Im Februar 2025 reichte der RWE-Konzern eine Schadensersatzklage gegen vier Aktivist:innen der Aktionsgruppe „Block Neurath“ ein. RWE fordert von ihnen insgesamt 1,2 Millionen Euro.
Die vier Klima-Aktivist*innen waren zuvor verurteilt worden, im November 2021 die Schienen zum Braunkohlekraftwerk in Neurath blockiert zu haben. RWE verlangt, die vier sollten für die Ersatzbeschaffung des Stroms zahlen, der aufgrund der Blockaden nicht produziert wurde.
Im Interview sprechen die Betroffenen über Hintergründe, politische Einordnung und Perspektiven.
Was ist an den Forderungen dran? Wie kommt RWE auf diese astronomisch hohe Summe?
Eike: Zuerst müssen wir darauf hinweisen, dass RWE auf Kosten der lokalen Bevölkerung, unsere Gesellschaft und der Menschen im Globalen Süden Profite macht. Das bedeutet, bei diesen Menschen entstehen Kosten und Schäden, für die RWE bisher nicht aufkommen muss und die deshalb auch nicht in RWEs Schadensberechnung auftauchen. Die besagt nur, dass RWE wegen der Blockade 20.039 MWh Strom nicht verkaufen konnte, deshalb knapp 3 Millionen Euro Kosten für Ersatzstrombeschaffung entstanden sind. Gnädigerweise haben sie davon bereits ihre eingesparten Kosten für Brennstoffbeschaffung und CO2-Zertifikate abgezogen. Für die genannten Beträge legen sie keinerlei Verträge oder anderweitige Kalkulationen vor.
Wären die durch die Blockaden eingesparten Schäden für die Menschen hier und im Globalen Süden gegengerechnet worden, hätte diese Aktion global betrachtet sicherlich zu einem Gewinn (auch von Lebensqualität) geführt!
Was bedeutet das für euch als Betroffene?
Tessa: In erster Linie geht es um Abschreckung, RWE will mit dieser Zivilklage verhindern, dass in Zukunft Menschen erneut ihre Kraftwerke und andere Einrichtungen blockieren und stören.
Irene: Für uns ist es nervig, uns damit auseinandersetzen zu müssen. Langfristig heißt es, dass wir – wenn wir verlieren – mit wenig Geld auskommen müssen. In diesem Land müssen Millionen Menschen mit Bürgergeld oder ähnlich niedrigen Einkommen auskommen – wir dann eben auch. Alles darf uns RWE nicht wegnehmen. Aber da wir sowieso mit wenig Geld leben und lieber auf soziale Strukturen setzen, trifft uns das nicht besonders hart. Vor derartigen Aktionen sollte daher generell bedacht werden, über möglichst wenig Geld zu verfügen.
Derartige Schadenersatzdrohungen gegen Aktivist*innen nutzen Konzerne immer häufiger. Was gibt es bislang für Erfahrungen mit solchen Klagen?
Cornelia: Manche Aktivist*innen weh- ren sich gar nicht erst gegen Geldforderungen, davon gelangt dann nichts in die Öffentlichkeit. Bekannt ist etwa eine Schadensersatzforderung über 2 Millionen Euro wegen einer ähnlichen Blockade des Kohlekraftwerks Weisweiler 2017. Diese ruht gerade, weil die entsprechenden Strafverfahren nicht abgeschlossen sind.
Bezüglich einer Blockade des Logistikkonzerns DHL am Paketzentrum Flughafen Leipzig/Halle im Juli 2021 einigten sich die Beteiligten auf einen Vergleich. Der Konzern verzichtete auf den Schadensersatz im Tausch gegen Arbeitsstunden. Im Ergebnis ist damit deutlich weniger zu zahlen, als die ursprünglich vom Konzern geforderten 1,5 Millionen Euro. Den Zivilprozess nach einer Blockade eines Schlachthofs von Tönnies im Oktober 2019 verloren die Aktivist*innen und zahlten.
Inwiefern stellen diese massiven Schadensersatz-Forderungen eine neue Strategie im Kampf gegen die Klimabewegung dar und warum kommt es nun vermehrt dazu?
Irene: Schon auf die Proteste gegen Genfelder in den 2000er Jahren folgten große Schadensersatzklagen der Konzerne. Es ist ein Mittel aus dem Repressionsrepertoire, das nicht so oft, aber immer wieder genutzt wird. Auf diese Weise ist für Aktivist*innen unkalkulierbar, ob sie derartige Forderungen zu befürchten haben. Es gibt Menschen, die sich dadurch eventuell abschrecken lassen. Gerade wird wieder mehr auf unterschiedlichen Ebenen gegen Klimagerechtigkeitsaktivist*innen vorgegangen. Dies bildet die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse ab, die sich leider zu unseren Ungunsten verschoben haben.
Welche Möglichkeiten gibt es,sich gegen diese Taktik massiverSchadensersatz-Forderungen zu wehren?
Tessa: Wir haben uns dazu entschlossen, uns vor Gericht gegen die Klage zu wehren. Wie erfolgreich das ist, wird sich herausstellen. Wir sind aber angesichts der politischen Lage und der Willkür der Gerichte nicht allzu optimistisch. Dennoch finden wir es wichtig, RWE zu zeigen, dass wir ihre absurden Forderungen nicht einfach hinnehmen, auch für zukünftige Aktionen. Sich mit anderen Betroffenen zu verbünden und gemeinsam durch Öffentlichkeitsarbeit Druck auszuüben, um in Zukunft solche Klagen zu verhindern, ist eine Strategie, die zum Beispiel durch das neu gegründete No-SLAPP-Bündnis verfolgt wird. Wie erfolgreich die Strategie sein wird, wird sich erst in einigen Jahren zeigen.
■ Das Interview führte Britta Rabe