10. Nov. 2021
Corona / Gesundheit / Soziale Menschenrechte

Tretet lieber nach oben! Für einen solidarischen Umgang - auch mit ungeimpften Personen.

Der Ausbruch von Sars-Cov-2 im chinesischen Wuhan liegt demnächst rund zwei Jahre zurück. Die noch laufende Pandemie hat weltweit etwa fünf Millionen Leben gekostet. In Deutschland befinden wir uns mitten in der „vierten Welle“. Das Pflegepersonal ist gezwungen, innerhalb von eineinhalb Jahren zum vierten Mal unter Höchstleistungen eine große Anzahl von an COVID19 erkrankten Personen zu behandeln. Aktuell wird ein Kollaps der Intensivpflegekapazitäten in den nächsten Wochen vorausgesagt.

Seit etwa einem Jahr stehen verschiedene Impfpräparate zur Verfügung, in Deutschland galten zum 7. November 67,0 Prozent als vollständig geimpft. Im Zuge der steigenden Impfquote mit gleichzeitigem Abbremsen der Impfbereitschaft in der Gesellschaft kommt es zu hitzigen gesellschaftspolitischen Diskussionen und teils harten repressiven Maßnahmen, um bisher ungeimpfte Personen zur Impfung zu bewegen oder vielmehr zu erpressen.

Betreiber*innen von Kultureinrichtungen, Konzertveranstalter*innen oder der Einzelhandel können unter Heranziehung der sogenannten 2G-Regel den Zugang zu ihren Räumlichkeiten für von COVID19 Genesene und geimpfte Personen freigeben und allen anderen den Zugang verwehren; es darf dann teilweise sogar auf die Maskenpflicht und Abstandsregelungen verzichten werden.

Waren Supermärkte und andere Orte der Grundversorgung zu Beginn von der 2G-Option ausgenommen, so dürfen diese „2G“ nun auch anwenden. Zudem wurde die Kostenübernahme von Schnelltests beendet und seit dem 1. November 2021 wird ungeimpften Personen bei Quarantäneanordnung die Lohnfortzahlung verwehrt. Die politisch nicht opportune Impfpflicht wird so umgangen, auch wenn deren Einführung mittlerweile wohl ehrlicher wäre.

Zudem gibt es noch immer kaum Schutzkonzepte für Schulen, mittlerweile wird in einigen Bundesländern eine Durchseuchungsstrategie gefahren. Mit fortschreitender Pandemiedauer hat sich der Staat immer mehr aus der Verantwortung gezogen und den Pandemieschutz ganz im neoliberalen Sinne dem Einzelnen überantwortet und agiert nun insbesondere mit ökonomischen Druckmitteln. Dass also die neueren Regelungen allein zum Wohle der Gesundheit der Bevölkerung umgesetzt werden und nicht aus ökonomischen Überlegungen heraus, sollten auch diejenigen sich nicht einreden, die Befürworter*innen der 2G-Regelungen oder einer Impfpflicht sind.

Es gibt kaum öffentlich vernehmbare Kritik von links an den neueren Regelungen. Die deutschsprachigen Proteste gegen die Coronamaßnahmen sind in besonderem Maße von der radikalen Rechten getragen, progressive Akteur*innen wollen sich damit verständlicherweise nicht gemein machen. Hinzu kommt: Nach bald zwei Jahren Pandemie haben viele Menschen harte Entbehrungen hinter sich, haben vielleicht monatelang Angst um die eigene Gesundheit gehabt, leiden unter bleibenden Schäden oder haben gar geliebte Menschen an die Krankheit verloren. Vielleicht haben sie vor Erschöpfung den Job wechseln müssen, wegen des monatelangen Lockdowns ihre Lebensgrundlage verloren, waren Gewalt ausgesetzt oder haben Beziehungen verloren. Die Auswirkungen der Pandemie sind so unterschiedlich wie wir Menschen und unsere Lebensumstände, aber es ist wohl kaum jemand völlig unbeschadet durch die letzten Monate gekommen.

Es ist also nachvollziehbar, dass Unverständnis oder gar Wut herrscht, wenn die Option einer Impfung nicht genutzt wird, ist dies doch eine einfache Möglichkeit, sich selbst und andere besser zu schützen. Doch die Gründe, warum sich einige (bisher) nicht haben impfen lassen, sind vielfältig. Befragungen zeigen, dass nur ein Teil der Nichtgeimpften überzeugte Impfgegner*innen sind. Weitere Gründe sind u.a. organisatorische Schwierigkeiten und fehlende Zugänge, Uninformiertheit, Faulheit, Ängste, fehlendes Vertrauen und eigene Risikoabwägungen – teilweise aufgrund von sich widersprechenden oder falschen Informationen im öffentlichen Diskurs.

Deswegen braucht es auch weiterhin möglichst wohlwollende öffentlich und privat geführte Diskussionen um den solidarischen Umgang miteinander. Es braucht einen unbürokratischen und einfachen Zugang zu Informationen und Impfangeboten. Zudem ist es notwendig, den Impfzugang weltweit schnellstmöglich zu verbessern, eine Pandemie kann nur global umfassend bekämpft werden.

Gleichzeitig braucht es eine entschiedene und fundierte Kritik am staatlichen Handeln der letzten Monate. Denn es macht nicht alles Sinn oder ist aus grundrechtlicher Sicht verhältnismäßig: So benachteiligen kostenpflichtige Tests arme Menschen. Häufiges Testen ist zudem auch für Genesene und Geimpfte weiterhin sinnvoll, 2G-Regelungen könnten eine Sicherheit vermitteln, die schnell von der Realität überholt werden.

Zweitens können uns aus radikaldemokratischer und menschenrechtlicher Sicht einige Entscheidungen noch teuer zu stehen kommen. Der Abbau etwa von Arbeitnehmer*innenrechten in Abhängigkeit von Gesundheitsdaten wird möglicherweise nicht beim Umgang mit der COVID-Impfung stehen bleiben. Dass dies von der gesellschaftlichen Linken und den Gewerkschaften kampflos zugelassen wurde, ist erbärmlich.

Es braucht ein Eintreten auch für die Rechte, insbesondere Arbeitsrechte, der (noch) nicht Geimpften bei gleichzeitiger klarer Positionierung für einen umfassenden Gesundheitsschutz aller, für eine Patient*innen- und personalzentrierte Pflegereform, für die Unterstützung besonders betroffener Gruppen und Branchen. Es braucht insbesondere transnationale Solidarität und Zusammenarbeit und insbesondere die Aufhebung der Impfstoff-Patente.