03. Apr. 2025 © Budapest Antifacist Solidarity Committee
Europa / Gefangenenunterstützung / Nationalismus & Neue Rechte / Rechtsstaatlichkeit / Repression / Strafrecht

Offener Brief an Generalstaatsanwaltschaft Berlin fordert, Zaid A. nicht nach Ungarn auszuliefern

In einem offenen Brief an die Generalstaatsanwaltschaft und das Kammergericht Berlin fordern das Grundrechtekomitee und diverse weitere Organisationen, Jurist*innen und Einzelpersonen des öffentlichen Lebens, aus Wissenschaft und Lehre, der Menschenrechtsarbeit und anderen Bereichen, einer Auslieferung von Zaid A. nach Ungarn nicht zuzustimmen.

Der Brief ist weiterhin offen für Unterzeichnungen. Email an info@grundrechtekomitee.de

Der Brief lautet wie folgt:
 

Generalstaatsanwaltschaft Berlin
Elßholzstraße 30 - 33
10781 Berlin


Sehr geehrte Angehörige der Generalstaatsanwaltschaft und des Kammergerichts Berlin,
sehr geehrte Frau Generalstaatsanwältin Margarete Koppers,

seit dem 20. Januar 2025 haben sich acht junge Menschen den Strafverfolgungsbehörden gestellt. Einer davon, Zaid A., befindet sich seitdem in Auslieferungshaft in der JVA Ossendorf in Köln. Den acht Personen wird vorgeworfen, im Februar 2023 in Budapest am sogenannten „Tag der Ehre”– einem großen europäischen Neonazi-Treffen – Teilnehmer*innen verletzt zu haben. 

Gegen sieben der acht oben genannten Personen liegen Haftbefehle bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe vor, die sieben sind im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft. 

Dies trifft jedoch nicht auf die achte Person zu: Zaid A. ist syrischer Staatsbürger. Ihm droht nun aufgrund eines Europäischen Haftbefehls die Auslieferung nach Ungarn.

Eine Auslieferung von Zaid A. nach Ungarn ist aus den folgenden menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Gründen nicht vertretbar: 
 

1) Menschenrechtswidrige Haftbedingungen in Ungarn

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erwägt in der Begründung seines Beschlusses (2 BvR 1103/24) vom 24.1.2025 zur Verfassungsbeschwerde von Maja T. gegen die bereits erfolgte Auslieferung menschenrechtswidrige Haftbedingungen in ungarischen Justizvollzugsanstalten. Das BVerfG folgt damit der Annahme, die ungarischen Behörden seien „nicht geeignet, das Risiko einer Artikel 4 der Grundrechte-Charta zuwiderlaufenden Behandlung ohne Weiteres auszuschließen.“

Das BVerfG sieht hinreichende Anhaltspunkte

  • für systemische oder allgemeine Mängel, wie die steigende Überbelegung ungarischer Justizvollzugsanstalten sowie
     
  • für Gewalt gegen Häftlinge durch Mithäftlinge oder auch Personal der Justizvollzugsanstalten und
     
  • für Defizite hinsichtlich des Rechtswegs 

Dies würden insbesondere die eidesstattlichen Erklärungen ehemaliger Insassen ungarischer Justizvollzugsanstalten sowie aktuelle Berichte des Ungarischen Helsinkikomitees (HHC) belegen.

 

2) Kein faires rechtsstaatliches Verfahren in Ungarn gewährleistet

Eklatante rechtsstaatliche Mängel zeigen sich aktuell in dem Strafprozess gegen Maja T., der am 21. Februar 2025 am Landgericht in Budapest begann: 

  • Das angedrohte Strafmaß reicht in Ungarn bis zu 24 Jahre Haft
     
  • Teilweise sind notwendige Akten für die Verteidigung nicht ins Deutsche übersetzt worden
     
  • Die nicht-binäre Identität Majas wird vom Gericht nicht anerkannt

Maja. T. war aufgrund eines Europäischen Haftbefehls bereits am 27.6.2024 unrechtmäßig nach Ungarn ausgeliefert worden. Da die Auslieferung durchgeführt wurde, ohne die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten, hat das BVerfG das Vorgehen des Kammergerichts Berlin inzwischen als unzulässig eingestuft. 

 

3) Rassistische Verfolgung in Ungarn zu befürchten

Zaid A. hat als syrischer Staatsbürger internationalen Schutz erhalten, er ist nach der Genfer Flüchtlingskonvention eine äußerst vulnerable Person. Zaid lebte in Nürnberg, ging dort zur Schule, machte dort seinen Schulabschluss und absolvierte ein Freiwilliges Soziales Jahr. Mit dem Umzug zum Studium nach Köln hat er dort nun sein soziales Umfeld. 

Es steht zu befürchten,

  • dass Zaid A. als syrischer Staatsbürger in Ungarn insbesondere rassistischer Diskriminierung durch das Gefängnispersonal und die Mitinsassen sowie durch Staatsbedienstete ausgesetzt sein wird. Die rechts-autoritäre Regierung forciert seit mindestens 10 Jahren eine äußert restriktive rassistische Abschreckungspolitik insbesondere gegen Geflüchtete muslimischen Glaubens.
     
  • dass insbesondere aufgrund seiner Nationalität rechtsstaatliche Mängel beim Strafverfahren auftreten. Hinweise darauf gibt ein Strafprozess gegen Ahmed H. und 10 andere Geflüchtete (den sog „Röszke11“) in den Jahren 2016-2018. Die zehn Personen aus Syrien, Iran und dem Irak waren im September 2015 am Grenzübergang Röszke wegen „illegalen Grenzübertritts“ festgenommen worden. Dies wurde als Straftat mit bis zu drei Jahren Haft gewertet, zehn wurden erst nach längerer Inhaftierung und nach Strafprozessen in Ungarn entlassen.
     
  • Die elfte Person, Ahmed H., syrischer Staatsbürger, wurde 2016 als »Terrorist« in Ungarn zu zehn Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf lautete, die Proteste gegen die Schließung der Grenze angeführt und den Sicherheitskräften mit Gewalt gedroht zu haben, dies wertete die Anklage dank des ungenauen „Terrorismus“-Begriffs in Ungarn als „terroristischen Akt“. Im Prozess wurden allein belastende Aussagen und Material der Polizei verwendet. Potentiell entlastende Zeugen wurden nicht berücksichtigt.
     
     

4 ) Drohende Abschiebung von Ungarn nach Syrien 

Aufgrund Zaids syrischer Staatsbürgerschaft steht mit einer Auslieferung eine Kettenabschiebung von Ungarn nach Syrien zu befürchten. Die Situation in Syrien ist auch nach dem Sturz des Assad-Regimes weiterhin sehr angespannt und unsicher, das Land liegt in Trümmern. Sicherheits- und Asylrechtsexpert*innen raten dringend von Abschiebungen nach Syrien ab. Aktuell ist schlicht keine Prognose möglich, ob in Syrien eine Verfolgungsgefahr mit „beachtlicher Wahrscheinlichkeit“ besteht.

 

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