Der Kampf um Menschenrechte im Zeitalter kapitalistisch entfesselter Globalisierung

Anlässlich des 30. Gründungsjahres des Komitee für Grundrechte und Demokratie wollen wir uns unter veränderten weltpolitischen Verhältnissen erneut und eingehend mit dem zentralen Bezug unserer politischen Arbeit – Menschenrechte und Demokratie – beschäftigen.

Tagung zum 30-jährigen Bestehen des Komitee für Grundrechte und Demokratie vom 24. bis 26. September 2010:

Der Kampf um Menschenrechte im Zeitalter kapitalistisch entfesselter Globalisierung – seine Ambivalenzen, Grenzen und Perspektiven

Anlässlich des 30. Gründungsjahres des Komitee für Grundrechte und Demokratie wollen wir uns unter veränderten weltpolitischen Verhältnissen erneut und eingehend mit dem zentralen Bezug unserer politischen Arbeit – Menschenrechte und Demokratie – beschäftigen. Dazu haben wir unter anderem Vertreter/innen aus befreundeten Organisationen eingeladen, mit uns zu diskutieren, inwieweit der Begriff der Menschenrechte für unsere Arbeit noch politische Orientierung bietet und inwieweit er überhaupt für eine politische Praxis taugt. Die Tagung findet vom 24. bis 26. September 2010 im Bildungs- und Begegnungszentrum Clara Sahlberg (Koblanckstr. 10 |14109 Berlin-Wannsee) statt.. Alle weiteren Informationen siehe Programm und Anmeldung.

Problemskizze

Menschenrechte sind „Mode“ geworden „Die Menschenrechte“ sind sprichwörtlich in aller Munde. Unterschiedliche politische Positionen und Forderungen werden mit Berufung auf „die Menschenrechte“ begründet. Sie dienen der Legitimation staatlicher und suprastaatlicher Politik vor allem in der EU wie in den USA. Sie werden jedoch auch in Anspruch genommen, um die Politik der jeweiligen Staaten und Staatengruppen zu kritisieren. Strittig ist, ob es sich um Rechte handelt, die nur staatsvermittelt gelten, oder aber um „vor- und außerstaatlich begründete Rechte“ , die gegen staatliche Politik und gesellschaftliche Verhältnisse in Stellung gebracht werden können. Menschenrechtsabkommen säumen die internationalen Beziehungen. In ihnen geben die kapitalgewaltigen und militärmächtigen Staaten als „transatlantische Wertegemeinschaft“ den menschenrechtlichen Maßstab vor. Deshalb dienen
menschenrechtliche Normen dazu, kriegerische Aggressionen als „humanitäre Interventionen“ zu legitimieren. Fortgesetzte intensivierte wirtschaftliche Ausbeutung von Mensch und Natur werden als „nachhaltige Entwicklung“ und „Armutsbekämpfung“ ausgegeben. Die Entgrenzung des Sicherheitsbegriffs wird menschenrechtlich „mit einem Recht auf Sicherheit“ unterfüttert. Es gibt fast kein außenpolitisches Regierungshandeln mehr, das nicht mit der „normativen Weltwährung“ Menschenrechte beglichen würde. Menschenrechtlich gilt: anything goes.


Man könnte daraus „positiv“ entnehmen, dass der universelle Geltungsanspruch der „Menschenrechte“ durch die meisten Staaten weithin anerkannt ist: sie verpflichten sich, diese zu respektieren, zu schützen und zu gewährleisten. Der nur nominalistische Ernst kann auch dann orientierenden Wert besitzen, wenn die staatliche Praxis nicht menschenrechtsangemessen ist. Exemplarisch: die Freund-Feind Aufspaltung der Menschheit im „global war on terrorism“, die die „unlawful enemy combatants“ graduell und folterpraktisch dehumanisiert oder gleich zum „targeted killing“ freigibt. Auf der internationalen Bühne menschenrechtsversüßter Diplomatie werden in den Konfliktszenarien vor allem die Menschenrechtsverletzungen der anderen Staaten und der politisch militärischen Kontrahenten hervorgehoben. Außenpolitisch werden die Menschenrechte instrumentalisiert. Das ist für alle nicht voreingenommenen Beobachter leicht erkennbar.

Die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ wurde 1948 unvermeidlich interpretationsoffen gefasst. Die dazugehörigen internationalen Pakte (Bürgerrechtsund Sozialpakt) wurden von allen staatlichen Mitgliedern der UNO unterzeichnet. Zahlreiche Staaten sind diversen Menschenrechtsabkommen und -konventionen nicht beigetreten wie beispielsweise die UN-Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeiter und Wanderarbeiterinnen und ihrer Familien. Menschenrechte haben aber partiell Eingang in die jeweiligen national- und zwischenstaatlichen Verfassungen gefunden, diesen zumeist vor- oder nachgestellt (z.B. Grundrechte/Grundrechtscharta), ohne jedoch die gesellschaftlichen Ordnungen in ihren Institutionen, in ihren politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnissen gänzlich zu durchdringen und zu prägen. Denn, einmal in positives Verfassungsrecht transformiert, bleiben sie der herrschenden Verfassungsinterpretation, den politischen Herrschafts- und Machtverhältnissen unterworfen. Die Herstellung gesellschaftlicher Verhältnisse, die allen Menschen ein dem politischen und wirtschaftlichen Entwicklungsstand entsprechende soziale Sicherheit garantiert und damit die Voraussetzung für die
Entfaltung der notwendigen freiheitsbefähigenden Eigenräume des Menschen, wird zumeist politisch ins Ermessen der jeweiligen Staaten gelegt. So bleibt die Dimensionen gesellschaftlich hergestellter Ungleichheit in den Lebensbedingungen menschenrechtlich unberücksichtigt.

Trotz aller Brüche und Widersprüche ist durch die Verrechtlichung der Menschenrechte im Kontext staatlicher und zwischenstaatlicher Organisationen ein
eigener politischer Raum entstanden. In ihm können politische Initiativen und soziale Bewegungen Einfluss gewinnen. Sie können versuchen, die Kluft zwischen menschenrechtlichen Normen und ihrer Geltung zu verringern und in einzelnen Fällen aufzuheben. Weil menschenrechtliche Normen nominell hochgehalten werden, kann um Menschenrechtsinterpretationen und -positionen gekämpft werden. Der Kampf um den Menschenrechten angemessene Lebensverhältnisse bleibt in den nationalen Gesellschaften eine Sisyphosaufgabe. Sie bedarf eines unerschöpflichen Atems.

Über 60 Jahre nach Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte droht ein Übermaß an politischer Menschenrechtsrhetorik unermessliche weltweite Gewalt und unsägliches menschliches Leid, menschengemachte Ungerechtigkeit und Ungleichheit zu übertönen. Die Lebensbedingungen der Millionen und Abermillionen von Menschen bleiben unverändert, ja verschlimmern sich, die von den Rädern kapitalistischer Globalisierung zermalmt oder auf den „Planeten der Slums“ (Mike Davis) ausgeschlossen werden ohne Aussicht auf eine menschliche Zukunft.

Deshalb versuchen weltweit emanzipatorische Initiativen stärker den Begriff der „globalen sozialen Rechte“ ins Zentrum ihrer alltäglichen Kämpfe zu rücken und sich unter diesem in praktischer Absicht zu vernetzen. Sie grenzen ihn dabei nicht scharf von dem der instrumentell und beliebig genutzten Menschenrechte ab und die Implikationen der Rechtsform bleiben nur matt ausgeleuchtet. Mit ihnen kämpfen zugleich entwicklungspolitische und Menschenrechtsorganisationen sowie Anwaltsvereinigungen und Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten weltweit darum, dass die menschenrechtlichen Minimalstandards für die Rechtsschwachen begrifflich gefasst, materiell gedehnt sowie eingehalten werden, dass ihnen Schutz
zuteil wird. Sie sind Teil einer weltweiten bürgerlich kritischen Öffentlichkeit, die die fortwährende Verletzung von Menschenrechten skandalisiert und damit den Rechtfertigungsdruck auf die jeweiligen Staaten und ihre menschenrechtswidrige Praxis erhöht (vgl. Folterverbot). Ihre erarbeiteten Expertisen, Länderberichte, Untersuchungen und praktischen Initiativen fließen ein in das, was etwas großspurig ein „internationales Menschenrechtsregime“ genannt wird. Diese Organisationen und Menschenrechtsinitiativen bilden einen vorsichtig kritischen Part in den internationalen Menschenrechtsforen, gleich, ob sie sich direkt politisch auf diese beziehen oder nicht. Mit ihrer öffentlichen Menschenrechtsarbeit tragen sie zumindest dazu bei, die eingegangenen menschenrechtlichen Staatenverpflichtungen zu thematisieren und punktuell zu kontrollieren. Sie fordern dadurch den zynisch instrumentellen Umgang mit den Menschenrechten heraus, kratzen an den herrschenden Legitimationsressourcen und drängen, manchmal sogar erfolgreich, auf Abänderung staatlichen Handelns. Menschenrechte bleiben auch heute noch ein umkämpftes politisches Terrain; sie bieten Menschen weltweit, unterschiedlich begründet und unterschiedlich in Anspruch genommen, Orientierung in ihren Kämpfen gegen politische Unterdrückung, soziale Ungleichheit und Diskriminierung.


Leitende Fragen und Interessen
Die Problemskizze zeigt lediglich einen Ausschnitt der Unübersichtlichkeit und Widersprüchlichkeit in den Auseinandersetzungen um die „universelle Geltung der Menschenrechte“.
- Was könnte, was müsste getan werden, um den Zustand feinster menschenrechtlicher „Fortschritte“ einerseits und katastrophaler Rückschritte
andererseits zu durchbrechen?
- Wie kann verhindert werden, dass menschenrechtliches Engagement nicht zur „konfliktgeleiteten Legitimation“ herrschender Verhältnisse verkommt?
- Wie könnten Menschenrechte trotz aller Widersprüche als normativ regulative Kriterien unsere politische Urteilskraft wider ihren relativierenden Missbrauch
stärken?
- Gewönnen die Menschenrechte an Schwerkraft, begriffe man sie vor allem als vorstaatliche „Rechte“, in denen sich die konkreten Bedürfnisse aus der
Leidens- und Befreiungsgeschichte der Menschen widerspiegelten und die es konkret zu aktualisieren gelte?


Anlässlich des 30. Gründungsjahres des Komitee für Grundrechte und Demokratie wollen wir uns eingehend mit dem zentralen Bezug unserer Arbeit, Menschenrechte und Demokratie, und mit den unterschiedlichen Kämpfen um Menschenrechte beschäftigen. Wir beabsichtigen damit erstens, in den aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen gemeinsam mit anderen nach menschenrechtlich tragfähigen Orientierungen für unsere politische Arbeit zu suchen.

Es geht uns zweitens darum, gemeinsam mit anderen menschenrechtlich Aktiven auszuloten, inwieweit der Begriff der Menschenrechte für eine politische Praxis taugt. Muss nicht nüchtern von einer Antiquiertheit der Menschenrechte gesprochen werden, gerade um ihre Menschen gemäßen Normen nicht zu herrschenden Propagandaformeln missraten zu lassen?


Tagungsskizze


Freitag | 24. September 2009
Anreise: bis 18.00 Uhr | anschließend Abendessen

19.00 Uhr | Begrüßung: Theo Christiansen | Heiner Busch (Grundrechtekomitee)
19.15 Uhr bis 21.45 Uhr | Eröffnungsvortrag mit anschließender Diskussion: Wolf-Dieter Narr: Die Antiquiertheit der Menschenrechte – oder: Warum die
universelle Geltung der Menschenrechte und kapitalistische Globalisierung nicht zusammengehen. Menschenrechte, die wir meinen


Samstag | 25. September 2010

9.00 Uhr | Begrüßung, Einleitung und Tagesmoderation: Albert Scherr

9.30 Uhr bis 12.30 Uhr | Claudia Lohrenscheit (Deutsches Institut für Menschenrechte): „Ohne uns fehlt Farbe“ – Der Kampf um kodifizierte
Menschenrechtspositionen am Beispiel des staatlichen Diskriminierungsverbotes: Fortschritte, Grenzen und Perspektiven


14.00 Uhr bis 16.30 Uhr | Arbeitsgruppen | Widersprüche, Grenzen und Perspektiven praktischer Menschenrechtsarbeit (Flucht, Gesundheit, Ernährung und soziale Gerechtigkeit): Wie gehen menschenrechtsorientierte Organisationen mit den Widersprüchen um, die sich aus dem „Korsett staatsvermittelter und internationaler Menschenrechtsübereinkommen“ einerseits und der Notlage derer ergeben, denen das Menschenrecht auf Leben, Gesundheit und Flucht vorenthalten bleibt. Exemplarische Darstellung der Arbeit, kritische Reflexionen und Perspektiven.
a) Karl Kopp (Pro Asyl/ECRE) über die politische Menschenrechtsarbeit, die Rechte von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Europa durchzusetzen.
b) Thomas Gebauer (medico international) über die entwicklungspolitische Arbeit und das Recht auf Gesundheit und Integrität in den Projekten.
c) N.N. | Vorbereitung | Stephan Nagel / Corinna Genschel: Inwieweit bildet der Menschenrechtsdiskurs einen angemessenen Rahmen, um die politischen
Auseinandersetzungen um soziale Gerechtigkeit und Teilhabe in der Bundesrepublik Deutschland zu führen?


17.00 Uhr bis 18.15 Uhr | Zusammenfassung der AG-Ergebnisse; Austausch, Diskussion

Samstagabend | ab 19.30 Uhr | Komitee für Grundrechte und Demokratie mit Peter Grohmann (AnStifter und Kabarettist)


Sonntag | 26. September 2010 | Reflexionen
9.30 Uhr | Bernd Drücke (Redaktion Graswurzelrevolution): Die (Re)-Politisierung der Menschenrechte im Kampf sozialer Bewegungen (geschichtliche und aktuelle Beispiele) und was wir daraus lernen können
11.30 Uhr | Abschlussplenum: Zusammenfassung und Diskussion mit den Referent/innen (Dirk Vogelskamp)
Die Tagung endet mit dem Mittagessen.