25. Aug. 2022
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Nein zu Frontex: Grenzen und Möglichkeiten einer Volksabstimmung

Im April begannen Britta Rabe, MatthiasMonroy (CILIP/Bürgerrechte und Polizei) und Lorenz Naegeli (von der Schweizer Organisation Solidarité sans Frontières) die Infotour „Frontex und die Festung Europa“, die mit Veranstaltungen in der Schweiz startete. Dort war für den 15. Mai eine Volksabstimmung angesetzt, in dessen Rahmen wir die Kampagne „Nein zu Frontex!“ unterstützt haben. Die Abstimmung sollte den personellen und finanziellen Ausbau der EU-Grenzschutzagentur durch die Schweiz beenden. Wir baten Lorenz um einen Rückblick aus Schweizer Perspektive:

Lorenz, wer hat das Referendum initiiert und wie ist es ausgegangen?

Das Referendum wurde von einer kleinen Gruppe Aktivist*innen aus selbstorganisierten Projekten rund um das „Migrant Solidarity Network“ initiiert, als Reaktion auf den Entscheid im Schweizer Parlament, den personellen und finanziellen Ausbau von Frontex mitzutragen. Mit dem Slogan „Nein zu Frontex, Ja zur Bewegungsfreiheit für alle!“ startete das Referendum Ende September 2021.

Ziel war es, insbesondereauf die Verantwortung und die Verbindungen der Schweizer Politik und Gesellschaft bei der EU-Migrationspolitik und den Verbrechen an den EU-Außengrenzen aufmerksam zu machen. Nachdem im Januar die benötigten 50.000 Unterschriften zusammenkamen, wurde am 15. Mai 2022 schließlich an der Urne abgestimmt: Ungefähr 70 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung der Schweiz stimmten dem Ausbau von Frontex zu und somit gegen die Forderungen des Referendumskomitees.

Hat die Kampagne dann überhaupt etwas gebracht?

Das Scheitern an der Urne war absehbar, dennoch sehen wir die Kampagne als einen Erfolg. Sie hat erstmals eine Debatte um Frontex und die  Binnenlandes Schweiz an der EU-Abschottungspolitik angestoßen und außerdem die Forderung nach Bewegungsfreiheit für alle mit der Abschaffung der Grenzschutzagenturals solches verknüpft.

Politiker*innen aller Lager wurden genötigt, sich zu positionieren. Dabei wurde auch klar, dass die zögerliche Haltung der Parteien ungenügend und nicht überzeugend ist, die Frontex lediglich „humaner“ reformieren wollen. Gegen Frontex und für Bewegungsfreiheit braucht es aber eindeutige und kompromisslose Forderungen, denn Grundrechte sind nicht verhandelbar!

Ein weiteres Ziel war, migrantische Stimmen in dieser Debatte hörbar zu machen. Damit waren wir erfolgreich. Unser Narrativ setzte sich durch, dass sich zwar Leute äußern konnten, die von dieser Politik direkt betroffen sind, sie aber kein Recht haben, darüber abzustimmen – denn stimmberechtigt sind nur schweizerische Staatsangehörige.

Was siehst du darüber hinaus als Erfolg an?

Das Thema Frontex in der Schweiz sollte die überregionale Vernetzung selbstorganisierter Strukturen der antirassistischen Bewegung stärken. Unzählige Veranstaltungen, Sitzungenund Aktionen in verschiedenen Städten haben das gefördert und wir hoffen, dass diese Verbindungen und Erfahrungen weitergetragen werden. Das sehen wir als wichtigen Schritt für weiterführenden Widerstand gegen die Abschottung und Auslagerung der EU-Außengrenzen.

Die Forderung nach der Abschaffung von Frontex und für Bewegungsfreiheit für alle konnte schließlich in Regionen und Kreise getragen werden, denen derartige Fragen ansonsten fremd sind.

Was kann man in anderen Ländern von der Kampagne gegen Frontex lernen?

Das Referendum versuchte erstmalig, die Verantwortung weg von der konfusen und technischen EU-Ebene zu lösen und die Verantwortung an lokale Politik und Institutionen zu knüpfen. Wir haben verschiedene Personen und Institutionen benannt und unter Druck gesetzt, die in der Schweiz konkret für die Umsetzung der Grenzpolitik und die Mitarbeit bei Frontex verantwortlich sind – wie etwa die Zollverwaltung oder die Schweizer Vertretung im Frontex-Verwaltungsrat, Marco Benz und Medea Meier.

Das hat gut funktioniert und ist wegen der spezifischen Ausgestaltung von Frontex als eigenständige bzw. autonome Agentur im EU-Gefüge eine Strategie, die wir auch zukünftig und anderswo anwenden sollten.

Letztendlich sind es die Mitgliedstaaten und ihre Beamt*innen, die unter Druck gesetzt werden müssen. Wir haben gezeigt, wie dies möglich ist.

Alle Länder haben Unternehmen, Institutionen und politische Vertreter*innen, die bei Frontex mitarbeiten und die für die Ausgestaltung und Entwicklung der Agentur (mit-)- verantwortlich sind. Denn der Rücktritt des Frontex-Direktors Fabrice Leggeri Ende April 2022 ist zwar erfreulich, wird aber sicher nicht zu einem grundlegenden Kurswechsel führen.

Die Infotour zu Frontex ist weiterhin unterwegs und kann angefragt werden.

Mehr Infos: www.grundrechtekomitee.de/details/ frontex-und-die-festung-europa-infotour