Jahrestagung: Statt EU von oben – Für ein demokratisch-menschenrechtliches Europa von unten

Tatsächlich folgt die gegenwärtige EU – verkürzt aber durchaus zutreffend gesprochen – der „Logik des Kapitals“.

Einladung zur Tagung des Komitees für Grundrechte und Demokratie in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Arnoldshain 16. – 18. September 2005 in der Evangelischen Akademie Arnoldshain (Martin-Niemöller-Haus)

Tatsächlich folgt die gegenwärtige EU – verkürzt aber durchaus zutreffend gesprochen – der „Logik des Kapitals“. Sie wird nur verständlich, wenn man sie im Kontext der Weltmarktentwicklung als regionalen Knoten- und Kreuzungspunkt kapitalistischer Macht und Konkurrenz wahrnimmt. Dies ändert die neue Verfassung nicht. Im Gegenteil: diese ist vielmehr eine Fortschreibung der derzeitigen Verhältnisse. Sie wurde in einem Verfassungsungetüm gebündelt. (Eine PDF-Datei kann am Ende des Dokuments aufgerufen werden.)

Das wichtigste Merkmal der gegenwärtigen EU ist extensive Marktliberalisierung. Schon das seit Mitte der 80er Jahre betriebene Binnenmarktprojekt, das heute den Kern der „Verfassung“ darstellt, war ein gigantisches Privatisierungs- und Deregulierungsprogramm. Gleichzeitig werden Subventionen und Schutzvorkehrungen (Protektionismen) vor allem für landwirtschaftliche Produkte der EU beibehalten – mit imperialen Folgen im doppelten Sinne: Sie befördern in nur teilweise sublimen Neokolonialismus insbesondere die früheren französischen Kolonialgebiete in Afrika. Sie wirken negativ auf jene Länder, die vor allem von ihren potenziellen Agrarexporten leben. Rücksichtslose Handels- und Investitionsfreiheiten dort, wo Unionseuropa um Längen stärker ist als andere – Protektionismen dort, wo innerer Konflikte halber Gruppen und Branchen auf Kosten anderer Länder befriedet werden. Entgrenzung und Aufbau neuer Grenzen, das ist die Dialektik der „open market policy“ auch in der EU-Version.

Entgrenzung und Aufbau neuer Grenzen ist auch die Logik der Polizei- und der verpolizeilichten Asyl- und Migrationspolitik der EU. Zum einen baut die EU Grenzen gegen und Lager vor den Grenzen für die Flüchtlinge und die Armen, die bleiben sollen, wo sie verhungern. Zum andern ist die Aufhebung der Grenzen im Innern der Union nur teilweise erfolgt. Sie ist durch eine Verlagerung der Kontrollen ins Innere ergänzt worden. Freie Fahrt heißt die Parole dagegen für die Polizeien der EU, die institutionell und in ihren Methoden mehr und mehr zusammenrücken.

Eine Liberalisierung mit starken Zähnen betreibt die EU auch im militärischen Bereich. Die einzelstaatlichen Einrichtungen des nach außen gekehrten Gewaltmonopols sollen in einer gemeinsamen „Verteidigungspolitik“ aufgehen. Die EU macht sich fit für weltweites „Krisenmanagement“ und „humanitäre“ Interventionen – teils mit, teils ohne Nato. Dass sie dabei ihre Interessen vertritt, versteht sich von selbst. In diesen Kontext passen die von Ideologie triefenden Lehren eines neuen Kriegstypus ebenso trefflich wie die konkreten Aktivitäten im „Krieg gegen den Terror“, dem sich die EU spätestens seit dem 11. September verschrieben hat.

Die dominante Eigenschaft der EU ist die eines expansiven kapitalistischen Macht- und Herrschaftsblocks. Mit neuen Grenzen, mit einem zusammenwachsenden inneren und äußeren Gewaltmonopol entwickelt sie sich zu einem neuartigen Staatsgebilde, dem der Verfassungsvertrag die notwendige Legitimation verleihen soll. In diesem beschwören die Regierenden zwar vollmundig die liberal-demokratischen Traditionen Europas. Die vorgesehenen Prozeduren können jedoch selbst bei äußerster Anstrengung nicht als demokratisch bezeichnet werden. Statt Teilhabe der Bevölkerung und Gewaltenteilung sorgt die Verfassung allenfalls für eine Konkurrenz zwischen den europäischen und einzelstaatlichen Exekutiven.

Während die Grundrechte-Charta, der zweite schon 1999 beschlossene Teil der Verfassung, zu kaum etwas verpflichtet, glänzen die vier „Grundwerte“ des Binnenmarktes als wahre Edelsteine – hart und trefflich geschliffen, ein Schmuck für alle Habenden und Herrschenden: die Freiheiten des Kapitals, der Ware, der Dienstleistung und der Arbeit. Während die Regierungen der meisten Mitgliedstaaten noch um die Zustimmung ihrer Bevölkerungen werben, sind die „Organe“ der EU bereits dabei, das sehr konkrete Handlungsprogramm des dritten Teils der „Verfassung“ abzuarbeiten.

Mit oder ohne Verfassung – all jene, denen es um Demokratie und Menschenrechte geht, müssen sich nun dringend überlegen, wie sie für ein anderes Europa weiterkämpfen wollen. Dass bornierte Vorstellungen vom Nationalstaat nicht das Gegenbild zum kapitalistischen Machtblock EU sind, versteht sich von selbst: Erstens, weil die Geschichte der europäischen Nationalstaaten eine Geschichte von Kriegen und Unterdrückung war; nicht umsonst richteten sich nach dem Zweiten Weltkrieg pazifistische und demokratische Hoffnungen auf ein vereintes und friedliches Europa ohne Grenzen. Zweitens, weil die Bremsen, die die Einzelstaaten einer kapitalistisch-herrschaftlichen Europäisierung entgegenstellen könnten, weitestgehend abgeschliffen sind. Das, was sich in der Tradition substantieller Aufklärung mit dem Namen Europa verbinden lässt, gilt es in institutioneller Vorstellungskraft zu entwickeln und als ein Europa vorzustellen, das wir politisch-menschenrechtlich meinen. Darum muss es auch in seinen Prozeduren und Organisationsformen von unten nach oben durchdacht werden.

Die Jahrestagung des Komitees soll deshalb nicht nur den Verfassungsvertrag kritisch beleuchten und Bilanz der EU-Verfassungswirklichkeit ziehen. Die Tagung soll auch Vorstellungen entwickeln, wie die alten und neuen Ideale eines demokratisch-menschenrechtlichen Europas praktisch werden können. Wir laden alle herzlich ein, an unserer Arnoldshainer Tagung teilzunehmen und mitzuwirken.

Pfarrer Dr. Hermann Düringer, Direktor der Evangelischen Akademie Arnoldshain

Heiner Busch, Wolf-Dieter Narr vom Komitee für Grundrechte und Demokratie

Tagungsverlauf:

Freitag, 16. September 2005 17.00 Uhr

Das europäische Versprechen, seine Chancen und Gefahren: Wolf-Dieter Narr 18.30 Uhr

Abendessen 20.00 Uhr

Diskussion, eingeführt von zwei kurzen Statements

 

Samstag, 17. September 2005

8.30 Uhr Frühstück

9.30 Uhr – Verfassung und Verfassungswirklichkeit der EU – Wie die EU zum Super-Staat geworden ist: Frieder Otto Wolf

11.15 Uhr Was kann außerparlamentarische Opposition in diesem EU-Super-Staat heißen?: Heiner Busch

12.30 Uhr Mittagessen

14.30 Uhr Arbeitsgruppen in drei Schwerpunktbereichen:

AG I: „Der EU-Militarisierung widerstehen!“

In dieser Arbeitsgruppe wollen wir zunächst unsere Einschätzungen zur Entwicklung der Militarisierung der EU austauschen, um dann vor allem über politische Alternativen und Möglichkeiten des Widerstandes zu beraten. Wie und mit welchen Aktionen können Alternativen in eine breitere Öffentlichkeit getragen werden? Bestehen Chancen einer Vernetzung von Initiativen in verschiedenen EU-Ländern, die sich der Friedensbewegung zurechnen und gegen die EU-Militarisierung angehen. Friedensgruppen aus anderen EU-Ländern sind herzlich eingeladen, gemeinsam über Perspektiven nachzudenken.

Vortrag: Alternativen zur EU-Militarisierung - Möglichkeiten des politischen Widerstands Claudia Haydt (Informationsstelle Militarisierung Tübingen)

Moderation der AG: Andreas Buro / Martin Singe

AG II: Was tun gegen die VerLagerung Europas

Die EU-Staaten haben sich auf gemeinsame „Mindeststandards“ für das Asylverfahren geeinigt, deren Kern eine besonders scharfe Drittstaatenregelung ist. Gleichzeitig verspricht der Verfassungsvertrag den Aufbau eines „integriertes Grenzschutzsystems“. Man verhandelt mit Pufferstaaten im Osten (Ukraine) und im Süden (Libyen) über eine Ver-Lager-ung des Asylverfahrens vor die Außengrenzen des europäischen Wohlstandsraums.

„Minimale Standards – maximale Abschottung“ – was tun? Vortrag: Helmut Dietrich und Marei Pelzer

Vorbereitung und Moderation: Heiner Busch, Dirk Vogelskamp

AG III: Marktfreiheit und Marktmacht Europas – wie wird die EU kapitalistisch definiert?

Am Beispiel der Bolkesteinrichtlinien - Die EU und ihre Vorformen à la EWG und EG sind immer schon primär ökonomisch definiert. Waren es jedoch in den ersten Jahrzehnten vor allem die Sektoren und Branchen, die im kapitalistischen Wettbewerb noch nicht und nicht mehr mithalten konnten – wie der primäre Sektor und Kohle/Stahl -, so bezeichnet spätestens Maastricht eine Wende ins kapitalistische Vorwärts: die EU als Heimbasis, Startrampe in Sachen Weltmarkt und als eigener globaler Machtspieler im Wettbewerb mit anderen politisch gestützten Global Players. Diese Wende, die die bleibende Bedeutung als Subventionsunion nach innern und neokolonial nach außen nicht unterschätzen lassen darf, führt dazu, dass die EU zum mächtigen Hebel ökonomisch globalisierender Gleichschaltung der EU-Gesellschaften samt ihren massiven Folgen in Sachen struktureller Ungleichheit geworden ist. Siehe Bolkenstein nicht als nomen, aber als omen. Das, was diese Gleichschaltung nach innen und nach außen bedeutet, gilt es, möglichst exemplarisch herauszuarbeiten. Zugleich ist zu überlegen, ob und wie politisch dagegen gearbeitet werden kann.

Vortrag: Annette Groth (Attac EU-AG Stuttgart und Region)

Vorbereitung und Moderation: Wolf-Dieter Narr, Peter Grottian (angefragt), Roland Roth

18.30 Uhr Abendessen

19.30 Uhr Europa-Theater von Peter Grohmann

 

Sonntag, 18. September 2005

8.30 Uhr Frühstück

9.30 Uhr Für ein Europa von unten: Roland Roth

11.15 Uhr Diskussion

12.30 Uhr Ende der Tagung mit dem Mittagessen

Tagungskosten: Unterkunft im Einzelzimmer und Verpflegung 120,- Euro Unterkunft im Doppelzimmer und Verpflegung 104,- Euro Kursgebühr 30,- Euro Schülerinnen/Schüler, Studentinnen/Studenten und Arbeitslose (nach Vorlage eines Ausweises) Unterkunft im Einzelzimmer und Verpflegung 68,- Euro Unterkunft im Doppelzimmer und Verpflegung 52,- Euro Kursgebühr 15,- Euro

Anreise: Am Nachmittag des 16. September 2005 ab Frankfurt/M. Hbf. (RMV Fahrkartenautomatziel: 52 Schmitten) mit der S-Bahn (S5) in Richtung Friedrichsdorf um 15.24 Uhr (Haltestelle Bad Homburg an 15.45 Uhr). Anschluss nach Arnoldshain mit dem Bus Linie 505 um 16.01 Uhr in Richtung Grävenwiesbach (bis Haltestelle Arnoldshain Forsthaus, Ankunft 16.44 Uhr).

Abreise: Am Mittag des 18. September 2005 mit dem Bus Linie 505 um 13.43 Uhr in Richtung Bad Homburg. Ankunft in Bad Homburg um 14.23 Uhr. Weiterfahrt mit der S-Bahn (S5) um 14.45 Uhr nach Frankfurt/M. (Ankunft 15.07 Uhr).

Organisatorische Hinweise: Anmeldungen und Rückfragen: Komitee für Grundrechte und Demokratie, Aquinostr. 7-11. 50670 Köln Telefon: 0221 - 9726930, Fax: -31; email: info@grundrechtekomitee.de  Hiermit melde ich mich zur Tagung „Statt EU von oben – für ein demokratisch–menschenrechtliches Europa von unten“ an. Ich wünsche Unterbringung im  Einzelzimmer  Doppelzimmer  Den Teilnahmebeitrag von 134,-/150,- Euro überweise ich bis zum 1. September auf das Konto des Komitees bei der Volksbank Odenwald, BLZ 508 635 13, Konto: 8 024 618 (Stichwort Tagung 2005)  Ich bin damit einverstanden, dass meine Adresse auf einer Liste an andere TagungsteilnehmerInnen (z.B. für Fahrgemeinschaften) weitergereicht wird.

Tagungsort: Evangelische Akademie Arnoldshain Martin-Niemöller-Haus Im Eichwaldsfeld 3 61389 Schmitten