17. Okt. 2008 © dpa
Lebenslange Haftstrafe / Sicherungsverwahrung / Strafrecht

Menschenrechte widersprechen der Freiheitsstrafe. Tagung "Haftbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland" in Bonn

Vom 19. bis 21. September 2008 veranstaltete das Komitee für Grundrechte und Demokratie mit Unterstützung der Werner-Holtfort-Stiftung in Bonn eine Tagung mit öffentlicher Anhörung zu Gefängnispolitik und Knastalltag unter dem Titel "Haftbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland". Zwei Tage lang diskutierte ein interessiertes Publikum mit zahlreichen Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis intensiv über die Entwicklungen der aktuellen Kriminalpolitik und die Situation in den deutschen Gefängnissen.

Einführend stellte Martin Singe zentrale politische Themenbereiche aus der aktuellen Arbeit des Komitees für Grundrechte und Demokratie dar und berichtete über die Entwicklung der Arbeitsgruppe Strafvollzug im Komitee, die die aktuelle Tagung vorbereitet hat. Diese Gruppe im Komitee hatte in den 1990er Jahren zwei Fachanhörungen zur Lebenslangen Freiheitsstrafe organisiert, deren Dokumentationen vorliegen.

Eine weitere Fachtagung war der Frage nach Alternativen zum Strafvollzug gewidmet. 1998 wurde ein nach wie vor aktuelles Manifest veröffentlicht: "Strafrechtliche Gewalt überwinden! Indem Opfern geholfen, Konflikte ausgeglichen und Schäden, soweit irgend möglich, behoben werden". Weitere Schwerpunkte der Arbeit waren die Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Sicherungsverwahrung, dem DNA-Identitätsfeststellungsgesetz, jeweils aktuellen Entwicklungen in Kriminalpolitik und Strafvollzug sowie die Hilfestellung für einzelne Strafgefangene.

Hierzu gehört auch die Komitee-Aktion "Bücher für Gefangene". Die Arbeit der Gefangenenbetreuung im Komitee ging zum Jahresanfang von Sonja Vack auf Christian Herrgesell über. Helmut Pollähne, Rechtsanwalt und Kriminologe aus Bremen, skizzierte im Einführungsreferat die aktuellen Entwicklungen in Kriminalpolitik, Strafrecht und Justizvollzug. Nach wie vor sei die Freiheitsstrafe, die als "ultima ratio" hingestellt werde, der Inbegriff staatlichen Strafens, auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Während in den 1970er Jahren eine kritische Beschäftigung und Diskussion mit der Strafjustiz und dem Gefängniswesen breit eingesetzt hätten und einige Reform- und Alternativansätze auf den Weg gebracht werden konnten, so müsse gegenwärtig eher von einem entgegengesetzten Trend gesprochen werden. Strafrahmen-"Harmonisierungen" haben generell zu Strafverschärfungen, also Heraufsetzungen der zeitlichen Strafandrohungen geführt.

In der Entwicklung der Sicherungsverwahrung bedeutet vor allem die Nachträgliche Sicherungsverwahrung, dass diese Strafform ihr Unwesen bereits vorab - als ständig drohendes Damoklesschwert - im Strafvollzug selbst treibt. Der "Angriff auf die Lockerungen" habe schon vor der Föderalisierung des Strafvollzuges eingesetzt. Einige Stichworte charakterisieren die aktuelle Situation: weiterhin sei die Bestrafung durch Einschließung die Regel, sie stelle neben dem Freiheitsentzug die Zufügung eines Übels dar; diverse Strafrechtsverschärfungen haben stattgefunden; mehr Inhaftierte müssen bis zur Endstrafe sitzen; die Lockerungszahlen sind stark rückläufig;

Tendenzen zu dauerhafter Inhaftierung nehmen zu (Sicherungsverwahrung), Überbelegungen sind noch lange nicht abgeschafft. In der Diskussion ging es vor allem um Möglichkeiten demokratischer Kontrolle des Strafvollzuges und die Rolle der Anstaltsbeiräte, des CPT (Committee for Prevention of Torture) und möglicher nationaler Präventionsmechanismen gegen unmenschliche Haftbedingungen. Der Anhörungsteil der Tagung erfolgte in drei aufeinander folgenden Foren. Im ersten Forum "Gefängnispolitik" ging Johannes Fest, Leiter des Strafvollzugsarchivs an der Universität Bremen, der Frage nach, ob sich die Expertenwarnungen bewahrheitet hätten, die diese mit der Föderalisierung des Strafvollzugs (der seit 2006 in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder überging) einhergehen sahen, nämlich: dass z.B. die Rechtseinheit aufgegeben und zudem Sicherheit als Strafvollzugszweck dem Resozialisierungsziel weitgehend vorgeordnet werde. Er vertrat die These, dass vieles erst einmal nicht so eingetreten sei, wie befürchtet worden war. Trotz eigenständiger Strafvollzugsgesetze in Bayern, Hamburg und Niedersachsen bliebe eine wesentliche Orientierung am alten bundesweiten Strafvollzugsgesetz bestehen, ein "Schäbigkeitswettbewerb" um die schlechtesten Haftbedingungen sei nicht nachweisbar. "Sicherheit der Allgemeinheit" durch Strafvollzug und Zwangsbehandlung erreichen zu wollen, bliebe auch weiterhin eine Schimäre.

Entscheidend seien die Ermessens- und Beurteilungsspielräume der Strafvollzugsbehörden. Konkret müsse es daher um den Kampf um Mindeststandards im Strafvollzug gehen, also z.B. um Besuchsregelungen, Freistunden, Zellengröße, Personal-Relationen usw. Wolfgang Lesting, Richter am Oberlandesgericht Oldenburg, zeichnete im selben Forum die Rechtsschutzprobleme der Inhaftierten in einer "totalen Institution" nach. Ihre rechtsschwache Position ergebe sich aus dem Machtgefälle zwischen Vollzugsbehörde und Inhaftierten. Während der Vollzugsbehörde nicht nur die Definitionsmacht über die "Probleme" im Strafvollzug zukomme, besitze sie als Vielprozessierende in gerichtlichen Verfahren zugleich einen machtvollen Vorteil gegenüber den inhaftierten "Rechtsamateuren".

Außerdem kann sie die gerichtlich strittige Ausgangslage jederzeit verändern. Insofern sei es nicht verwunderlich, dass die Erfolgsquote für die Inhaftierten bei gerichtlichen Beschwerden vor den Strafvollstreckungskammern lediglich 2 bis 5 % betrage. Überdies weigern sich vermehrt Justizvollzugsbehörden, gerichtlichen Anordnungen Folge zu leisten, was zum Begriff der "renitenten Vollzugsbehörden" führte. Obwohl gerichtlich dazu verpflichtet, kommen sie den gerichtlichen Entscheidungen zugunsten der Gefangenen nicht nach. Wolfgang Lesting vermutete, dass die Missachtung der Gerichtsentscheide durch die Vollzugsbehörden mit Rückendeckung der Aufsichtbehörden, also der Ministerien, erfolge, um eine rechtswidrige Verwaltungspraxis durchzusetzen. Da gegenüber den Vollzugsbehörden keine Zwangsmittel angeordnet werden könnten, werden Rechtsverletzungen nicht behoben, sondern fortgesetzt. Werde der Gesetzgeber nicht tätig, diese Rechtsschutzlücke zu schließen, werde die mangelnde Effektivität des Rechtsschutzes der Gefangenen ein Verfassungsproblem. Wie lange können Vollzugsbehörden den Rechtsstaat missachten? Elke Bahl, Geschäftsführerin der Bremischen Straffälligenbetreuung, schilderte konkrete Exklusions-Mechanismen des Strafvollzuges.

Diese beginnen bei der Entfernung der Justizvollzugsanstalten (JVAs) zum bisherigen sozialen Umfeld der Gefangenen und reichen bis hin zum Ausschluss der Gefangenen aus den Sozial-Systemen. Schuldenlasten und Wohnraumverlust sind alltägliche Probleme nach der Entlassung. Die Entlassungsvorbereitungen und entsprechende Beratungsangebote seien mangelhaft. Einmütigkeit bestand in der Diskussionsrunde zu diesem Forum darin, dass die vorfindlichen Vollzugsbedingungen jedenfalls den verfassungsrechtlichen, nicht privatisierbaren Auftrag der Vollzugsbehörden, Menschen wieder in die Gesellschaft zu (re)integrieren, verfehlen.

Die Debatte machte deutlich, dass klare und eindeutige, Rechtssicherheit schaffende Regeln für den Strafvollzug erforderlich seien, damit der Rechtsschutz der Inhaftierten nicht ausgehebelt werden könne. Skandalös sei, so Lesting, dass die Mehrheit der Strafvollstreckungsrichter JVAs nicht einmal von innen kennen würden. Im Forum II "Konkrete Haftbedingungen" sprach zunächst Miriam Gruß, Richterin am OLG Frankfurt, über ihre Erfahrungen aus richterlicher Sicht. Während es einerseits schon einige Verbesserungen im Vollzug gäbe, wie z.B. einen Abbau von Mehrfachbelegungen und abgetrennte Toiletten in Doppel-Zellen, bleibe als Grundproblem, dass die Gerichte keine Durchsetzungsinstrumentarien gegenüber den JVAs hätten. Beschlüsse blieben "zahnlose Tiger", zumal die Ministerien sich oft schützend vor die JVAs stellten.

Im Bewusstsein der Richterschaft seien Strafvollstreckungsangelegenheiten leider eher Nebensächlichkeiten. Rechtsanwalt Sebastian Scharmer aus Berlin veranschaulichte an der Darstellung einzelner "Fälle", konkrete Haftprobleme. Gesundheitliche Mangelversorgung führe zu Krankheiten und einer in Haft erhöhten Todesrate. Suizide seien vor allem in U-Haft extrem hoch. Mangelhaft sei der Umgang mit der Suchtproblematik in Gefängnissen. Da das Strafvollzugsgesetz vor allem Ermessensentscheidungen vorsehe, würden die JVAs tendenziell zu rechtsfreien Räumen. Klaus Jünschke, Journalist und Sozialwissenschaftler, der im Rahmen seiner Tätigkeit im "Kölner Appell gegen Rassismus" drei Gesprächsgruppen mit jugendlichen Untersuchungshäftlingen in der JVA Köln-Ossendorf eingerichtet hat, berichtete über die Situation und den Alltag Jugendlicher in Haft.

In seinem Statement zeichnete er nach, wie das Prinzip des Zellengefängnisses den Strafvollzug für Jugendliche unerträglich mache. Über Wochen und Monate 23 Stunden am Tag eingeschlossen, seien sie sich selbst in ihren Ängsten und in ihrer Verletzlichkeit ausgeliefert - ohne konkrete Hilfe und Gesprächsangebote. Die Einzellzelle bemächtige sich des Individuums, mache es psychisch krank. Die Haft in Zellhäusern sei nicht jugendgerecht, sie brutalisiere und werde dem Auftrag der Resozialisierung nicht gerecht. Er problematisierte des weiteren die soziale Herkunft vieler Jugendlicher in Haft (Migrationshintergrund, Gewalterfahrung, ohne Ausbildung, sozial schwache Elternhäuser ...) und unterstrich, dass die Jugendgefängnisse abgeschafft gehörten, wollte man den jungen Menschen nur irgend gerecht werden. In einer Abendveranstaltung las er aus seinem eindrücklichen und empfehlenswerten Buch "Pop Shop", in dem er Gespräche mit Jugendlichen in Haft aufgezeichnet und thematisch zusammengestellt hat, um ihnen eine eigene Stimme in der Öffentlichkeit zu verleihen.

Dem einzigen Gefangenen, der bei dieser Anhörung über den Haftalltag hätte berichten sollen, Sven Born aus der JVA Fuhlsbüttel, wurde einen Tag vor Beginn der Veranstaltung die Teilnahme mit wenig stichhaltigen Gründen seitens der Hamburger Justizvollzugsanstalt verweigert, obwohl sein Antrag zwar 12 Wochen zuvor gestellt worden war. Durch die Kurzfristigkeit der Entscheidung war dem Gefangenen die Möglichkeit des rechtlichen Widerspruchs genommen. Die über 65 Teilnehmenden der Anhörung protestierten öffentlich gegen dieses Verbot: es belege die grundrechtlich und demokratisch bedenkliche Haftpolitik in Hamburg.

Die Gefangenenseelsorgerin Heike Rödder (JVA Rheinbach) berichtete in dem selben Forum eindrücklich, wie viele Gefangene in einem deprimierten und perspektivlosen Dämmerzustand dahinlebten. Durch die fehlenden Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten (in Rheinbach 70% ohne Beschäftigung!) gestalte sich der Haftalltag zu einem bloßen "Verwahrvollzug". Fortbildungen seien nur über einen deutschen Pass erreichbar, für ausländische Gefangene also praktisch ausgeschlossen. Karl-Heinz Bredlow, Leiter der JVA Iserlohn (Haftanstalt für Jugendliche), ging auf die in den 1970er Jahren mit dem neuen Strafvollzugsgesetz verbundenen Hoffnungen ein. Doch es zeige sich die Übermacht der Tradition, das preußische Gefängnis bestehe fort.

Ein Beispiel für Unveränderbarkeit sei das Fortbestehen des praktisch gleichen Bedienstetenbüchleins von 1948 bis 2008. Diese traditionalen Beharrungen seien eine Gefahr. Mögliche Öffnungen nach außen und Kooperationen mit außerjustiziellen Einrichtungen, um das Wesen der JVA als "Haus des Schreckens und der Schmerzen" zu überwinden, seien schwierig umzusetzen, aber gleichwohl eine große Chance. In einem dritten Forum "Besondere Haftbedingungen" wurden die Mängel spezifischer Haftsituationen von Sicherungsverwahrten, zu lebenslanger Haft Verurteilter und von inhaftierten Frauen zusammengetragen.

Rechtsanwältin Ines Woynar aus Hamburg thematisierte die Sicherungsverwahrung. Die mediale Öffentlichkeit sei stolz auf mehr Einschluss. So rühmte "Die Welt", dass Hamburg "immer mehr Verbrecher für immer hinter Gitter" bringe. Während die Sonderbedingungen für Sicherungsverwahrte diesen eigentlich eine etwas privilegiertere Situation bringen sollten, führten sie in der Praxis dazu, dass diese in besonderer Weise ausgegrenzt sind und unter dem mangelnden Kontakt zu anderen Gefangenen leiden. Barbara Klawitter, die als Rechtsanwältin in Hannover Gefangene mit lebenslanger Freiheitsstrafe betreut, widersprach der eher positiven Einschätzung von Richterin Miriam Gruß, dass sich einiges zum Positiven gewendet hätte. In der JVA Celle z.B. seien viele Verschlechterungen zu verzeichnen, ganz konkret z.B. die starken Einschränkungen bei Besuchszeiten, beim Einkauf, die Abschaffung der Berechtigung, dreimal im Jahr ein Paket zu empfangen. Lebenslange erhielten keine Lockerungen, solange kein Entlassungstermin absehbar sei.

Zwei Ausführungen im Jahr seien für sie die Regel. In 2007 lag die Zahl der mit lebenslanger Freiheitsstrafe Inhaftierten in der BRD bei ca. 2.400 Personen. Oft werde ein Zwang zu kollektiver Schuldaufarbeitung ausgeübt; wer sich dem entziehe, bekomme erst recht keine Chance. Für etliche Gefangene stelle sich ihre Situation als Isolationsfolter dar. Gabriele Scheffler von der Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe, Bonn, thematisierte den Frauenvollzug. Unter 5% der Gefangenen sind Frauen, konkret etwa 4.000 Personen. Die Hälfte davon sitze wegen Eigentumsdelikten. Ein hoher Anteil mit Drogenproblematik sei zu verzeichnen.

Etwa 90% der betroffenen Frauen hätten selbst Erfahrungen als Opfer von Gewalt oder Straftaten gemacht. Ein besonderes Problem sei die Situation von Müttern im Gefängnis. 2/3 der inhaftierten Frauen haben Kinder im Kleinkinderalter; es gebe 60 Geburten pro Jahr im Gefängnis. Frauen erlebten ihre Verurteilung zur Freiheitsstrafe psychisch als dreifaches Versagen gegenüber gesellschaftlichen Rollenerwartungen: neben der Stigmatisierung als Verbrecherin hätten sie auch in der Frauen- und Mutterrolle versagt.

Im März 2008 wurde im EU-Parlament eine Richtlinie zum Frauenvollzug verabschiedet, die das Kindesinteresse in den Mittelpunkt rückt. Unter dieser Perspektive müsse der Frauenvollzug neu überdacht werden. In den verschiedenen Arbeitsgruppen wurden die in den Foren vorgetragenen Thesen und Wege für politische Veränderungen diskutiert. Zum Teil kann versucht werden, das Gefängnis-System "von den Rändern her" in Frage zu stellen und aufzubrechen z.B. mit der Abschaffung der Abschiebehaft und der Jugendknäste. Kleine Ansätze können verfolgt werden, um Erleichterungen bei den Haftbedingungen zu erreichen: Politische Forderungen öffentlich diskutieren, Mitarbeit in Anstaltsbeiräten, Besuche von und Kontakte mit Gefangenen u.v.m.

Die Forderung nach Kontrollinstitutionen (wie Ombudsmänner/frauen) ist nur sinnvoll, wenn diese mit entsprechenden Mitteln und als weitgehend unabhängige Instanzen eingerichtet werden. Die Kritik der Freiheitsstrafe und die generellen politischen Forderungen zur Verbesserung des Strafvollzuges und der Haftbedingungen sollten stärker und offensiver in die politische Debatte, in Öffentlichkeit und Medien getragen werden. Gabriele Klocke, Rechtslinguistin und Kriminologin aus Regensburg, machte in ihrem Abschluss-Statement deutlich, inwiefern Sprache im Bereich Strafvollzug eine besondere Rolle für Wahrnehmungsmuster spiele (z.B.: Während Beamte versetzt werden, werden Gefangene verlegt!).

Sie verdeutlichte dies insbesondere am Umgang mit den Wörtern "Knast" bzw. "Gefängnis" und der jeweiligen Kontextualität Auf die Wahrung und Ermöglichung von Kommunikation als Grundrecht und Teil der Menschenwürde unter den Bedingungen des Strafvollzuges müsse besonders geachtet werden, zumal ein Großteil der Gefangenen (tw. 50-80% fremdsprachige Gefangene) Migrationshintergrund habe. Kommunikationsverweigerung - und das Gefangensein in Zellen ist Kommunikationsverhinderung - bedeute "menschliches Sterben" als sozialen Tod.

Wolf-Dieter Narr, Politologe aus Berlin und Mitbegründer des Komitee für Grundrechte und Demokratie, unterstrich abschließend, dass die Machtungleichgewichte und die weiten Ermessensspielräume der Vollzugsverwaltung, wie sie in der Anhörung zur Sprache gekommen seien, den institutionellen Rahmen des Gefängnisses bestimmen. Menschenrechte - recht verstanden als Ausdruck menschlicher Grundbedürfnisse - und die Gewaltverhältnisse der Freiheitsstrafe widersprächen einander. Die aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen seien von Inklusions- und Exklusionsprozessen gekennzeichnet.

Narr wies in diesem Zusammenhang exemplarisch auf die Lage der Menschen in den Abschiebhaftanstalten und Lagern in und außerhalb Europas hin. Im Knast ginge es um die Staatsbeherrschung des Menschen und die Sichtbarmachung des staatlichen Gewaltmonopols. Das Strafvollzugsgesetz sei ein bürokratisches Ermächtigungsgesetz. Es handele sich dabei um "public management" mit Menschen aus Fleisch und Blut. Dass Gefängnisse und Freiheitsentzug als Strafe der Resozialisierung dienten, sei ein gesellschaftlicher Selbstbetrug. Gerade deswegen solle man sich die Utopie des Abolitionismus' bewahren, damit die Kriterien der eigenen Beobachtungen und Wertungen nicht verloren gingen.

Dirk Vogelskamp / Martin Singe