»Mit Wasserwerfern darf nicht auf Köpfe gezielt werden«

Rechtswidrige Polizeieinsätze gegen Demonstranten sind keine Seltenheit. Gerichtsentscheide, die die Regelbrüche im Nachheinein bestätigen, haben kaum Auswirkungen. Ein Gespräch mit Elke Steven

 

junge welt, Mittwoch, 6. Juli 2011, Nr. 154; Beilage antirepression;

www.jungewelt.de/beilage/beilage/223 (zu bezahlender Artikel); im Folgenden mit Erlaubnis veröffentlicht

 

Polizei und Justiz gehen aktuell massiv gegen das bundesweite antifaschistische Bündnis «Dresden stellt sich quer!» vor, das im Februar dieses Jahres die Massenblockaden gegen den Naziaufmarsch in Dresden organisiert hat. Die Teilnehmer und Organisatoren der friedlichen Proteste werden nach Paragraphen 129 (»Bildung einer kriminellen Vereinigung«) verfolgt …

Dieser Paragraph diente schon immer vorrangig der Rechtfertigung von Überwachung und Ausforschung. Es geht meist gar nicht um Strafverfolgung. Eine Blockade unter den Verdacht einer Straftat mit erheblicher Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu stellen, ist absurd. Vor allem geht es wohl wiedermal darum, die verschiedenen Initiativen, die sich gegen Rassismus und Nationalismus wenden, zu überwachen und weitere Bürger von einer Beteiligung abzuschrecken. Mehrmals sind solche Ermittlungen im Nachhinein als rechtswidrig gewertet worden.

Inzwischen ist bekannt, daß am Tag der Proteste mehr als eine Million Handyverbindungen seitens der Behörden geortet, gespeichert und zum Teil abgehört wurden. Können sich Betroffene gegen eine derartige Datensammelwut wehren?

Leider haben wir es im Kontext des Versammlungsrechts immer wieder damit zu tun, daß die Polizei zunächst mal handelt und auch Richter findet, die ihren Aktionen in aller Eile zustimmen. Die rechtliche Überprüfung kann erst später stattfinden. Inzwischen hat sich ja herausgestellt, dass sogar schon seit 2009 massenweise Kundendaten vom Baumarkt Obi und Telefondaten gesammelt wurden. Mit der Erfassung der Handydaten im Kontext einer Demonstration wurde aber zugleich unrechtmäßig in das Grundecht auf Versammlungsfreiheit eingegriffen. Leider helfen Gerichtsurteile oft nicht. Der Hamburger Kessel im Jahr 1986 war rechtswidrig. Gegendemonstrationen gegen Nazi-Demos wurden seitdem trotzdem immer wieder rechtswidrig eingekesselt – in Dortmund, Köln, Ulm.

Zunehmend kann in der Bundesrepublik eine Militarisierung von Polizeieinsätzen beobachtet werden. So wurden etwa in Dresden Überwachungsdrohnen zur Ausforschung antifaschistischer Demonstranten eingesetzt, die sonst nur aus Kriegseinsätzen bekannt sind ...

Die Drohnen wurden schon im November 2010 bei den Demonstrationen gegen den Castortransport eingesetzt. Videoaufzeichnungen sind nur angesichts von «tatsächlichen Anhaltspunkten» für »erhebliche Gefahren« für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vom Versammlungsgesetz vorgesehen. Das haben die Gerichte vom Bundesverfassungsgericht bis zum Verwaltungsgericht Berlin immer wieder betont. Die Berliner Richter bergründeten, dass «durch das Gefühl des Beobachtetseins» die Teilnehmenden »eingeschüchtert« oder gar von der Teilnahme abgehalten werden könnten. «Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist.» Die heimliche Überwachung mit Drohnen ist erst recht grundrechtswidrig.

Seit geraumer Zeit ist zu beobachten, daß die Polizei massiv Pfefferspray gegen Demonstranten einsetzt, obwohl dies zu schweren Gesundheitsschäden, bei Konsumenten von Drogen oder Psychopharmaka sogar zum Tod führen kann. Müßte der Einsatz von Pfefferspray nicht umgehend untersagt werden?

Ja, sofort. In Deutschland hatten wir ja eine Entwicklung weg vom Einsatz von Abstandswaffen und eher hin zu Gespräch und Kooperation. Leider scheint die Polizei nun den gegenteiligen Weg einschlagen zu wollen. Solche Waffen, die die demonstrierenden Bürger erheblich gefährden, gar ihr Leben bedrohen, haben bei Versammlungen nichts zu suchen. Im Wendland sind beim Castortransport 2190 Kartuschen mit synthetischem Pfefferspray von der Bundespolizei eingesetzt worden. Sie wurden gegen Gruppen eingesetzt, die sich friedlich den Schienen näherten, deren Versammlungen vorher nicht aufgelöst worden waren und auch außerhalb der Demonstrationsverbotszone.

Die »grün-rote« Koalition in Baden-Württemberg hat angekündigt, zukünftig auf den Einsatz von Wasserwerfern verzichten zu wollen. Wie erklären Sie sich, daß derartige Forderungen bisher nicht von anderen Landesregierungen wie etwa der von SPD und Linkspartei in Berlin erhoben wurden?

In Stuttgart stand der unverhältnismäßige Einsatz des Wasserwerfers bei Protesten gegen das «Bahnprojekt 21» im Rampenlicht. Mit Wasserwerfern darf nicht auf Köpfe gezielt werden. Das wird aber immer wieder getan. In Stuttgart wie auch bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm sind Menschen dadurch erheblich am Auge verletzt worden. Solche Abstandswaffen haben bei Versammlungen nichts zu suchen. Die Polizei steht aber auch immer wieder unter dem politischen Druck, aktuell etwas schnell durchzusetzen. Da müsste sich auch die Politik ändern.

Vielerorts kommt es bei Demonstrationen zu massiven Übergriffen durch Polizisten, die aufgrund der Anonymität der Beamten nicht aufgeklärt werden können. Ist eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten das Allheilmittel?

Ein Allheilmittel ist es sicher nicht, aber ein wichtiger Schritt ist es schon. Es würde die Möglichkeiten der öffentlichen Kontrolle in diesem ungleichen Verhältnis ein wenig erweitern. Es änderte nichts daran, dass auf Klagen verzichtet wird, weil eine Gegenklage befürchtet wird. Die Erfahrung zeigt auch, dass Gerichte eher den Aussagen der Polizei glauben.

Gemeinsam mit anderen Bürgerrechtlern geben Sie Jahr für Jahr den Grundrechtereport heraus. Wie ist es ganz allgemein um die Grund- und Freiheitsrechte in der Bundesrepublik bestellt?

Die Themen gehen uns nicht aus. Jahr für Jahr gibt es eine Fülle von berichtenswerten Fällen. Wir können immer nur die wichtigsten herausgreifen.

Hatten Sie persönlich vor einigen Jahren erwartet, daß der Abbau der Grundrechte in derart schnellem Schritt forciert wird?

Grundrechte müssen immer wieder neu erkämpft werden. Ohne die vielfältigen Formen, das Versammlungsrecht Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre wahrzunehmen, wäre es wohl kaum zum Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts gekommen, in der die besondere Bedeutung dieses Grundrechts erkannt wurde. Und ohne die vielfältigen Weiterentwicklungen stände es auch heute schlecht um das Demonstrationsrecht. Die Bürger haben immer neue Formen entwickelt, sich das Recht zu nehmen, an den Ort zu gelangen, an dem sie demonstrieren wollen, haben Sitzblockaden eingeübt und halten das Grundrecht damit lebendig. Durch Ermittlungsausschuss, Anwälte, Demonstrationsbeobachtungen, Gruppen wie der »rebell clowns army« wird die Wahrnehmung dieses Rechts unterstützt. Aber ja, das Maß, in dem die Politik der „Inneren Sicherheit“ voranschreitet, erschreckt. Die Politik müsste endlich lernen, die Bürger nicht als Ordnungsfälle für Polizei und Geheimdienste zu betrachten, sondern sie ernst zu nehmen und einzubeziehen.

Interview: Markus Bernhardt