05. Mai 2021@dpa  Brokdorf
Versammlungsrecht / Demokratie

Versammlungsgesetz in NRW: Aushöhlung des Versammlungsrechts stoppen – Versammlungsfreiheit stärken, nicht beschränken!

Der RAV, die VDJ und das Komitee für Grundrechte und Demokratie lehnen den von CDU und FDP vorgelegten Entwurf für ein Versammlungsgesetz für Nordrhein-Westfalen als undemokratisch ab. Der Entwurf verfehlt den zentralen Kern eines Versammlungsgesetzes: den Schutz der Versammlungsfreiheit als Abwehrrecht gegenüber dem Staat. Der Entwurf ist vordemokratisch und atmet den Geist eines autoritären Staats.

Die Versammlungsfreiheit ist – als kollektive Meinungsfreiheit – eines der wichtigsten politischen Grundrechte, das für den politischen Meinungskampf, die gesellschaftliche Teilhabe und die Sicherstellung von demokratischen Grundsätzen von zentraler Bedeutung ist. Tritt das Versammlungsgesetz für NRW wie vorgeschlagen in Kraft, würden die zentralen verfassungsrechtlichen  Grundsätze der Versammlungsfreiheit, wie sie seit dem Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1985 bestehen, unterlaufen. Dazu gehören die Autonomie in der Ausgestaltung der Versammlung, die Staatsfreiheit, der freie Zugang zur Versammlung und die Abwesenheit von Observation und Registrierung.

Der Entwurf der Landesregierung ist durch ein tiefes Misstrauen gegen Bürger:innen geprägt, die vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit Gebrauch machen. Versammlungen werden alleinig als polizeilich zu behandelndes Problem – als Gefahr, der man begegnen muss – verstanden. Entsprechend sieht der Entwurf weitreichende Regulierungs- und Überwachungsmöglichkeiten für die Polizei vor: Die Anwendbarkeit von Polizeirecht in Versammlungen, die Errichtung von Kontrollstellen zur Identitätsfeststellung und Durchsuchung, das Verbot der Teilnahme mithilfe von Meldeauflagen, Videoüberwachung und -aufzeichnung, Gefährderansprachen und weitere Maßnahmen.

Zusätzlich werden Möglichkeiten der Kriminalisierung von Teilnehmenden und Veranstalter:innen stark ausgeweitet. Es werden neue Straftatbestände und Ordnungswidrigkeiten geschaffen, sowie Strafmaße erhöht. Der Versammlungsleitung werden umfangreiche Pflichten auferlegt, die Anmeldung von Versammlungen wird erschwert. Dass es der Landesregierung im Braunkohleland NRW insbesondere darum geht, konzernkritische Klimaproteste gegen RWE abzuschwächen, belegt die Gesetzesbegründung. Auch antifaschistische Proteste werden massiv erschwert, das Recht auf Gegendemonstrationen beschnitten.

Gemeinsame Presserklärung des RAV, der VDJ und des Grundrechtekomitees zum Gesetzentwurf für ein Versammlungsgesetz für NRW am 5. Mai 2021.

 

Nachfolgend die Argumentation im Einzelnen

Teil 1: Hintergrund und allgemeine Anmerkungen   
Teil 2: Kritik an spezifischen Regelungen im Gesetzentwurf (GE)   
Teil 3: Anforderungen an ein modernes, freiheitliches, grundrechtszentriertes Versammlungsfreiheitsgesetz  

 

Teil 1: Hintergrund und allgemeine Anmerkungen

Bisher gilt für NRW kein eigenes Versammlungsgesetz, das Bundesgesetz findet Anwendung. Im Abstand von wenigen Monaten haben die Fraktionen der SPD sowie die Landesregierung aus CDU und FDP je einen Gesetzentwurf für ein Versammlungsgesetz für NRW vorgelegt. Am 6. Mai 2021 findet die Öffentliche Anhörung im Innenausschuss des Landes zu beiden Entwürfen statt. Aufgrund der Regierungsmehrheit von CDU und FDP und des demokratiegefährdenden obrigkeitsstaatlichen Gestus, der den Entwurf der Landesregierung kennzeichnet, konzentrieren wir die Kritik auf den Entwurf von CDU und FDP. Wir sehen uns zu folgenden Anmerkungen am vorgelegten Gesetzentwurf veranlasst:

Zeitpunkt der Einbringung

Der Zeitpunkt für das Einbringen der Gesetzesentwürfe spricht für sich. Seit über einem Jahr ist das gesellschaftliche Leben stark durch Infektionsschutzmaßnahmen eingeschränkt. Auch Versammlungen finden in deutlich geringerer Zahl und großenteils nur mit starken Einschränkungen statt. Ein verantwortlicher und rücksichtsvoller Umgang mit dem Pandemiegeschehen legt es Veranstalter:innen nahe, Versammlungen nur mit wenigen Teilnehmer:innen und kurzen Anfahrtswegen zu planen. Zahlenmäßig große Proteste sind nahezu unmöglich, zumindest aber verantwortungsvoll schwer umsetzbar. Unabhängig davon wurden in den vergangenen Monaten viele Versammlungen – auch mit ausgefeilten Hygienekonzepten – verboten oder durch Auflagen massiv beschränkt. In dieser Gemengelage ein Gesetzesvorhaben auf den Weg zu bringen, das so massiv in ein demokratisches Freiheitsrecht eingreift, erweckt den Eindruck, dass die Landesregierung von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet den Moment nutzen will, um das Vorhaben ohne großen öffentlichen Dissens über die Bühne zu bringen.

Missachtung demokratischer Teilhabe

Der Beschluss zu Versammlungen gegen das Atomkraftwerk Brokdorf vom 14. Mai 1985 („Brokdorf-Beschluss“) gilt als erstmalige ausführliche verfassungsrechtliche Einordnung der Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 GG. Das Bundesverfassungsgericht stellte u.a. fest: „Versammlungen [sind] wesentliches Element demokratischer Offenheit [...] sie bieten die Möglichkeit zur öffentlichen Einflußnahme auf den politischen Prozeß, zur Entwicklung pluralistischer Initiativen und Alternativen oder auch zu Kritik und Protest.“ Versammlungen seien „ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren“. Viele der heute geltenden Leitsätze zur Versammlungsfreiheit rekurrieren immer noch auf diesen Beschluss und auf darauf aufbauende Verfassungsrechtsprechung. Dazu gehören insbesondere die Autonomie in der Ausgestaltung einer Versammlung, die Staatsfreiheit, der freie Zugang zu Versammlungen und die Abwesenheit von Observation und Registrierung.

Mit dieser freiheitlichen Tradition scheint der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul brechen zu wollen. Schon am 23. April 2020 äußerte er in einer Innenausschusssitzung zum Thema „Versammlungen in NRW während der CoViD-19-Pandemie“: „Es gibt auch keinen Grund zu einer entsprechenden verfassungsrechtlichen oder rechtspolitischen Privilegierung der Grundrechtsausübung nach Artikel 8 des Grundgesetzes, zumal ich mich mit vielen anderen in der Meinung einig weiß, dass deren teils doch recht einseitig anmutende staatspraktische Bevorzugung in der Folge des sog. Brokdorf-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes vielleicht auch in anderen Zusammenhängen einmal auf den Prüfstand gestellt werden sollte.“ Nach massiver Kritik an diesen Aussagen nahm Herbert Reul seine Aussage zurück und meinte, er sei missverstanden worden.

Allerdings spiegelt sich genau diese Argumentationslinie nun erneut im Gesetzesentwurf wider. Um nicht als Regierungskoalition selbst in die Verlegenheit zu geraten, die Verfassungsrechtsprechung offen in Zweifel zu ziehen, wurde die Kritik anhand eines Zitats aus der Rechtswissenschaft formuliert: „Auch das Bundesverfassungsgericht darf, so wird aus der Staatsrechtslehre angemahnt, ‚nicht nach Gusto Grundrechtsfavoriten küren.‘“ und weiter: „[…] das Grundgesetz habe plebiszitäre Formen unmittelbarer Demokratie ganz bewusst nur für wenige, eng begrenzte Ausnahmefälle zugelassen. Der Beschluss lasse eine Unterscheidung zwischen Staatswillensbildung und Volkswillensbildung vermissen, dem abgestuften System der Vorformung des politischen Willens im Grundgesetz werde eine nivellierende Gleichgewichtung aller Faktoren der öffentlichen Meinung nicht gerecht. Das Gericht habe ferner ausgeblendet, dass die Ausnutzung des Sensationsbedürfnisses der Medien durch geschickte Versammlungs- und Demonstrationsveranstalter teilweise gerade zur Überrepräsentation von Versammlungsereignissen in der Berichterstattung führen könne, die nicht durch die politische Bedeutung der jeweiligen Versammlung, sondern durch die medienwirksame Aktion bis hin zu gezielten (und gefilmten) Rechtsverletzungen geprägt seien. [...]“

Dies zeigt nicht nur, dass hier tatsächlich der Bruch mit den Leitsätzen des Brokdorf-Beschlusses gesucht wird, sondern enthüllt auch eine Missachtung demokratischer Teilhabe. Überhaupt die „politische Bedeutung der jeweiligen Versammlung“ bewerten zu wollen, ist anmaßend.
Wenn man dazu bedenkt, dass die Landesregierung in NRW massive klimapolitische Verwerfungen zu verantworten hat, bekommt dies einen weiteren Beigeschmack. Mit sich zuspitzender Klimakrise werden die Protestformen gegen die Braunkohleverstromung im Braunkohleland NRW immer diverser, die Proteste zahlreicher. Trotz umfangreicher Polizeieinsätze und massiver Desinformationspolitik haben die Proteste, insbesondere des Aktionsbündnisses „Ende Gelände“, immer wieder tausende von Menschen angezogen. Im Brokdorf-Beschluss heißt es: „Demonstrativer Protest kann insbesondere notwendig werden, wenn die Repräsentativorgane mögliche Mißstände und Fehlentwicklungen nicht oder nicht rechtzeitig erkennen oder aus Rücksichtnahme auf andere Interessen hinnehmen.“

Das Bundesverfassungsgericht hat gerade erst in einer historischen Entscheidung ein Klimaschutzgebot nach Artikel 20a GG im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen anerkannt. Es hat damit auch all jenen Recht gegeben, die seit Jahren mit – teils spektakulären Protestformen – eine drastisch unzureichende Klimapolitik anklagen. Die Landesregierung täte gut daran, die zugrundeliegende Problematik inhaltlich anzugehen. Stattdessen will sie nun aber die Einführung eines Versammlungsgesetzes nutzen, um Proteste weitgehend unterbinden zu können. Die Gesetzesbegründung geht an einigen Stellen geradezu obsessiv auf Demonstrationen in Garzweiler ein, um bestimmte Regelungen zu rechtfertigen. Prof. Dr. Clemens Arzt von der HWR Berlin spricht dahingehend in seiner Stellungnahme  zutreffender Weise vom „Trauma Garzweiler“, das zu einem „durch gefahrenabwehrzentrierte Denksätze aufgeladenen Staatsverständnis“ führe, welches den Gesetzesentwurf durchziehe.

Fehlende grundrechtsschützende Ausrichtung

Die Neue Richtervereinigung bringt das sichtbarste Manko des Versammlungsgesetzentwurfs direkt zu Beginn ihrer Stellungnahme  auf den Punkt: „Entgegen dem selbst gesetzten Anspruch, eine umfassende Regelung zu schaffen, fehlt dem Gesetzentwurf nämlich sein Kern: das Versammlungsrecht. Die Reichweite und den Inhalt des Versammlungsrechts für den Rechtsanwender zu beschreiben, [...] müsste eine zentrale Aufgabe eines modernen Versammlungsgesetzes sein. Der Gesetzentwurf hingegen beschränkt sich auf die Aufarbeitung und „Weiterentwicklung“ der Regelungen zur Beschränkung und Beschneidung des nebulös bleibenden Grundrechts.“ Die Neue Richtervereinigung spricht dahingehend von einem „Versammlungsgesetz ohne Versammlungsrecht“ und trifft damit den Nagel auf den Kopf. An keiner Stelle werden Pflichten der staatlichen Behörden zum Schutz der Versammlungsfreiheit ausformuliert.

Im kürzlich in Kraft getretenen Berliner Versammlungsfreiheitsgesetz werden „Schutz- und Gewährleistungsaufgaben“ definiert. § 3 VersFG BE verpflichtet u.a. dazu, friedliche Versammlungen zu schützen, die Ausübung der Versammlungsfreiheit zu gewährleisten, den ungehinderten Zugang zu Versammlungen zu ermöglichen, die freie Berichterstattung der Medien bei Versammlungen zu gewährleisten, einen schonenden Ausgleich zwischen der Versammlungsfreiheit und den Grundrechten Dritter herzustellen, sowie die Durchführung von Gegenversammlungen in Hör- und Sichtweite zu ermöglichen. Nichts davon findet sich im Entwurf der Landesregierung von NRW.

Diese verzichtet auch auf ein Deeskalationsgebot für die Polizei. Auch wenn die entsprechende Regelung in Berlin deutlich zu kurz greift und kein wirksames Deeskalationsgebot darstellt, scheint die Landesregierung in NRW gerade auch in Abgrenzung zu Berlin gänzlich auf ein Deeskalationsgebot zu verzichten (siehe Gesetzesbegründung S. 48), damit dieses nicht „als eine Art gesetzgeberischer Garantenpflicht und Erfolgshaftung missverstanden werden“ könne.

 

Teil 2: Kritik an spezifischen Regelungen im Gesetzentwurf (GE)

Keine Anwendung von Polizeirecht bei Versammlungen
Der in § 9 GE geregelte generelle Verweis auf Eingriffsbefugnisse aus dem Polizeigesetz des Landes NRW ist ersatzlos zu streichen. Versammlungsbezogene Eingriffe sind im Versammlungsgesetz zu regeln. Das gebietet die Polizeifestigkeit von Versammlungen. Der Verweis eröffnet der Polizei den Zugriff auf sämtliche Eingriffsmaßnahmen des Polizeirechts. Dies ist abzulehnen. Insbesondere § 9 (4), nach dem die Abreise von einer Versammlung angeblich nicht mehr von der Versammlungsfreiheit gedeckt sei, steht in eklatantem Widerspruch zum Grundrechtsschutz nach Artikel 8 GG.

Keine Kontrollstellen auf dem Weg zu Versammlungen
Der GE sieht in § 15 die unbeschränkte Möglichkeit der Errichtung von Kontrollstellen vor. Die Polizei soll an diesen Kontrollstellen die Möglichkeit haben, Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen durchzuführen. Die Regelung, die keinerlei Gefahrenprognose voraussetzt, eröffnet die Möglichkeit, systematisch und routinemäßig den Zugang zu Versammlungen zu kontrollieren. Dies hätte einen immens einschüchternden Charakter. Insbesondere die Identitätsfeststellung auf dem Weg zu einer Versammlung kann eine erhebliche abschreckende Wirkung haben, weil das Recht auf Anonymität damit wegfällt. Die Regelung steht zudem der Verfassungsrechtsprechung entgegen, die es verbietet, den Zugang zu einer Demonstration durch die Behinderung von Anfahrten und schleppende vorbeugende Kontrollen unzumutbar zu erschweren oder ihren staatsfreien unreglementierten Charakter durch exzessive Observationen und Registrierungen zu verändern (siehe Brokdorf-Beschluss vom 14. Mai 1985 – 1 BvR 233/81).

Keine Einschüchterung durch sog. Gefährderansprachen
Nach § 14 (1) GE soll die Polizei Personen auf dem Weg zu Versammlungen anhalten dürfen, um sie per sogenannter Gefährderansprache von möglichen verbotenen Handlungen abzuhalten. Auch das muss als Befugnis zur Einschüchterung verstanden werden und ist mit Blick auf Artikel 8 GG abzulehnen.

Kein Ausschluss im Vorfeld von Versammlungen
Nach § 14 (2) GE darf Personen im Voraus einer Versammlung die Teilnahme verboten werden. Zur Sicherstellung des Verbots soll eine Meldeauflage verhängt werden, d.h. die betroffene Person muss bei einer Polizeidienststelle vorstellig werden. Damit wird die Möglichkeit geschaffen, Personen grundsätzlich die Teilnahme an Versammlungen zu versagen und damit deren Grundrechtsausübung vollständig einzuschränken. Um entsprechende Erlasse im Vorfeld zu versenden, muss die Polizei auf personenbezogene Daten zugreifen können. Denkbar ist, dass die Polizei künftig Datenbanken mit unliebsamen Demonstrationsteilnehmer:innen anlegt, ähnlich derer, die es für Fußballfans bereits gibt. Auf Basis dieser Datenbanken würden dann Einzelpersonen von geplanten Versammlungen ausgeschlossen. Ermächtigungen für Versammlungsausschlüsse im Vorfeld haben in einem Versammlungsgesetz nichts zu suchen.

Für beide zuvor genannten Punkte gilt: Sie laufen diametral dem verfassungsrechtlichen Grundsatz entgegen, dass nur im Falle einer konkreten Gefahr die Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden darf. Personen werden hierdurch künftig unter Generalverdacht gestellt und – wie in der Vergangenheit beobachtbar – aufgrund der ihren (zugeschriebenen) Gesinnung als „Gefährder“ eingestuft.  

Begrenzung von Video- und Tonaufnahmen und deren Aufzeichnung – keine Aufnahmen im Geheimen
Bild- und Tonaufnahmen von Versammlungen stellen einen erheblichen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar. Problematisch ist auch hier die einschüchternde und abschreckende Wirkung von Videokameras. Jüngere Entscheidungen fordern daher sogar, dass Videobeobachtungsanlagen im Öffentlichen Raum während Versammlungen für die Teilnehmenden sichtbar abgedeckt werden. Begründet ist das damit, dass die verfassungsrechtlich unerwünschte Einschüchterungswirkung schon durch die bloße Präsenz entsprechender Überwachungsvorkehrungen entsteht. Die Rechtsprechung erkennt zudem an, dass schon sogenannte Übersichtsaufnahmen, wie sie in § 16 (2) GE vorgesehen sind, einen Eingriff in Artikel 8 GG darstellen.

Deshalb sind diese nach dem Bundesverfassungsgericht nicht stets zulässig, sondern bedürfen einer Gefahrenprognose. Eine solche ist im Entwurf nicht vorgesehen. Erst recht dürfen diese Übersichtsaufnahmen, die vorgeblich zur „Lenkung des Polizeieinsatzes“ gestattet werden sollen, nicht aufgezeichnet werden – denn sonst könnten letztlich komplette Demonstrationen aufgezeichnet werden. Da unter § 16 (3) GE zusätzlich gestattet wird, die Aufnahmen unter bestimmten Voraussetzungen im Geheimen anzufertigen, verstärkt sich die Abschreckungswirkung nochmals.

Keine neuen Pflichten & Strafen für Versammlungsleitung
Für Veranstalter:innen und Anmelder:innen werden neue bürokratische Hürden errichtet. Nicht nur müssen deutlich mehr Angaben zu Person und Adresse gemacht werden, eine telefonische oder mündliche Anmeldemöglichkeit entfällt. Außerdem kann die Ausnahme von Samstagen, Sonn- und Feiertagen die Anmeldefrist auf bis zu vier Tage verlängern.
Gemäß § 12 (2) GE kann die Behörde in bestimmten Fällen Namen und Adressen von Ordner:innen von der Veranstalter:in verlangen. Diese können einer „Geeignetheitsprüfung“ unterzogen werden. Zuwiderhandlungen gegen diese stattlichen Vorgaben können mit Bußgeld belegt werden. Das kann es Veranstalter:innen massiv erschweren, Ordner:innen für die Versammlung zu finden und erhöht den Aufwand im Vorfeld erheblich.

Kein verdeckter Zwang zur Kooperation
Durch § 3 GE wird ein verdeckter Zwang zur Kooperation eingeführt, insbesondere durch die Möglichkeit, den „Kooperationswillen“ des Veranstalters bei Maßnahmen nach § 13 GE (Beschränkungen, Auflösung, Verbot) zu berücksichtigen. Ein solcher Zwang ist rechtsstaatlich höchst bedenklich. Nicht die oder der Veranstalter:in ist in einer Begründungs- oder Rechtfertigungspflicht gegenüber den staatlichen Behörden, sondern im Gegenteil: Die staatlichen Behörden haben jegliche Beschränkung oder Auflage zu begründen und können diese nur rechtfertigen mit einer konkreten Gefahr für ein ebenso hohes Rechtsgut wie es die Versammlungsfreiheit darstellt. Indem ein Gebot zur Kooperation zu einer „Kooperationspflicht“ wird, wie es die Gesetzesbegründung (versehentlich?) selbst schreibt, kann das einer Behörde gegenüber nicht gefällige Verhalten zu einer Beschränkung von Artikel 8 Abs. 1 GG führen.

Keine Ausweitung des Störungsverbots
Das bisherige Störungsverbot nicht-verbotener Versammlungen wird mit § 7 GE erheblich ausgeweitet. War es nach dem bisher anzuwendenden Versammlungsgesetz des Bundes nur dann strafbar, wenn Gewalttätigkeiten vorgenommen oder angedroht oder grobe Störungen verursacht wurden, so soll es nach § 7 (2) Nr. 2 GE bereits verboten sein, Handlungen vorzunehmen, die auf die Förderung von Störungen gegen bevorstehende Versammlungen gerichtet sind. Zukünftig soll – strafbewehrt – bereits Folgendes unterbunden werden, wie es aus der Gesetzesbegründung ausdrücklich hervorgeht: „Die Vorbereitung oder Einübung von Störungshandlungen ist auch dann verboten, wenn ein konkretes Versammlungsgeschehen nicht absehbar ist. Zusammenkommen müssen vielmehr lediglich eine subjektive Verhinderungsabsicht und objektiv Handlungen, die die Durchführung der Versammlung behindern können. Das ist bei einem „Blockadetraining“ der Fall, da es die Blockadefähigkeiten potenzieller Blockierer erhöhen und letztere zudem in ihrer Blockadeabsicht bestärken kann, was sich wiederum potenziell nachteilig für die blockierte Versammlung auszuwirken vermag.“

Eine solche Regelung ist evident verfassungswidrig: „Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt auch nicht nur solche Teilnehmer vor staatlichen Eingriffen, die die Ziele der Versammlung oder die dort vertretenen Meinungen billigen, sondern kommt ebenso denjenigen zugute, die ihnen kritisch oder ablehnend gegenüberstehen und dies in der Versammlung zum Ausdruck bringen wollen. Der Schutz des Art. 8 GG endet jedoch dort, wo es nicht um die – wenn auch kritische – Teilnahme an der Versammlung, sondern um deren Verhinderung geht.“ (BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 1991 – 1 BvR 772/90 –, Rn. 16 - 17, juris).

Und das OVG NRW stellte fest: „Soweit Beeinträchtigungen von einer Gegendemonstration ausgehen, stehen einander gleichgewichtige Grundrechtspositionen gegenüber, zwischen denen ein Ausgleich im Rahmen praktischer Konkordanz anzustreben ist." (OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. September 2012 – 5 A 1701/11 –, Rn. 75, juris). Nicht nur der Aufruf zu gewaltfreien Blockaden von Aufmärschen faschistischer Parteien und Gruppierungen wird durch das geplante Versammlungsgesetz unter Strafandrohung von bis zu zwei Jahren gestellt. Selbst der Aufruf zu symbolischen Blockaden, also die öffentliche Auseinandersetzung zur Verhinderung faschistischer Aufmärsche würde hierdurch kriminalisiert. Demokrat:innen soll es in NRW zukünftig nicht mehr erlaubt sein, sich einem Neonaziaufmarsch entgegenzustellen.

Die Behauptung, der Gesetzentwurf wolle insbesondere gegen Rechtsextreme vorgehen , entpuppt sich tatsächlich als ihr Gegenteil: Antifaschistischer Protest soll mittels des schärfsten Schwerts des Rechtsstaats – dem Strafrecht – sanktioniert und unterbunden werden.

Keine Ausweitung von Vermummungs-/ Uniformierungs- / und keine Schaffung eines Militanzverbots
Durch die im Entwurf unter den §§ 17 und 18 erfolgenden „Vermummungs-, Schutzausrüstungs- und Militanzverbote“ erfolgen weitreichende Ermächtigungen des Staates darüber zu entscheiden, wie eine Versammlung zu gestalten ist. „Indem der Demonstrant seine Meinung in physischer Präsenz, in voller Öffentlichkeit und ohne Zwischenschaltung von Medien kundgibt, entfaltet auch er seine Persönlichkeit in unmittelbarer Weise. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, wobei die Teilnehmer einerseits in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umganges miteinander oder die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen.“ (BVerfGE 69, 315/345 – Brokdorf)

Es ist daher zunächst und ausschließlich Sache der Veranstalter:innen und Teilnehmer:innen, ihre Versammlung zu gestalten. Dabei kann insbesondere der optischen Gestaltung eine herausragende Rolle zukommen, indem etwa farblich ein einheitliches Auftreten erfolgt, um einen gemeinsamen Standpunkt zum Ausdruck zu bringen, um Geschlossenheit und Entschlossenheit zu vermitteln.

Durch den Gesetzentwurf wird diese Freiheit der staatlichen Direktive unterstellt. Sofern ein Verhalten durch die staatliche Behörde als „zur Identitätsverschleierung geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet“ oder „als Schutzausrüstung geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet“ (§ 17 GE) angesehen wird, ermöglicht dies ein staatliches Eingreifen und knüpft hieran sogar Strafbarkeit an. Unverdächtige Gegenstände wie Fahnenstangen, Schals und Sonnenbrillen werden dadurch zu möglichen Tatmitteln erklärt, durch die subjektiven Begriffe „geeignet für“, „gerichtet auf“ der staatlichen Einschätzung unterworfen und das Verhalten bereits mit einem Verbot belegt, ohne dass eine tatsächlich strafbare Handlung erfolgt.

Auch das sogenannte Militanzverbot in § 18 GE ist von subjektiven Wertungen, mithin von Rechtsunsicherheit, geprägt und geeignet, Versammlungen in ihrer Wirkung einzuschränken. Verboten soll nach § 18 Abs. 1 VersG-E künftig sein, an einer Versammlung auch nur teilzunehmen, wenn diese „infolge des äußeren Erscheinungsbildes
1.    durch das Tragen von Uniformen, Uniformteilen oder uniformähnlichen Kleidungsstücken,
2.    durch ein paramilitärisches Auftreten oder
3.    in vergleichbarer Weise
Gewaltbereitschaft vermittelt und dadurch einschüchternd wirkt.“ Hier ist ein Strafmaß von bis zu zwei Jahren Haft vorgesehen, auch wenn lediglich dazu beigetragen wird, dass eine Versammlung diesem Verbot zuwider läuft. Durch das „Militanzverbot” bekommt die Polizei ein Instrument in die Hand, nahezu jeden missliebigen, kämpferischen Demonstrationsblock mit Maßnahmen bis hin zu Auflösung und Festnahmen zu konfrontieren.

Schon die Begriffe „in vergleichbarer Weise“, „vermitteln“ und „einschüchternd wirken“ sind nur schwer auszulegen und erfüllen das Bestimmtheitsgebot nicht. Ein Auftreten mag zudem für eine staatliche Behörde „einschüchternd wirken“, dies kann sogar das Anliegen einer Versammlung sein. Dass die Gesetzesbegründung auf die Garzweiler-Demonstrationen Bezug nimmt, zeigt gerade, dass öffentlichkeitswirksame Proteste in ihrer Wirkung verkleinert werden sollen.

Dass diese Gesetzesbegründung auf die Begründungen zum Versammlungsgesetz von 1953 Bezug nimmt, zeigt, welche Wertigkeit der Versammlungsfreiheit zugesprochen wird: Die 1950er Jahre in der Bundesrepublik waren gerade von unter heutigen verfassungsrechtlichen Maßstäben unhaltbaren Versammlungsverboten geprägt (z.B. gegen die Remilitarisierung). Zudem muss auf die absurde Aneinanderreihung der nationalsozialistischen SA und SS mit dem heutigen „Schwarzen Block“ oder mit in gleichfarbige Overalls gekleidete Klimaaktivist:innen in der Begründung für das „Militanzverbot“ hingewiesen werden.

Ein weiterer zu kritisierender Punkt in den geplanten §§ 17 und 18 GE sind die enthaltenen Anordnungsermächtigungen: Bezüglich Vermummung und Schutzausrüstung darf die Polizei künftig festlegen, welche Gegenstände vom Verbot betroffen sein können. Im Falle des Uniformierungsverbots darf sie zusätzlich zu Gegenständen sogar verordnen, welche „Verhaltensweisen“ verboten sein sollen. Diese Anordnungsermächtigungen nehmen den Versammlungsteilnehmer:innen jegliche Planungssicherheit und Autonomie in der Gestaltung ihrer Versammlung. Dagegen legen sie zu viel Gestaltungsspielraum in die Hände der Polizei. Es ist nicht sichergestellt, dass nicht künftig bei jeder Versammlung schon im Vorfeld pauschal stark einschränkende Anordnungen getroffen werden. Das ist insbesondere problematisch, weil nach § 28 GE die Nichtbefolgung dieser Anordnungen mit Bußgeldern belegt wird. Dies schafft Unsicherheit und kann Abschreckungswirkung entfalten.

Keine Datenerhebung von Ordner:innen
Aus nahezu jedem Grund, den die Polizei als eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ annimmt, müssen Veranstalter*innen eine Liste mit Namen und Adressen der Ordner*innen herausgeben. Diese Datenerhebung findet zur Überprüfung der Personen statt, die damit staatlich erfasst und eventuell auch gespeichert bleiben. Allein die Nichtbefolgung der Anweisung, Namen und Adressen von Ordner*innen zu nennen, kann als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße von bis zu 1.500 Euro geahndet werden. Zudem hat die Polizei ein Ablehnungsrecht der vorgesehenen Ordner:innen und somit eine Möglichkeit, die Organisation einer Versammlung stark zu behindern.

Kein Ausbau des Katalogs an Ordnungswidrigkeiten und keine Erhöhung von Strafmaßen
Der Gesetzentwurf würde sechs zusätzliche Ordnungswidrigkeitentatbestände schaffen, die es bisher nicht gibt. So sollen z.B. vorgeblich störende Handlungen, die nicht strafrechtlich verfolgt werden können, künftig als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Wer einen Schal und eine Sonnenbrille auf dem Weg zu einer Demonstration in der Tasche hat, kann dem Wortlaut nach zukünftig ein Bußgeld erhalten. Wer mit einem Gegenstand zur Versammlung geht, der durch eine Anordnung der Polizei als verboten gilt, handelt künftig ordnungswidrig. Somit bekommt die Polizei weitreichende Möglichkeiten, gegen Proteste vorzugehen. Die Bußgeldandrohungen verdreifachen bzw. versechsfachen sich auf bis zu 3.000 Euro.

Strafandrohungen, die bisher bei maximal einem Jahr Gefängnis lagen, werden teilweise nun auf bis zu zwei Jahre Gefängnis verdoppelt. Dazu gehört das Strafmaß zum Vermummungsverbot, zum Waffen- und Schutzausrüstungsverbot und die Gewaltdrohung gegen Versammlungsleitung oder Ordner:innen.


Teil 3: Anforderungen an ein modernes, freiheitliches, grundrechtszentriertes Versammlungsfreiheitsgesetz

Neben der detaillierten Kritik der schwerwiegendsten Unzulänglichkeiten des Gesetzesentwurfs von CDU und FDP ist es uns ein Anliegen, konkrete Vorschläge für ein modernes, freiheitliches und grundrechtszentriertes Versammlungsfreiheitsgesetz zu machen, das den Namen verdient. Wir wollen an einigen Punkten verdeutlichen, wie in einem Versammlungsgesetz die Versammlungsfreiheit zum Ausdruck kommen könnte; wohlwissend, dass der beste Schutz des Grundrechts der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit nur dessen aktive und mutige Wahrnehmung ist."

Die Versammlungsbehörde sollte nicht Teil der Polizei sein
Die Aufgaben der Polizei sind die Verfolgung von Straftaten und die Abwehr von Gefahren. Die Gewährleistung der Versammlungsfreiheit passt nicht zu diesem Aufgabenbereich, es ergeben sich dauerhaft Zielkonflikte, die regelmäßig zugunsten der polizeilichen Perspektive aufgelöst werden. Die Polizei ordnet Versammlungen als Gefahr ein, Teilnehmer sind potentielle Störer:innen. Versammlungsbehörde und Polizei sind daher zu trennen. In NRW wird nunmehr stattdessen nach § 32 GE die Kreispolizeibehörde als zuständige Versammlungsbehörde festgeschrieben.

Die Anzeigepflicht ist zu begrenzen
Die Anzeigepflicht für Versammlungen ist zu begrenzen auf solche, die aufgrund ihrer zu erwartenden Größe eine vorherige behördliche Befassung erforderlich machen. Es ist unverhältnismäßig, wenn sich bspw. drei Personen mit einem Transparent auf einen Fußweg stellen wollen und dies unter Bußgeldandrohung vorher anmelden müssen.

Verpflichtende behördliche Reaktionszeiten
Der Gesetzentwurf sieht nicht vor, dass die Behörde innerhalb einer bestimmten Zeit, etwa ebenso innerhalb von 48 Stunden, verpflichtet ist, etwaige Beschränkungen oder Auflagen zu verfügen. Dies aber wäre, gerade vor dem Hintergrund des Gebots effektiven Rechtsschutzes, begrüßenswert. In der Vergangenheit – und in besonders verschärfter Weise vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und den zusätzlichen Eingriffsermächtigungen durch das Infektionsschutzgesetz (IfSG) – waren Veranstalter:innen damit konfrontiert, erst wenige Stunden vor einer geplanten Versammlung einen Auflagenbescheid bis hin zur Verbotsverfügung zu erhalten. Das hatte mitunter zur Folge, dass effektiver Rechtsschutz, ggf. bis zum BVerfG, zeitlich nicht mehr möglich war, Rechte damit unwiederbringlich verloren waren.

Vermummungs-, Schutzwaffen- und Militanzverbot generell abschaffen
Die Vermummungs-, Schutzwaffen- und Militanzverbote sind generell abzuschaffen. Sie kranken daran, dass nicht-strafbares Verhalten, wie das Tragen einer Fahnenstange oder das Tragen gleichartiger Kleidungsstücke, durch eine staatliche, notwendig subjektive Einschätzung kriminalisiert wird. Eine rechtssichere Unterscheidung zwischen legalem und illegalem Verhalten ist dem Einzelnen damit unmöglich. Das bereits bei seiner Einführung 1985 bzw. 1989 als autoritär kritisierte Vermummungsverbot ist abzuschaffen. Gerade die Erfahrungen der letzten Monate mit Mund-Nasenschutz bei Versammlungen haben gezeigt, dass sich die Vorannahme nicht bestätigt, anonym teilnehmende seine per sé gefährlich. Für eine Demokratie ist die anonyme Meinungsäußerung ein elementarer Bestandteil. Für Antifaschist:innen kann es überlebenswichtig sein, nicht identifizierbar zu sein.

Begrenzung des Anwesenheitsrechts der Polizei
Die Landesregierung hat das im bisherigen Bundesgesetz und auch in anderen Ländergesetzen vorgesehene Gebot, dass sich die Polizei sowohl bei Veranstaltungen unter freiem Himmel als auch in geschlossenen Räumen zu erkennen zu geben hat, weggelassen. Es sollte keine pauschale Befugnis zur Anwesenheit für die Polizei geben. Immer häufiger führt deren Anwesenheit dazu, dass die Präsenz der Polizei das Bild der Demonstration prägt und damit für Teilnehmer:innen wie Dritte einschüchternd wirken kann. Erst recht muss es eine Vorschrift geben, die die Polizei verpflichtet, sich zu erkennen zu geben. Dies sollte auch nicht auf die Veranstaltungsleitung begrenzt sein und ein Verbot umfassen, Polizeikräfte in Zivil ohne Kennzeichnung in Versammlungen einzusetzen.

Die öffentliche Ordnung ist als Eingriffsrechtfertigung zu streichen
Statt den Begriff der „öffentlichen Ordnung“ zu streichen, wird dieser als Teil der Ermächtigungsgrundlage in § 13 GE erneut genannt. Der Begriff der öffentlichen Ordnung umfasst „die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung des geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebietes angesehen wird“ (BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 – 1 BvR 233/81 –, BVerfGE 69, 315 (352)). Schon daraus wird ersichtlich: Aus rechtsstaatlichen Gründen ist eine solche Ermächtigungsgrundlage nicht haltbar. Sie öffnet willkürlichem Handeln des Staates Tür und Tor, da die „öffentliche Ordnung“ inhärent unbestimmt ist.

Dass diese Willkür bereits durch den Gesetzentwurf angelegt ist, dass nicht die Beschränkung, sondern die Ausweitung der Anwendung der „öffentlichen Ordnung“ impliziert wird, wird erneut in der Begründung deutlich: „Angesichts zunehmender Verrohungs- und Verhetzungstendenzen auch im Zusammenhang mit Versammlungen sollte es dabei bleiben, dass die öffentliche Ordnung als versammlungsrechtliches Schutzgut erhalten bleibt. Sollten die entsprechenden Tendenzen anhalten, wäre zu hoffen, dass die Bedeutung der öffentlichen Ordnung in der Versammlungspraxis eher zu- als abnehmen sollte.“ Auch verfassungsrechtlich ist diese Ermächtigungsgrundlage mit Artikel 8 Abs. 2 GG nicht vereinbar. Denn danach darf eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit nur aufgrund eines Gesetzes erfolgen. „Ungeschriebene Regeln“ sind gerade kein Gesetz.

Autor*in: Michèle Winkler, anna Busl (RAV) und ursula Mende (VDJ)

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