21. Jan. 2016
Demokratie / Verfassungsschutz / Versammlungsrecht

Rechts = Links? Wider die Gleichsetzung rechter und linker Proteste

Das neue Jahr währt noch nicht lange, aber schon ist Gewalt zum täglichen Thema geworden. Begonnen hat es schon vor Monaten: fast täglich brennen Flüchtlingsheime, werden Migrant*innen und jene, die dafür gehalten werden, körperlich angegriffen, werden Andersdenkende bedroht und erhalten Politiker*innen Drohbriefe. Der als „links“ geltende Stadtteil  Connewitz in Leipzig wurde zeitgleich mit einer Legida-Demonstration von ca. 250 Nationalisten und Rassisten angegriffen, Autos wurden angezündet, Pyrotechnik abgefeuert und Dutzende Schaufensterscheiben eingeschlagen. Schon Tage vorher waren in diesem Stadtteil Wohnwagen und eine Sportschule in Brand gesetzt worden. Angriffe auf Flüchtlingsheime gibt es quer durch die Republik.

Die Gewerkschaft der Journalisten, der Deutsche Journalisten-Verband, hatte aufgrund der vielen negativen Erfahrungen von Journalisten zu einem Projekt „Augenzeugen.info“ aufgerufen: „Übergriffe auf Journalisten, Schlagen, Prügeln, Treten kommen bei rechtsradikalen Demos immer öfter vor.  Die rechtsradikalen Demonstrationen werden immer aggressiver und gewalttätiger.“ Am 11. Januar 2016 war eine Journalistin des MDR in Leipzig tätlich angegriffen worden. Der Sender beschloss daraufhin, Journalisten demnächst Begleitschutz zur Seite zu stellen. Der Tagesspiegel (12.1.2016) berichtet, dass allein in Sachsen im Jahr 2015 bei rechtspopulistischen und rechtsradikalen Demonstrationen mehr als zwei Dutzend Angriffe gegen Journalisten erfolgt seien.

Als das Projekt Anfang Januar online ging, musste man hellhörig werden. DJV-Bundesvorsitzender Prof. Dr. Frank Überall berichtet über die Demo der Pegida-Bewegung am 9. Januar 2016 in Köln. Aus der Beschreibung der Drohungen, der Gewalt gegen Polizei und Presse folgert er: „Es wird immer deutlicher: Wir müssen uns damit beschäftigen, wo die Grenzen des Demonstrationsrechts sind, wenn blinde Angriffswut herrscht.“ Über das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist aber nicht zu verhandeln – in Art. 8 (1) GG steht eindeutig „(…) haben das Recht, sich (…) friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“. Zu fragen bleibt selbstverständlich, wie Menschen vor Angriffen geschützt werden können – seien es Journalisten, ausländisch aussehende Menschen, Politiker oder sonstige Bürger und Bürgerinnen. Zwei weitere Berichte gehen noch weiter. Obwohl sie über Angriffe gegen Journalist*innen auf den Versammlungen von Pegida, Kameradschaften, Hogesa, Pro…, berichten, stellen sie unvermittelt Rechts- und Linksextremismus gleich.

Für den DJV schreibt Marcus Arndt über eine „fremdenfeindliche Demonstration“ in Duisburg und fasst zusammen: „Die Rechtsextremen bezeichnen uns als Lügenpresse, die Linksextremen wollen nicht fotografiert werden, weil sie Angst haben, einerseits von den Rechten erkannt zu werden und andererseits, dass die Aufnahmen der Polizei später zur evtl. Strafverfolgung nutzen.“ Die Angst, von der Ultra-Rechten auf einem Foto erkannt und folglich bedroht zu werden, hat nichts mit der Bedrohung von Journalisten zu tun. Man könnte sich auch fragen, ob denn die Rassisten keine Angst vor Strafverfolgung haben (brauchen).

Im Interview äußert sich Jörg Zajonc (RTL West):Bisher gab es aus dem rechten politischen Lager zwar Drohungen, aber keine Angriffe. Eine mindestens ebenso große Gefahr gibt es aber aus dem Kreis des „Schwarzen Blocks“, der Linksautonomen, der Antifa. Die uns auch schon Kameras kaputt geschlagen haben, die wir nicht ersetzt bekommen haben.“

Diese Gleichsetzung von „Linksextremismus“ und „Rechtsextremismus“ greift schon lange um sich. Beide Termini sind Schöpfungen des Verfassungsschutzes, die inhaltlich völlig ungenau sind.  Eine solche Gleichsetzung ist nicht nur falsch, sondern gefährlich. Die Bedrohung, die von denen ausgeht, die ganzen Menschengruppen aufgrund ethnischer und religiöser Kategorien ihre Menschenrechte absprechen, die Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Nationalismus verbreiten und Hass und Ausgrenzung säen, wird verharmlost. „Linke“ in all den verschiedenen Ausprägungen haben jedoch die Verteidigung der Menschenrechte im Blick, und das in einem Land, in dem die Gefahr besteht, dass diese Schritt für Schritt abgebaut werden. Die Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit wurde schon im ersten bayerischen Versammlungsgesetz, das vom Bundesverfassungsgericht als in Teilen verfassungswidrig gewürdigt wurde, mit der gleichwertigen Abwehr gegen Rechts- und Linksextremismus begründet.

Die Fakten sprechen eine eindeutige Sprache, auch wenn die Statistiken des BKA immer noch unvollständig sind und hinter den zivilgesellschaftlich erhobenen Daten zurückbleiben. Zugleich tun sich staatliche Behörden schwer, rassistische Gewalttaten als solche zu erkennen. Für 2015 hat auch das BKA 715 rechte Straftaten „gegen Asylunterkünfte“ registriert, darunter 96 Gewaltdelikte. 3.625 werden als „Straftaten zur Ausländer/Asylthematik“ registriert (hierunter wiederum 247 Gewaltdelikte).

Immer wieder wird betont, dass die verbalen Attacken und die Diffamierungen, die im Kontext von Pegida etc. geäußert werden, den Boden bereiten für die tatsächlichen Angriffe.

Aber auch diese Erkenntnis greift zu kurz. Den Boden bereitet die offizielle Politik, die zumindest Misstrauen gegen Migrant*innen sät. Das Grundrecht auf Asyl wurde schon 1993 bis zur Unkenntlichkeit verändert. In immer neuen und immer schnelleren Runden wird es geschleift. In gute und schlechte Flüchtlinge wird unterschieden, zuletzt, um die Roma so schnell wie möglich in menschenunwürdige Zustände abschieben zu können. Gesprochen wird zwar von „Willkommenskultur“, aber zugleich werden kurz hintereinander Gesetze geändert, um leichter abschieben zu können und um die Situation für die Geflüchteten so unattraktiv wie möglich zu machen. Schon ist davon die Rede, Algerien und Marokko als „sichere Herkunftsstaaten“ anzuerkennen, um die neuen „schlechten“ Flüchtlinge schneller abschieben zu können. Von einem individuellen Grund- und Menschenrecht kann schon lange nicht mehr die Rede sein.