14. Juni 2017

Linke Fußballfans im Visier strafrechtlicher Ermittlungen

Am Beispiel der rechten Dresdner Hooligangruppierung  „Elbflorenz“ bestätigte der Bundesgerichtshof im Januar 2015 erstmalig, dass Fußballfangruppierungen die strafrechtlichen Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung gem. § 129 StGB erfüllen können.

Die Kriterien einer kriminellen Vereinigung sah der BGH im Fall von „Elbflorenz“ deshalb als gegeben an, weil es sich um eine Hooligangruppe mit fester Struktur handele, die Gruppenmitglieder einheitliche Gruppenkleidung trügen und sich regelmäßig träfen. Der strafrechtlich relevante Zweck sei die Durchführung sogenannter Drittortauseinandersetzungen, also verabredeter körperlicher Auseinandersetzungen zwischen zwei Gruppen nach festen Regeln. Zur Vorbereitung darauf hielten die Gruppenmitglieder gemeinsame Trainingsabende ab und seien mit Notfallhandys ausgestattet.

Für die Betroffenen sind Ermittlungsverfahren nach § 129 StGB deshalb besonders unerfreulich, weil der Polizei im Vergleich zu vielen „normalen“ Strafverfahren erweiterte Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. So können in großem Stil Telefone abgehört, langfristige Observierungen durchgeführt und V-Leute und verdeckte Ermittler in die verdächtigen Szenen eingeschleust werden. Zudem dauern die Ermittlungsverfahren erfahrungsgemäß überdurchschnittlich lange. Es wird deshalb auch regelmäßig der Vorwurf erhoben, dass strafrechtliche Ermittlungen wegen des Verdachts einer kriminellen Vereinigung von der Polizei auch dazu genutzt werden, ganze Szenen mit Mitteln zu durchleuchten und zu überwachen, die ihr ansonsten nicht zur Verfügung stünden.

Im April 2017 wurde öffentlich, dass auch in Leipzig unter Leitung der Generalstaatsanwaltschaft Sachsen gegen Anhänger des Fünftligisten Chemie Leipzig drei Jahre lang wegen des Verdachts einer kriminellen Vereinigung ermittelt worden war. Auslöser der dortigen Ermittlungen waren 16 Vorfälle aus den Jahren 2012 bis 2014 bei denen Personen aus dem rechten Spektrum beleidigt und verprügelt worden sein sollen.

Da im Zuge der Ermittlungen mehrere Personen aus dem Umfeld der linksorientierten Fanszene der BSG Chemie in den Fokus gerieten, wurden die Ermittlungen bald auf den Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung ausgeweitet. Im Zuge dessen wurden die Telefonanschlüsse von neun Personen überwacht. Indirekt waren mindestens 240 Personen von den Überwachungsmaßnahmen betroffen, darunter auch Ärzte, Rechtsanwälte, Journalisten, Angehörige, Freunde und Arbeitskollegen. Allein zu einem Beschluss fielen - exemplarisch - 11.900 Datensätze an. Die Kommunikationsdaten hierzu umfassen insgesamt 23.907 Seiten.

Besonders gravierend fällt ins Gewicht, dass einer der Beschuldigten ein hauptamtlicher Mitarbeiter des Leipziger Fanprojekts ist. Fanprojekte sind professionelle Einrichtungen der Jugendhilfe, deren Auftrag im Nationalen Konzept Sport und Sicherheit niedergelegt ist. Hauptaufgabengebiete der sozialpädagogischen Arbeit der Fanprojekte sind die Förderung einer positiven Fankultur, Gewaltprävention und Demokratiestärkung, Hilfestellung für meist jugendliche Fans in Problemlagen, aber auch die Herstellung und Moderation der Kommunikation zwischen den am Fußball beteiligten Parteien (u.a. Fans, Vereine, Polizei und Ordnungsdienste).

Der von den Ermittlungen betroffene Sozialarbeiter geriet deshalb als angeblicher Teil einer kriminellen Struktur in den Fokus der Ermittlungsbehörden, weil er Transportmittel für Fahrten zu Auswärtsspielen besorge sowie an Treffen von Fans teilnehme und Räume bereitstelle.

Genau diese Tätigkeiten sind jedoch wesentlicher Bestandteil der Arbeit von Fanprojekten, ohne die sie nicht in der Lage wären, die ihnen obliegenden Aufgaben zu erfüllen. Zudem sind die Fanprojekte darauf angewiesen, dass ihnen die meist jungen Fans Vertrauen entgegen bringen. In welchem Ausmaß dieses Vertrauen durch die polizeilichen Überwachungsmaßnahmen nachhaltig Schaden genommen hat und die künftige Arbeit des Fanprojekts dadurch torpediert wird, lässt sich nur schwer einschätzen.

Anders als im eingangs erwähnten Fall von Dresden wurden die Ermittlungen in Leipzig im Übrigen nach dreijähriger Dauer ohne Ergebnis eingestellt. Der Verdacht einer kriminellen Vereinigung hatte sich als haltlos herausgestellt. Für die Polizei dürfte sich das Verfahren dennoch als von großem Wert erwiesen haben, bot es ihr doch die Möglichkeit, in einem geradezu unvorstellbaren Ausmaß Daten zu sammeln und die linke Fanszene der BSG Chemie Leipzig zu überwachen.

Angela Furmaniak

Angela Furmaniak ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht in Lörrach, Mitglied des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins und der Arbeitsgemeinschaft Fananwälte.