Datenschutz

Ratschlag: "Mein Körper gehört mir!?"

Das Thema des Ratschlags am 14. November 2015, aufbauend auf der zehnjährigen Arbeit der Arbeitsgruppe Gesundheit, knüpft mit dem Ausrufezeichen an die Forderungen nach Autonomie und Selbstbestimmung an.  Mein Körper soll nicht als Werkzeug für andere Interessen genutzt werden, soll nicht Instrument für irgendwelche Zwecke sein. Zugleich stellt sich mit dem Fragezeichen die Frage, ob denn dieser Körper wirklich mir gehören kann. Sind Autonomie und Selbstbestimmung angesichts des komplexen medizinischen Wissens überhaupt möglich? Müssen die sozialen Zusammenhänge nicht stärker in den Blickpunkt genommen werden?

Dr. Silja Samerski, Biologin und Soziologin des Gesundheitswesens an der Universität Oldenburg, stellte anschaulich die Auswirkungen von „Big Data“ dar. Das Individuum verschwindet in der Analyse riesiger Datenmengen, aus denen Schlussfolgerungen gezogen werden, die wiederum für jedes Individuum gelten sollen. Aus statistischen Risikowahrscheinlichkeiten  werden Maßnahmenkataloge abgeleitet, die das Verständnis medizinischer Behandlung verändern. Ein das einzelne Individuum wahrnehmender Arzt wird tendenziell überflüssig.  Suggeriert wird, dass Gesundheit – wie auch „Sicherheit“ –  zunehmend einer dauernden Überwachung des Körpers und seiner genetischen Anlagen bedürfe. Damit aber verändert sich unser Selbstverständnis grundlegend – der Verdacht wird zur Grundlage unserer Wahrnehmung, und zugleich wird Gesundheit zum quasi geheiligten Ziel. Der Patient wird verantwortlich für seine Gesundheit und für die richtige Abwägung seiner Risiken.

Eine lebhafte und kontroverse Diskussion schloss sich unter den ca. 40 Teilnehmenden  an. Können wir das Wissen, das aus genetischen Tests entsteht, die Gesundheitsrisiken, die wissenschaftlich nachgewiesen werden können, tatsächlich ignorieren? Es wäre ja fatal, wir hätten medizinische Forschungsergebnisse über Krankheitsursachen in der Vergangenheit ignoriert. Die Risiken, die nur statistische Wahrscheinlichkeiten sind, sind jedoch von konkreten Gefährdungen zu unterscheiden. Ebenso wurde die Frage nach den Veränderungen im Arzt-Patientenverhältnis und dem Einfluss von Organisationen darauf, wie z. B. der Krankenkassen, aufgegriffen. Im Krankenhaus ist dieses Verhältnis zunehmend von ökonomischen Interessen geprägt, da Renditeerwartungen das System formen.

Prof. Dr. Paul U. Unschuld, Medizinhistoriker und Direktor des Horst Görtz-Stiftungsinstituts an der Charité in Berlin, lenkte den Blick auf die historische Entwicklung und grundlegende Veränderungen der politischen Strukturen. Die Verbesserung der Arbeits-, Wohn- und Umweltbedingungen sowie der allgemeinen Lebensverhältnisse haben in der Vergangenheit wesentlich zu einer Verbesserung der Gesundheit aller beigetragen. Angesichts sich wandelnder gesellschaftlicher Bedingungen treten nun aber die Ökonomisierung und Kommerzialisierung des Gesundheitssystems in den Vordergrund und zerstören das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Die elektronische Patientenakte, wie sie mit der elektro­nischen Gesundheitskarte vorgesehen ist, würde darüber hinaus auch noch die Überwachung und auch die Aussonderung von Menschen in erschreckendem Maße ermöglichen.

Wiederum folgte eine lebhafte Diskussion, in der der Zwangsläufigkeit der aufgezeigten Entwicklungen widersprochen wurde. Es gibt immer auch Chancen, Entwicklungen aufzuhalten und andere einzuleiten. So stritten auch die Teilnehmer*innen auf dem Podium – Svante Gehring (Hausarzt), Wolfgang Linder (Jurist und ehemaliger stellvertretender Datenschutzbeauftragter) und Uta Wagenmann (Gen-ethisches Netzwerk) – für die vielen Ansätze und Möglichkeiten des Protestes für ein anderes Gesundheitssystem, gegen die Sammlung von Daten ohne wirklichen Datenschutz und gegen die Entwicklungen mit Hilfe der elektronischen Gesundheitskarte.

In der letzten Stunde begründeten Wolfgang Linder und Elke Steven die Kritik des Grundrechtekomitees an dem Projekt der Nationalen Kohorte. Daten und Bioproben werden für unbestimmte Forschungsprojekte über drei Jahrzehnte erhoben und gespeichert. Die Teilnehmenden können nicht informiert zustimmen, da sie nicht wissen können, welche Forschungen dereinst mit diesen Daten gemacht werden. (siehe auch den Artikel im Infobrief 5/2015)

Elke Steven