Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder nehmen ihre Aufgabe des Schutzes der Interessen von Patienten und Patientinnen in der Entwicklung der elektronischen Gesundheitskarte nicht angemessen wahr.
In einem Schreiben an die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 11. Juli 2011 hatte die Arbeitsgruppe Gesundheit des Komitee für Grundrechte und Demokratie um eine Stellungnahme zu den aktuellen Entwicklungen gebeten.
Wir veröffentlichen hier:
- unseren Brief
- die Antwort des Bundesdatenschutzbeauftragten
- unsere Antwort darauf
- die Antwort vom Bundesdatenschutzbeauftragten
- unsere Erwiederung
Da bekannt ist, dass die Datenschutzbeauftragten dem Projekt grundsätzlich positiv gegenüberstehen, bezogen sich die Fragen auf die neuerlichen Rechtsänderungen:
- das Versichertenstammdatenmanagement, verbunden mit der finanziellen Begünstigung der Ärzte, die zugleich ihre Praxissoftware, d.h. Ihre Patientendokumentation, online schalten, gegenüber denen, die sich dem verweigern;
- die Androhung, den gesetzlichen Krankenkassen, die bis Ende 2011 nicht 10 % ihrer Versicherten mit der Karte ausgestattet haben, 2 % ihrer Verwaltungskosten zu kürzen;
- die Aufweichung der präzisen Anforderung erfolgreich durchlaufener Tests vor dem Echtbetrieb.
Auf diese Fragen hat der Bundesbeauftragte nichtssagende Antworten gegeben. Dies, verbunden mit seiner Aussage, die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern seien in den Planungsprozess eingebunden, veranlasst das Grundrechtekomitee, in Zweifel zu ziehen, dass sie überhaupt noch willens und in der Lage sind, diesen Planungsprozess mit der nötigen kritischen Distanz zu begleiten. Das zitierte Schreiben jedenfalls bestätigt unsere Befürchtungen, die wir in unserem Antwortschreiben vom 12.8.2011 noch einmal erläutern.
(Alle Schreiben fügen wir im Anhang bei.)
Wolfgang Linder, Mitglied der Arbeitsgruppe „Gesundheit“ des Grundrechtekomitees und bis 2004 stellvertretender Bremischer Datenschutzbeauftragter, resümiert: „Ein milliardenschweres, technisch aufwendiges Projekt mit Gefahren für die Schweigepflicht der Ärzte und die Autonomie ihrer Patienten sowie mit unübersehbaren Auswirkungen auf das gesamte Gesundheitswesen wird weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit durch die geschlossenen Zirkel der politisch Verantwortlichen und der Interessenten durchgezogen.“
Unsere Kritik an der Entwicklung der Elektronischen Gesundheitskarte fassen wir im Folgenden unter zwei Stichpunkten zusammen:
1. Elektronische Gesundheitskarte – Einstieg in die Speicherung der Patientendaten in einer zentralen Telematikinfrastruktur
2. Das Bundesministerium für Gesundheit verharmlost und beschönigt.
Zu 1.
Auf der neuen Karte selbst sollen wie bisher auf der Krankenversichertenkarte administrative Daten, dazu ein Foto des Inhabers und der Notfalldatensatz gespeichert werden. Letzterer droht aber – dank typisch deutschem Perfektionismus – umfangreicher zu werden, als der Name besagt.
Darüber hinaus sollen die verordneten Arzneien, die ärztlichen Diagnosen, die Krankenakten und die Arztbriefe zentral auf Internet-Servern gespeichert werden. Dies vor allem hat Ärzte- und Patientenverbände, Bürgerrechtler und Verbraucherschützer auf den Plan gerufen. Sie befürchten, dass hier ein Einfallstor für die Überwachung des Lebensstils der gesetzlich Krankenversicherten, für kommerzielle Verwertungen von Gesundheitsdaten und für eine noch engere Überwachung der Ärzte bei der Wahrnehmung ihrer Fachlichkeit entsteht.
Weitere Kritikpunkte:
- Tests (10.000er Tests in 7 Testregionen) haben gezeigt: Die Patientenannahme dauert 5-7mal so lange wie bisher; die Übernahme der Notfalldaten dauert 20 Minuten; Patienten und Ärzte gaben falsche PIN`s ein oder hatten sie vergessen, 30-75 % der Karten blieben dauerhaft gesperrt. Dies werde – so die Kritiker – dazu führen, dass die Verwaltung der Patienten-PIN`s den Ärzten übertragen wird oder der PIN-Schutz gänzlich aufgehoben wird.
- Die private Krankenversicherung ist völlig ausgestiegen.
- Die Kosten sind schon jetzt aus dem Ruder gelaufen. Bislang sind fast 1 Mrd Euro ausgegeben worden, die Gesamtkosten könnten auf 14,1 Mrd Euro steigen.
- Immer neue Funktionen kommen hinzu oder werden gefordert: Versichertenstammdatenmanagement, Speicherung der Bereitschaft, Organe zu spenden oder Patientenverfügungen. Überdies ist schon von (kommerziellen) „Mehrwertdiensten“ die Rede.
Zu 2.
Das Bundesministerium redet die Gefahren, Pannen und Kosten schön:
- Die Gesundheitsdaten sollten nicht auf zentralen, sondern auf verteilten Servern gespeichert werden. Aber: Sind diese Server wie geplant miteinander vernetzt, macht das keinen Unterschied.
- Die Funktionen zur Verarbeitung von Gesundheitsdaten seien freiwillig. Die Versicherten müssen dem nicht zustimmen. Aber: Ein Kranker hat andere Probleme, als sich darüber Gedanken zu machen. In der Regel wird er der Empfehlung seines Arztes folgen. Die gesamte teure Infrastruktur wird sich ohnehin nur auszahlen, wenn Alle mitmachen. Notfalls wird man die Versichertenrechte beschneiden.
- Die Tests seien erfolgreich verlaufen - das ist nicht der Fall. Überdies hat man bislang fast nur offline, nicht online getestet. Man werde die Tests planmäßig fortführen. Im Gegenteil: Im Januar 2011 wurde die Testverordnung geändert: Wirk- und Testbetrieb sollen parallel laufen, genaue Teststufen sind nicht länger festgelegt.
- Die privaten Krankenkassen würden sich mit Sicherheit beteiligen – bislang gibt es dafür keinerlei Anzeichen. Im Gegenteil: Als selbst immer mehr gesetzliche Krankenkassen am Sinn des Unternehmens Zweifel anmeldeten, wurden sie unter Androhung von finanziellen Sanktionen (Kürzung der Verwaltungsaufwendungen ab 2012 um 2%) gezwungen, bis zum 31.12.2011 mindestens 10 % ihrer Versicherten mit der Karte auszustatten.
- Man hält noch immer an der überholten Kostenschätzung von 4,1 Mrd Euro fest, obgleich Experten dem wiederholt widersprochen haben.
gez. Dr. Elke Steven
(AG Gesundheit des Komitee für Grundrechte und Demokratie)