18. Jan. 2016 © @dpa
(Anti-)Rassismus / Polizei

Kein frohes neues Jahr: Köln und die neue Maaslosigkeit

Der 1. Januar 2016 steht für zweierlei: Erstens traten etliche Verschärfungen des Ausländerrechts in Kraft, die die große Koalition 2015 beschlossen hat. Es geht – so z.B. der Entwurf des Gesetzes „zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“ – darum, „verstärkt den Aufenthalt von Personen, denen unter keinem Gesichtspunkt ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland zusteht, wieder zu beenden und deren vollziehbare Ausreisepflicht, ggf. auch zwangsweise, durchzusetzen“. Und mit dem „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“  sollen Rückführungen vollziehbar Ausreisepflichtiger „vereinfacht und Fehlanreize, die zu einem weiteren Anstieg ungerechtfertigter Asylanträge führen können, beseitigt werden“. Seit Jahresanfang sind Abschiebungen einfacher und schneller.

Zweitens wurden seit jenem Neujahrstag Vorfälle rund um den Kölner Dom und Hauptbahnhof bekannt, die in einschlägigen Medien schnell als „Sex-Mob“ die Runde machten: Vor allem Frauen erstatteten mehr und mehr Strafanzeigen (inzwischen sollen es knapp 700 sein), weil sie in jener Kölner Silvesternacht beklaut und/oder sexuell belästigt worden seien. In einigen Fällen war von Raub und sogar von Vergewaltigung die Rede. Bei den – zumeist unbekannt gebliebenen – Verdächtigten soll es sich nahezu ausschließlich um junge Männer mit sog. Migrationshintergrund handeln, als Herkunftsländer wurden vor allem Algerien und Marokko genannt, aber auch Syrien. Der „Mob“ wurde auf bis zu 2.000 beziffert, unterwegs in Gruppen von bis zu 150 Männern, die – so die medialen Darstellungen – Jagd auf Frauen machten: ein „Sex-Mob“ eben.

Es dauerte nicht lange, bis alle möglichen Akteure übereinander herfielen (die Presse über die Flüchtlinge, die Polizei über die Politiker und umgekehrt …), unheilige Allianzen für Frauenrechte auftraten (Hooligans, Rocker …) und die Realpolitik sich in Stellung brachte: Über alle (!) Parteigrenzen hinweg wurde die Härte des Rechtsstaats beschworen, die die „Täter“ (für die die Unschuldsvermutung de facto noch in der Neujahrsnacht abgeschafft wurde) treffen müsse. In unsäglicher Pauschalisierung brachen sich offen Rassismus und Islamfeindlichkeit Bahn.

Wenn sich Polizei und Innenpolitik mit übereilten Kriminalanalysen und übertriebenen sicherheitspolitischen Forderungen in Stellung bringen, ist es gut, einen besonnenen Justizminister zu haben, wozu Heiko Maas (SPD) – wie sich in den letzten Jahren zeigte – durchaus in der Lage ist. Ob darauf Verlass ist, muss sich freilich gerade dann zeigen, wenn es darauf ankommt. In den Tagen nach der Kölner Silvesternacht wäre es darauf angekommen – stattdessen: rechts- und kriminalpolitische Maaslosigkeit. Er spricht von „organisierter Kriminalität“ und „enthemmten Horden“, von „abscheulichen Verbrechen“ und „Gewaltexzessen“, und er stellt die – ohnehin bereits beschlossene – erneute Verschärfung des Sexualstrafrechts nun in den Kontext der Domplatte. Die meisten der angezeigten Sexual-Straftaten seien wohl keine gewesen – würden dies aber zukünftig sein (womit er implizit das Rückwirkungsverbot bedauert). Es gebe Fälle von Vergewaltigung, die die Rechtsprechung derzeit noch nicht als solche verurteilten könne, und Maas ist sich im Bundestag sicher: „Der Kölner Fall ist ein solcher Fall“.

Maas fordert zudem, Abschiebungen krimineller Ausländer müssten erleichtert werden, womit er jedoch nicht die Erleichterungen meint, die zeitgleich in Kraft traten (s.o.), sondern – Arm in Arm mit dem CDU-geführten Bundesinnenministerium – die nächste Runde der Verschärfung des Ausländerrechts:

Zukünftig soll es bereits nach Verurteilungen zu einer Freiheitsstrafe ab einem Jahr (unabhängig davon, ob diese zur Bewährung ausgesetzt wurden) zu Regel-Ausweisungen und Abschiebungen kommen. Maas geht noch einen Schritt weiter: „Eine Ausweisung kann in Zukunft bei jeder rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe erfolgen – unabhängig von der Höhe“. Im Verbund mit den Parolen von der „Verwirkung des Gastrechts“ kann das nur die mehr oder weniger offene Aufforderung an Kölner Gerichte sein, für die angezeigten Vorfälle (sofern sie denn überhaupt strafbar waren, aber Juristen sind ja findig, wenn der Staat in Gefahr gerät) Freiheitsstrafen zu verhängen.

Der Deutsche Anwaltsverein (DAV) hat bereits protestiert gegen den „Schnellschuss“ und „politischen Aktionismus“:

Das greift zu kurz. Deutlichere Worte findet – einmal mehr – Fischer, Vorsitzender des 2. Strafsenats am Bundesgerichtshof:

Er geißelt das „Gerede über Konsequenzen, die es nur gäbe, wenn man unseren Rechtsstaat in einen Unrechtsstaat verwandeln wollte“. Zu beklagen ist eine Pegidisierung der Rechtspolitik.

Derweil wird – politisch zunächst nur verbal (der Wahlkampf hat längst begonnen) – massiv aufgerüstet: Schäuble stellt den Einsatz der Bundeswehr im Innern zur Debatte; Bouillon (CDU-Innenminister des Saarlands und derzeit Vorsitzender der Innenministerkonferenz) sieht die „Existenz der Demokratie“ in Gefahr und fordert – in einem Ton, der AfD-Kundgebungen in nichts nachsteht – die personelle, technische und … Aufrüstung der Polizei (Notstand); der niedersächsische Ministerpräsident Weil (SPD) fordert eine Wende in der Asylpolitik à la CSU, sonst müsse man „Dinge tun, die keiner will“; Schnapka, grüner Sozialdezernent in Bornheim, erteilt allen männlichen Flüchtlingen ein Schwimmbadverbot; in Düsseldorf wird eine rassistische Großrazzia inszeniert gegen „kriminelle Nordafrikaner“ im „Maghreb-Viertel“. Andere rüsten nicht nur verbal auf: Bürgerwehren von denen, für die Bürgerrechte nur die eigenen sind, Waffenkäufe als Vorstufe zur Lnychjustiz, rechtsfreie Räume (die alles andere als frei von rechts sind) … die Geister, die sie riefen, werden sie nicht mehr los.

„Niemand darf sich bei uns über Recht und Gesetz stellen“, ließ Maas am 12.1.2016 verlauten: daran wird er sich messen lassen müssen!

Helmut Pollähne