19. Aug. 2011 © dpa
Demonstrationsbeobachtung / Nationalismus & Neue Rechte / Versammlungsrecht

Neue Versammlungsgesetze – ein Instrument im Kampf gegen Rechtsextremismus?

Im Rahmen der Tagung "Provokation und Propaganda – Rechtsextreme Straßenpolitik als Herausforderung für die Zivilgesellschaft” (19. Juni 2009) hat Elke Steven einen Vortrag zu den Versammlungsgesetzen gehalten. Wir veröffentlichen diesen Aufsatz der in dem Band: Heiko Klare, Michael Sturm (Hg.): “Dagegen!” Und dann…?! - Rechtsextreme Straßenpolitik und zivilgesellschaftliche Gegenstrategien in NRW (= Villa ten Hompel Aktuell Bd. 14), 68 Seiten, ISBN 978-3-935811-11-8 (zu bestellen im Buchhandel bzw. direkt bei mobim, Schutzgebühr 5,- €) erschienen ist.

Wie hat sich die Demonstrationspolitik der Neonazis in den letzten Jahren entwickelt? Welche Konsequenzen haben der Ruf nach Verboten und die Veränderungen in den Versammlungsgesetzen? Wie organisieren sich erfolgreiche Bündnisse? Welche Möglichkeiten der Unterstützung gibt es in NRW?

Die PDF-Version des Bands ist kostenfrei verfügbar: (ca. 2,9 mb)

www.mobim.info/wordpress/wp-content/uploads/2011/07/VtH-Aktuell-14-Dagegen-und-dann-WEB.pdf

 

Neue Versammlungsgesetze – ein Instrument im Kampf gegen Rechtsextremismus?

Elke Steven

Der Frage, ob neue Versammlungsgesetze eine Hilfe im Kampf gegen antisemitische, rassistische und nationalistische Hetze sind, will ich mich über die Schilderung der Geschichte und Bedeutung des Versammlungsrechts nähern. Dies ist zunächst die Geschichte des Kampfes um das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus demokratischer und menschenrechtlicher Perspektive. Im Anschluss daran gehe ich auf die neuen Erfahrungen im Gegeneinander von Demonstrationen und Gegendemonstrationen ein. Der Ruf nach Verboten von Versammlungen ertönt in diesem Kontext seit einiger Zeit von unterschiedlichen Seiten. Hier stellt sich die Frage, wer eigentlich aus welchen Interessen welche Versammlungen mit welchen Mitteln verhindern will.

Versammlungs- und Meinungsfreiheit (Art. 8 und 5 GG)

Der Streit um das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist so alt wie die Bundesrepublik, der Streit um das Recht auf Versammlungsfreiheit noch älter. Die Zweifel an der uneingeschränkten Geltung eines Grundrechts, dessen Inanspruchnahme fast zwangsläufig für Unruhe sorgt, kommen schon im Grundgesetz zum Ausdruck. Zwar haben „alle Deutschen“ „das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“ (Art. 8, 1 GG), aber Absatz 2 lässt bereits Einschränkungen für „Versammlungen unter freiem Himmel“ zu. Eine solche Beschränkung beschloss das Parlament 1953 mit dem Versammlungsgesetz, das Demonstrationen als staatliches Sicherheitsrisiko vorstellt, die es zu kontrollieren und zu beschränken gilt.

Erst in den späten 1960er und 1970er Jahren entfalteten sich langsam die vielfältigen und kreativen Formen eines selbstbewussten bürgerlichen Protests. Allmählich entstand ein Verständnis der Bürgerinnen und Bürger für dieses Grundrecht, das erst durch seine aktive Wahrnehmung lebendig wird. Die Ausübung dieses Rechts durch gesellschaftliche Gruppen sorgt aus staatlicher Sicht für Unruhe, wenn „unbequeme“ Sichtweisen öffentlich artikuliert werden. Gerade Minderheiten bedürfen des Schutzes, das ihnen dieses Grundrecht gewährt. Es sichert ihnen eine der wenigen Möglichkeiten, sich in politischen und gesellschaftlichen Diskursen Gehör zu verschaffen, Medien und damit Öffentlichkeit auf sich aufmerksam zu machen. Vermittels solcher durch Demonstrationen ausgelösten Widersprüche und Diskussionen kann sich Gesellschaft weiterentwickeln. Belebende Veränderungen gehen von solchen Protesten aus. In einer repräsentativen Demokratie, in der die Bürgerinnen und Bürger, von denen „alle Staatsgewalt“ ausgeht, auf die Teilnahme durch die Wahl begrenzt sind, stellen verschiedene Formen des Protests eine der wenigen Möglichkeiten dar, sich unmittelbar zu äußern, Öffentlichkeit zu erreichen und Einfluss zu nehmen.

Der sogenannte Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1985 setzte einen ersten und deutlichen Meilenstein in der Neubewertung des Demonstrationsrechts. Nach der hoch umstrittenen Demonstration 1981 in Brokdorf gegen das geplante Atomkraftwerk fällte das Bundesverfassungsgericht eine bis heute Orientierung gebende Entscheidung. Versammlungs- und Meinungsfreiheit seien „unentbehrliche und grundlegende Funktionselemente eines demokratischen Gemeinwesens“. Sie enthielten „ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren“ (BVerfGE 69, 315 ff. – Brokdorf). Das höchste Verfassungsgericht begründete, dass nicht eine Person als LeiterIn die Verantwortung für das vielfältige Geschehen übernehmen kann. Es verbot der Polizei, einzelne Anlässe und Gewaltvorfälle zum Anlass zu nehmen, eine ganze Demonstration aufzulösen. Es stellte das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in seinen historisch-demokratischen Kontext. Das „Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, der Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers“ (dies.). Das Bundesverfassungsgericht hat seit dieser Grundsatzentscheidung das Grundrecht immer wieder verteidigt und Versuchen, es auszuhebeln, Einhalt geboten. Die im Brokdorf-Beschluss aufgestellten Kriterien gelten seither für alle Seiten als Maßstab für das Versammlungsrecht. Aber die Ordnungsbehörden beziehen sich meist nur floskelhaft darauf, um im nächsten Satz Versammlungen dennoch einzuschränken oder zu verbieten.

Insofern wäre zu berichten, wie die Exekutive manchmal erfolgreich den Grundrechtsschutz durch das Gericht ausgehebelt hat. Dies geschah im Kontext der Proteste gegen die Castortrans-porte ins Wendland genauso wie 2007 in großem Maßstab bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. Die Berichte der Polizei mit Falschangaben über Verletzte und potentielle StraftäterInnen in Rostock und Heiligendamm haben das höchste Gericht dazu veranlasst, eine Demonstrationsverbotszone trotz vieler Bedenken zu bestätigen. Längst waren die Lügen der Polizei durch die Öffentlichkeit entlarvt, aber das Gericht verließ sich auf die polizeiliche Autorität. Ein Jahr später gab der Polizeisprecher Axel Falkenberg öffentlich zu, oft falsch informiert zu haben – weil er falsch informiert war. „Die Öffentlichkeit fühlte sich von mir oft falsch informiert – und zwar zu Recht“ (die tageszeitung, 6. Juni 2008). Dass er den Einsatz von vermummten Zi-vilpolizisten im Outfit von Autonomen tagelang geleugnet hat, kommentiert er folgendermaßen: „Es war eine Peinlichkeit hoch drei, so vorgeführt zu werden“ (dies.).

Auf einen weiteren das Demonstrationsrecht schützenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts sei hier nur kurz verwiesen. 1995 entschied es, dass Sitzblockaden keine nötigende Gewalt darstellen. Dies führte nach vielen Verurteilungen reihenweise zu Aufhebungen von Urteilen und zur Zurückzahlung von Strafgeldern. Das Gericht machte hier deutlich, dass auch provokative Formen des Protestes nicht gleich mit den Mitteln des Strafrechts und einer überzogenen Gewalt-zuschreibung bekämpft werden dürfen. Dass auch dieser Streit wieder neu aufgerollt werden kann, verdeutlicht die Entscheidung dieses Gerichts vom März 2011 (BvR 388/05). Darin bestätigt es die zweite Reihe-Entscheidung des BGH(1), die zumindest die Möglichkeit eröffnet, Sitzblockaden wieder als Gewalt zu verstehen.

Grundrechte auch für rechtsaußen?

Seitdem die NPD, die Kameradschaften und ähnliche Gruppen immer häufiger provokativ in der Öffentlichkeit auftreten und auch für sich das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in Anspruch nehmen, sind neue Konflikte um dieses Grundrecht entstanden. Der Ruf nach Verboten für das Auftreten von Nazis und Neonazis ist laut und kommt aus vielen verschiedenen Ecken. Hier gilt es jedoch genauer zu unterscheiden. Gewalttaten, Angriffe auf Menschen wie auch ihre Bedro-hung mit Gewalt sind strafrechtlich zu verfolgen, den Opfern ist uneingeschränkt Hilfe zu leisten, nach den Ursachen ist zu forschen, um weitere Gewalttaten zu verhindern. Antisemitisch, rassistisch und nationalistisch begründete Gewalttaten berühren eine demokratische Gesellschaft in ihrem Innersten. Es darf keine Verharmlosung geben. Schon die öffentliche Kundgabe solcher Meinungen ist für alle DemokratInnen schwer erträglich. Der Übergang zwischen unerträglicher Meinungsäußerung und Straftat scheint manchmal fließend. Straftaten sind jedoch mit den Mit-teln des Strafrechts zu bekämpfen. Versammlungen unter freiem Himmel und Meinungskundgebungen hingegen stehen unter dem Schutz der Art. 5 und 8 GG.

Hier sei ein kurzer Exkurs als Begründung gestattet, warum ich den im Titel verwendeten Begriff des „Rechtsextremismus“ nicht gebrauche, genauso wenig wie den des „Linksextremismus“. Dies ist die Sprache des Verfassungsschutzes, der definiert, was als extrem zu gelten und welche Gesinnung deshalb zu überwachen und zu bekämpfen ist, wer in Verruf zu bringen ist. Der Verfassungsschutz ist aber als geheim operierende Organisation selbst nicht demokratisch kontrollierbar. Und die BürgerInnen sind gemäß Grundgesetz noch nicht einmal auf eine verfassungskonforme Gesinnung festgelegt. Es gilt deshalb genauer hinzusehen und zu beschreiben, um welche Taten es geht, welche Meinungen bekämpft werden sollen, wo welche Gefahren liegen.

Seit einigen Jahren wird zwischen den Ländern, einigen Gerichten – insbesondere dem Oberverwaltungsgericht in Münster – und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein Streit um die Möglichkeiten des Verbots von Demonstrationen der extremen Rechten mit ihrer nationalistischen, antisemitischen und rassistischen Ideologie ausgetragen. Das BVerfG ist hier immer wider die Einschränkung des Grundrechts eingetreten. Der Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem, der am 2. April 2008 aus Altersgründen entlassen wurde, hat Ende März 2008 in einem Interview noch einmal betont, dass er „ein bisschen stolz“ sei – nicht auf die damals aktuelle Rechtsprechung zur Terrorismusbekämpfung, sondern auf jene zur Demonstrationsfreiheit, mit dem sie ein „Grundrecht gerettet“ hätten. Denn wenn dieses „wegen der Neonazis zerfleddert worden wäre, dann wäre es für alle zerfleddert worden“ (Frankfurter Rundschau, 22.3.08). Seinem Optimismus, dass das Problem auch für die Zukunft gelöst sei, muss jedoch mit Skepsis begegnet werden. Sowohl mit Veränderungen im Strafrecht als auch mit solchen im Versammlungsrecht wird versucht, dem „Problem“ zu begegnen. Allerdings wird schnell offensichtlich, dass diese Änderungen die Auseinandersetzungen verschieben und vor allem Meinungs- und Versammlungsfreiheit für alle beschneiden.

Meinungsverbote stoßen schnell an ihre Grenzen

Versuche, nationalsozialistische Sympathiebekundungen zu verbieten, sind alt. Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu verwenden (§ 86 a StGB) und den Holocaust zu leugnen, werden in der Bundesrepublik Deutschland strafrechtlich sanktioniert. Es wurde aber deutlich, dass von den AnhängerInnen zur Provokation leicht ähnliche Kennzeichen erfunden werden konnten, die die gleiche Meinung ausdrückten, ohne verboten zu sein. 1994 wurde das Verbot folglich auf zum Verwechseln ähnliche Kennzeichen ausgedehnt. Auch das reichte nicht, um alle Provokationen strafrechtlich verfolgen zu können. Im Frühjahr 2005 wurde der bevorstehende 8. Mai 2005, 60 Jahre nach dem „Tag der Befreiung“, zum Anlass genommen, sowohl das Strafgesetzbuch als auch das Versammlungsgesetz zu ändern. Seitdem heißt es in § 130 StGB „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.“ Dem ohnehin vielfach durchlöcherten und polizeirechtlich überwucherten Versammlungsrecht wurden neue Möglichkeiten des Verbots von Versammlungen hinzugefügt: „Eine Versammlung […] kann insbesondere verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn 1. die Versammlung […] an einem Ort stattfindet, der als Gedenkstätte von historisch herausragender, überregionaler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen Be-handlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erinnert, und 2. nach den […] konkret feststellbaren Umständen zu besorgen ist, dass […] die Würde der Opfer beein-trächtigt wird“ (§ 15 VersG).

Je ausgedehnter und unspezifizierter die Strafrechtsnormen werden, desto deutlicher wird, dass es um das Verbot von Gesinnung geht, nicht um den Schutz von konkreten Personen, von Opfer-gruppen und deren Würde. Solch ungenauen Beschreibungen von Straftatbeständen öffnen der Willkür Tür und Tor, sie verhindern, dass der Bürger und die Bürgerin wissen können, was verbo-ten ist. Sie laden ein zu Provokationen, die bis an den Rand des Verbotenen gehen. Sie geben der Exekutive die Macht an die Hand, nach eigenem Gutdünken zu entscheiden.

Die Verbote führen zu kreativen neuen Formulierungen, zur Umwandlung von Symbolen, zur Ausreizung der Grenze. Es wird getestet, mit welchen Slogans man den Verboten nahe kommen kann, ohne sich strafbar zu machen. Man grüßt sich mit „88“, „2 x 44“ oder „87 + 1“, nationalso-zialistische Parolen werden gemischt und neu zusammengesetzt. So stellte der Bundesgerichtshof noch im Juli 2005 bezüglich einer Tat aus dem Jahr 2001 fest, dass die Verwendung der Parole „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“ nicht strafbar sei, da sie den Parolen der Nationalsozialisten nicht zum Verwechseln ähnlich sei. Vorabende von „verbotenen Tagen“ werden genutzt, andere Daten mit anderen Bezügen symbolisch aufgeladen.

Versammlungsrecht auf abschüssiger Bahn

Die Föderalismusreform hat 2006 neben dem Strafvollzug auch das Versammlungsrecht in die Obhut der Länder gegeben. Neben dem Wettlauf um die schärfsten Polizei- begann nun ebenso der um die einengendsten Versammlungsgesetze. Der Damm, den das Bundesverfassungsgericht zu errichten versuchte, birst nun schleichend. Bayern war das erste Land, das 2008 in aller Eile ein neues Versammlungsgesetz erließ, das im Zerfleddern der Grundrechte konsequenterweise sofort einen Schritt weiter ging. Jede Form „extremistischer“ Versammlung sollte verboten werden. Rechts- und Linksextremismus sollten gleicherweise bekämpft werden. Als wichtiger Anknüpfungspunkt zur Legitimation der neuen Versammlungsgesetze werden die „besonderen Probleme“ genannt, die „rechtsextremistische Versammlungen“ darstellen. Schnell machte das bayerische Gesetz deutlich, dass es um die Einschränkung des Versammlungsrechts insgesamt geht. Es heißt eben auch: „Linksextremistische Versammlungen sind dagegen zunehmend durch ein militantes, aggressives Auftreten … geprägt.“ Die erste Fassung machte noch am deutlichsten, dass jedes „ungebührliche“ Demonstrieren verboten werden soll. Hier wurde auch noch beklagt, dass „Versammlungen […] verstärkt die Rechte und Interessen Dritter“ einschränken. Das dann erlas-sene Gesetz ist an wenigen Punkten etwas weniger grundrechtswidrig formuliert, aber weniger grundrechtswidrig bleibt immer noch grundrechtswidrig. Vor allem konnte aufgrund der Proteste erreicht werden, dass nicht jedes andere Recht gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit abgewogen werden und zu dessen Einschränkung führen kann.

Schnell orientierte sich auch Baden-Württemberg an diesem Gesetz und legte einen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Mehrere Gruppen, Parteien und Vereine legten gemeinsam Rechtsmittel gegen das bayerische Gesetz ein. Schon 2009 brandmarkte das BVerfG in einer Eilentscheidung das Gesetz als in einigen Punkten offensichtlich grundrechtswidrig und setzte in einer einstwei-ligen Anordnung Regelungen außer Kraft. Zugleich hatte die CSU, die das Gesetz im Alleingang durchgesetzt hatte, die absolute Mehrheit in Bayern verloren. 2010 wurde so ein entschärftes Landesgesetz verabschiedet, das den „Einschüchterungseffekt“ gegenüber den Bürgern eliminiert haben will. Jedoch führen viele Gruppen die Verfassungsklage auch gegen dieses Gesetz weiter.

In Baden-Württemberg blieb der Gesetzentwurf nach dieser verfassungsgerichtlichen Entschei-dung in den Schubladen liegen. In Sachsen-Anhalt, Sachsen und Niedersachsen wurden jedoch Ende 2009, Anfang 2010 und im November 2010 eigene Gesetze zur Einschränkung des Grund-rechts auf Versammlungsfreiheit verabschiedet. Alle diese Gesetze gehen dazu über, Meinungen, die vom Verfassungsschutz als extremistisch gewertet werden, zu kriminalisieren und vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit auszuschließen. Die Normenkontrollklage von drei Oppositionsparteien gegen das Gesetz beim sächsischen Verfassungsgerichtshof hatte im April 2011 Erfolg, allerdings wurde es nur aus formalen Gründen außer Kraft gesetzt.

Charakteristische Merkmale des bayerischen Versammlungsgesetzes

Kennzeichnend für das bayerische Versammlungsgesetz ist, dass der Ermessensspielraum der Exekutive ins fast Unermessliche ausgeweitet wird. Unbestimmte Rechtsbegriffe, dehnbare Bezeichnungen, auslegungsbedürftige Beschreibungen sind für dieses wie auch für die anderen Ländergesetze kennzeichnend.

Das bayerische Versammlungsgesetz betont selbstverständlich zunächst die „elementare Bedeu-tung“ der Versammlungsfreiheit. „Richtige“, gute und ordentliche Versammlungen sollen selbst-redend geschützt sein. Die Ausführungen aber stehen für den staatsautoritären Gedanken der Ab-schreckung. Die Gefahr von unten, der in Versammlungen steckende aufrührerische Geschmack, soll mit dem bayerischen Gesetz bekämpft werden. Um dieses Ziels Willen werden die Opfer der „nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft“ instrumentalisiert. Um ihrer „Würde“ Willen können Versammlungen an bestimmten Tagen und Orten beschränkt oder verboten werden (Art. 15). Die Möglichkeiten der Einschränkung werden ausgedehnt auf potentielle Meinungsäußerungen, die die Würde der Opfer beeinträchtigen (Art. 15, 2).

Das bayerische Gesetz gilt aber nicht einseitig, sondern richtet sich auch gegen „linksextremistische Versammlungen“, deren Teilnehmer das Grundrecht „missbrauchen“ (einleitende Problem-beschreibung). In Art. 7 des ursprünglichen Gesetzes wurde das „Uniformierungsverbot“ um ein allgemeines „Militanzverbot“ erweitert. Uniformen, die eine „einschüchternde Wirkung“ haben können, sollten ebenso verboten werden wie auch andere Formen, die „den Eindruck von Gewalt-bereitschaft“ (Art. 7, 2) vermitteln. Nicht jede gleichartige Bekleidung sei grundsätzlich verboten, jedoch immer dann, wenn sie den „Eindruck von Militanz“ erwecke. Das aber liegt im Ermessen der Ordnungsbehörden, die darauf aufbauend Beschränkungen erlassen können. Als Beispiel wurde das Verbot von schwarzen Fahnen angeführt. Der Artikel machte das Verbot der Militanz zu einem Bestandteil der (geschriebenen) Rechtsordnung und erlaubte somit, einen Verstoß als unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu ahnden. Im aktuell geltenden Gesetz ist gerade dieser Artikel entschärft worden, wenn auch weiterhin etwa das Tragen „gleichartiger Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung“ verboten ist.

Wenige andere Beschränkungen des Grundrechts im ursprünglichen, aber auch im aktuell geltenden bayerischen Versammlungsrecht seien nur kurz angeführt:

(1) Zwingend braucht jede Versammlung – Ausnahmen gibt es für Spontanversammlungen – eine/n polizeilich angemeldete/n LeiterIn, der/die sogar von der Versammlungsbehörde abgelehnt werden kann. Diesem/dieser wurde im ursprünglichen Gesetz von 2008 noch die Verantwortlichkeit für das gesamte Geschehen aufgebürdet. Angesichts der bunten Vielfalt, die Versammlungen auszeichnen, kann man diese kaum übernehmen. Strafbefehle und Ordnungswidrigkeitsbescheide drohen nach Art. 20 und 21. Das Gebot der Zusammenarbeit war als „einseitige vertrauensbildende Maßnahme“ vorgestellt, die Eingriffsmaßnahmen der Polizei rechtfertigen sollte, wenn dieser die Kooperation nicht ausreicht. Der/die LeiterIn sollte nun wieder für alle Taten, die aus der Ver-sammlung heraus geschehen, verantwortlich gemacht werden und war selbst verpflichtet, wenn er/sie sich nicht „durchzusetzen“ „vermag“, die Versammlung für beendet zu erklären. Im Brokdorf-Beschluss wurde hingegen eindeutig festgestellt, dass die Polizei eine Versammlung nicht auflösen darf, wenn Einzelne aus ihr heraus Straftaten begehen.

(2) Nicht nur bei einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kann auch im geltenden Gesetz eine Versammlung beschränkt oder verboten werden, sondern schon wenn dies die öffentliche Ordnung betrifft (Art. 15, 1). Denn diese Ausweitung, die die Rechtmäßigkeit von Versammlungen in das Ermessen der Behörden legt, stellt „einen wichtigen Auffangstatbestand“ dar, „um gegen neuartige oder atypische Gefahrentatbestände einschreiten zu können, die (noch) nicht die öffentliche Sicherheit berühren“.

(3) Auf Anforderung müssen die persönlichen Daten der vorgesehenen OrdnerInnen, auch im Vorhinein, bekannt gegeben werden. Das Maß staatlicher Regie in die Demonstration hinein, wird daran deutlich, dass der Behörde das Recht zugestanden wird, auch diese abzulehnen.

(4) Der Polizei wird pauschal das Recht zugebilligt, „personenbezogene Daten von Teilnehmern“ zu erheben und Bild- und Tonaufzeichnungen anzufertigen (Art. 9). Angesichts der vielen zuvor eingeführten vagen Begriffe scheint die Einschränkung „wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen [den Versammlungen, d.V.] erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen“ unbedeutend. Dies ist auch eine der Regelungen, die das BVerfG für grundgesetzwidrig erachtet hat.

(5) Ausufernd werden Straf- und Bußgeldvorschriften erlassen, die ahnen lassen, in welchem Maße gerichtlich gegen all diejenigen vorgegangen werden soll, die gegen eine der unbestimmt defi-nierten Vorgaben verstoßen sollten. Schon die nicht ordnungsgemäße Kennzeichnung der OrdnerInnen kann für den/die LeiterIn zum Bußgeld führen. Die Teilnahme an einer Versammlung im befriedeten Bezirk um den Landtag kann mit einer Geldbuße bis zu zwanzigtausend Euro belegt werden.

(6) Vor allem diejenigen, die gegen die Demonstrationen der extremen Rechten protestieren, sind potentiell Strafverfolgungen ausgesetzt. Nach Art. 8 (1) sind „bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen oder nichtöffentlichen Versammlungen […] Störungen verboten, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung zu verhindern“. Im alten Versammlungsgesetz werden im Abschnitt über Straf- und Bußgeldvorschriften diese nur für Gewalttätigkeiten und „grobe Störungen“ vorgesehen. (vgl. Steven 2011)

Es gibt wenige Formulierungen, die speziell die Demonstrationen von Nazis und Neonazis einschränken sollen:

Art. 15 (2): „Die zuständige Behörde kann […] beschränken oder verbieten, wenn […] 1. Die Versammlung an einem Tag oder Ort stattfinden soll, dem ein an die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft erinnernden Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt und durch sie a) eine Beeinträchtigung der Würde der Opfer zu besorgen ist oder b) die unmittelbare Gefahr einer erheblichen Verletzung grundlegender sozialer und ethi-scher Anschauungen besteht oder 2. Durch die Versammlung die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft gebilligt, verherrlicht, gerechtfertigt oder verharmlost wird […] und dadurch die unmittelbare Gefahr einer Beeinträchtigung der Würde der Opfer besteht.“

Solche Einschränkungen aber verfehlen ihre Wirkung und schränken nur die Freiheit insgesamt ein. Zu erinnern ist hier an die grundlegende Feststellung von Rosa Luxemburg (1918): „Freiheit nur für die Anhänger einer Regierung, nur für die Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der ‚Gerechtigkeit’, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reini-gende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die ‚Freiheit‘ zum Privilegium wird.“

Die Richtung, die mit diesem Gesetz und weiteren Landesgesetzen vorgegeben wird, ist allerdings längst schon Teil der versammlungsrechtlichen Wirklichkeit mit der vor allem jene zu kämpfen haben, die sich für lebendige Demokratie, Grund- und Menschenrechte, Antifaschismus und Integration einsetzen. Seit langem beklagen wir, dass die so genannten Gegendemonstrationen oft in unverhältnismäßiger Weise kontrolliert und eingeengt werden. Einkesselungen von Gegendemonstrationen sind wieder zu Standardmaßnahmen geworden, die sich immer wieder als rechtswidrig erweisen. Dies gilt nach einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen für die Einkesselung einer Gruppe antifaschistischer Jugendlicher und Erwachsener in Dortmund im Jahr 2000 ebenso, wie für die Einkesselung von DemonstrantInnen in Köln, die im September 2008 gegen den „Antiislamisierungsprozess“ der „Bürgerbewegung pro NRW“ protestiert hatten. Ähnlich fiel auch das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen im November 2010 aus, das die präventive Einkesselung von 300 DemonstrantInnen am 1. Mai 2009 in Ulm für rechtswidrig erklärte.

Aber auch der Versuch zur strafrechtlichen Verfolgung von LeiterInnen von Demonstrationen hat im letzten Jahr bereits ohne dieses Gesetz bundesweit zugenommen. Allein im Jahr 2008 standen VersammlungsleiterInnen in den Städten Karlsruhe, München, Rostock und Friedrichshafen vor Gericht. In den meisten Fällen erkannten die Gerichte, zumindest in zweiter Instanz, dass die Vorwürfe unhaltbar waren. In Karlsruhe wurde allerdings ein Versammlungsleiter vom Amtsgericht zu 60 Tagessätzen verurteilt – nicht weil er etwas Strafbares getan hätte, sondern nur weil er die Einhaltung ausufernder Auflagen nicht ausreichend durchsetzen konnte. Dies obwohl die Versammlung insgesamt friedlich verlief (vgl. Steven 2009). Die Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit sind solch hohe demokratische Güter, dass sie nicht leichtfertig im Kampf gegen menschenverachtende Meinungen aufgegeben werden dürfen. Ausnahmsweise sei hier Otto Schily zitiert aus einer Zeit, in der er sich noch um die Demokratie bemühte: „Man bekämpft die Feinde des Rechtsstaates nicht mit dessen Abbau, und man verteidigt die Freiheit nicht durch deren Einschränkung.“ Nein, man verteidigt Freiheit und Demokratie indem man die Grundrechte in Anspruch nimmt und die Straße nicht den Nazis und Neonazis überlässt.

 

Anmerkungen:

(1) Als „Zweite-Reihe-Entscheidung“ wird die Praxis des BGH bezeichnet, eine Sitzblockade, die zu einem Stau von Autos führt, als strafbar anzusehen. Zwar würde den AutofahrerInnen in der „ersten Reihe“ keine Gewalt angetan, da sie nur aus psychologischen Gründen anhielten. Die FahrerInnen der zweiten Reihe würden aber faktisch durch eine „physische Sperrwirkung“, die den Blockierern zuzurechnen sei, am Weiterfahren gehindert.

Literatur:

Steven, Elke: Demoanmelder als Hilfspolizisten? In: Müller-Heidelberg u.a.(Hrsg.): Grundrechte-Report 2009, Frankfurt/M, Juni 2009, S. 119 – 123.

Steven, Elke: Der Streit um die Versammlungsgesetze geht weiter. In: Müller-Heidelberg u.a.(Hrsg.): Grundrechte-Report 2011, Frankfurt/M, Juni 2011, S. 116 – 119.