22. Okt. 2004
Berufsverbote / Überwachung / Verfassungsschutz

Keine neuen Berufsverbote - Ein Ende mit der Gesinnungsschnüffelei!

Rede auf der Demonstration gegen das Berufsverbot in Heidelberg, 23. Oktober 2004: Weg mit dem Berufsverbot für Michael Csaszkóczy! - Wir alle sind gemeint.

Als wir vom Komitee für Grundrechte und Demokratie Anfang Februar eine email erhielten mit dem Hinweis, dass in Baden-Württemberg ein Berufsverbot drohe, wollten wir es kaum glauben. Die Zeit der Berufsverbote ist doch vorbei - so dachten selbst wir. Dabei hatte "uns" das Thema seit über einem Vierteljahrhundert nie ganz los gelassen.

- Noch immer schreiben wir in unserer Selbstdarstellung, dass das Komitee für Grundrechte und Demokratie auf Initiative von Personen gegründet wurde, die am Zustandekommen des Russell-Tribunals zu den Menschenrechten in Deutschland beteiligt waren. Bei diesem Tribunal ging es 1978/79 ganz vorrangig um die Praxis der Berufsverbote. -

Noch immer zählen wir zu den Hauptaufgaben, die sich das Komitee gesetzt hat, auch den Kampf gegen Berufsverbote. Manches mal fragten wir uns, ob dies nicht allmählich anachronistisch - folglich zu streichen - sei. - Als wir 1982 ein rororo-Bändchen zu den Berufsverboten herausgaben - mit dem bezeichnenden Titel "Ohne Zweifel für den Staat" - schrieben wir, dass das Problem der Berufsverbote inzwischen verdeckter funktioniere. Die alte Praxis der Anfragen beim Verfassungsschutz und der Überprüfungen war aufgegeben worden.

Doch die Berufsverbote seien vor allem unsichtbarer geworden. Oftmals ziehe das Verfahren die Kleider ganz anderer Argumente an. Mit sehr unterschiedlichen Argumenten könne man missliebige Bewerber los werden. Durchaus "legal", durchaus "rechtsstaatlich". Bewirkt hatten die Berufsverbote vor allem, dass jeder und jede wusste, dass eigene politische Profillosigkeit auf jeden Fall von Vorteil ist. Die Kontrolle war in die Bürger und Bürgerinnen, in die zunehmend sich weniger politisch artikulierende Studentenschaft vorverlagert. Der "Rest" konnte ausgesiebt werden. Jederzeit - so unser damaliger Schluss - kann die Berufsverbotspraxis wieder verschärft werden - nur reibungsloser und schneller als zu Beginn der siebziger Jahre. - Auch im ersten Grundrechte-Report 1997 - dem von da an jährlich erscheinenden Verfassungsschutzbericht von unten - erschien ein Artikel zum Berufsverbot.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte 1995 geurteilt, dass die Entlassung einer Lehrerin trotz untadeliger Amtsführung ein unverhältnismäßiger Eingriff in ihr Menschenrecht der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit sei, der einer demokratischen Gesellschaft nicht angemessen sei. Endlich war klar geurteilt worden: die deutschen Berufsverbote verstoßen gegen die Menschenrechte. Doch musste damals schon kritisch festgehalten werden, dass auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Bewerber um die Einstellung in den öffentlichen Dienst in sein Urteil nicht einbezogen hatte. - Der Schily-Katalog, mit all den sogenannten Sicherheitsgesetzen, die seit dem 11.9.2001 erlassen wurden, um dem drohenden Terror zu begegnen, markiert einen weiteren Einschnitt. All diese Gesetze im Dienste der Inneren Sicherheit sind vor allem als Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger und Bürgerinnen zu verstehen und als Stärkung der Macht des Staates. Im Zuge dieser Sicherheitsgesetze wurden auch die Bereiche ausgeweitet, in denen Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt werden können. -

Man hört schon - die Begrifflichkeit ist verdeckender geworden. Wer in Bereichen arbeitet, die für das "Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind und deren Beeinträchtigung erhebliche Unruhe in großen Teilen der Bevölkerung entstehen lassen würde", - welch unbestimmte Begriffe, die vor allem Willkür ermöglichen - kann überprüft werden. Hier ist es unwichtig, ob jemand im öffentlichen Dienst oder in privatwirtschaftlichen Unternehmen beschäftigt ist. Mangels geheimdienstlicher Unbedenklichkeits-Bescheinigung kann man aus seinem Beschäftigungsverhältnis bei Energie-Unternehmen, Krankenhäusern, Pharmazeutischen Firmen, Chemie-Anlagen und vor allem bei Flughäfen entlassen werden.

Auch damals warnten wir vor den Folgen dieser verfassungsschützerischen Eingriffe. Die Folgen dieser Überprüfungen, die es längst gibt, gelangen meist nicht an die Öffentlichkeit. Nun also gibt es ein erstes neues offenes Berufsverbot für einen angehenden Lehrer aufgrund seiner Gesinnung. Unsere Kritik muss mit der Kritik des Berufsbeamtentums beginnen. So wie in den siebziger Jahren wird auch heute von der Kultusministerin des Landes Baden-Württemberg in der Rechtfertigung des Berufsverbots angeknüpft an die vordemokratische Interpretation der "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums". Daraus wird die besondere politische Treuepflicht abgeleitet. Dieses Verständnis des Berufsbeamtentums steht in einer absolutistischen, vordemokratischen Tradition. Es wird so getan, als stünde das Beamtenrecht über den Grundrechten, oder außerhalb deren Geltung, als würden die Grundrechte in ihrem ganzen Ausmaß nicht für Beamte gültig sein.

Das Beamtenrecht muss jedoch in einer liberalen Demokratie den Grundrechten, der Verfassung nachgeordnet sein. Das Beamtentum - wenn man überhaupt an dieser Institution festhalten will - muss in einer Demokratie die Meinungsvielfalt der Gesellschaft spiegeln. Die Grundrechte der Beamten dürfen nicht verfassungswidrig eingeengt werden. Ein zweites der grundlegenden Probleme stellen die Geheimdienste dar, der nach innen gerichtete Verfassungsschutz hier an erster Stelle. Undemokratisch sind sie von Grund auf. Sie entziehen sich jeder demokratischen Überprüfung ihrer Mittel und Ergebnisse per definitionem. Sie arbeiten eben geheim. Der Verfassungsschutz sammelt immer weiter seine ominösen "Erkenntnisse".

Im Fall von Michael Csaszkóczy immerhin seit über zehn Jahren. Was aber hat der Verfassungsschutz im Fall von Vereinen und ihren Mitgliedern zu suchen? Was hat er dort schnüffelnd, sammelnd, datenspeichernd zu tun, ohne den Bürger und die Bürgerin zu informieren? Was hat er dies weiterzugeben, wenn dieser Bürger sich nichts anderes zu schulden hat kommen lassen, als politisch aktiv zu sein? Was von solchen "Erkenntnissen" zu halten ist, hat letztes Jahr das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im NPD-Verbotsverfahren deutlich gemacht.

Die geradezu verhängnisvolle Rolle der Verfassungsschutzämter im Umkreis dieses Verfahrens zeigt allenfalls eins, dass diese Ämter neonationalistisch nahezu blind sind, jedoch Gruppen und Personen aufspüren, die die Grund- und Menschenrechte wörtlich nehmen. Ein dritter Kritikpunkt liegt in der selbstverständlichen Bezugnahme auf Prävention - als gäbe es über die Zukunft, gar über zukünftiges Verhalten von Menschen verlässliche Prognosen. Nicht weil man einem Beamten in spe verfassungsfeindliche Aktivitäten vorwirft, sondern weil er in Zukunft vielleicht die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht ausreichend verteidigen wird, spricht man ihm heute schon mal "präventiv" die nötige Qualifikation ab - die Qulifikation der Gesinnung, nicht die der beruflichen Fähigkeiten, denn die stehen außer Frage. Prävention ist ja zum Zauberwort für den Ausbau aller Maßnahmen zur "inneren Sicherheit" geworden. Präventiv tätig werden bedeutet aber, ohne Anlass und ohne Verdacht darf in die Grundrechte aller Bürger und Bürgerinnen eingegriffen werden. Die prinzipielle Unschuldsvermutung aller, von der eine Demokratie lebt, ist damit in die Mottenkiste gepackt. Der Bürger und die Bürgerin ist prinzipiell verdächtig, wird überprüft und überwacht. Demokratie stirbt auf diesem Weg schrittweise, allerdings inzwischen in sieben Meilen Stiefeln. Nicht der Schutz der Bürger und Bürgerinnen ist das Ergebnis dieser "Prävention" - das wird uns nur vorgegaukelt -, sondern der Verlust der Freiheitsrechte zugunsten des Machtausbaus des Staates. Demokratie und Menschenrechten gehen dabei verlustig. Zum Vierten ist der Vorwurf von verfassungsfeindlichen Aktivitäten oder Zielsetzungen beliebig ausdehnbar.

Der Staat, mehr noch der Verfassungsschutz setzt die Maßstäbe, die sich verändern können. Damals wie heute werden die Berufsverbote mit der Mitarbeit in legalen Gruppen begründet. Wäre es keine verfassungskonforme Vereinigung (Art. 9 GG) in der Michael Csaszkóczy mitarbeitet, wäre sie gerichtlich verboten worden. Der Bewerber für das Lehramt aber muss den Gegenbeweis führen, also seine "Unschuld" beweisen. Dieser Beweis ist genausowenig zu führen wie der Entlastungsbeweis in Hexenprozessen. Die Überprüfung der Gesinnung muss zur Inquisition ausarten. Der Ausgang des Versuchs, nachzuweisen, dass man nicht verfassungsfeindlich ist, steht im Vorhinein fest. Für die Inquisitoren steht unumstößlich fest: Die Hexe ist eine Hexe.

Als Albert Einstein von einem New Yorker Lehrer gefragt wurde, wie er sich in dem bevorstehenden Hearing vor dem Ausschuss für unamerikanische Umtriebe verhalten sollte, gab er folgende Antwort: "Ehrlich gesagt, ich kann nur den revolutionären Weg der Weigerung zur Kooperation im Sinne Gandhis sehen. Jeder Intellektuelle, der vor den Ausschuss geladen wird, sollte sich weigern, auszusagen, heißt, er sollte bereit sein, Gefängnis und ökonomischen Ruin auf sich zu nehmen, kurz, sein persönliches Wohlergehen für die kulturelle Zukunft seines Landes zu opfern. Jedenfalls sollte er seine Weigerung nicht mit der wohlbekannten Berufung auf das 5. Amendement gegen eine mögliche Selbst-Inkriminierung begründen, sondern mit der Feststellung, dass es eine Schande für einen unbescholtenen Bürger ist, sich einem derartigen Verhör zu unterziehen, und dass ein solches Verhör den Geist der Verfassung verletzt." Sollen Schüler und Schülerinnen zu mündigen Bürgern, zu mündigen Bürgerinnen angeleitet werden, dann brauchen sie Intellektuelle, die in diesem Sinne für die kulturelle Zukunft einstehen und statt Anpassung und Duckmäusertum kritisches Mitdenken lehren. Die Wirkung auf andere, die Abschreckung und Einschüchterung, die jedes einzelne Berufsverbot bewirkt, darin liegt als fünftes die Gefahr für die Demokratie. Wenn die Mitarbeit in einer verfassungskonformen Vereinigung (Art. 9 GG) die Gefahr beinhaltet, seinen gewünschten Beruf nicht ausüben zu können, dann schweigt man besser und zieht sich ins Private zurück - so lautet die implizite, allzu laute Botschaft. Kritisches Mitdenken ist nicht nur nicht gefragt - es wird bestraft. Welche Wirkung geht von solchen Zeichen auf junge Menschen, auf Schüler und Schülerinnen aus, deren fehlendes politisches Interesse von offizieller Politik sonst heuchlerisch bedauert wird? Der "Aufstand der Anständigen" gegen rechtes, faschistoides, fremdenfeindliches und antidemokratisches Gedankengut entblößt sich selbst, wenn ausgerechnet diejenigen, die dies ernst nahmen und nehmen, diejenigen, die diesem grundrechtswidrigen Gedankengut den Protest entgegensetzen, nun als außerhalb der Verfassung stehend gelten. Welch eine Verdrehung unserer Verfassung steckt in diesem Berufsverbot. Unsere Verfassung beinhaltet eindeutig die Verpflichtung auf Demokratie, Frieden und Menschenwürde. Der Knüppel des Berufsverbots strahlt auf einen großen Teil der politischen Betätigung aus. Wer will sich noch engagieren für Frieden und gegen Krieg, gegen das neue Erstarken rechter, menschenverachtender Ideologien, für die Abschaltung der Atomkraftwerke ... wenn bei jeder politischen Betätigung das Berufsverbot drohend am Horizont steht.

Deshalb ist der Kampf gegen das Berufsverbot ein Kampf für demokratische Verfahren und demokratische Inhalte insgesamt. Es ist auch ein Kampf gegen jegliche geheimen Ermittlungsmethoden und Überwachungsformen des Verfassungsschutzes und für die Auflösung dieser geheimen Dienste.