06. Mai 2022 © dpa
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In Frieden statt in Kriege investieren. Interview mit dem Frauennetzwerk für Frieden

Anlässlich des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine wird von einer Ohnmacht der Friedensbewegung gesprochen – andererseits werden friedenspolitische Stimmen kaum in die öffentliche Debatte einbezogen. Wie diskutiert ihr derzeit die Diskussionen und Statements in der Friedensbewegung?

Ohnmacht und Hilflosigkeit sind Gefüh le, die sicher viele von uns empfunden haben, als Ende Februar die Angriffe der russischen Regierung auf die Ukraine begannen. Doch schon wenige Stunden nach den ersten Meldungen kamen überall in Deutschland Tausende Menschen zusammen, um gegen den Krieg zu protestieren.

In den folgenden Wochen stellten Menschen aus der Friedensbewegung die größten Friedensdemos seit 20 Jahren auf die Beine, veröffentlichten etliche Statements und Hintergrundpapiere, schufen Diskus- sions und Vernetzungsangebote.

Auf verschiedenen Websites wurden wahre Schätze an Expertise zu Abrüstung, Deeskalation, Desertion, ziviler Konfliktbearbeitung, gewaltfreiem Wider stand oder sozialer Verteidigung im Kontext des Kriegs in der Ukraine gesammelt. Ja, die Friedensbewegung sitzt nicht an den Schalthebeln der Macht. Sie hat extrem knappe Ressourcen. Und sie ist sich auch nicht in allen Einschätzungen einig.

Aber deswegen ist sie noch lange nicht ohnmächtig. Es gibt vielen Menschen Kraft, sich zu organisieren, Wissen zu teilen, Forderungen zu formulieren und diese auf die Straßen zu tragen. Dieser gemein- same Einsatz für den Frieden hat einen hohen gesellschaftlichen Wert.

Wie kann weiterhin pazifistisch gegen Waffenlieferungen argumentiert werden, obwohl große Teile der ukrainischen Bevölkerung eben jene fordern?

Das ist eine sehr schwierige Frage, die auch viele Menschen in der Friedensbewegung an die Grenzen ihrer Überzeugungen bringt. Denn natürlich ist das Bedürfnis stark, den Menschen in der Ukraine helfen zu wollen. Aus pazifistischer Sicht wird jedoch befürchtet, dass noch mehr Waffen die Kriegsdynamik weiter verschärfen und damit nur zu noch mehr Opfern führen werden.
Und auch auf das mögliche Ende wird verwiesen:

Anfangs wollte Deutschland nur Helme liefern, danach sogenannte Defensivwaffen, jetzt ist von schweren Geschützen, Panzern und Kampfflugzeugen die Rede. Wann und womit wird diese Kriegsspirale enden? Mit dem offiziellen Kriegsbeitritt der NATO?

Wir müssen uns immer wieder vor Augen führen, dass jede weitere militärische Eskalation in diesem Krieg den Einsatz von Nuklearwaffen auslösen kann. Die Städte der Ukraine wären dabei wahrscheinlich die ersten Ziele. Die Folgen, also Millionen von Toten, die Unbewohnbarkeit ganzer Landstriche auf Jahrzehnte, wollen wir uns gar nicht vorstellen.

Wir müssen sie uns aber jedes Mal bewusst machen, wenn wir über Waffenlieferungen und deren mögliche Folgen und Risiken sprechen. Gleichzeitig müssen wir alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen, der ukrainischen Bevölkerung zu helfen und die Kriegsdynamik zu stoppen: ersteres etwa durch Massenevakuierungen, Luftbrücken, humanitäre Hilfe und die Aufnahme aller flüchtenden Menschen.

Letzteres insbesondere durch den Entzug von Geldern zur Kriegsfinanzierung, etwa durch die Einstellung von Öl und Gasimporten aus Russland.

Einige Regierungen schreiben sich eine „feministische Außenpolitik“ auf die Fahnen und im Koalitionsvertrag hat das auch Deutschland erstmals getan. Ist das nur eine hohle Phrase oder ein Schritt hin zu einer besseren Außenpolitik?

Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn sich Regierungen zu einer feministi- schen Außenpolitik bekennen wollen. Es ist gut vorstellbar, dass die neue Regierung tatsächlich mit der Absicht angetreten ist, die deutsche Politik in diesem Sinne verändern zu wollen.

Aber das, was gerade in Deutschland passiert, ist weit weg von einer feministischen Außenpolitik. Die Entscheidung, 100 Milliarden Euro per Sondervermögen in die Bundeswehr zu investieren und gleichzeitig den Verteidigungshaushalt auf mehr als 2% des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, macht alle guten Absichten zunichte.

Kern einer feministischen Außenpolitik ist der Abzug von Geldern aus dem militärischen Sektor und gleichzeitig die konsequente Investition dieser Gelder in zivile Friedensförderung, soziale Gerechtigkeit, Klima schutz und andere soziale Sektoren: „Move the money from war to peace“ ist eine der Losungen der Frauenfriedensbewegung.

Und auch wenn jetzt diskutiert wird, dass ein Teil dieser Milliarden auch in andere Formen von Sicherheit investiert und nicht rein militärisch verwendet werden soll, so bleibt doch eins ganz klar: Das Militär, Rüstungskon zerne und die alte patriarchale Macht ordnung, die durch eine feministische Außenpolitik eigentlich überwunden werden sollen, werden die Hauptprofiteure sein.

 

Das Interview führte Laura Kotzur mit Elise Kopper vom Frauennetzwerk für Frieden e. V. (FNF). Zweck des 1996 gegründeten Vereins ist die enge Kooperation von Frauen und Frauen organisationen, die in der Friedensarbeit aktiv oder an ihr interessiert sind.