten Bündnissen zusammenarbeiten? 

 

Ein Geheimdienst hat in einer demokratischen Gesellschaft nichts zu suchen – wir Bürger*innen können und müssen uns mit den verschiedenen Meinungen selbst auseinandersetzen. Die Verfassung wird durch kritische Auseinandersetzungen geschützt.  Diese dürfen auch provozieren und herausfordern. Der Grundrechte-Report reklamiert aus guten Gründen,  der „wahre Verfassungsschutzbericht“ zu sein. Die Rote Hilfe und all die vom Verfassungsschutz diffamierten „Autonomen“ und „Linksextremisten“ tragen zu einer demokratische Verfassungswirklichkeit bei, während der Geheimdienst, der als demokratischer  Fremdkörper eindimensionale Feindbilder pflegt, dieser schadet. Schade, dass Gerichte diesen Verrufserklärungen noch immer unbesehen folgen.

 

Elke Steven