08. Juli 2022 © dpa
(Anti-)Rassismus / Abolitionismus / Abschiebung / Gefangenenunterstützung / Gesundheit / Recht auf Asyl / Rechtsstaatlichkeit

Abschiebungsreporting: Stadt Köln schiebt suchterkrankten Mann während laufender Substitutionsbehandlung ab und nimmt dessen Tod billigend in Kauf

In Köln gibt es zurzeit eine Diskussion über die rigide Abschiebungspraxis der Stadt in den letzten Monaten. Ein von hunderten Menschen, Gruppen und Vereinen unterzeichneter Offener Brief aus der Stadtgesellschaft kritisierte zuletzt das Handeln der Ausländerbehörde.

Am 11. Juli 2022 wollen die Mehrheitsfraktionen des Kölner Stadtrats im Hauptausschuss einen Antrag zur Abstimmung stellen, der das Ausländeramt zur „Willkommensbehörde“ umbauen soll.

Doch aus Köln werden auch besonders vulnerable Menschen abgeschoben. Dies zeigt der heutige Bericht des Projekts „Abschiebungsreporting NRW“ beispielhaft auf.

Die Stadt Köln hat im Herbst 2021 einen Mann abgeschoben, der sich in einer medizinisch zwingend notwendigen Substitutionsbehandlung in Folge einer Suchterkrankung befand. Die Substitutionsbehandlung erfolgte in Form einer täglich überwachten Methadonabgabe.

Die Stadt hat bei der Durchsetzung der Abschiebung schwere Gesundheitsfolgen für den Mann in Kauf genommen. Sie wusste bzw. musste wissen, dass im Zielland der Abschiebung eine Substitutionsbehandlung gesetzlich verboten ist und daher kein Zugang zu der dringend benötigten Anschlussbehandlung für den Mann bestand. Um den Mann zu schützen, wird das Zielland der Abschiebung im heutigen Report nicht genannt, da er dort politisch verfolgt wird.

Der Mann wurde bis zu seiner Abschiebung intensiv sozialarbeiterisch und medizinisch begleitet. Dafür hatten die Behörden dem Mann eine Eingliederungshilfe bewilligt. Zuvor war er im Januar 2021 aus dem Gefängnis entlassen worden, wo er eine Ersatzfreiheitsstrafe absaß.

Eine Ersatzfreiheitsstrafe kommt dann in Betracht, wenn eine Geldstrafe nicht gezahlt werden kann. Durch die Suchterkrankung bedingt war der Mann zwingend darauf angewiesen, täglich von einem Arzt eine Dosis Methadon zu erhalten. Nach den Schilderungen der zuständigen Sozialarbeiterin befand er sich auf einem guten Weg der Stabilisierung, nahm Ärzt:innen- und Behördentermine war, besuchte einen Sprachkurs, machte ein Praktikum und wollte arbeiten.

Der Mann lebte nach seinem Gefängnisaufenthalt bis zu seiner Abschiebung zudem in familiärer Gemeinschaft mit seiner Mutter zusammen. Beide sorgten füreinander. Durch die Abschiebung wurde er von ihr getrennt.

Festnahme in der Ausländerbehörde Köln

Im Herbst 2021 wurde dieser mehrmonatige Weg der Stabilisierung des Mannes dann jäh unterbrochen. Der Mann ging mit seiner Sozialarbeiterin zum Termin in die Ausländerbehörde und wurde dort festgenommen. Die Behörde führte den Mann dem Amtsgericht vor, welches Abschiebehaft anordnete.

In der Abschiebehaft Büren musste der Mann mehrere Tage verbringen. Immerhin wurde er dort weiter mit Methadon versorgt. Schließlich wurde er abgeschoben. Die Behörden nahmen dabei einen „kalten Entzug“ von heute auf morgen in Kauf, da die Versorgung mit Medikamenten abrupt abbrach.

Am Zielort der Abschiebung blieb der Mann auf sich allein gestellt. Aufgrund des Methadonentzuges stiegen die Schmerzen immer weiter an. Der Mann verblieb nach der Abschiebung auch ohne einige dringend notwendige Dokumente, fast ohne Geld, ohne ein funktionsfähiges Mobilfunkgerät. Lediglich 50 EUR Taschengeld verblieben ihm, die jedoch direkt nach der Ankunft fast vollständig verbraucht wurden, um seine Sozialarbeiterin in Köln anzurufen.

Über vier Tage verbrachte der Mann ohne Geld, ohne Essen, ohne passende Kleidung, ohne medizinische Hilfe praktisch auf der Straße. Am schwerwiegendsten war das Ausbleiben der täglichen Methadonabgabe. In Köln war diese Behandlung ärztlicherseits streng überprüft und begleitet worden. Der behandelnde Arzt in Köln hatte zuletzt ein positive Entwicklung gesehen, die nun abrupt unterbrochen wurde.

Schließlich brach der Mann auf der Straße zusammen, wurde zu einer medizinischen Einrichtung gebracht, konnte dort aber nicht verbleiben. Niemand wollte die Verantwortung für seinen Gesundheitszustand übernehmen. Eine Krankenhausaufnahme war mangels Geld und mangels der benötigten Dokumente ebenfalls nicht möglich.

Überleben nach der Abschiebung nur dank privater Spenden und Engagement aus Deutschland

Erst viereinhalb Tage nach der Ankunft konnte der Mann - nur aufgrund der Intervention von Unterstützer:innen aus Deutschland und durch private Spenden ermöglicht – vorläufig in einer privaten Klinik aufgenommen werden. Dort gab es zwar keine adäquate Behandlung, weil die erforderliche Methadon-Behandlung in dem Land gesetzlich verboten ist. Immerhin konnte der Mann jedoch schmerzlindernde Medikamente, Infusionen und psychiatrische Hilfe zur Verfügung gestellt bekommen.

Das plötzliche Absetzen von Methadon im Rahmen einer Substitutionsbehandlung nimmt schwere Konsequenzen in Kauf und kann zu Organschäden führen. In Deutschland erfolgt eine Behandlung im Rahmen einer schrittweisen Entgiftung, an die sich eine langfristige Therapie und Rehabilitation anschließt.

Bis heute lebt der Mann – weiter finanziert einzig durch private Spenden - in einer Einrichtung zur Rehabilitation. Eine klare Perspektive für die Zukunft besteht nicht, weil die Suchterkrankung in dem Land stark stigmatisiert ist. Die erforderliche Behandlung gibt es nicht. Weil der Mann auch politisch verfolgt ist, lebt er zudem verdeckt.

Verantwortung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und der Stadt Köln

Der Mann hatte sich nach der Entlassung aus der Strafhaft über seinen Anwalt erneut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gewendet und einen Schutzstatus beantragt, erfolglos. Weder akzeptierte die Behörde seine vorgetragene politische Verfolgung noch die gesundheitlichen Aspekte. Zielstaatsbezogene Gründe für einen Schutzstatus wollte das BAMF nicht anerkennen. Die fehlende Anschlussbehandlung blieb unberücksichtigt.

Die Stadt Köln ist der Meinung, bei der Abschiebung entsprechend der gesetzlichen Vorgaben gehandelt zu haben. Dabei stellt sie auf eine sehr enge Betrachtung der sogenannten Reisefähigkeit ab. Danach ist sie allein dafür verantwortlich, dass eine Person den Transport, sprich hier den mehrstündigen Flug bis zum Zielland, überlebt.

Für alles Weitere wird die Verantwortung beiseite geschoben. Der Logik folgend gibt die Bezirksregierung Köln als aufsichtführende Stelle in ihrem Antwortschreiben auf eine Beschwerde des Projektes Abschiebungsreporting NRW an, der Mann sei sowohl in der Abschiebehaftanstalt Büren als auch im Flugzeug ärztlicherseits versorgt gewesen. Auch sei eine ärztliche Inempfangnahme am Zielflughafen von der Stadt Köln organisiert worden. Letzteres bestreitet der Mann. Am Zielort verblieb er ohne jede weitere Versorgung und geriet so in Lebensgefahr.

Politische Bewertung

Der heutige Report zeigt beispielhaft auf, welche Menschenrechtsverletzungen von den Behörden in Kauf genommen werden, um der politischen Vorgabe der möglichst rigiden Abschiebung von ehemals straffällig gewordenen Menschen gerecht zu werden. Die abgewählte schwarz-gelbe Landesregierung hat diese Maßgabe bei jeder sich ihr bietenden Gelegenheit betont, auch die neue Landesregierung betont dies im Koalitionsvertrag.

 

Ergänzende Bemerkungen:
Um den politisch verfolgten Mann zu schützen, werden im Report keine weiteren Details zur Person oder dem Zielland der Abschiebung genannt.
Zu den Inhalten des heutigen Reports hat das Abschiebungsreporting NRW im Januar 2022 eine ausführliche Beschwerde an die Stadt Köln übermittelt. Da diese auch nach Wochen keinerlei Rückmeldung gab, wurde die Beschwerde im April 2022 erneut übermittelt. Da erneut keinerlei Rückmeldung seitens der Stadt Köln gegeben wurde, wurde die Beschwerde im Mai 2022 an die aufsichtführende Stelle bei der Bezirksregierung Köln versendet.

Erst am 05. Juli 2022, rund 5 ½ Monate nach Übermittlung der ersten Beschwerde, gab es eine kurze Rückmeldung der Bezirksregierung Köln. Sie betont, dass das Handeln der Stadt Köln vollkommen rechtmäßig gewesen sei. Für zielstaatsbezogene Aspekte, die einer Abschiebung entgegenstehen, sei die Stadt nicht zuständig.

Dem Abschiebungsreporting NRW liegt ein schriftlicher Nachweis aus der ZIRF-Datenbank von 2021 vor, dass in dem Zielland der oben geschilderten Abschiebung keine Methadonprogramme erhältlich sind. ZIRF ist die Zentralstelle für Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung. In dieser Datenbank sind Daten zu Infrastruktur, wirtschaftlicher Situation oder medizinischer Versorgung auch in einzelnen Städten oder Regionen von Herkunftsländern abrufbar.