17. Mai 2021
Versammlungsrecht / Demokratie / Polizei / Repression

Verachtung demokratischer Teilhabe: Geplantes NRW-Versammlungsgesetz führt Grundrecht ad absurdum

Am 28. Februar 2021 trat in Berlin ein eigenes Versammlungsgesetz in Kraft.  Von der regierenden Rot-rot-grünen Koalition vollmundig als „Versammlungsfreiheitsgesetz“ beworben, bot es für radikal-demokratische Organisationen doch reichlich Grund zur Kritik. Zusammen mit dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) und der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) wiesen wir auf die vielen Unzulänglichkeiten des Gesetzes hin, das den freiheitlichen Gehalt an vielen Stellen lediglich simuliert und gleichzeitig die Befugnisse der Berliner Polizei im Versammlungsgeschehen stark ausweitet.

Unsere abschließende Bewertung war, dass das Gesetz dem von Rot-rot-grün selbst gesetzten freiheitlichen Anspruch nicht gerecht wird und die Ausübung der Versammlungsfreiheit darunter leiden wird.´Nun hat die schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen im Windschatten der Coronapandemie allerdings einen Entwurf für ein Landesversammlungsgesetz vorgelegt, das das Grundrecht, sich frei zu versammeln, in seinem Wesen zunichte machen würde.

Das Gesetz selbst versteht sich als autoritärer Gegenentwurf zum neu eingeführten Berliner Versammlungsgesetz, welches bei der Zweckbeschreibung des Gesetzes als Negativbeispiel heran gezogen wird. Tritt das Gesetz in NRW wie vorgeschlagen in Kraft, würden die zentralen Leitlinien der Versammlungsfreiheit wie sie seit dem Brokdorf-Beschluss schluss des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1985 bestehen, nicht mehr greifen. Dazu gehören die Autonomie in der Ausgestaltung der Versammlung, die Staatsfreiheit, der freie Zugang und die Abwesenheit von Observation und Registrierung.

Der Begründungstext für das Gesetz zeigt an vielen Stellen eine Verachtung demokratischer Teilhabe in politischen Entscheidungsbildungsprozessen. So heißt es dort, „das Grundgesetz habe plebiszitäre Formen unmittelbarer Demokratie ganz bewusst nur für wenige, eng begrenzte Ausnahmefälle zugelassen. Der [Brokdorf-]Beschluss lasse eine Unterscheidung zwischen Staatswillensbildung und Volkswillensbildung vermissen“. Übersetzt heißt das wohl: Wir wissen es besser als der Pöbel und verbitten uns dessen Einmischung! Dass diese Einmischung insbesondere in der Klimapolitik im Braunkohleland NRWE für Unmut sorgt, wird in der Gesetzesbegründung überaus deutlich.

Die Klimagerechtigkeitsbewegung,insbesondere diejenigen Akteure, die Zivilen Ungehorsam nutzen, soll durch das Gesetz ihrer Interventionsmöglichkeiten beraubt werden. Das ist das Gegenteil von dem, was das Bundesverfassungsgericht beschreibt, wenn es sagt: „Versammlungen [sind] wesentliches Element demokratischer Offenheit“ und „Demonstrativer Protest kann insbesondere notwendig werden, wenn die Repräsentativorgane mögliche Missstände und Fehlentwicklungen nicht oder nicht rechtzeitig erkennen oder aus Rücksichtnahme auf andere Interessen hinnehmen.“ Es muss daran erinnert werden, dass das Grundrecht und nicht ein Versammlungsgesetz die Basis für die Ausübung der Versammlungsfreiheit bildet.

Die Landesregierung versteht den Entwurf aber nicht als Gesetz zur Ausgestaltung eines demokratischen Grundrechts, sondern „als weiteren Schritt zur Fortentwicklung des Eingriffs- und Sicherheitsrechts in Nordrhein-Westfalen“. Entsprechend sieht es weitreichende Regulierungs- und Überwachungsmöglichkeiten für die Polizei vor: Die Anwendbarkeit von Polizeirecht in Versammlungen, die Errichtung von Kontrollstellen zur Identitätsfeststellung und Durchsuchung, das Verbot der Teilnahme mithilfe von Meldeauflagen, die Videoüberwachung und -aufzeichnung und weitere.

Die Landesregierung von CDU und FDP – unter dem frisch nominierten Kanzlerkandidaten Armin Laschet – geht damit einen weiteren Schritt in der autoritären Wende und der Beschränkung demokratischer Grundrechte. Direkt nach Amtsantritt hatte die Koalition mit der Abschaffung der individuellen Kennzeichnungspflicht die Kontrolle der Polizei massiv erschwert. Das erste Großprojekt – ein verschärftes Polizeigesetz – hatte der Polizei eine Vielzahl neuer Befugnisse beschert und damit Polizeiwillkür, -gewalt und Racial Profiling massiv erleichtert. Nun wird also das Versammlungsrecht gestutzt. Bei aller notwendigen Kritik am enttäuschenden Berliner Versammlungsgesetz, muss dieses nun als positives Gegenbeispiel gehandelt werden. Das zeigt auf, in welch demokratischer Misere wir uns alle gerade befinden.

Wir sind aktiv im Bündnis „Versammlungsgesetz NRW stoppen! Grundrechte erhalten“. Für weitere Informationen zu Inhalten und Aktionen besuchen Sie unsere Webseite oder die des Bündnisses nrw-versammlungsgesetz-stoppen.de

Autor*in: Michèle Winkler