08. Mai 2023 © picture alliance / NurPhoto | Nicolas Economou
(Anti-)Rassismus / Abolitionismus / Abschiebung / Europa / Flucht / Neoliberalismus/Kapitalismus / Recht auf Asyl / Rechtsstaatlichkeit / Seenotrettung

Rassistische Kontinuitäten – 30 Jahre nach der Abschaffung des Grundrechts auf Asyl

Am 26. Mai jährt sich die Abschaffung des Rechts auf Asyl zum 30. Mal: Im Jahr 1993 wurde dieses Grundrecht mit überragender parlamentarischer Mehrheit beerdigt. Ein ergänzter Artikel 16a schließt seitdem alle Menschen vom Recht auf Asyl aus, die über einen „sicheren Drittstaat“ einreisen oder aus einem „sicheren Herkunftsland“ kommen.

Der Grundgesetzänderung vorausgegangen war eine rassistische Mobilmachung durch Politik  und Medien mit ihrer „das Boot ist voll“-Rhetorik. Die traumatischen und oftmals tödlichen Folgen waren unter anderem die rassistischen Anschläge in Mölln, Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda und anderswo. Die Grundgesetzänderung befeuerte rechte Morde und Anschläge weiter. Am 29. Mai, nur drei Tage nach der Asylrechtsabschaffung, töteten Neonazis in Solingen die 27-jährige Gürsün İnce, die 18-jährige Hatice Genç, den 12-jährigen Gülüstan Öztürk, die 9-jährige Hülya Genç und die vierjährige Saime Genç. Siebzehn weitere Menschen erlitten teils lebensgefährliche Verletzungen.

Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl nahm wederin Mölln noch in Solingen an der Trauerfeier teil – er wollte nicht in „Beileidstourismus ausbrechen“. Die rassistischen Morde von Solingen blieben längst nicht die letzten. 

Mit der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl wurde 1993 zudem ein Sonderrecht bezüglich Sozialleistungen erschaffen: Asylsuchende erhalten seitdem Leistungen unter dem Existenzminimum und ihnen wird der Zugang zu einer adäquaten Gesundheitsversorgung verwehrt. Seit 2023 erhalten materiell bedürftige Menschen in Deutschland nun das sogenannte Bürgergeld statt ALG-II.

Geflüchtete sind auch hiervon ausgeschlossen. Mit vielen anderen Organisationen fordern wir daher derzeit die Einbeziehung aller in das reguläre Sozialleistungssystem. Längst erhält kaum noch jemand den Schutzstatus des Asyls gemäß dem ergänzten Artikel 16a GG. Mit dem Konzept der „sicheren Drittstaaten“ umgibt sich die Bundesrepublik quasi mit einer Mauer von Staaten, die sie vor Asylantragstellungen „bewahrt“.

Inzwischen zwingt die Dublin-III-Verordnung Menschen dazu, Asyl dort zu beantragen, wo sie als erstes einreisen. In der aktuell auf Europäischer Ebene diskutierten Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) soll das Konstrukt „sichere Drittstaaten“ weiter verschärft werden.

Auch die Liste der „sicheren Herkunftsländer“ wächst stetig. Der Name trügt und hat nichts mit dort herrschenden Sicherheits- oder Menschenrechtslagen zu tun, sondern dient der Abschreckung, der vereinfachten Abschiebung und folgt politischen Interessen. Notsituationen wie Armut, Bürgerkrieg, Hunger, Naturkatastrophen oder Perspektivlosigkeit sind als Gründe für eine Asylgewährung grundsätzlich ausgeschlossen, da diese nicht als individuelle Verfolgung gelten. Diese Einschränkung zwingt Menschen bei Antragstellung dazu, ihre Fluchtgründe an die wenigen anerkannten Optionen anzupassen – eine entwürdigende Prozedur, die oft genug trotzdem zur Ablehnung führt.

Viele Menschen kommen indes gar nicht bis zur Antragstellung in einem EU-Mitgliedsstaat. Sie scheitern weit vorher an den Außenposten des vorverlagerten EU-Grenzregimes: Verdurstet in der Sahara oder ertrunken im Mittelmeer, jahrelang inhaftiert in Gefängnissen oder zum Warten verdammt in Lagern, die immer mehr Gefängnissen gleichen, schafft nur ein Bruchteil von Menschen es überhaupt zum gewünschten Ziel.

Für das Leiden und Sterben an Europas Grenzen sind weder Naturgewalten verantwortlich, noch die gern zitierten Schlepper oder gar die zivile Seenotrettung, sondern unsere Asylpolitik, die Menschen zwingt, ihr Leben zu riskieren, auf der Suche nach Schutz und einem würdigen Leben.

Das harsche Europäische Visa-Regime ist mitschuldig für das Fehlen legaler Einreisewege für Menschen aus dem Globalen Süden: Ein Visum erhält nur, wer umfassende finanzielle Mittel vorweisen und glaubhaft machen kann, Deutschland wieder zu verlassen – vorausgesetzt, es gibt überhaupt eine Chance auf einen raren Botschaftstermin.

In Anbetracht des täglichen, vielfachen Unrechts des EU-Grenzregimes, das die koloniale Ausbeutung von Menschen und Rohstoffen aus dem Globalen Süden fortführt, um den Wohlstand des Globalen Nordens zu sichern, treten wir ein für legale Einreisewege und das Recht zu Bleiben, und unterstützen und beteiligen uns an vielfältigen existierenden antirassistischen Praxen.

Der sich im Zuge der voranschreitenden Klimakatastrophe und einer wachsenden sozialen Ungleichheit weiter brutalisierenden Festung Europa setzen wir die Vision einer für alle Menschen gerechten und lebenswerten Welt entgegen.