14. Nov. 2019 © dpa
(Anti-)Rassismus / Polizei / Polizeigewalt

Polizeiarbeit mit Todesfolge. Eine Recherche bringt Licht ins Dunkel

Am 17. August 2019, so erklärte der Sprecher der Stader Staatsanwaltschaft, rief ein Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft in Stade aus Angst vor Aman Alizada, einem jungen Geflüchteten aus Afghanistan, die Polizei. Obwohl es laut der Polizei bei ihrer Ankunft „keinen körperlichen Streit“ gab, setzen die Polizist*innen Pfefferspray ein. Als Aman Alizada darauf, laut Polizeiaussage, nicht reagierte und die Polizist*innen mit einer Hantelstange angriff, schoss einer der Beamten auf ihn. Aman Alizada starb noch am selben Tag. Er wurde nur 19 Jahre alt.

Aman Alizadas Tod ist kein Einzelfall. Allein im Jahr 2019 sind bereits mindestens 11 Personen im Rahmen eines Polizeieinsatzes gestorben, darunter mindestens fünf Persons of Colour. Auch ein auffällig hoher Anteil an psychisch Erkrankten, laut taz Recherche (2017) rund die Hälfte aller Polizeischusstoten, findet sich unter den Todesopfern. Ähnliche Vermutungen gibt es bezüglich Wohnunglosen. Nun hat das Grundrechtekomitee mit einer Recherche begonnen, die das Ausmaß der mangelnden Informations- und Datenerhebung ersichtlich macht: Zum einen gibt es derzeit kaum öffentlich zugängliche Daten zu Polizeieinsätzen mit Todesfolgen. Jährlich wird zwar eine Übersicht von tödlichen Polizeischüssen von der Bürgerrechtsorganisation CILIP veröffentlicht, bei allen weiteren Todesfällen muss sich die Öffentlichkeit jedoch auf die spärlichen und größtenteils unkritischen Berichte der Medien verlassen. Selbst die Journalist*innen der taz mussten in einer ausführlichen Recherche bezüglich tödlicher Polizeischüsse größtenteils auf Medienberichte und die Veröffentlichungen CILIPs zurückgreifen.

Zum anderen ist es ebenso schwer, Informationen direkt von Polizeibehörden zu erhalten. In Bezugnahme auf das Informationsfreiheitsgesetz hat das Grundrechtekomitee Anfragen an einige Landespolizeibehörden nach Herausgabe von Akten und einer Übersicht zu Todesfällen in Polizeigewahrsam und/oder als Folge von Fixierung, Brechmittelvergabe, Polizeischüssen und Pfeffersprayeinsätzen gestellt. Die Anfragen wurden, bis auf eine Ausnahme, abgelehnt, teils aber zumindest mit Tipps zur Informationsbeschaffung unterlegt. Nur die Landespolizei Baden-Württemberg stellte eine Übersicht über die Todesfälle in polizeilicher Obhut der letzten 10 Jahre bereit. Die weiteren Polizeibehörden oder Innenministerien scheinen selbst nicht einmal über Statistiken zu den durch ihre Beamt*innen zu Tode gekommenen Menschen zu verfügen und sich entsprechend auch nicht mit dem Problem zu befassen. Das allein wirft Fragen auf: Unklar ist zum Beispiel, was dies über das Interesse der Polizeibehörden aussagt, sich kritisch mit inneren Problemstellungen auseinanderzusetzen. Mindestens lässt der Mangel an Informationen darauf schließen, dass die Behörden sich der Relevanz der Thematik noch nicht bewusst waren – dies gälte es jetzt zu ändern. Realistischer ist jedoch, dass schlichtweg kein Interesse daran besteht, die Fälle aufzuarbeiten. Denn wenn man das Problem erstmal ans Licht befördert hat, ist die unveränderte Weiterführung der bisherigen Praktiken nicht länger tragbar. Aber auch grundsätzlicher lässt sich die Frage stellen, ob es nicht eine Berichtspflicht an die Parlamente in Bezug auf Todesfälle in staatlicher Obhut geben müsste, mit dem Ziel dass solche Fälle so bearbeitet werden, dass sie künftig nicht mehr auftreten.

Seit dem 27. September 2019 gibt es nun eine Vernetzung bestehender Initiativen zur Problematik durch die Kampagne „Death in Custody“ (link is external), die Polizeiarbeit mit Todesfolgen für Persons of Colour aufarbeitet. Der Zusammenschluss besteht aus hauptsächlich Berlin-zentrierten Organisationen, beschäftigt sich aber auch mit bundesweiten Vernetzungsmöglichkeiten. Ein erstes bundesweites Vernetzungstreffen ist für den 14. März 2020 angesetzt. „Death in Custody“ will die Geschichten der Getöteten mit Hilfe der Angehörigen (neu) erzählen und sie an die Öffentlichkeit bringen. Bislang gilt die Version der Polizei häufig als die ‚Richtige‘, oder ist die einzig auffindbare. Dies führt zur Kriminalisierung der Opfer, da diese, um die Polizei zu entlasten, nach ihrem Tod meist selbst als Täter*innen dargestellt werden. Das Ziel der Kampagne ist, mit Öffentlichkeit mehr Druck auf Polizei und Justiz auszuüben und dadurch die Wiederaufrollung von zuvor gar nicht, oder nur geringfügig ermittelten Fällen zu bewirken. Das Grundrechtekomitee unterstützt die Kampagne mit einer Zusammenstellung öffentlich zugänglicher Informationen zu Todesfällen in polizeilicher Obhut.

In ihrer Arbeit bezieht sich die Kampagne auch auf die Erfahrungen von Einzelinitiativen, die schon lange einen Zusammenschluss von Angehörigen und Freund*innen der Todesopfer ermöglichen und gemeinsam für Gerechtigkeit und Aufklärung kämpfen. Ein Beispiel ist die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, die durch gemeinsame Anstrengungen Aufkärung fordert, aber auch die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Missstände innerhalb von Polizei und Justiz aufmerksam macht, die zum Tod von Oury Jalloh führen konnten.

Insgesamt betrachtet gestaltet es sich zu schwierig, Polizist*innen zur Rechenschaft zu ziehen. Kaum ein Fall von Polizeigewalt, ob mit oder ohne tödliche Folgen, wird ermittelt, noch weniger Fälle schaffen es zu Gericht und nur ein Bruchteil dessen endet mit einer Verurteilung. Dies war auch eine Erkenntnis der von Tobias Singelnstein geführten Recherche zu rechtwidriger Polizeigewalt, deren Zwischenergebnis im September dieses Jahres veröffentlicht wurde. Die Recherche legte unter anderem offen, dass von Polizeigewalt betroffene Menschen häufig vor einer Anzeige zurückschrecken, da sie sich die Erfolgschancen als gering ausrechnen. Aber auch die Recherchen des Grundrechtekomitees zeigen, dass nur selten umfangreiche Ermittlungen eingeleitet werden, diese meistens nach kurzer Zeit eingestellt werden und kaum Strafprozesse durchgeführt werden. Dies gilt auch für Fälle mit Todesfolge. Auch problematisch ist einerseits das geringe öffentliche Wissen zum Thema, andererseits, dass Initiativen, die sich aktiv mit dem Thema befassen, immer wieder auf Barrieren stoßen. Beispiele sind die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Behörden, sowie die starke Zersplitterung bereits vorhandener Informationen. Dennoch ist ein Fortschritt ersichtlich. Mittlerweile gründen sich anlässlich von Todesfällen oft Unterstützer*innenkreise, um die jeweiligen Fälle und deren öffentliche und behördliche Bearbeitung kritisch zu begleiten. Kampagnen wie „Death in Custody“ führen Einzelinitiativen zusammen und erreichen so eine größere Reichweite. Geringstenfalls ermöglicht dies Angehörigen, ihre Perspektive der Geschichte zu erzählen. Bestenfalls übt dies zusätzlich Druck auf die Behörden aus, so dass Fälle neu untersucht werden oder gar bisher intern gehaltene Informationen an die Öffentlichkeit gelangen.

 

Lina Schmid studiert internationales und europäisches Recht und absolvierte im Herbst 2019 ein Praktikum im Grundrechtekomitee.