Am 27. September 2025 kamen wir mit rund hundert Menschen in Köln zum Ratschlag „Welche Demokratie?“ zusammen, um die Ursachen des zunehmenden autoritären und faschistischen Ist-Zustands zu diskutieren und gemeinsam Antworten auf die Frage zu finden, wie Demokratie von unten aussehen kann, wenn Autoritarismus wächst.
Von Achan Malondas kraftvoller Eröffnungsrede zum Mythos der deutschen Demokratie bis zu Debatten über die Rolle von Abwehrkämpfen innerhalb emanzipatorischer Visionen, zeigte der Ratschlag vor allem, dass wir nicht nur Sehnsucht nach einer anderen politischen Praxis haben, sondern auch Alternativen zum Status quo.
Wir organisierten den Ratschlag, weil wir uns fragten, welche Demokratie eigentlich seit den Massenprotesten gegen die Deportationspläne von AfD und Co. Anfang 2024 verteidigt wird. In unserer Ankündigung wiesen wir darauf hin, dass die „real existierende Demokratie“ bereits jetzt ausgehöhlt ist und für marginalisierte Gruppen oft ein leeres, nahezu höhnisches Versprechen bleibt.
Mit dem Ratschlag schufen wir einen Raum, um die Gleichzeitigkeiten von Faschismus und der gegenwärtigen Demokratie zu benennen und demgegenüber radikal-demokratische Alternativen zu diskutieren. Die Künstlerin und Aktivistin Achan Malonda und der Kultur- und Medienwissenschaftler Simon Strick knüpften in ihren Beiträgen an diese Ausgangskritik an. Achan Malonda verdeutlichte in ihrer Keynote, dass bürgerlich-demokratische Institutionen häufig strukturelle Gewalt, soziale sowie ökonomische Ausschlüsse verbergen oder reproduzieren, politische Mitgestaltung gar nicht vorsehen und dadurch einen autoritären Status quo festschreiben. Anti-Rassismus würde eine Veränderung eben jener Verhältnisse erfordern, stattdessen bleiben beispielsweise Institutionen wie die Polizei weitgehend unveränderlich, unabhängig von der ihr innewohnenden rassistischen Gewalt.
Deshalb lohnt es sich für eine radikaldemokratische Praxis weder, sich auf diese Institutionen zu beziehen, noch diese zu verteidigen. Simon Strick, der sich mit den affektiven Grundlagen rechter Mobilisierungen auseinandersetzt, zeigte während der Auftaktveranstaltung am Vorabend des Ratschlags auf, wie die andauernde Empörung über rechtsextreme Akteur* innen, z. B. die AfD, es ermöglicht, den eigenen Rassismus und die eigenen Abschiebefantasien unhinterfragt zu lassen – solange letztere von Habeck, Scholz oder Merz umgesetzt werden und nicht von Weidel. Antifaschistische Organisierung muss deshalb über die Abwehr eines vermeintlich gut abgrenzbaren rechten Randes hinausgehen und sich mit den tiefsitzenden Strukturen von Ausbeutung und Ungleichheit befassen.
Anschließend näherten wir uns Kritiken am liberalen Demokratieverständnis aus verschiedenen radikal-demokratischen Perspektiven, welche die Begrenzungen repräsentativer Vertretung, ökonomischen Wachstums und staatlicher Grenzen verlassen. Dabei wurden Formen direkter Beteiligung gefordert, die sich an basisdemokratischen Modellen wie in Rojavaund anarchistischen Traditionen orientieren, in denen Menschen ihre Angelegenheiten selbst, direkt und ohne Repräsentant*innen organisieren.
Darüber hinaus ging es um die Notwendigkeit, ökonomische Macht (wieder) zuvergesellschaften: Genoss*innenschaften, kollektives Eigentum und das Bündeln von Mieter*innen, Fürsorge- und Arbeiter*innenkämpfen sollen den Zwang zur Konkurrenz aufheben und den Alltag demokratisieren. Um den Einschränkungen nationaler Zugehörigkeit entgegenzuwirken, wurden lokale Community-Praxen besprochen und automatisierte Einbürgerung, Wahl und Sozialrechte für alle hier Lebenden sowie ein solidarisches Zusammenleben ohne Pässe als Visionen skizziert.
Auf der Konferenz besprachen wir Praxen, die sich von den gegenwärtigen Verhältnissen emanzipieren und Visionen einer Teilhabe aller beinhalten. Dabei näherten wir uns abolitionistischer und radikaler Demokratie, Kommunalismus und Commonisierung an. Ein zentraler Befund des Ratschlags war, dass diese Konzepte grundsätzlich gut zusammenpassen und sich gegenseitig ergänzen.
Abolitionistische Demokratie kann dabei als übergeordnete Vision verstanden werden, welche eine umfassende Neugestaltung sozialer Institutionen vorsieht. Commonisierung und Kommunalismus fokussieren dabei jeweils Teilbereiche innerhalb einer transformativen Praxis. Commonisierung verändert die Art und Weise des Wirtschaftens durch gemeinschaftliche Ökonomie und sorgt für eine bedürfnisorientierte Verteilung und Produktion von Gütern und Ressourcen. Kommunalismus ist eine alternative, basisdemokratische Möglichkeit der Organisation und Entscheidungsfindung, in Abgrenzung zur repräsentativen Demokratie und zum Nationalstaat. Lokale Selbstverwaltungen in Städten und Gemeinden, die sich überregional und transnational zu Konföderationen vernetzen, schaffen dabei eine kollektive Praxis des direktdemokratischen Debattierens, Handelns und Entscheidens.
Gleichzeitig ist die permanente Kritik entscheidend: Wenn neue Institutionen der Fürsorge oder Selbstverwaltung entstehen, droht die Reproduktion von Machtmustern wie Hierarchisierung oder strafbasierte Kontrolle und Kofliktbearbeitung.Deshalb braucht es auch eine kontinuierliche radikaldemokratische Praxis. Diese beinhaltet einen nie abgeschlossenen Konflikt- und Reflexionsprozess und sieht vor, dass Menschen permanent in Entscheidungsfindungen eingreifen, unterschiedliche Interessen artikulieren und Institutionen daran anpassen.
ABOLITIONISTISCHE DEMOKRATIE
Abolitionistische Ansätze fordern die Abschaffung von Straf- und Kontrollregimen, sowie der Produktionsweisen, die diese hervorbringen und den gleichzeitigen Aufbau von alternativen, kollektiven Fürsorgestrukturen. Ziel ist eine umfassende Neugestaltung sozialer Institutionen, die grundlegende soziale Rechte, etwa auf Freiheit von Gewalt, Wohnen, Arbeit, Gesundheitsversorgung und Bildung verwirklichen.
RADIKALE DEMOKRATIE
Radikale Demokratie setzt Differenz und Konflikt als produktive Grundlage demokratischer Politik voraus. Demokratie geht demnach weit über parlamentarische Repräsentation hinaus und basiert auf unmittelbarer Mitbestimmung. Radikale Demokratie als offener, nie abgeschlossener Konflikt- und Reflexionsprozess plädiert dafür, dass Menschen permanent in Entscheidungsfindungen eingreifen und unterschiedliche Interessen artikulieren.
COMMONISIERUNG
Commonisierung ist ein Ansatz gemeinschaftlicher Ökonomie. Es beschreibt die Praxis, Güter und Ressourcen bedürfnisorientiert, jenseits von Markt und Staat zu organisieren. Gesellschaftliche Transformation wird dabei durch das Schaffen von kollektiven Strukturen erreicht, die auf gemeinsamer Nutzung, Selbstverwaltung und der Produktion anhand von Bedürfnissen basieren.
KOMMUNALISMUS
Kommunalismus setzt auf lokale Selbstverwaltung in Städten und Kommunen, die überregional und transnational in der Form von Konföderationen koordiniert sind. Im Kommunalismus wird eine Gesellschaft angestrebt, die sich mittels kommunaler Vollversammlungen und Räte organisiert.
MILITARISIERUNG & VERKNAPPUNG, SOLIDARISCHE BEZIEHUNGSWEISEN & SELBSTVERTEIDIGUNG
Auf dem Ratschlag richteten die Diskussionen den Fokus auf den gegenwärtigen autoritären Umbau, der mit Aufrüstung und der Kriminalisierung sozialer Protestbewegungen, etwa der antimilitaristischen, einhergeht. Die in Aufrüstung investierten 600 Milliarden Euro der Bundesregierung führen zu sozialen Kürzungen, die unsere Lebensgrundlagen verknappen. Mit 600 Milliarden Euro ließe sich in ganz Deutschland Wohnraum für alle schaffen und Kinderarmut beenden, der Nahverkehr für alle kostenlos machen, das Gesundheitssystem ausbauen und Deutschland ökologisch so transformieren, dass es die Klimakrise nicht weiter befeuert.
Wie stark die Kriminalisierung von Antimilitarismus vorangetrieben wird, zeigte sich zuletzt in Köln: Das Protestcamp des Bündnisses „Rheinmetall entwaffnen“ war zunächst einem Verbot des Verwaltungsgerichts und später massivem Polizeiaufgebot sowie gewaltsamem Eingreifen ausgesetzt. Der autoritäre Umbau eines Staates, der sich auf Krieg vorbereitet, geht schließlich auch mit einer Aufrüstung nach innen einher, bei der auf die Unterdrückung all jener gesetzt wird, die sich diesem widersetzen. Diese gegenwärtigen Entwicklungen sind im Hinblick auf die Diskussion emanzipatorischer Praxen und Visionen wichtig. Der Staat hat Körper und ihre Arbeitskraft schon immer vereinnahmt, damit Knappheit organisiert und radikale Transformation verhindert. Heute braucht er die Körper aber nicht nur als Arbeitskräfte, sondern auch ganz konkret (wieder) für die Militarisierung.
Vor dem Hintergrund wird deutlich, dass die Idee, „dem Staat einfach wegzulaufen“, indem Alternativen aufgebaut werden, naiv wäre – so die Intervention einer Teilnehmenden. Deshalb diskutierten wir auch die Frage, wie sich aus den vier vorgestellten Ansätzen – radikaler und abolitionistischer Demokratie, Kommunalismus und Commonisierung – ein revolutionäres Potenzial entwickeln ließe, das nicht bloß neben staatlichen Strukturen existiert. Revolution ist dabei nicht nur als Bruch mit dem Staat, sondern als grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Beziehungsweisen zu verstehen. Gleichzeitig stehen revolutionäre Prozesse in einem Spannungsverhältnis: Einerseits geht es darum, solidarische Beziehungsweisen einzuüben, andererseits darum, Herrschaftsverhältnisse zu bekämpfen und abzubauen.
Beispielsweise können Commons Teil eines revolutionären Prozesses sein, indem Menschen über das Teilen und Verwalten von Ressourcen lernen, sich solidarisch aufeinander zu beziehen. Eine umfassende gesellschaftliche Wirkung im Sinne von Verteilungsgerechtigkeit entfalten sie jedoch erst, wenn das Potenzial zur kollektiven Transformationsfähigkeit erkannt und genutzt wird. Damit diese Ansätze nicht nur neben dem Staat koexistieren, sondern den Status quo wirklich herausfordern, sind Momente der Zuspitzung und des Bruchs wichtig. Ein Beispiel ist die Berliner Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“: Sie verknüpft den Kampf um bezahlbaren Wohnraum bewusst mit der Idee der Commons. Ihre Organisierung, z.B. in Nachbarschaftsinitativen, erfordert solidarische Beziehungsweisen und widersetzt sich zugleich den bestehenden Eigentumsverhältnissen.
Weiter wurde diskutiert, wie wir mit aktuellen und kommenden Krisen wie Krieg oder ökologischen Katastrophen umgehen. Ein essenzieller Impuls war, dass es nicht nur darum geht, Angriffe abzuwehren, sondern darum, lokale Infrastruktur und solidarische Netzwerke aufzubauen, indem wir Nachbarschaften organisieren, Stadtteilarbeit stärken und eine Kultur der gegenseitigen Fürsorge ausbauen. Bei der Frage nach dem „Wie?“ kann viel von der diasporischen Linken gelernt werden, wie beispielsweise von der kurdischen Bewegung. Von diesen können wir lernen, aufeinander zuzugehen, miteinander zu sprechen und so Strukturen zu schaffen, die in Krisenzeiten Menschen unterstützen können.
In diesem Zusammenhang wurde auch die Frage danach relevant, wie Communities geschützt werden können und welche Formen der Selbstverteidigung mit emanzipatorischer Praxis kompatibel sind. Hier blieben klare Antworten offen, aus den zuvor diskutierten Konzepten lassen sich allerdings Leitlinien skizzieren: Innerhalb von Selbstverteidigung braucht es eine klare Abgrenzung zwischen Schutz und polizeilichen Strukturen, eine demokratische Kontrolle über Schutzstrukturen, sowie kollektive Verantwortungsformen.
WAS WIR MITNEHMEN
Erstens: Die Konferenz machte deutlich, dass sich progressive Bewegungen nicht ausschließlich an Institutionen abarbeiten sollten, die den kapitalistischen und nationalstaatlichen Status Quo verwalten. Vielmehr geht es darum, Demokratie selbst zu praktizieren und lokale Infrastrukturen und solidarische Netzwerke aufzubauen und zu erhalten.
Dafür bieten die diskutierten Ideen und Praxen wie Abolitionismus, Kommunalismus oder Commonisierung hilfreiche Ansätze. Zweitens zeigte sich, dass Kritik und Praxis Hand in Hand gehen und emanzipatorische Visionen immer auch Institutionen und Verfahrensweisen mitbringen müssen, die über diese Kritiken hinausweisen. Demokratie ist kein abgeschlossener Zustand, sie lebt von immanenter Kritik und dauerhafter Veränderung. Dazu gehört auch ein antifaschistischer Anspruch, der das Potenzial pluraler Lebenswelten und damit einhergehender universeller Rechte betont. Drittens müssen unsere Kritik und neue Ansätze in Institutionen (der kollektiven Fürsorge) übersetzt werden, die sich selbst regelmäßig hinterfragen und weiterentwickeln. In dem Zusammenhang ist es wichtig, darüber nachzudenken, wie radikal-demokratische Institutionen gestaltet sein sollten.
Abschließend können wir sagen: Die Konferenz bot keine einfachen Lösungen, aber öffnete Räume, in denen wir uns auf Grundlage der gegenwärtigen Verhältnisse gedanklich und praktisch neu ausrichten können. Die Gespräche und Diskussionen boten eine Erweiterung von Perspek- tiven und ergaben neue persönliche Verbindungen, die wir alle brauchen werden, um uns der Gegenwart zu stellen und eine bessere Zukunft zu erschaffen.