Als ärztlicher Berufsverband kritisiert ihr, dass mit der beispiellosen Aufrüstung auch das deutsche Gesundheitswesen „kriegstauglich“ gemacht werden soll. Wie kann man sich das vorstellen?
Das Gesundheitswesen soll – im Verteidigungs- oder Kriegsfall – der militärischen Logik und Hierarchie unterworfen werden. Seine Strukturen sollen für den Kriegsfall gut funktionieren, erreichbar sein, Betten für Soldat*innen zur Verfügung stellen, die Beschäftigten sollen fachlich auf Kriegsverletzungen vorbereitet sein. Alles das soll suggerieren, dass man einen Krieg führen und gewinnen kann und sich der Schaden für die Bevölkerung in Grenzen hält, weil sie gut versorgt wird. Ein Hohn, wenn man sich aktuelle Kriegsgebiete anschaut. Grotesk, wenn man an einen zukünftigen großen Krieg mit Einsatz von nuklearen Waffen denkt.
Die Vorbereitung auf Katastrophen und Krisen ist überall präsent. Die medizinische Versorgung im Kriegsfall ist ja nicht falsch, oder?
Mit Verlaub, so werden die Fragen ganz oft gestellt und ich halte das für hochgradig ideologisch bzw. suggestiv, denn hier werden Katastrophen wie Wetterkatastrophen (z.B. im Ahrtal) oder Erdbeben und Krisen wie die Corona-Pandemie in einen Topf geworfen mit Krieg. Im Krieg herrscht aber eine militärische Logik, dort wird nach militärischen Regeln priorisiert und triagiert. Patient*innen werden nach dem Kriterium der Wiederherstellung ihrer Funktionstüchtigkeit für den Krieg behandelt. Das sind andere Kriterien als zivile, medizinische, die in der Krise oder der Katastrophe angewandt werden.
Es ist wichtig, auf diesen Unterschied immer wieder hinzuweisen. Auf Krisen und Katastrophen sollten wir selbstverständlich vorbereitet sein. Das bedeutet aber auch grundsätzliche Änderungen, denn aktuell ist das Gesundheitswesen ja schon an sich kaum funktionstüchtig. Ökonomisiert man ein Gesundheitswesen, anstatt entlang der Bedarfe zu planen, dann kommt das raus, unter dem wir gerade alle leiden.
Wie werden diese Pläne zur Militarisierung innerhalb der Beschäftigten des Gesundheitswesens diskutiert?
Zunächst einmal werden sie noch nicht breit diskutiert, aber dort, wo es Diskussionen gibt, geht es zum einen darum, ob man verpflichtet werden wird, sich an Kriegsvorbereitung bzw. sich im Kriegsfall an der militärischen Priorisierung zu beteiligen. Es werden die Widersprüche zwischen medizinischem bzw. professionellem Ethos und militärischer Logik diskutiert:
Wie kann man sich etwa letzterer individuell und kollektiv widersetzen, ohne Verletzten Hilfe zu verweigern?
Keine einfachen Fragen. Es werden auch Fragen der Totalverweigerung und der Emigration diskutiert. Und natürlich ganz praktische Fragen: Wie sollen sich Belegschaften fortbilden bei der aktuellen Personalknappheit? Muss man sich an Kriegsübungen beteiligen Haben Betriebsrat oder Personalrat hier ein Mitspracherecht?
Welche Möglichkeiten des Widerstands seht ihr?
Wir sehen zunächst die Möglichkeit, unserer Kolleg*innen im Gesundheitswesen aufzuklären und zu fragen, ob sie sich auf die aktuell politisch angebotenen Antworten auf diese krisenhaften Entwicklungen einlassen wollen. Wir wollen Bewusstsein dafür schaffen, was Krieg bedeutet – für die Beschäftigten im Gesundheitswesen und für die Bevölkerung. Ein Bewusstsein dafür, dass man Kriege nicht gewinnen kann und dass ein Gesundheitswesen die Menschen nicht schützen kann vor Krieg – zumal, wenn dieser atomar geführt werden wird.
Schaffen wir es, dafür ein Bewusstsein zu erzeugen, werden sich die Menschen hoffentlich kollektiv zu Wehr setzen, Fortbildungen verweigern, nicht an Übungen teilnehmen. Allein ist das schwer, sie müssen das als Kollektiv oder als Betrieb machen. Weiterhin hoffen wir darauf, als ärztliche Stimme dafür Gehör zu finden. Die organisierte Ärzteschaft (Ärztekammern, viele Fachverbände) stehen leider hinter den Bemühungen des Verteidigungsministeriums, die Beschäftigten ins Boot zu holen.
Ihr habt eine Broschüre zum Thema veröffentlicht, an wen richtet sie sich und wo ist sie erhältlich?
Die Broschüre richtet sich an Beschäftigte im Gesundheitswesen und da vor allem an die Jüngeren. Wir haben deshalb eine Argumentationshilfe mit 9 Thesen und Antworten geschrieben, mit denen man sie widerlegen kann. Außerdem ist ein Text von Hans-Ulrich Deppe aus den 80er Jahren enthalten zur Frage, ob der Sozialstaat kaputtgerüstet wird. An ihm sieht man, dass diese Probleme nicht neu sind und etwas mit der grundsätzlichen Organisation unserer Gesellschaft zu tun haben.
Uns geht es darum, diese Entwicklungen auch im Zusammenhang mit der kapitalistischen Produktionsweise zu diskutieren und zum Nachdenken anzuregen, wem diese Kriege nutzen und wer darunter zu leiden hat. Außerdem wollen wir die Verengung der gesellschaftlichen Debatte bekämpfen. Es gibt immer andere politische Wege, die man beschreiten kann und für die man Mehrheiten organisieren muss. Wir wollen uns nicht dumm machen lassen von den jetzt angebotenen politischen Antworten. Wir wollen die Fragen anders stellen.
Die Broschüre ist über die Webseite des vdää bestellbar.
Der vdää* als ärztlicher Berufsverband versteht sich als kritische und linke Alternative zu standespolitisch wirkenden Ärzteverbänden. Er bietet Raum für gesellschafts- und selbstkritische Diskussionen, fördert die Vernetzung politisch aktiver Ärzt*innen, Medizinstudierender und Psycholog*innen, erarbeitet Analysen und beteiligt sich an gesellschaftlichen Auseinandersetzungen.
■ Das Interview führte Britta Rabe
25. Nov. 2025
© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt
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Militarisierung des Gesundheitswesens? Ein Interview mit Nadja Rakowitz von dem Verein demokratischer Ärzt*innen
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