Kein Mangel an Sicherheitsgesetzen

von Heiner Busch

Otto-Kataloge und mehr: Sicherheitspakete vor und seit 9/11

Am 28. November 2008 hat der Bundesrat das BKA-Gesetz gestoppt – vorerst. Erstmals schienen Risse in der anti-terroristischen Fast-Allparteien-Koalition sichtbar zu werden, die seit Herbst 2001 eins ums andere Gesetz durchgepaukt hat. Sie wurden umgehend wieder gekittet.

An Sicherheitsgesetzen hatte die Bundesrepublik im Spätsommer 2001 wahrlich keinen Mangel. Die Anti-Terror-Gesetze der 70er Jahre waren nach wie vor in Kraft. In den 80er und 90er Jahren hatten die Länder ihr Polizeirecht und der Bund das Strafprozessrecht um Befugnisse zu diversen geheimen Ermittlungsmethoden ergänzt. Ende 1990, kurz nach der Vereinigung, hatten die Geheimdienste neue rechtliche Heiligenscheine erhalten.

Dennoch verkündete der damalige Bundesinnenminister Otto Schily am 11. September 2001, nur wenige Stunden, nachdem die beiden Flugezuge die Türme des World Trade Centers zum Einsturz gebracht hatte, dass die bestehenden gesetzlichen Vorkehrungen gegen den Terrorismus nicht ausreichten. Ein paar Wochen genügten seinem Ministerium, um den so genannten Otto-Katalog zusammenzustellen, den der grüne Koalitionspartner ein wenig retouchierte und den das Parlament noch vor Weihnachten als «Terrorismusbekämpfungsgesetz» verabschiedete. Die gesetzgeberische Maschine hat seitdem nicht mehr still gestanden. Hier ein Überblick: Ausländer- und Asylrecht: Ohne jeden Zweifel sind Menschen ohne EU-Pass diejenige Bevölkerungsgruppe, die die als Schutz gegen den Terrorismus verkauften Verschärfungen am deutlichsten zu spüren bekam.

Das Terrorismusbekämpfungsgesetz und danach das Zuwanderungsgesetz erweiterten die Ausweisungs- und Versagungsgründe (= Gründe für die Verweigerung des Aufenthalts oder seiner Verlängerung) und höhlten den Rechtsschutz gegen Abschiebungen weiter aus. Für Personen, die wegen drohender Verfolgung nicht abgeschoben werden dürfen, sieht das Gesetz nun Überwachung und Aufenthaltsbeschränkungen vor. Polizei, Staatsanwaltschaften und Geheimdienste erhielten vollen Zugriff auf sämtliche Inhalte des Ausländerzentralregisters. An die Dienste gehen auch die Daten von Visumsantragstellern und deren Einladern, die Asylbehörden sind gegenüber den Geheimdiensten zur unaufgeforderten Mitteilung verpflichtet. EinbürgerungskandidatInnen werden einer Regelüberprüfung durch den Verfassungsschutz unterzogen. Strafrecht: Der § 129a des Strafgesetzbuchs – terroristische Vereinigung – war und ist ein Ausforschungsparagraf, der die Anwendung des gesamten Repertoires der strafprozessualen Zwangsmaßnahmen, insbesondere jener zur geheimen Ermittlung, erlaubt. Im August 2002 segnete der Bundestag einen ergänzenden § 129b ab, der auch die Verfolgung von „terroristischen" Personenvereinigungen erlaubte, die ihren Sitz im Ausland haben.

Ende 2003 folgte die Anpassung des Anti-Terror-Strafrechts an einen im Juni 2002 von den Innen- und Justizministern der EU verabschiedeten Rahmenbeschluss (siehe unten). Luftsicherheitsgesetz: Das Gesetz vom 14. Januar 2005 erlaubte es der Bundeswehr unter anderem, von Terroristen gekaperte Zivilflugzeuge abzuschießen. Im Februar 2006 erklärte das Bundesverfassungsgericht diese Befugnis für verfassungswidrig. Geblieben ist jedoch das von Militär und Bundespolizei gemeinsam betriebene „Nationale Lage- und Führungszentrum Sicherheit im Luftraum" in Kalkar, das den Himmel über der Republik überwachen soll. Mehr Befugnisse für die Geheimdienste: Das Terrorismusbekämpfungsgesetz erweiterte nicht nur die Vollmachten der Dienste gegenüber Immigranten und Asylsuchenden. Der Verfassungsschutz durfte nun den so genannten IMSI-Catcher einsetzen – ein Gerät, mit dem sich die Kennungen der im Umkreis befindlichen Mobiltelefone heimlich identifizieren lassen.

Ferner wurden die Geheimdienste zu Anfragen ermächtigt, die bis dahin der Polizei im Rahmen von Ermittlungsverfahren vorbehalten waren: Abfragen können sie seitdem Fluggastdaten bei Luftfahrtunternehmen, Kontendaten bei Banken, Versicherungen und sonstigen Finanzdienstleistern, Bestands- und Verkehrsdaten bei Anbietern von Post- und Telediensten und schließlich Verbindungsdaten bei Telekom-Unternehmen, was auch die Standortdaten bei mobiler Kommunikation beinhaltet. Die neuen Befugnisse waren zunächst auf fünf Jahre befristet, ihre Anwendung wurde 2005 „evaluiert". Das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz – verabschiedet im Dezember 2006 – sorgte nicht nur dafür, dass diese Ermächtigungen weiter galten, sondern senkte die Eingriffsvoraussetzungen ab, schränkte die vorherige Bewilligung durch die G10-Kommission ein und sorgte dafür, dass alle drei Geheimdienstsparten nun exakt die gleichen Rechte haben.

Zusätzlich dürfen sie nun auch Fahrzeug- und Halterdaten aus dem Zentralen Verkehrsinformationssystem in Flensburg abrufen und eigenständig Personen und Fahrzeuge zur „Beobachtung" im Schengener Informationssystem ausschreiben. Zusammenarbeit von Diensten und Polizei: Ebenfalls im Dezember 2006 beschloss das Parlament die Einrichtung der „Anti-Terror-Datei", an der einerseits das BKA, die Landeskriminalämter, die Bundespolizei und das Zollkriminalamt, andererseits das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz, der MAD und der BND beteiligt sind. Sie sollen alle Daten, die sich im weitesten Sinne auf den Terrorismus und dessen vermutetes Vor- und Umfeld beziehen, nicht nur in ihren jeweils eigenen Informationssystemen speichern, sondern auch in der neuen gemeinsamen Datenbank.

Damit hat das Parlament zwar nicht das Gemeinsame Terrorismus-Abwehr-Zentrum (GTAZ) selbst legalisiert, in dem Polizei und Dienste in diversen Arbeitsgruppen fest zusammenarbeiten, dafür aber dessen informationstechnische Instrumente. BKA im Vorfeld: Neben seiner Funktion als Zentralstelle für den polizeilichen Datenverbund (INPOL) und für die internationale Zusammenarbeit ist das BKA rechtlich bisher für die Strafverfolgung in bestimmten Bereichen zuständig. Praktisch agiert es jedoch schon jetzt im „Vorfeld". Zu seinen Aufgaben gehört es nämlich seit Jahrzehnten, auf Anordnung der Bundesanwaltschaft in Fällen des § 129a (und b) zu ermitteln – ein Paragraf, der nicht nur die Begehung konkreter strafbarer Handlungen (z.B. Brandstiftungen) kriminalisiert, sondern die Mitgliedschaft in und die Unterstützung von „terroristischen" Vereinigungen, auch wenn diese noch keine Straftaten begangen haben. Dabei standen dem BKA sämtliche in der Strafprozessordnung enthaltenen geheimen Ermittlungsmethoden zur Verfügung.

Schon mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz hatte Innenminister Schily versucht, den Handlungsrahmen des Amtes vom Vorliegen eines Anfangsverdachts loszulösen. Im Mai 2004 lancierte er über die Medien die Forderung, dem BKA Weisungsbefugnisse gegenüber den Landeskriminalämtern zu geben – wogegen sich die Länder heftig wehrten. Mit der Föderalismusreform von 2006 erhielt der Bund die Gesetzgebungskompetenz „für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt". Das nunmehr unter Schäubles Ägide erarbeitete neue BKA-Gesetz soll nicht nur diese präventive Aufgabe festschreiben, sondern dem Amt dafür auch präventive Befugnisse geben, wozu auch die Online-Durchsuchung gehört. Spätestens bis Januar dürften die Parteien der Inneren Sicherheit einen Formelkompromiss gefunden haben, um auch dieses Gesetz über die parlamentarische Bühne zu bringen.

EU: Gesetze durch die Hintertür

Es wäre verwunderlich gewesen, wenn die EU als ganzes nach dem 11. September 2001 nicht genauso schnell zum Gesetzgebungshammer gegriffen hätte wie die Mitgliedstaaten. Neun Tage nach den Anschlägen traf sich der Ministerrat zu einer Sondersitzung. Zu diesem Zeitpunkt lagen bereits zwei Rahmenbeschluss-Entwürfe der Kommission vor: zum EU-Haftbefehl und zu einer gemeinsamen Terrorismusdefinition. Drei Wochen später folgte die erste Version des „Anti-Terror-Fahrplans" – einer langen Liste von Projekten, die Stück für Stück abgearbeitet und nach den Anschlägen in Madrid vom 11. März 2004 durch jährliche „Aktionspläne" ersetzt wurde. Der Aushandlungsprozess in der EU mag zwar mit inzwischen 27 Mitgliedstaaten langsamer geworden sein.

Die Rechtsetzung in der EU hat jedoch für die Exekutive den großen Vorteil, dass sich öffentliche Diskussionen, die faktisch nur im nationalen Kontext möglich sind, umgehen lassen. Beschlüsse und Verordnungen sind in der ganzen EU unmittelbar geltend, Richtlinien und Rahmenbeschlüsse müssen zwingend von den Mitgliedstaaten in nationales Recht überführt werden. Typisch hierfür war der Rahmenbeschluss vom Juli 2002 zum EU-Haftbefehl, der nichts mit Terrorismus zu tun hatte, sondern eine Umsetzung der beim EU-Gipfel in Tampere im Oktober 1999 geforderten gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen ist. Das Auslieferungsverfahren mit seinen wenigen verbleibenden Schutzmechanismen wurde durch ein blosses Übergabeverfahren ersetzt. Das Bundesverfassungsgericht konnte nur das bundesdeutsche Ausführungsgesetz aufheben, nicht jedoch den Rahmenbeschluss selbst. Ähnliches gilt für die Einführung der Biometrie als neuer Kontrolltechnologie: Während der Bundestag im Terrorismusbekämpfungsgesetz noch festgelegt hatte, dass die Einführung von Pässen und Ausweisen mit dem Biometrie-Chip in einem zusätzlichen Gesetz zu regeln wäre, einigten sich EU und USA schnell über Fingerabdrücke und Fotos als die ausschlaggebenden Merkmale. Im Dezember 2004 beschloss der Rat seine Pass-Verordnung, ein deutsches Gesetz brauchte es nicht mehr. Fotos und Fingerabdrücke werden auch im Schengener Informationssystem der zweiten Generation und im Visa-Informationssystem gespeichert, die nach einigen technischen Verzögerungen 2009 ans Netz gehen werden. Der Fingerabdruck wird damit nicht nur bei der Visa-Vergabe, sondern auch an der Grenze zum ausschlaggebenden Kontrollinstrument. Ende 2005 segneten die konservativen und sozialdemokratischen Staatsparteien im Europäischen Parlament die Wünsche der Minister ab und verabschiedeten die Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten der Telekommunikation, die der Bundestag zwei Jahre später umsetzte. Alle Daten sind Polizeidaten, lautet die Parole auch bei den von Luftfahrtunternehmen zu liefernden Fluggastdaten.

Die EU-Kommission schloss nicht nur einen Vertrag über deren frühzeitige Meldung an die und jahrelange Speicherung bei den US-Behörden, sondern präsentierte im November 2007 auch den Entwurf eines EU-eigenen Kontrollschemas für diese Daten, über das der Rat derzeit verhandelt. Wie in den Mitgliedstaaten bildete der Terrorismus auch auf EU-Ebene die Generallegitimation für den allgemeinen Auf- und Ausbau der repressiven Institutionen: von Europol (dem Europäischen Polizeiamt), von Eurojust (der Vorform einer EU-Staatsanwaltschaft), von Frontex (der EU-Grenzschutz-Agentur) und SitCen (dem geheimdienstlichen Lagezentrum beim Generalsekretariat des Ministerrats). Festhalten lässt sich hier insgesamt, dass ein großer Teil der Neuerungen im nationalen wie im europäischen Rahmen nur entfernt mit der ständig beschworenen „terroristischen Gefahr" zu tun haben. Selbst im engeren Bereich des Anti-Terror-Strafrechts geht es längst nicht mehr um die Kriminalisierung von Morden oder Anschlägen. Die Terrorismusdefinition vom Juli 2002 entsprach im wesentlichen den deutschen Paragrafen 129 a und b. Ende November 2008 beschloss der Rat deren Erweiterung unter anderem um einen Straftatbestand der „öffentlichen Aufforderung" zu terroristischen Straftaten. Um eine Bestrafung ganz ohne Verfahren und ohne Urteil geht es dagegen bei den „Terror-Listen", die die EU im Dezember 2001 einführte. Eine Arbeitsgruppe der Minister entscheidet hier, welche Personen und Organisationen auf diese Listen kommen. Die umittelbare Folge ist eine Blockade sämtlicher Vermögenswerte und Einkünfte, selbst des miserabelsten Lohnes. Die europäische Gemeinschaft der Rechtsstaaten bekennt sich offen zur Willkür. Klarer geht's kaum.

veröffentlicht in: FriedensForum 6/2008