06. Mai 2022 © Avtozak LIVE , CC BY 4.0
Antimilitarismus / Demokratie / Europa / Frieden/Pazifismus / Klimakrise & Klimaschutz / Kriegsdienstverweigerung

Mut zu emanzipatorischem Wandel – auch während des Kriegs

Am 24. Februar ordnete der russische Präsident Wladimir Putin eine umfassende Invasion der Ukraine an. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg eskaliert seitdem rasant. Es mehren sich Berichte von Kriegsverbrechen: die Bombardierung flüchtender Menschen aus Mariupol, hunderte ermordete Zivilist*innen in Irpin, Butscha und Hostomel, systematische Vergewaltigungen.

Begleitet wird der russische Krieg vom Ausschalten der schon zuvor weitgehend zerschlagenen russischen Opposition. Die letzten unabhängigen Medien mussten ihre Arbeit einstellen, verbliebene NGOs wurden vertrieben, autoritäre neue Gesetze kriminalisieren jeglichen Dissens. Offiziell darf in Russland vom Krieg nur als „Spezialoperation“ gesprochen werden.

Dabei ist die Realität klar zu erkennen: Millionen von Ukrainer*innen sind auf der Flucht, gleichzeitig ist der Widerstand gegen das russische Militär enorm. Neben der Regierung unter Präsident Wolodymyr Selenskyj signalisieren viele Menschen in der Ukraine vehement, dass es sich um eine existenziell notwendige Verteidigung handelt und fordern internationale Unterstützung.

Mit Kriegsbeginn entstand hierzulande eine große praktische Solidaritätswelle für Ukrainier*innen, durch Aufnahme, Unterbringung und Spenden. Tausende demonstrierten zudem gegen den Krieg. In diese Stimmung hinein verkündete Kanzler Olaf Scholz Waffenlieferungen an die Ukraine und die massive Aufrüstung der Bundeswehr.

Die militärische Logik verbreitet sich seither ohne Unterlass. Viele sind bereit, eine weitere Bewaffnung der ukrainischen Armee sowie weitere Eskalationsschritte mitzutragen. Die Rüstungskonzerne profitieren von der Situation, Rheinmetall bietet der Ukraine gar am deutschen Parlament vorbei Panzer zum Verkauf an. Aber die Lieferung schwerer Waffen in das Kriegsgebiet kann verheerende Folgen haben.

Während auf der einen Seite über weitere Waffenlieferungen an die Ukraine debattiert wird, finanziert Deutschland indirekt auch die russischen Truppen: Russlands Wirtschaft und damit seine Fähigkeit zur langfristigen Kriegsführung ist vom Verkauf fossiler Energieträger abhängig. Deutschland bleibt einer der größten Abnehmer insbesondere von Gas und finanziert demnach diesen Krieg mit.

Die Kritik daran wächst und rückt die Energiefrage in den Fokus: Eine Mehrheit der Bevölkerung befürwortete Mitte März ein deutsches Energieembargo gegen Russland – trotz möglicher schwerer Folgen für die Wirtschaft. Doch bisher heißt es aus der Ampelregierung noch, es sei nicht möglich, komplett auf die russischen Lieferungen zu verzichten.

Laut aktueller wirtschaftswissenschaftlicher Studien wäre ein Embargo dabei sehr wohl machbar. Es bräuchte allerdings die Bereitschaft, deutliche Energiereduktionen in der Industrie umzusetzen und wirtschaftliche Einbußen in Kauf zu nehmen. Die rot-gelbgrüne „Solidarität“ mit der Ukraine hört an dieser Stelle auf. Die Bundesregierung will die deutschen Wirtschaftsinteressen nicht gefährden, ist aber umso stärker bereit, weitere Waffenlieferungen zu diskutieren, um sich nicht Untätigkeit vorwerfen zu lassen.

DIE ENERGIEFRAGE UND DER KRIEG

Doch selbst wenn der öffentliche Druck für ein Energieembargo die Ampel zum Einlenken zwingen sollte, wäre längst nicht alles gewonnen. Denn die von Wirtschaftsminister Robert Habeck vorgebrachten Alternativen sind scheinheilig.

Statt vom Autokraten Putin kauft die Bundesregierung ihre Energie künftig wohl von Regimen in Katar oder Libyen. Oder sie unterstützt für diesen Zweck mittelbar die Vertreibung indigener Bevölkerungen in Kolumbien, Kanada oder den USA.

Um nicht von Diktatoren und Autokraten abhängig zu bleiben, bräuchte es dagegen eine schnelle und komplette Dekarbonisierung. Der beschleunigte Ausbau der Erneuerbaren im Osterpaket geht in die richtige Richtung. Allerdings müsste auch endlich eine echte Verkehrswende inklusive Tempolimit als überfälligem Schritt eingeleitet werden. Eine konsequente Umsetzung der Energiewende, die nicht zulasten der Ärmsten geht, wird ohne Druck von unten dabei kaum zu erreichen sein. Diese Aufgabe obliegt vor allem den sozialen Bewegungen.

Hoffnungsvolle Signale sind durchaus zu erkennen: Fridays for Future hat sich am Klimastreik am 25. März ebenfalls scharf gegen den Krieg positioniert, die zentrale Bedeutung der Energiefrage im Krieg in der Ukraine ist den Aktivist*innen bewusst. Gleichzeitig hat sich etwa das Bündnis Rheinmetall entwaffnen aufgemacht, mit neuen Impulsen in die Friedensbewegung hineinzuwirken und der Aufrüstung sowie der fortschreitenden Kriegslüsternheit Deutschlands mit Widerstand zu begegnen.

Im März gelang dem Bündnis auf einer Konferenz in Kassel dazu ein thematischer Brückenschlag mit den Initiativen Abolish Frontex, Ende Gelände und Fridays for Future – die Abhängigkeit zwischen Klimakrise, patriarchaler Gewalt und Kriegen wurde breit diskutiert. Im Anschluss fand ein gemeinsamer bundesweiter Aktionstag gegen den Krieg und die Abhängigkeit von fossilen Energien statt.

Um zeitgemäße Antworten auf den Krieg in der Ukraine zu finden, wird es aber auch stärkere internationale Vernetzung von unten benötigen – nicht zuletzt mit Aktiven aus Osteuropa und Russland. Austausch der emanzipatorischen Bewegungen hatte es in den vergangenen Jahrzehnten immer gegeben, ob bei Protesten gegen Gipfeltreffen, im Rahmen des Weltsozialforums, bei den intergalaktischen Treffen der Zapatist* innen oder bei der Unterstützung Rojavas. Diese Gespräche wieder zu intensivieren, bleibt eine wichtige Aufgabe.

FÜR EINEN NACHHALTIGEN FRIEDEN

Egal, wo man sich am Ende engagiert – immer deutlicher wird die Erkenntnis, dass die Sicherheit vor Krieg und seinen Folgen untrennbar mit der Sicherheit vor Umweltzerstörung verknüpft ist. Es reicht nicht, einen Zustand anzustreben, in dem lediglich akute kriegerische Auseinandersetzungen und direkte Gewalt abwesend sind.

Krieg – sei es in der Ukraine, im Yemen oder in Syrien – trifft überall die Zivilbevölkerungen, er verursacht stets grauenvolles Leid. Daher müssen auch die indirekten und strukturellen Formen von Gewalt präventiv und nachhaltig beseitigt werden. Ein solcher Friedensprozess setzt auf eine langfristige Transformation hin zu sozialer Gerechtigkeit, in der Armut, Diskriminierung und soziale Spaltung nicht mehr existieren und die Lebensgrundlagen, auch die ökologischen, geschützt sind – entscheidende Bedingungen für einen nachhaltigen Frieden.

Der Krieg in der Ukraine zeigt hierbei klar auf, dass die für einen geforderten Wandel gewöhnlich vorgeschobenen Ausreden keinerlei Rolle spielen: Die Bundesregierung kündigte rasch die massive Erhöhung des Verteidigungshaushaltes an, während zuvor jahrelang erfolglos Investitionen in soziale Infrastruktur und erneuerbare Energien verlangt wurden. Flüchtende ukrainischer Nationalität werden plötzlich fast unbeschränkt aufgenommen, während (Kriegs-)flüchtende sonst endlos um grundlegenden Zugang zu Aufenthalt und Versorgung kämpfen müssen und weiter der vorherrschenden Abschreckungspolitik ausgesetzt sind.

Es braucht aber einen echten Wandel. Die notwendigen tiefgreifenden Veränderungen bedürfen emanzipatorischer Kämpfe und viel Engagement. Wir treten ein für eine andere Zeitenwende: Hin zu einer Welt, die antirassistisch, antikapitalistisch, ökologisch und feministisch ist. Wir sind dafür auf der Suche nach neuen Wegen, zusammen und in Verbindung mit Gleichgesinnten – in der Ukraine und in Russland, innerhalb und an den Grenzen Europas und überall auf der Welt.

Und wir engagieren uns weiter für einen nachhaltigen Frieden – auch, indem wir uns gegen dieautoritäre Entwicklung im Inneren stellen. Denn ein Abbau von Grund- und Menschenrechten ebnet stets den Weg für eine aggressive Politik nach außen.


■ Die Redaktion