06. Okt. 2023 © picture alliance/dpa | Sebastian Willnow
Demokratie / Versammlungsrecht

Staatliche Umklammerung: Sachsen plant sein neues Versammlungsgesetz ganz im Sinne der Polizei

Die sächsische Landesregierung plant eine umfassende Novellierung des Versammlungsgesetzes für Sachsen. Der Kabinettsentwurf wurde im August 2023 in die Verbändeanhörung gegeben und das Grundrechtekomitee wurde eingeladen, eine Stellungnahme zu diesem Entwurf abzugeben. Wie andere Landesversammlungsgesetz wurde leider auch dieser Entwurf aus einer polizeilichen und damit störungszentrierten Sicht verfasst und schränkt somit das Grundrecht der Versammlungsfreiheit vielfältig und umfassend ein. Die Grundrechtsträger*innen – die sich Versammelnden, die Veranstaltenden und Versammlungsleitenden – werden noch nicht einmal als die primären Anwender*innen erkannt. Zudem wird ein verdeckter Zwang zur Kooperation eingeführt, der das Prinzip der Staatsfreiheit von Versammlungen unterläuft. Eine weitere Hauptkritik wendet sich gegen die geplante Überprüfung von Ordner*innen, da diese nicht nur die Versammlungsfreiheit massiv einschränken würde, sondern auch tiefe Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen bedeutet.

Unsere gesamte Stellungnahme ist im Folgenden dokumentiert und kann als Pdf heruntergeladen werden:

Einleitung

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. begrüßt das Vorhaben einer Modernisierung des Versammlungsgesetzes für das Bundesland Sachsen. Wir bedanken uns für die Möglichkeit, zu dem Entwurf Stellung zu nehmen.

Seit der Vereinsgründung im Jahr 1980 dokumentiert das Komitee für Grundrechte und Demokratie problematische bis rechtswidrige Einschränkungen der Versammlungsfreiheit durch Versammlungs- und Polizeibehörden, durch Parlamente und Gerichte. Seit der Großdemonstration gegen das geplante Atomkraftwerk in Brokdorf im Jahr 1981 organisieren wir Demonstrationsbeobachtungen. Damit tragen wir zum Schutz des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit bei und klären die Öffentlichkeit über aktuelle Einschränkungen auf.

Als zivilgesellschaftliche Organisation, die seit Jahrzehnten gemeinnützig im Dienste der Demokratie und der Versammlungsfreiheit wirkt, verstehen wir unsere Rolle als Stimme der Zivilgesellschaft und der Anwender*innen der künftigen gesetzlichen Regelungen. Die Grundrechtsträger*innen als primäre Anwender*innen bleiben in diesem Gesetzentwurf leider nahezu außen vor – sie kommen weitestgehend nur abstrakt in Form zugeschriebener Stör- und Gefahrenpotentiale vor.

Am vorgelegten Kabinettsentwurf der sächsischen Landesregierung zur Neuregelung des Versammlungsrechts in Sachsen haben wir umfangreiche demokratietheoretische Kritik, zusätzlich zu spezifischen Kritiken an einer Vielzahl der einzelnen Regelungen und am geplanten Sanktionsregime. Der Entwurf verfehlt den zentralen Kern eines Versammlungsgesetzes: den Schutz der Versammlungsfreiheit als Abwehrrecht gegenüber dem Staat. Im Zentrum des geplanten Versammlungsgesetze steht nicht die Förderung der Grundrechtsausübung, sondern vorrangig eine gefahren- und störungszentrierte Sichtweise auf Versammlungen. Entsprechend sollen der Polizei sehr weitgehende und die Versammlungsfreiheit deutlich einschränkende Interventionsmöglichkeiten gestattet werden.

Wir haben in unserer Analyse einen systematischen und wörtlichen Abgleich des geplanten SächsVersG mit einem Musterentwurf aus 2010 (ME VersG) und dem Versammlungsgesetz von Schleswig-Holstein (VersFG SH), sowie punktuell mit weiteren Landesgesetzen vorgenommen.

Dabei stellen wir fest: Um eine die Versammlungsfreiheit fördernde Ausgestaltung zu erreichen, müsste von der in diesem Entwurf vorherrschenden Grundannahme von Versammlungen als Störfaktor abgerückt werden, zugunsten einer - alleinigen verfassungsrechtlich vertretbaren - Grundannahme von Versammlungen als unerlässlichem demokratisierenden Element.

Hintergrund und allgemeine Anmerkungen

Zur Rolle der Versammlungsfreiheit in der Demokratie

Schon in diesem Sinne gebührt dem Grundrecht in einem freiheitlichen Staatswesen ein besonderer Rang; das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewußten Bürgers.“ - Auszug aus dem Brokdorfbeschluss BVerfGE 69, 315

Dass die Versammlungsfreiheit als zentrales demokratiebildendes und -entwickelndes Grundrecht angesehen wird und seine Rolle für eine funktionierende Demokratie nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, ist gemeinhin Konsens über nahezu alle politischen Lager hinweg. Dies gründet sich nicht zuletzt auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht, insbesondere den berühmten Brokdorf-Beschluss aus dem Jahr 1985, in dem eine erstmalige ausführliche verfassungsrechtliche Einordnung der Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 GG vorgenommen wurde. Die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, wonach Versammlungen „ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie“ seien, gehört wohl zu den meist zitierten Sätzen aus Karlsruhe.

Die Richter*innen stellten weiterhin fest, dass die Versammlungsfreiheit eine wichtige Funktion, einen Ausgleich zum System der parlamentarischen Demokratie erfülle: Versammlungen und der sich darin ausdrückende Protest seien ein politisches Frühwarnsystem, das „Störpotentiale anzeigt, Integrationsdefizite sichtbar und damit auch Kurskorrekturen der offiziellen Politik möglich macht“. Viele der heute geltenden Leitsätze zur Versammlungsfreiheit rekurrieren immer noch auf diesen Beschluss und auf darauf aufbauende Verfassungsrechtsprechung. Dazu gehören insbesondere die Autonomie in der Ausgestaltung einer Versammlung, die Staatsfreiheit, der freie Zugang zu Versammlungen und die Abwesenheit von Observation und Registrierung. Diese verfassungsrechtliche und gleichzeitig demokratietheoretische Einordnung galt und gilt uns als Komitee für Grundrechte und Demokratie über die Jahrzehnte unseres Wirkens hinweg als Bezugspunkt, in dessen Lichte wir sowohl unsere praktischen Demonstrationsbeobachtungen durchführen als auch Gesetzesinitiativen, wie die hier zugrundeliegende, bewerten. Ein Gesetz, „das den Staat an ein versammlungsfreundliches Verhalten bindet“ und „dem verbürgten Recht auf politische Teilhabe größmögliche Wirksamkeit verleihen“ will, wie es in der Begründung zum Entwurf selbst formuliert wird, sollte sich ebenso daran orientieren.

Zur Frage der Anwender*innen

Die primären Anwender*innen eines Versammlungsgesetzes sind diejenigen, die vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit Gebrauch machen – die sich Versammelnden, die Veranstaltenden und Versammlungsleitenden; erst nachgeordnet zählen die damit befassten Behörden zum Kreis der Anwender*innen. Ein Versammlungsgesetz begrenzt zwar die Grundrechtsträger*innen in der Ausübung der Versammlungfreiheit, muss dabei jedoch immer das besondere Gewicht des Schutzes der Versammlungsfreiheit durch Artikel 8 GG beachten. Insofern muss ein solches Gesetzesvorhaben die Grundrechtsträger*innen und die freie Grundrechtsausübung ins Zentrum der Überlegungen zur Ausgestaltung des Versammlungsrechts stellen, wenn das Gesetz denn einem demokratischen Anspruch gerecht werden will.

Dass dieser Grundsatz keine Rolle spielte, die Grundrechtsträger*innen nicht einmal als Anwender*innen des Versammlungsgesetz begriffen werden, zeigt sich schon im Begleitschreiben des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zur Anhörung, versendet aus dem „Referat 36 | Recht der Polizei“. In diesem heißt es: „Bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs wurde durch eine umfangreiche Beteilligung der zukünftigen Anwender des Gesetzes, d. h. der Versammlungsbehörden und der Polizeidirektionen, versucht, den Bedürfnissen der Praxis Rechnung zu tragen.“ Die Stellungnahme soll an ein Postfach mit dem Namen „Polizeirecht“ gesendet werden. Dieser gesamte Vorgang ist für sich genommen schon skandalös. Dass wir zusammen mit dem LandesSchülerRat Sachsen als einzige zivilgesellschaftliche Organisation in die Verbändeanhörung einbezogen wurden, verschärft diese Problematik noch. Dieses Versäumnis lässt sich auch nicht dadurch heilen, dass der Entwurf nach politischem Druck für wenige Wochen in ein Beteiligungsportal eingestellt wurde, da dortigen Eingaben erfahrungsgemäß wenig Beachtung geschenkt wird.

Ein Versammlungsgesetz hat sich nicht an der Praktikabilität für Polizei und Behörden zu orientieren, sondern an der freien Grundrechtsausübung. Die Versammlungsfreiheit ist ein Abwehrrecht gegen den Staat. Die meisten Versammlungen benötigen die Polizei nicht, die verfassungsrechtlich verbriefte Staatsfreiheit sollte demnach die Regel, staatliche Eingriffe die Ausnahme sein. Oben genanntes Begleitschreiben, die Zuständigkeiten, ebenso wie die gesamte Ausgestaltung des Gesetzentwurfs sprechen die Sprache der Unterordnung dieses Freiheitsrechts unter die Prämissen von Polizeirecht und Gefahrenabwehr. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass dieser Entwurf den Polizei- und Ordnungsbehörden überbordende Eingriffs- und Sanktionierungsmöglichkeiten an die Hand gibt und die freie Grundrechtsausübung weitgehend beschneidet.

Versammlungsrecht als Minderheitenrecht

Der demokratische Gehalt der Versammlungsfreiheit drückt sich nicht zuletzt auch in seiner Funktion des Minderheitenschutzes, insbesondere des Schutzes von abweichenden Meinungen aus. Im schon zitierten Brokdorf-Beschluss wird darauf explizit verwiesen, u.a.: „Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugute kommt, gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (…)“.

Prof. Dr. Clemens Arzt verweist in seiner Stellungnahme1 zum im Januar 2023 im Bundestag diskutierten Antrag „Straßenblockierer und Museumsrandalierer härter bestrafen – Menschen und Kulturgüter vor radikalem Protest schützen“ (sic!) ebenso auf den Schutz von Minderheiten: „Wie oben ausführlich dargelegt, schützen die Versammlungsfreiheit und der Schutz aus Art. 8 GG gerade das Recht der abweichenden Meinung und auf Dissens einerseits wie auf Teilhabe an der (kontroversen) politischen Willensbildung andererseits. Dies hat das BVerfG seit der so genannten Brokdorf-Entscheidung 1985 in ständiger Rechtsprechung immer wieder hervorgehoben und bestätigt.“

Gerade der zweite Punkt, die Teilhabe an der politischen Willensbildung im Rahmen der Versammlungsfreiheit ist besonders für ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Minderheiten von zentraler Bedeutung. In Deutschland leben Millionen Menschen, die Minderheitengruppen angehören und die sich mangels Wahlrecht kaum an der politischen Entscheidungsfindung beteiligen können. Die Versammlungsfreiheit ist entsprechend eine zentrale Möglichkeit, um ihren Interessen Ausdruck zu verleihen und diese in politische Willensbildungsprozesse einzuspeisen. Insbesondere mit Blick auf diese Gruppen und ihre oft vulnerable gesellschaftliche Stellung muss das Versammlungsrecht anwenderfreundlich ausgestaltet sein, und sollte von strafrechtlichen Sanktionierungen absehen.

Die ‚öffentliche Ordnung‘ als Eingriffsrechtfertigung

Der unbestimmte Rechtsbegriff der ‚öffentlichen Ordnung‘ ist aus dem Gesetz zu streichen. Der Begriff der ‚öffentlichen Ordnung‘ wird im Entwurf herangezogen in § 3 Schutzaufgabe und Kooperation und in § 6 (3) zur Vorgabe des Einsatzes von Ordnungskräften; zudem ist er Teil der Ermächtigungsgrundlage in § 13 (1) zur Anwendbarkeit des Sächsischen Polizeivollzugsdienstgesetz und des Sächsischen Polizeibehördengesetzes, in § 17 (1) zur Beschränkungen und zum Verbot von Versammlungen und in § 18 (2) zum Ausschluss aus Versammlungen. Die Übernahme dieses Rechtsbegriffs in das SächsVersG erfolgt gezielt, wohl wissend, dass neuere Versammlungsgesetze auf diesen Rechtsbegriff angesichts seiner Unbestimmtheit und der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung verzichten. Sogar die damalige schwarz-gelbe Landesregierung von NRW hat diesen unbestimmten Begriff nach Protesten und Kritik mittels Änderungsantrag aus dem 2021 beschlossenen Entwurf des VersG NRW gestrichen, eine der wenigen positiven Änderungen im Gesetzgebungsverfahren.2

Der Begriff der öffentlichen Ordnung umfasst „die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebietes angesehen wird“3.

Schon daraus wird ersichtlich: Aus rechtsstaatlichen Gründen ist eine solche Ermächtigungsgrundlage zu Eingriffen in Grundrechte nicht haltbar. Sie öffnet willkürlichem Handeln des Staates Tür und Tor, da die „öffentliche Ordnung“ inhärent unbestimmt ist und eine Art Freibrief für sämtliche Eingriffe darstellt. Dass im Gesetzentwurf gerade auf diese Unbestimmtheit des Begriffes der „öffentlichen Ordnung“ gesetzt wird, machen die Verfasser*innen in der Gesetzesbegründung (S. 44) überaus deutlich, indem sie eben gerade diese Unbestimmtheit loben:

Die versammlungsrechtliche Generalklausel, die eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung als Voraussetzung für Beschränkungen oder ein Verbot der Versammlung voraussetzt, hat sich in der Praxis als flexibles Instrument zur Erfassung unterschiedlichster Sachverhalte im Versammlungsgeschehen bewährt. Absatz 1 übernimmt sie daher. Aufgrund des hohen Schutzgutes der Versammlungsfreiheit wird ein Eingriff in dieses Grundrecht bei einem Verstoß gegen das Schutzgut der öffentlichen Ordnung nur in wenigen Fällen in Frage kommen; gleichwohl stellt es einen wichtigen Auffangtatbestand dar, um gegen neuartige oder atypische Gefahrentatbestände einschreiten zu können, die - noch - nicht die öffentliche Sicherheit berühren.“

An dieser Stelle tritt die Ausgestaltung des Entwurfs anhand rein polizeilicher Interessen unverhohlen zutage. Es liest sich wie eine Formel, die schlicht jedwede künftig denkbare Versammlungsbeschränkung von vornherein ermöglichen soll. Daran ändert auch der Verweis auf das hohe Schutzgut der Versammlungsfreiheit nichts – da erfahrungsgemäß auch im Versammlungsgeschehen die polizeiliche Logik überwiegt. Würde man dieses tatsächlich ernst nehmen, hätte eine „versammlungsrechtliche Generalklausel“ nichts in diesem Gesetz verloren, vielmehr müssten die Möglichkeiten polizeilicher Eingriffe präzise beschränkt werden.

Anwesenheit der Polizei

Der Gesetzentwurf enthält nur eine Regelung zum Anwesenheitsrecht der Polizei bei Versammlungen in geschlossenen Räumen, siehe § 22 (2), jedoch nicht für Versammlungen unter freiem Himmel. Da die Kreispolizeibehörden und der Polizeivollzugsdienst jedoch nach § 29 sachlich und örtliche Zuständigkeiten im Rahmen von Versammlungen haben sollen, ist von deren Anwesenheit bei Versammlungen unter freiem Himmel auszugehen. Diese muss dann auch geregelt werden und etwa Schwellen für eine polizeiliche Anwesenheit festlegen – um dem Ziel der Staatsferne genüge zu tun.

Die Anwesenheit der Polizei hat ein hohes Potential der Abschreckungswirkung auf potentielle Teilnehmer*innen, weil diese suggeriert, dass von der Versammlung Gefahren ausgehen. Zudem hat die Anwesenheit der Polizei und ihre Intensität auch eine Einschüchterungs- oder Abschreckungswirkung auf die umstehende Öffentlichkeit, sodass die intendierte Außenwirkung und die Kommunikation der Versammlungsinhalte erschwert oder gar verhindert werden. Im schlimmsten Fall prägt die Polizei das gesamte Bild der Versammlung und es dringen die Inhalte gar nicht mehr an die Öffentlichkeit, für die sie bestimmt waren. Entsprechend sind im Sinne der Versammlungsfreiheit die Anwesenheitsrechte weit einzugrenzen und hohe Anforderungen an die möglichen Voraussetzungen zu stellen. Da es für die Wirkung einer Versammlung nach innen und nach außen einen Unterschied macht, wieviel Polizei, welche Einheiten, mit welcher Ausrüstung anwesend sind und in welcher Distanz sich diese zur Versammlung befinden, sollten hier weitergehende Überlegungen angestellt und diese in konkretere Regelungen überführt werden.

In diesem Entwurf soll das Erfordernis des bisherigen § 11 (2) entafllen, dass Polizeibeamt*innen, die in eine öffentliche Versammlung entsandt werden, sich gegenüber der Versammlungsleitung zu erkennen geben müssen. Es muss jedoch eine wirksame Vorschrift geben, die die Polizei verpflichtet, sich bei allen Versammlungen unverzüglich zu erkennen zu geben. Diese Legitimierungspflicht sollte auch nicht allein gegenüber der Veranstaltungsleitung bestehen und zudem ein Verbot umfassen, Polizeikräfte in Zivil ohne Kennzeichnung in Versammlungen einzusetzen, da dies einen schweren Eingriff in die Versammlungsfreiheit darstellt. Die hier völlig außen vor bleibende Regelung ermöglicht es, Zivilbeamte zu entsenden, ohne dass diese sich zu erkennen geben müsse. Gerade wenn das Prinzip der Staatsferne zur Gewährleistung der Versammlungsfreiheit gehört, lässt sich nicht begründen, warum der Staat verdeckt bei Versammlungen anwesend sein dürfte.

Zu den spezifischen Regelungen im Gesetzentwurf

§ 1 Versammlungsfreiheit

Der § 1 (2) kann vollständig gestrichen werden, wie es beispielsweise im VersFG BE umgesetzt ist, da die Grundrechtsverwirkung in der Realität keine Anwendung findet. Es wurden bislang keine Verwirkungsentscheidungen nach Artikel 18 GG ausgesprochen und es bleibt zu hoffen, dass sich an dieser Situation künftig nichts ändern wird.

§ 3 Schutzaufgabe und Kooperation

Der § 3 dieses Entwurfs zeigt deutlich die Handschrift der Ordnungsbehörden und ist aus grundrechtlicher Sicht geradezu absurd. Die Gewährleistung der ungestörten Ausübung der Versammlungsfreiheit tritt hinter das Ziel behördlicher Einhegung von Versammlungen zurück. Die Gesetzesbegründung ist in sich widersprüchlich, die tatsächlich verfolgte Zielrichtung scheint vordergründig die Bindung der Veranstalter*innen und Versammlungsleitung an behördliche Vorgaben durch einen verdeckten Zwang zur Kooperation, sowie die Informationsabschöpfung im Vorfeld zu sein.

Schutzaufgabe

Auffallend sind schon die deutlichen Abweichungen in der behördlichen Aufgabenbeschreibung in § 3 (1) zu anderen Landesversammlungsgesetzen. Der Entwurf hält sich nicht einmal damit auf, die Gewährleistung der Versammlungsfreiheit als Aufgabe zu benennen.

Im Sinne eines modernen und versammlungsfreundlichen Versammlungsgesetzes sollte der § 3 (1) umfassend mit Orientierung an § 3 VersFG BE überarbeitet werden. Dieser verpflichtet u.a. dazu, friedliche Versammlungen zu schützen, die Ausübung der Versammlungsfreiheit zu gewährleisten, den ungehinderten Zugang zu Versammlungen zu ermöglichen, die freie Berichterstattung der Medien bei Versammlungen zu gewährleisten, einen schonenden Ausgleich zwischen der Versammlungsfreiheit und den Grundrechten Dritter herzustellen, sowie die Durchführung von Gegenversammlungen in Hör- und Sichtweite zu ermöglichen.

Nur der Schutz der freien Berichterstattung der Medien findet sich im Entwurf des SächsVersG, was aufgrund der schwierigen und teils gefährlichen Arbeitsbedingungen von Journalist*innen bei Versammlungen in Sachsen begrüßenswert ist. Eine Klarstellung, dass Gegenversammlungen ebenso dem Schutz der Versammlungsfreiheit unterliegen und deren Ermöglichung in Hör- und Sichtweite verfassungsrechtlich vorgeschrieben ist, muss dringend ergänzt werden. Zudem ist der Begriff der „öffentliche Ordnung“, wie schon im obigen Kapitel beschrieben, zu streichen.

Kooperation

Das Thema der Kooperation, das in § 3 (2) bis § 3 (7) geregelt werden soll, könnte in einen eigenen Paragraphen verschoben werden, um den § 3 nicht zu überfrachten.

Das Bundesverfassungsgericht hat das Kooperationsgebot im selben Beschluss entwickelt, in dem es auch auf den grundsätzlich „staatsfreien unreglementierten Charakter“ von Versammlungen hinwies. Insofern bindet das Kooperationsgebot vor allem die Versammlungsbehörden. Die Kooperation ist ein Baustein zur wirksamen Nutzung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit. Sie sollte daher so ausgestaltet sein, dass die Vorstellungen der Veranstalter*innen behördenseitig den Orientierungspunkt der Kooperation bilden und die Kooperation in einen versammlungsfreundlichen Zusammenhang gestellt wird.4 Genau das tut der Entwurf nicht – im Gegenteil: er stellt das Kooperationsgespräch ausschließlich in den Kontext der Gefahrenabwehr. Versammlungen, die nicht als „Gefahr“ betrachtet werden, scheinen gar nicht denkbar zu sein. Anstatt die Versammlungsbehörde zur versammlungsfreundlichen Kooperation anzuhalten, legt § 3 vor allem den Veranstalter*innen jede Menge Pflichten („Obliegenheiten“) auf. Die Kooperation scheint hier vordringlich als Möglichkeit der Datenbeschaffung für die Behörden angesehen zu werden – garniert mit der Drohung, die Versammlungsfreiheit zu beschränken, wenn die Informationen nicht umfassend und innerhalb behördlich gesetzter Fristen geliefert werden.

Die Begründung zu den geplanten Regelungen (S. 23 bis 25) ist zudem inkohärent und widersprüchlich. Einerseits wird betont, es bestehe keine Pflicht zur Kooperation, andererseits wird überdeutlich gemacht, dass die Nichterbringung von geforderten Informationen sich negativ auf die Gefahrenprognose auswirken kann. Um zu verdeutlichen, wie weitreichend sich die Informationsabschöpfung per „Kooperation“ vorgestellt wird, muss hier ein ganzer Absatz aus der Begründung (S.25) zitiert werden:

Kommt eine Veranstalterin oder ein Veranstalter seinen Obliegenheiten bei der Kooperation oder auch sonst im versammlungsrechtlichen Verwaltungsverfahren nicht oder nur unzureichend nach oder wirkt er sonst nicht oder nur unzureichend mit der zuständigen Behörde bei der Durchführung dieses Gesetzes zusammen (§ 26 Absatz 2 VwVfG) – beispielsweise bei der Benennung bzw. Mitteilung von Ordnungskräften, Rednerinnen und Rednern, Redebeiträgen, anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, Versammlungsinhalten, Angaben zum kommerziellen Charakter einer Veranstaltung (etwa finanzielle Angaben), bei der Darlegung der wirtschaftlichen Bedeutung von Infrastruktureinrichtungen oder sonstigen Umständen zum Gesamtbild der Versammlung –, kann die zuständige Behörde ein solches unkooperatives Verhalten im Rahmen der jeweiligen Gesamtabwägung namentlich bei der Einschätzung des Versammlungscharakters, bei der Zuordnung von Versammlungszubehör und -infrastruktur oder bei der Gefahrenprognose gemäß den §§ 17, 22 des Gesetzentwurfs unter Berücksichtigung des hohen Ranges der Versammlungsfreiheit und der Verhältnismäßigkeit angemessen und verhältnismäßig würdigen, ggf. auch zum Nachteil der Veranstalterin oder des Veranstalters. Das Maß der Erfüllung der Obliegenheit wird bei der Gefahrenprognose berücksichtigt.“

Die geplanten Regelungen zur Kooperation stellen die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung auf den Kopf. Aus der behördlichen Pflicht zur Kooperation wird hier ein Regelwerk zur Disziplinierung von Veranstalter*innen. Sie greifen unzulässig und weitreichend in die Autonomie der Versammlung ein, indem die Behörden die Möglichkeit erhalten, massiv Druck auf die Versammlungsgestaltung wie etwa die Wahl von Zeit, Ort, Gestaltung und Inhalt auszuüben. Wenn das einer Behörde gegenüber nicht gefällige Verhalten zu einer Beschränkung von Artikel 8 GG führen kann, ist dies mit Artikel 8 GG schlicht unvereinbar.

Wie dargelegt, gehören die gesamten Regelungen zur Kooperation vom Kopf auf versammlungsfreiheitliche Füße gestellt. Zudem ist es notwendig, einigen behördlichen Gepflogenheiten Einhalt zu gebieten: Anwender*innen stehen im Rahmen der Kooperation, insbesondere der Kooperationsgespräche, immer wieder vor der Herausforderung, dass Gesprächstermine erst kurz vor dem Versammlungstermin angeboten werden. Dies stellt einen erheblichen Eingriff in Artikel 19 Abs. 4 GG dar, weil eine gerichtliche Überprüfung dieses Verfahrens oft nicht (zeitnah) möglich ist. Insofern wären klare Fristsetzungen für die Versammlungsbehörden vonnöten.

Auch der behördlichen Praxis Kooperationsgespräche zur Einschüchterung zu nutzen, etwa durch die Teilnahme einer Vielzahl behördlicher Vertreter*innen, sollte mindestens im Rahmen der Gesetzesbegründung Einhalt geboten werden.

Zuguterletzt verweisen wir auch in Bezug auf behördliche Informationspflichten bei der Kooperation aus § 3 (5) auf die gelungenere Gestaltung des § 3 (2) VersFG BE, nach dem die Veranstalter*in und Versammlungsleitung nicht nur über „erhebliche Änderungen der Gefahrenlage“ zu informieren ist, sondern „über die Gefahrenlage und -prognose sowie deren Änderungen“.

§ 4 Veranstalterin oder Veranstalter einer Versammlung

Laut § 4 (1) soll künftig auch als Veranstalter*in gelten, wer zu einer Versammlung „aufruft“. Unter „Aufruf“ verstanden wird dabei laut Gesetzesbegründung (S.26) eine „über ein Medium wie Internet oder Handzettel“ verbreitete Einladung. Als aufrufend gilt, wer „eine über die bloße Weiterleitung eines (gegebenenfalls sogar fremden) Versammlungsaufrufes hinausgehende Rolle für die Veranstaltung der Versammlung einnimmt“. Dies weicht von anderen Landesversammlungsgesetzen ab und ist auch im Sinne der Versammlungsfreiheit abzulehnen. In der Praxis werden Einladungen und Aufrufe zu Versammlungen von einer Vielzahl von Personen und Organisationen verteilt, oft selbst dann, wenn diese nicht an der Versammlung teilnehmen. Da vollkommen unbestimmt ist, wie eine über die bloße Weiterleitung hinaus gehende Rolle definiert und abgegrenzt werden kann, können künftig sehr breite Personenkreise als Veranstalter*in verstanden werden und unterliegen damit auch den Straf- und Ordnungswidrigkeitsvorschriften. Zudem können Veranstaltende nach den in § 5 vorgeschlagenen Regelungen „automatisch“ als Versammlungsleitung gelten. Dies kann eine Abschreckungswirkungen in Bezug auf das Weiterleiten von Aufrufen entfalten und damit den erreichten Personenkreis, sowie die Teilnehmer*innenzahl verringern und somit das kommunikative Ziel der Veranstaltung negativ beeinflussen. Der Zusatz des „Aufrufens“ ist daher zwingend aus § 4 (1) zu streichen.

Die Formulierung in § 4 (2), dass in der Einladung zu einer Versammlung der Name der Veranstalterin oder des Veranstalters angegeben werden soll, liest sich aus Anwender*innensicht, als müsse der Name einer natürlichen Person angegeben werden. Dass es ebenso möglich ist, eine Organisation anzugeben, erschließt sich aus dem Gesetzestext nicht. ME VersG schlägt die etwas offenere Formulierung „In der Einladung zu einer öffentlichen Versammlung ist der Name anzugeben.“ vor; VersFG BE formuliert am passendsten „In der Einladung zu einer Versammlung ist der oder die Veranstaltende anzugeben.“ Darüber hinaus ist es jedoch begrüßenswert, die Namensangabe als Soll-Bestimmung zu formulieren – vor dem Hintergrund, dass auf die Angabe von Namen verzichtet werden kann, wenn Bedrohungen oder Einschüchterungen befürchtet werden (Begründung S. 23). Zusammenfassend schlagen wir die Formulierung „In der Einladung zu einer Versammlung soll der oder die Veranstaltende angegeben werden“ vor.

§ 5 Versammlungsleitung

Der hier vorgeschlagene § 5 folgt einem überholten obrigkeitsstaatlichen und hierarchischen Verständnis von Versammlungen, indem es nach einer Versammlungsleitung verlangt, welche laut Entwurf auch nur eine einzige Person sein soll. Zwar wird durch die Soll-Bestimmung in § 5 (1) im Prinzip auch eine leiterlose Versammlung möglich und erkennt auch an, dass leiterlose Versammlungen von Artikel 8 GG umfasst sind (Begründung S. 27). Der Wortlaut von § 5 macht jedoch sehr deutlich, dass diese im Grunde erwünscht sind und setzt zahlreiche Automatismen fest, nach denen die Versammlungsleitung den veranstaltenden Personen oder der „handlungsbefugten Person“ einer Vereinigungen automatisch zufällt. All diese Automatismen sind zu streichen, das sie das Selbstbestimmungsrecht der Versammlung erheblich einschränken. Zudem muss die Möglichkeit für Versammlungsleitungen von mehreren Personen eröffnet werden, wie es etwa im HVersFG der Fall ist.

Komplett absurd und verfassungsrechtlich unhaltbar ist der § 5 (4), nach dem „die Behörde“ bei nicht feststellbarer Versammlungsleitung qua Gesetz faktisch an die Stelle der Versammlungsleitung treten soll. Damit wird der Grundsatz der Staatsfreiheit von Versammlungen ausgehebelt. Es ist bezeichnend, dass eine sich demokratisch selbst organisierende Versammlung ohne hierarchische Leitung undenkbar scheint.

Insgesamt beeinträchtigt § 5 in Zusammenwirken mit weiteren Regelungen des SächsVersG die Inanspruchnahme des Grundrechts der Versammlungsfreiheit, da das Risiko hoch ist von den Behörden ungewollt als Versammlungsleitung angesehen zu werden und auch die freiwillige Übernahme der Versammlungsleitung mit einem erheblichen Risiko verbunden ist, straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlich verfolgt zu werden. Die so entfaltete Abschreckungswirkung kann dazu führen, dass Versammlungen von vorn herein nicht geplant werden oder nicht durchführbar sind, weil sich keine Personen zur Leitung finden oder niemand als Veranstalter*in fungieren will.

§ 6 Pflichten und Befugnisse der Versammlungsleitung, Ordnungskräfte

Schon die Überschrift des geplanten § 6 (1) verdeutlicht, warum in § 5 so dringlich auf eine Versammlungsleitung bestanden wird, nämlich um die hierarchisch verortete Versammlungsleitung für staatliche Anforderungen in die Pflicht zu nehmen. Zudem soll die Versammlungsleitung mit „Befugnissen“ gegenüber der Versammlung ausgestattet werden und rückt die Leitung schon rein begrifflich in eine polizeiliche Richtung ein. Wenn jedoch Versammlungen in ihrer Gestaltungsautonomie Versammlungsleiter*innen bestimmen, dann in der Regel nicht, um dieser besondere hierarchische Macht und quasi-polizeiliche Befugnisse der Versammlung gegenüber zu verleihen, sondern um Ansprechbarkeiten zu klären, Informationsflüsse innerhalb und gegenüber den Behörden zu klären und intern besprochene Versammlungsabläufe zu vereinfachen.

Unklar ist auch, was ein „ordnungsgemäßer Ablauf“ nach § 6 (1) sein soll und welche Ordnungsmaßstäbe hier überhaupt gelten würden – die der Versammlung, d.h. die „innere Ordnung“ wie sie durch die Veranstalter*innen und Versammlungsteilnehmenden selbst organisiert ist; oder die Ordnungsvorstellungen der Behörden oder gar die „öffentliche Ordnung“?

Die Pflicht „insbesondere auf die Friedlichkeit der Versammlung hinzuwirken“ unterstellt, dass Versammlungen ohne ein solches Hinwirken nicht friedlich verlaufen würden. Gleichzeitig schriebt dies der Versammlungsleitung mehr Einfluss auf die Teilnehmenden zu, als sie in der Realität oft hat. Der Versammlungsleitung wird somit eine Pflicht auferlegt, deren Erfüllung in der Regel allein in der Hand der Teilnehmenden liegt. Die Formulierung „unterstützt einen friedlichen Verlauf“ im VersFG BE ist realistischer gewählt.

In § 6 (2) wird eine Pflicht zur rechtzeitigen Mitteilung der Anzahl der eingesetzten Ordnungskräfte vor Beginn einer Versammlung festgesetzt. Die Nichterfüllung der Mitteilung und das Mitteilen einer falschen Zahl werden in § 25 (6) als Ordnungswidrigkeiten eingestuft. Dass Versammlungen selbst mit Ordner*innen planen oder dass die Versammlungsbehörden ein Ratio von Ordner*innen zu Teilnehmenden vorgeben, ist gängige Praxis. Dass aber eine Mitteilungspflicht der genauen Zahl mit Bußgeld bei Zuwiderhandlung festgesetzt wird, geht deutlich zu weit. Erstens gibt es keinen plausiblen Grund, warum die Behörde die genaue Zahl der Ordner*innen kennen müsste. Zweitens, verändert sich die Ordner*innenzahl oft in Abhängigkeit der tatsächlichen Teilnehmer*innenzahl und ist nie genau planbar, somit ist eine genaue Angabe im Vorfeld, insbesondere bei Großdemonstrationen, schlicht nicht leistbar. Und selbst, wenn in einzelnen Fällen die Zahl der Ordner*innen im Vorfeld genau geplant wäre, können sich kurzfristig Abweichungen ergeben. Künftig sollen dann die Versammlungsleitung oder die Veranstaltenden ein Bußgeld zahlen, weil eine Ordner*in nicht wie geplant auftaucht? Es zeigt sich insbesondere in Zusammenspiel mit § 16 (Befugnisse hinsichtlich der Ordnungskräfte), dass die im SächsVersG geplanten Regelungen zu Ordner*innen einerseits hochgradig unpraktikabel sind, eine massive Abschreckungswirkung erzielen und geeignet sind, Versammlungen durch die Behörden zu behindern oder gar zu verunmöglichen.

Zu begrüßen ist, die Absenkung des Mindestalters für Ordner*innen auf 16 Jahre – ebenso dass auch davon Abweichungen möglich sind. Sehr kritikwürdig ist hingegen die Streichung des Erfordernisses der Ehrenamtlichkeit von Ordner*innen vor dem Hintergrund, dass das auch den Einsatz privater Sicherheitsdienste ermöglichen würde. Dafür gibt es in der Realität keine Notwendigkeit und auch keinen demokratietheoretisch vertretbaren Grund. Die kollektive Meinungskundgabe im Rahmen der Versammlungsfreiheit sollte nicht durch private Sicherheitskräfte ergänzt oder gestützt werden. Es ist unklar, was die Verfasser*innen mit dieser Öffnung bezwecken, da diese Änderung in der Begründung nicht besprochen wird.

In § 6 (3) wird geregelt, dass der Einsatz von Ordner*innen und deren Anzahl behördlich vorgegeben werden kann, wenn eine „unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu besorgen ist“. Wie schon in den allgemeinen Anmerkungen beschrieben, sind sämtliche Regelungen, die sich auf die öffentliche Ordnung beziehen, zu streichen, so auch in § 6 (3).

§ 8 Störungsverbot

§ 8 (1) verbietet über die bisherige Regelung hinaus nun nicht mehr allein das Verhindern einer Versammlung, sondern auch deren „erhebliches Behindern“. Das entspricht zwar im Wortlaut den meisten anderen Landesgesetzen (außer das HVersFG, das nur ein Verhinderungsverbot festlegt), Dies ist allerdings dennoch kritikwürdig, da unbestimmt bleibt, was ein „erhebliches Behindern“ umfassen soll und wo die Grenze gesetzt wird. Auch die Gesetzesbegründung führt dazu leider nichts aus. Gleichzeitig schließt in § 25 (1) Nr. 3 ein Ordnungswidrigkeitentatbestand daran an.

Leider kaum verständlich ist die Verknüpfung von § 8 (2) mit Straftatbeständen in § 24 (1) und Ordnungswidrigkeitentatbeständen in § 25 (1) Nummer 3. Laut Begründung scheint die Drohung mit Gewalt in Verhinderungsabsicht aus § 8 (2) strafbar zu sein, die grobe Störung aus § 8 (2) „nur“ bußgeldbewehrt. Diese Splittung mag für die Referent*innen nachvollziehbar sein, ist allerdings aus Anwender*innensicht verwirrend. Die „grobe Störung“ sollte schon allein deshalb aus dem § 8 (2) gestrichen werden – aber auch, weil hier das Recht der Gegendemonstrationen laut Gesetzesbegründung stark beschränkt wird. So soll beispielsweise schon eine „akustische Störung“ besonderer Intensität auch aus Gegenversammlungen ein Bußgeld nach sich ziehen. Gegendemonstrationen sind aber ebenso von Artikel 8 GG geschützt. Letztlich sollte auch überlegt werden, ob der umgangssprachliche und unbestimmte Begriff „sprengen“ in einem Gesetzestext und daran anknüpfenden Straftatbestand Verwendung finden sollte – gerade weil er im spezifischen Kontext nichts anderes aussagt als „verhindern“.

§ 9 Waffenverbot

Ein Waffenverbot bei Versammlungen leitet sich schon aus Art. 8 GG ab. Dass auch sonstige Gegenstände als Waffen genutzt werden können, ist nachvollziehbar, jedoch ist hier regelmäßig die Bestimmung schwieriger. Insbesondere weil es nach § 9 (1) Nr. 2 neben der Geeignetheit auch auf die subjektive Bestimmtheit zum waffenähnlichen Einsatz ankommen soll. Diese Voraussetzungen gehen immer mit Unsicherheiten für Anwender*innen einher und wird polizeilich oft entweder pauschal bejaht oder als Tatbestandsvoraussetzung ignoriert.

Inkohärent ist die Regelung dahingehend, dass die verbotenen Gegenstände gemäß § 9 (2) per Anordnung behördlich festgelegt werden können. Damit wird das Merkmal der subjektiven Bestimmtheit übergangen, welches nicht per Anordnung erfassbar ist. Die hier gewählte Formulierung ist im Übrigen besonders „weich“ und unbestimmt, wenn eine behördliche „Bezeichnung“ der vom Verbot erfassten Gegenstände als Anordnung gelten soll. Entspricht damit eine mündliche Bezeichnung eines Gegenstandes gegenüber einer Einzelperson in der Versammlung oder auf dem Weg dahin als Anordnung nach diesem Gesetz? Und wie kann diese Anordnung dann angefochten werden? Grundsätzlich ist das gesetzliche Vorsehen dieser behördlichen Anordnungen kein Weg, der im Versammlungsrecht beschritten werden sollte, da er zu viel Gestaltungsspielraum, der eigentlich der Versammlung selbst vorbehalten sein sollte, in die Hände der Behörden legt – insbesondere unmittelbar vor und während der Versammlung. So können schnell an sich unproblematische Gegenstände – die ggf. zum äußeren Ausdruck der Versammlung gedacht sind, bspw. bunte Regenschirme – zur Waffe deklariert werden. Die hier gewählte Formulierung stellt in ihrer Unbestimmtheit allerdings die bisher schlimmste aller Ausprägungen der Anordnungsermächtigungen bisherigen Landesgesetze dar. Im Ergebnis legitimiert die Regelung Eingriffe in die Versammlungsfreiheit, deren Voraussetzungen nicht klar bestimmt sind und deren Anfechtbarkeit nicht geregelt ist. Das ist insbesondere problematisch, weil nach § 24 (1) Nr. 2 und Nr. 3 die Nichtbefolgung dieser Anordnungen als Straftat verfolgt wird. Dies schafft Unsicherheit und kann eine massive Abschreckungswirkung entfalten.

§ 10 Uniformierungs- und Militanzverbot

Das Bundesverfassungsgericht formulierte 1985 im Brokdorf-Beschluss: „Indem der Demonstrant seine Meinung in physischer Präsenz, in voller Öffentlichkeit und ohne Zwischenschaltung von Medien kundgibt, entfaltet auch er seine Persönlichkeit in unmittelbarer Weise. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, wobei die Teilnehmer einerseits in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umganges miteinander oder die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen.“5

Es ist daher zunächst und ausschließlich Sache der Veranstalter*innen und Teilnehmer*innen, ihre Versammlung zu gestalten. Dabei kann insbesondere der optischen Gestaltung eine herausragende Rolle zukommen, indem etwa farblich ein einheitliches Auftreten erfolgt, um einen gemeinsamen Standpunkt zum Ausdruck zu bringen, um Geschlossenheit und Entschlossenheit zu vermitteln. Durch den Gesetzentwurf wird diese Freiheit der staatlichen Direktive unterstellt. Das sogenannte Uniformierungs- und Militanzverbot in § 10 ist von subjektiven Wertungen, mithin von Rechtsunsicherheit, geprägt und geeignet, Versammlungen in ihrer Wirkung einzuschränken. Der „Eindruck der Gewaltbereitschaft“ nach § 10 (1) ist eine unbestimmte Tatbestandsvoraussetzung die in der Praxis zur Überdehnung neigt, es sollte zumindest der „Eindruck“ gestrichen werden, siehe etwa die Formulierungen im § 9 (2) des VersFG BE und § 8 (2) im VersFG SH. Diese stellen darüber hinaus nicht allein auf den Eindruck des Betrachters ab, sondern nehmen zusätzlich die subjektive Bestimmtheit als Tatbestandsmerkmal auf („dazu geeignet und bestimmt“). Insofern können Teilnehmende besser steuern, ob sie vom Verbot erfasst werden.

Ein weiterer zu kritisierender Punkt ist die in § 10 (2) formulierte Anordnungsermächtigung: Die zuständige Behörde darf künftig festlegen, welche Gegenstände und Verhaltensweisen verboten sein sollen. Auch hier wird wieder die besonders unbestimmte Formulierung „bezeichnet“ verwendet, siehe dazu die Kommentierung von § 9 (2). Diese Anordnungsermächtigungen nehmen den Versammlungsteilnehmer*innen die Planungssicherheit und Autonomie in der Gestaltung ihrer Versammlung. Dagegen legen sie zu viel Gestaltungsspielraum in die Hände der staatlichen Behörden. Es ist nicht sichergestellt, dass nicht künftig schon im Vorfeld häufig pauschal einschränkende Anordnungen getroffen werden. Das ist insbesondere problematisch, weil nach § 24 (2) Nr. 4 die Nichtbefolgung dieser Anordnungen als Straftat verfolgt wird. Dies schafft Unsicherheit und kann eine massive Abschreckungswirkung entfalten.

§ 11 Bild- und Tonaufzeichnungen, Übersichtsbildübertragungen

Videoaufnahmen, sei es per Handkamera, per Videowagen oder anderen Aufnahmegeräten sind regelmäßig die Maßnahmen, die Versammlungsteilnehmer*innen am Meisten verunsichern und eine große Abschreckungswirkung erzielen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass sich die technischen Möglichkeiten in den letzten Jahren rasant verändert haben, auch aus großer Entfernung gestochen scharfe Bilder gemacht werden können und dass mithilfe intelligenter Auswertungssysteme Identitäten festgestellt werden können. Menschen, die sich politisch betätigen und dass bei Versammlungen sichtbar zeigen, fürchten zurecht, dass dies registriert und gespeichert wird. Im Sinne eines demokratischen Gemeinwesens, zur Gewährleistung der Versammlungsfreiheit und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung muss daher auf Videoaufnahmen und -aufzeichnungen im Kontext von Versammlungen weitgehend verzichtet werden.

Wir begrüßen, dass im Entwurf klar geregelt ist, dass Bild- und Tonaufzeichnungen nur offen erfolgen dürfen und dass dies auch in der Begründung (S. 329 nochmals deutlich als Grundsatz bekräftigt wird.

Dass die Vorschrift des § 11 SächsVersG zwischen Aufzeichnungen in § 11 (1) und Kamera-Monitor-Übertragungen in § 11 (2) unterscheidet und für Aufzeichnungen höhere Voraussetzungen festlegt, ist ebenso positiv. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob und wie Versammlungsteilnehmer*innen unterscheiden können, ob Bild und Ton gerade nur übertragen oder aufgezeichnet werden. In der Regel wird eine Unterscheidung nur schwer möglich sein. Allein schon auf Teilnehmer*innen bzw. ihr Umfeld gerichtete Videokameras entfalten die verfassungsrechtlich unerwünschte einschüchternde und abschreckende Wirkung allein durch ihre Präsenz. Jüngere Verwaltungsgerichtsentscheidungen6 weisen daher die Polizei an, dass stationäre Videobeobachtungsanlagen im Öffentlichen Raum während Versammlungen für die Teilnehmenden sichtbar abgeschaltet werden. Dies sollte Einzug in das SächsVersG finden.

Bild- und Tonaufzeichnungen sollen nach § 11 (1) erlaubt sein, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte die Annahmen rechtfertigen, dass von der Person eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit bei oder im Zusammenhang mit der Versammlung ausgeht“. Ähnliche Regelungen finden sich auch in anderen Landesgesetzen, diese entspricht etwa § 16 (1) des VersFG SH. Dennoch muss die Sinnhaftigkeit einer solchen Regelung hinterfragt werden: einer Gefahr kann nicht durch die Kameraaufzeichnung der Person begegnet werden. Hier scheint es vielmehr um eine vorgezogene Beweissicherung zu gehen, die aber eine repressiv-polizeiliche Maßnahme und damit nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig ist.

Nach § 11 (2) darf die Polizei Übersichtsbildübertragungen vornehmen, wenn dies zur Lenkung und Leitung eines Polizeieinsatzes erforderlich ist. Diese Erforderlichkeit ist laut Gesetzesbegründung (S. 33) im Einzelfall zu prüfen. Damit lässt dieser Gesetzentwurf zumindest eine gewisse Zurückhaltung in Bezug auf derartige Übertragungen erkennen, was sich wohltuend von einigen anderen Landesgesetzen (etwa Hessen & NRW) absetzt. Es muss dennoch hinterfragt werden, ob allein die „Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes“ bei Versammlungen als verfassungskonformes Ziel gelten kann, welches die daraus folgenden Grundrechtseingriffe begründet. Zudem wäre auch zu klären, wann die Unübersichtlichkeitsgrenze erreicht wird, ab der die Polizei die Einsatzlage nur noch unter Zuhilfenahme einer Bildübertragung bewältigen kann. Es fehlt an begrenzenden Tatbestandsmerkmalen sowie einer für die Tiefe des Grundrechtseingriffs angemessenen Eingriffsschwelle. Die Rechtsprechung erkennt jedenfalls an, dass schon Übersichtsaufnahmen, wie sie in § 11 (2) vorgesehen sind, einen Eingriff in Artikel 8 GG darstellen. Deshalb sind diese nach dem Bundesverfassungsgericht nicht stets zulässig, sondern bedürfen einer Gefahrenprognose. Eine solche ist in § 11 (2) Satz 1 nicht vorgesehen. Allein auf „Größe“ oder „Unübersichtlichkeit“ abzustellen ist dahingehend nicht ausreichend. Hierfür könnte sich an § 16 (2) des VersFG SH orientiert werden, in dem für Übersichtsaufnahmen zusätzlich zur Größe und Unübersichtlichkeit der Versammlung „tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen müssen, dass von Versammlungsteilnehmerinnen oder Versammlungsteilnehmern erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgehen“.

Dass die Übersichtsaufnahmen nicht zur Identifikation von Personen genutzt werden dürfen und auch nicht aufgezeichnet werden, sowie die Informationspflicht über diese Maßnahme, ist zu begrüßen.

Es sollte eine Regelung ergänzt werden, die polizeiliche Drohnen zur Aufnahme, Übertragung und Aufzeichnung von Bild und Ton im Zusammenhang mit Versammlungen verbietet, da von diesen nochmals eine erhöhte Abschreckungswirkung ausgeht.

§ 12 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

§ 12 dieses Entwurfs ist im Grunde überflüssig, denn der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist ein rechtsstaatliches Grundprinzip. Alle Maßnahmen der Behörden müssen diesem Grundprinzip entsprechen. Für Anwender*innen – insbesondere ohne weitergehende juristische Kenntnisse – ist es dennoch eine sinnvolle Ergänzung und kann bei der Einschätzung der Rechtmäßigkeit behördlicher Maßnahmen hilfreich sein.

§ 13 Ergänzend anwendbare Bestimmungen

Der in § 13 geregelte pauschale Verweis auf Eingriffsbefugnisse anhand das Sächsischen Polizeivollzugsdienstgesetzes und das Sächsischen Polizeibehördengesetzes ist unbedingt und ersatzlos zu streichen, da dieser die Abkehr von dem im Versammlungsrecht über Jahrzehnte anerkannten Grundsatz der Polizei(rechts-)festigkeit der Versammlung bedeutet. Versammlungsbezogene Eingriffe sind sämtlich spezifisch im Versammlungsgesetz zu regeln. Der Verweis auf die das Sächsische Polizeivollzugsdienstgesetz und das Sächsische Polizeibehördengesetz eröffnet der Polizei jedoch den Zugriff auf sämtliche Eingriffsmaßnahmen des Polizeirechts – und dies schon bei einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Damit wird gerade nicht erreicht, dass die laut Gesetzesbegründung notwendige Abgrenzung von Versammlungs- und Polizeirecht eindeutig geklärt wird, sondern vielmehr wird diese geradezu verunmöglicht und führt für alle Anwender*innen zu Rechtsunsicherheit. Versammlungsrechtliche und polizeirechtliche Befugnisse werden hiernach unter geringsten Voraussetzungen derart „vermischt“, dass dies mit Artikel 8 GG nicht zu vereinbaren ist.

§ 14 Anzeige

Für Veranstalter*innen werden mit § 14 bürokratische Hürden errichtet. Durch die Ausnahme von Samstagen, Sonn- und Feiertagen in § 14 (1) kann die Anzeigefrist von bisher 48 Stunden auf bis zu 120 Stunden ausgeweitet werden, was die jahrzehntelang funktionierende Anzeigepraxis ohne Not erschwert. Zudem entfällt die Möglichkeit der telefonischen Anzeige, was ausschließend wirken kann. Diese Änderungen werden allerdings in der Begründung noch nicht einmal kommentiert. Da Versammlungen schon laut Artikel 8 GG grundsätzlich anmeldefrei sind, sind diese verwaltungszentrierten zusätzlichen Hürden nicht hinnehmbar. Weder VersFG SH, noch VersFG BE machen diese Einschränkung in den Anzeigfristen. Der Gesetzesentwurf des VersG NRW sah diese vor, es wurde allerdings nach Kritik im Beratungsverlauf davon abgesehen und zur bekannten Frist von 48 Stunden zurückgekehrt. Eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit aus Gründen des „Behördenalltags“ ist mit Artikel 8 GG nicht vereinbar.

Die nach § 14 (2) Punkt 1 bis 6 anzugebenden Informationen gehen über das bekannte und erforderlich Maß hinaus. Nach anderen Landesgesetzen sind in der Regel Ort, Zeit und Thema und – im Falle von Demonstrationen auch der Streckenverlauf – anzugeben. Hier sollen zusätzlich noch die erwartete Teilnehmerzahl und die geplanten Kundgebungsmittel angegeben werden. Vor dem Hintergrund, dass sich nach § 24 (3) strafbar machen kann, wer eine Versammlung „wesentlich anders durchführt als in der Anzeige nach § 14 angegeben“ sind diese Informationspflichten zu weitgehende und zu unbestimmt. Gerade die Teilnehmerzahl ist immer nur schwer abzuschätzen. Wenn zu besorgen ist, dass künftig etwa eine Verdopplung der Teilnehmerzahl zu Lasten der anzeigenden Person strafrechtlich verfolgt werden könnte, so entfaltet dies große Abschreckungswirkung. Noch kritischer ist die Erfordernis der Angabe „geplanter Kundgebungsmittel“, da darunter schlicht alles mögliche verstanden werden kann. Nachvollziehbar ist das behördliche Interesse daran, ob etwa motorisierte Lautsprecherwagen eingesetzt werden sollen, um Maßnahmen zur Verkehrsregelung treffen zu können. Alles, was darüber hinaus geht, fällt in die Autonomie der Versammlung und dar nicht unter Strafandrohung abgefragt werden. Der § 11 (2) VersFG SH könnte übernommen werden, um eine sinnvolle Ausgestaltung der Angaben zu erreichen.

Der § 14 (4) ist annähernd gleich mit dem § 6 (2), möglicherweise wird damit sogar eine doppelte Informationspflicht der eingesetzten Ordner*innenzahl geschaffen: nach § 14 (4) gegenüber der „zuständigen Behörde“, nach § 6 (2) gegenüber dem Polizeivollzugsdienst.

Ein modernes und versammlungsfreundliches Gesetz würde die Anzeigepflicht für Versammlungen begrenzen auf solche, die aufgrund ihrer zu erwartenden Größe eine vorherige behördliche Befassung erforderlich machen. Es ist unverhältnismäßig, wenn sich bspw. drei Personen mit einem Transparent auf einen Fußweg stellen wollen, dass sie dies unter Bußgeldandrohung vorher anzeigen müssen.

In § 14 fehlt zudem eine Transparenzregelung, wie sie in § 12 (8) VersFG BE getroffen wurde, nach der die zuständige Behörde Ort, Zeit und Thema der angezeigten Versammlung veröffentlichen muss, ebenso wie den Streckenverlauf, wenn es sich um einen Aufzug handelt.

§ 15 Erlaubnisfreiheit, Ablehnung des Versammlungsortes

Der geplante § 15 (3) setzt das sogenannte Fraport-Urteil7 des Bundesverfassungsgerichts von 2011, sowie den „Bierdosenflashmob“-Beschluss8 aus 2015 um, die festgestellt hatten, dass Versammlungen auf Flächen in überwiegend öffentlicher Hand und auf Privatflächen ohne Erlaubnis der Eigentümer*innen zulässig sind, wenn diese dem allgemeinen Publikum zum kommunikativen Verkehr geöffnet sind. Die Sätze 4 und 5 deuten jedoch an, dass den Interessen der Eigentümer*innen gegenüber dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit zu viel Gewicht eingeräumt werden könnte, wenn demnach „der zuständigen Behörde die Abwägung der widerstreitenden Interessen“ obliegt und in Aussicht stellt, dass die Eigentums- und Nutzungsinteressen gegenüber der Versammlungsfreiheit überwiegen könnten.

§ 16 Befugnisse hinsichtlich der Ordnungskräfte

Der geplante § 16 stellt einen der größten Kritikpunkte und der umfassendsten Eingriffe in die Versammlungsfreiheit und die informationelle Selbstbestimmung dar. Er muss ersatzlos gestrichen werden. Kein anderes Landesgesetz kennt eine derart ausufernde Überprüfungspraxis von Ordner*innen. Gemäß § 16 (1) kann die Behörde in bestimmten Fällen die Namen und Geburtsdaten vorgesehener Ordner*innen von der Veranstalter*in verlangen. Diese Behörde darf nach § 16 (2) – (4) eine „Eignungseinschätzung“ für den Einsatz als Ordner*in treffen und sich dabei auf Daten des Polizeivollzugsdiensts zu Verurteilungen und laufenden Ermittlungsverfahren stützen und vorgesehene Ordner*innen als ungeeignet ablehnen. Nicht gelieferte Ordner*innen-Daten und Zuwiderhandlungen beim Einsatz von Ordner*innen entgegen deren Ablehnung sind nach § 25 (1) Nr. 7 bußgeldbewährt. Dennoch muss man im Falle des Inkrafttretens dieser Regelung den Veranstalter*innen raten, die Lieferung dieser Daten grundsätzlich abzulehnen und den Rechtsweg zu beschreiten, damit sich dies nicht als Versammlungspraxis etabliert. Dieses Risiko sollten Veranstalter*innen ihren Teilnehmer*innen, die sich noch dazu als Ordner*innen engagieren wollen, nicht aufbürden.

Denn damit gehen massive Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht und das Recht auf Anonymität in Zusammenhang mit Artikel 8 GG und auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG einher. Die Regelung wird aufgrund der Gefahr der Ausforschung durch staatliche Stellen eine erhebliche abschreckende Wirkung erzielen, was sich direkt auf die Gewährleistung der Versammlungsfreiheit auswirkt.

Auch praktisch ergeben sich Probleme: Veranstalter*innen organisieren die Ordner*innen häufig vor Ort spontan, verfügen also im Vorfeld der Versammlung in der Regel gar nicht über deren Daten. Zudem gehören diejenige, die sich als Ordner*innen melden, häufig zum Umfeld oder direkt zu den Organisationen der Veranstalter*innen. Gerade bei politisch kontroversen Anliegen fürchten die Beteiligten aus nachvollziehbaren Gründen eine Erfassung durch die Polizei oder weitere staatliche Behörden. Die Vorschriften des § 16 können dazu führen, dass sich für gesellschaftlich wichtige Anliegen zukünftig weniger oder keine Ordner*innen finden, und damit die Ausübung der Versammlungsfreiheit in der Praxis deutlich erschwert wird. Der geplante § 16 wird es auch deutlich erschweren, Versammlungen zu planen, weil es schwieriger werden wird, Ordner*innen zu finden – im schlimmsten Fall könnten Versammlungen dadurch gänzlich verhindert werden. Der in § 16 (6) geplante Abgleich der Ordner*innendaten vor Beginn der Versammlung verstärkt die Problematik nochmals.

§ 17 Beschränkungen, Verbot, Auflösung, Maßnahmen gegen Dritte

Versammlungsbeschränkungen sollen gemäß § 17 (1) schon bei unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Ordnung in Betracht kommen. Die Notwendigkeit zur Streichung des unbestimmten Rechtsbegriffs der öffentlichen Ordnung – erst Recht um Beschränkungen oder gar Verbote zu rechtfertigen wurde schon im allgemeinen Teil dieser Stellungnahme erörtert. Auch auf die sehr fragwürdige Begründung der Notwendigkeit dieses „Auffangtatbestands“ wurde dort schon ausführlich eingegangen. Es sei nochmals daran erinnert, dass keines der VersFG BE, VersFG SH, VersG NRW und ME VersG Versammlungsbeschränkungen anhand der öffentlichen Ordnung erlauben.

Hinzu kommt, dass nach § 17 (1) auch eine „unzumutbare Beeinträchtigung der Grundrechte Dritter“ Beschränkungen oder Verbote zulassen würde. Auch das veranlasst zur Sorge, dass im Zweifel die Versammlungsfreiheit hintenan gestellt und unzulässig beschränkt werden könnte. In der Gesetzesbegründung jedenfalls bleibt vollkommen unkommentiert, welche Situationen bzw. Drittrechte hier in Frage kommen könnten und ob dazu beispielsweise schon „der ungestörte Weihnachtseinkauf“, das „Ruhebedürfnis von Anwohnern“ oder „die Leichtigkeit des Straßenverkehrs“ o.ä. zählen könnte.

Die Beschränkungs- und Verbotstatbestände nach § 17 (2) erscheinen zu weitgehend, teilweise unbestimmt und zumindest in Teilen nicht mit der geltenden Rechtsprechung vereinbar. Insbesondere § 17 (2) Nr. 1 (b) bleibt weitgehend unverständlich, was der Regelungsinhalt sein soll. Die darin angesprochenen Gruppenkonstellationen könnten auf jede willkürlich als solche benannte Gruppe Anwendung finden.

Es fehlt in § 17 eine Festlegung, dass Beschränkungen und Verbote unverzüglich bekannt zu geben sind, sobald diese abzusehen sind, um effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Um dies praxistauglich zu machen, sollten mindestens in der Begründung genauere Vorgaben zu behördlichen Reaktionszeiten oder auch zu Mindestabständen vor dem geplanten Versammlungszeitpunkt gemacht werden, bis zu denen Auflagen- oder Verbotsverfügungen erlassen worden sein sollten. Eine solche Regelung wäre, gerade vor dem Hintergrund des Gebots effektiven Rechtsschutzes, dringend notwendig. In der Vergangenheit – und in besonders verschärfter Weise vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und den zusätzlichen Eingriffsermächtigungen durch das Infektionsschutzgesetz (IfSG) – waren Veranstalter*innen damit konfrontiert, erst wenige Stunden vor einer geplanten Versammlung einen Auflagenbescheid bis hin zur Verbotsverfügung zu erhalten. Das hatte mitunter zur Folge, dass effektiver Rechtsschutz, ggf. bis zum BVerfG, zeitlich nicht mehr möglich war, Rechte damit unwiederbringlich verloren waren.

§ 18 Untersagung der Teilnahme oder Anwesenheit und Ausschluss gegen einzelne Personen

Nach § 18 (1) darf Personen vor einer Versammlung die Teilnahme oder Anwesenheit untersagt werden. Im Gegensatz zu VersG SH, das die Teilnahmeuntersagung nur „unmittelbar“ vor Beginn ermöglicht, wird hier ein deutlich weiterer Zeitraum im Vorfeld abgedeckt. Damit wird auch die Möglichkeit geschaffen, Personen grundsätzlich die Teilnahme an Versammlungen zu versagen und damit deren Grundrechtsausübung vollständig einzuschränken. Um entsprechende Erlasse schon im Vorfeld zu versenden, muss die Polizei auf personenbezogene Daten zugreifen können. Es sollte demnach gemäß § 14 (1) VersG SH auch hier die Qualifizierung „unmittelbar“ übernommen werden. Zudem sollte die zusätzliche Möglichkeit der Teilnahmebeschränkung ergänzt werden, statt nur die Untersagung, wie es etwa § 16 (1) VersFG BE vorsieht. Im Sinne der Anwenderfreundlichkeit sollten Beispiele angeführt werden, die zu Teilnahmeuntersagungen führen können. Für Laien ist nicht ersichtlich welche Situationen vorliegen müssten, um die Teilnahme an einer Versammlung untersagt zu bekommen. Die behördlichen Ausschlussmöglichkeiten in § 18 (2) sind durch den Rückgriff auf den Begriff der „öffentlichen Ordnung“ ebenso sehr weitgehend im Vergleich mit den Regelungen in den VersFG BE, VersFG SH und in Teilen auch ME VersG.

Zudem wird in der Gesetzesbegründung (S. 48) angeführt, dass das Versammlungsgesetz den Begriff der Demo-Beobachter*innen oder Demo-Sanitäter*innen nicht kenne und sich durch diese Funktion keine Sonderstellung ergebe, ebenso wenig wie als Abgeordnete. Die Verfasser*innen ignorieren hier allerdings die „Leitlinien zur Versammlungsfreiheit für OSZE-Teilnehmerstaaten“9 der OSZE-Unterorganisation „Office for Democratic Institutions and Human Rights“ (OHDIR). Die OSZE ist eine überstaatliche Institution und deren Empfehlungen richten sich in erster Linie an Behörden und Gesetzgebungsorgane der OSZE-Mitgliedsstaaten, zu denen Deutschland gehört. Die gesamten Empfehlungen und Leitlinien zur Versammlungsfreiheit sollten bekannt sein und ggf. in dieses Landesgesetz Eingang finden. Hier soll nur spezifisch darauf hingewiesen werden, dass nach diesen Leitlinien, der Zugang zu Versammlungen für Journalist*innen ebenso wie für Beobachter*innen zu gewährleisten ist (‚right to monitor‘). Die unabhängige Beobachtung und Berichterstattung von Versammlungen, die von internationalen und lokalen Beobachter*innen oder Menschenrechtsorganisationen ausgeht, ist demnach anzuerkennen und aktiv zu fördern. Beobachter*innen sollen in ihrer Arbeit nicht unangemessen eingeschränkt werden, vielmehr ist sicherzustellen, dass Beobachter*innen effektiv im Kontext der Versammlungen arbeiten können. Zusätzlich sollen sich Behörden auf die Befunde und Empfehlungen einlassen und diese durch staatliche Behörden in den Lernprozess der Institutionen eingespeist werden.

Auch der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit hat betont, dass das Recht auf friedliche Versammlung nicht nur das Recht umfasst, eine Versammlung abzuhalten oder an ihr teilzunehmen, sondern auch die Rechte derjenigen schützt, die friedliche Versammlungen beobachten. Der UN-Sonderberichterstatter fordert daher die UN-Mitgliedsstaaten auf, den Schutz derjenigen zu gewährleisten, die über Verstöße im Zusammenhang mit friedlichen Versammlungen berichten, und das Recht auf Versammlungsbeobachtungen zu respektieren und zu erleichtern.10

Daran angelehnt sollten Demo-Sanitäter*innen, die sich als solche zu erkennen geben und in der Regel leicht erkennbar sind, als Gesundheitsarbeiter*innen angesehen und behandelt werden und ihnen jederzeit freier Zugang zu Verletzten garantiert werden – das leitet sich schon aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit ab. Dass sich in dieser Gesetzesbegründung darauf zurück gezogen werden soll, die Rolle von Demo-Sanitäter*innen sei dem Versammlungsrecht unbekannt, wirft kein gutes Licht auf die Verfasser*innen.

§ 19 Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot

Sowohl das Vermummungsverbot- als auch das Schutzausrüstungsverbot sollten aus den Versammlungsgesetzen gestrichen werden. In den Jahrzehnten ihres Bestehens konnten wir bei unzähligen Versammlungen beobachten, dass diese Verbote polizeiseitig immer wieder als Vorwände zur Eskalation genutzt wurden. Insbesondere das Vermummungsverbot dient der Polizei häufig als „Einfallstatbestand“, um gewaltvoll gegen einzelne Teilnehmer*innen oder gesamte Versammlungen vorzugehen oder um andere Eingriffe zu rechtfertigen, etwa Videoaufzeichnungen. Dabei wird in der Praxis im Grunde nie unterschieden zwischen legitimem Schutz der eigenen Identität und verbotener Verhinderung einer zulässigen Identitätsfeststellung. Dass grundsätzlich erst einmal jeder Teilnehmer*in ein Recht auf Anonymität zusteht, wird durch die rigide repressive Praxis allerorten konterkariert.

Die hier vorgeschlagene Regelung in § 19 (2) verbietet ganz grundsätzlich die Anreise und die Teilnahme an einer Versammlung in einer Aufmachung, die „geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern“. Es wird somit nicht einmal eine Einschränkung auf die hoheitliche Feststellung der Identität oder auf eine "nach anderen Rechtsnormen zulässige Feststellung der Identität" gemacht.

Das heißt, es soll in Sachsen bei Versammlungen gänzlich unter Strafe stehen, die eigenen Gesichtszüge zu verbergen, um sich vor einer Identifizierung durch Dritte und Behörden zu schützen. Dabei gibt es dafür gewichtige und legitime Gründe, die sich schon allein aus Überlegungen des Minderheitenschutz ergeben und aus dem Risiko, aufgrund der eigenen politischen Gesinnung von politischen Gegnern oder vom Staat verfolgt zu werden. Solange die eigene Meinung durch körperliche Anwesenheit bei Versammlungen vertreten wird, ohne dass dabei die Grenze der Unfriedlichkeit übertreten wird, darf ein demokratischer Staat nicht darauf bestehen, unter Strafandrohung feststellen zu wollen, wer da demonstriert.

Die angeführte Begründung für dieses weitgehende und verfassungswidrige Anonymitätsverbot (S. 49) gibt sich wenig Mühe, dies tatsächlich zu begründen. Auf mögliche legitime Begründungen für den Wunsch anonym zu demonstrieren, wird nicht eingegangen. Stattdessen werden ein paar pauschale Behauptungen aufgestellt: „Vermummte Personen oder Personen mit Schutzausrüstung in einer Versammlung unter freiem Himmel bzw. auf dem Weg dorthin senken zum einen die Hemmschwelle für Gewalttätigkeiten. Zum anderen sind diese häufiger an Gewalttätigkeiten bei Demonstrationen beteiligt. Vermummung und Schutzausrüstungen erhöhen die abstrakte Gefährlichkeit. Ziel der Regelung ist es, Gewalttätigkeiten bei Versammlungen zu verhindern.“

Der behördliche Anordnungsvorbehalt in § 19 (3) begegnet der gleichen Kritik wie auch schon in anderen Regelungen: er legt zu viel Steuerungsmöglichkeiten in die Hände der Polizei, nimmt dadurch den Versammlungsteilnehmer*innen gestalterische Autonomie und Planungssicherheit und ist nicht kohärent mit dem Tatbestandsmerkmal der subjektiven Bestimmtheit in Einklang zu bringen. Zu kritisieren ist ferner, dass der Verstoß gegen eine solche Anordnung nach § 24 (2) Nr. 4 weiterhin strafbewehrt ist. Eine Abstufung auf eine Ordnungswidrigkeit ist aus bürgerrechtlicher Sicht eine Mindestforderung.

§§ 20 – 23 Versammlungen in geschlossenen Räumen

Auf die Regelungen in §§ 20 – 23 kann aus Zeitgründen nicht eingegangen werden.

Straftaten und Ordnungswidrigkeiten

Das geplante SächsVersG führt einen umfangreichen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten-Katalog auf. Dabei zeigt sich, dass eine wirkliche Modernisierung und versammlungsfreundliche Ausgestaltung des Versammlungsgesetzes nicht gewollt ist. Die zahlreichen Möglichkeiten im Rahmen von Versammlungen strafrechtlich verfolgt oder mit Bußgeldern belegt zu werden, führt zu erheblichen Risiken für Teilnehmer*innen und insbesondere für Versammlungsleiter*innen, was einen deutlichen Abschreckungseffekt erzielt. Zudem macht der ausgiebige Straftatenkatalog (etwa in Bezug auf Vermummung) polizeiliche Eingriffe in Versammlungen wahrscheinlich - und wegen des Legalitätsprinzips auch nötig -, was oft erst die Voraussetzungen zur Eskalation eines Versammlungsgeschehens schafft. Gerade im Bereich der Sanktionierung ist der Entwurf des SächsVersG konträr zu dem Pfad, den das ME VersG und das VersFG SH eingeschlagen haben. Diese nehmen nur je drei Straftatbestände auf, dazu sei auf die Ausführung in der Begründung des ME VersG verwiesen:

§ 27 sieht Strafsanktionen für besonders gefährliche Verhaltensweisen vor, insbesondere solche, die dem Friedlichkeitsgebot zuwiderlaufen. Um eine übermäßige Kriminalisierung von Versammlungsteilnehmern zu vermeiden, wird der Katalog der Straftatbestände eng gehalten. Aus versammlungsrechtlicher Sicht hat die Zurückhaltung mit Straftatbeständen und die stattdessen erfolgende Einordnung als Ordnungswidrigkeit zugleich die für Vollzugszwecke wichtige Folge, dass der für Straftaten geltende Verfolgungszwang (§ 163 StPO) nicht eintritt und statt dessen das Opportunitätsprinzip gilt. Dies erlaubt der Behörde eine flexible Vorgehensweise, durch die gegebenenfalls Möglichkeiten geschaffen werden, weitere Eskalationen im Versammlungsverlauf und dadurch weitere Regelverletzungen zu vermeiden.

Und weiter:

Eine Kriminalisierung des Verhaltens in oder im Umfeld von Versammlungen bedarf mit Rücksicht auf die Gewährleistung der Versammlungsfreiheit als Grundrecht bürgerschaftlicher Selbstbestimmung besonderer Rechtfertigung. Auch ist zu berücksichtigen, dass angesichts der unabweisbaren Verwendung mancher unbestimmter Rechtsbegriffe in diesem Gesetz eine starke Pönalisierung verunsichernd oder gar einschüchternd wirken könnte.“


1Vgl. Clemens Arzt, Kurzstellungnahme zum Antrag der CDU/CSU Fraktion „Straßenblockierer und Museumsrandalierer härter bestrafen – Menschen und Kulturgüter vor radikalem Protest schützen“, Deutscher Bundestag, Drucksache 20/4310, Anhörung im Rechtsausschuss am 18. Januar 2023

2Vgl. Lisa Fürst und Marius Kühne, Versammlungsgesetz NRW: Entschärfung nicht gelungen, JuWissBlog Nr. 118/2021 v. 22.12.2021, https://www.juwiss.de/118-2021/.

3BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 – 1 BvR 233/81 –, BVerfGE 69, 315 (352)

4Siehe dazu H. Aden: Versammlungsfreiheit – zehn Jahre nach der Föderalismusreform, In: vorgänge Nr. 213 (Heft 1/2016), S. 7-18

5Vgl. BVerfGE 69, 315/345

6Etwa VG Köln, Beschluss vom 12.03.2020 - 20 L 453/20 oder VG Köln, Beschluss vom 29.05.2020 - 20 L 968/20

7Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 22.02.2011 – 1 BvR 699/06

8Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18.07.2015 – 1 BvQ 25/15

9Vgl. Guidelines on Freedom of Peaceful Assembly – Second Edition (2010), OSCE Office for Democratic Institutions and Human Rights (ODIHR). https://www.osce.org/files/f/documents/4/0/73405.pdf

10Vgl. Handbook on Monitoring Freedom of Peaceful Assembly – Second Edition (2020), OSCE Office for Democratic Institutions and Human Rights (ODIHR), S.17. https://www.osce.org/files/f/documents/d/1/473439_0.pdf