Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter im Kontext einer globalen Niedriglohnökonomie

Weltweit nimmt die Entwurzelung von Menschen zu. Das ist unter anderem eine Folge dessen, was allgemein als „neoliberale Globalisierung“ bezeichnet wird. Gemeint ist damit die expansive, mitunter gewaltsame Durchdringung aller Lebensverhältnisse bis in den letzten Weltwinkel hinein und deren Zurichtung nach den Erfordernissen wirtschaftsliberaler Rationalität. Unzählige Menschen brechen deshalb aus den „Schütterzonen der Globalisierung“ auf, wo es ihnen an sozialer Sicherheit, Arbeitsplätzen und zukunftsfähigen Lebensbedingungen mangelt. Sie emigrieren auf der Suche nach Schutz, existenzsichernder Arbeit und tragfähigen Lebensperspektiven für sich und ihre Familien. Diese globalen Wanderungsbewegungen machen auch vor den tödlich befestigten Grenzen Europas nicht halt.

Im Jahr 2000 lebten rund 175 Millionen Menschen, das heißt etwa 3% der Weltbevölkerung, außerhalb ihres Herkunftslandes. Laut ILO (International Labour Organisation) stieg die Zahl der Entwurzelten im letzten Jahrzehnt um jährlich 6 Millionen Menschen. Sie nimmt weiter zu. Unzählige dieser Menschen verlieren ihr Leben auf der Suche nach einem besseren. Arbeitsmigration findet nicht nur über die diversen Kanäle nationaler Einwanderungsregelungen statt. Über sie erhalten zumeist die wohlhabenden, gut ausgebildeten Einwanderer oder dringend benötigte Saisonarbeitskräfte legalen Zugang zu den europäischen Arbeitsmärkten. Daneben gelingt es auch einem Teil der unerwünschten Wanderarbeiter, die Grenzen zu überwinden und unerlaubt in die europäischen Wohlstandszonen vorzudringen. Dort werden sie von den informellen Arbeitsmärkten aufgesogen. Diese Immigrantinnen und Immigranten bilden das profitabel ausbeutbare Unterfutter einer globalisierten Niedriglohnökonomie. Der Preis für die Weltmarktware Arbeitskraft wird stetig gedrückt. Nach Schätzungen des Internationalen Arbeitsamtes in Genf (IAA) beträgt die Zahl der Arbeitskräfte, die 1 US-Dollar oder weniger am Tag verdienen, Ende des Jahres 2003 rund 550 Millionen. Die Zahl der weltweit erwerbstätigen regulären und irregulären Arbeitsmigranten kann nicht ermittelt werden. Die ILO schätzt vorsichtig ihren Umfang auf 86 Millionen Menschen. In der Europäischen Union finden irreguläre Arbeitsimmigranten prekäre Beschäftigungen insbesondere in jenen arbeitsintensiven Sektoren, die nicht in Billiglohnländer ausgelagert werden können (Bauwirtschaft, Landwirtschaft, hausnahe Dienstleistungen, Gastronomie, Pflegedienste, Sexindustrie). Es sind häufig körperlich schwere und schmutzige Arbeiten, die sie verrichten müssen. Nicht wenige der „unsichtbaren“ Arbeitskräfte schuften dabei unter sklavenähnlichen oder menschenunwürdigen Bedingungen. Sie sind fortwährender Diskriminierung, Ausbeutung und Gewalt ausgesetzt. Die fundamentalen Menschenrechte der Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter Gegenüber Wanderarbeitnehmern werden fundamentale Menschenrechte verletzt oder missachtet. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn sie sich „unerlaubt“ im Lande aufhalten. Gegen diese Praxis wendet sich die „UN-Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen“. Die UN-Konvention wurde in der Überzeugung geschaffen, dass es notwendig sei, grundlegende Rechte von Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeitern sowie ihren Familienangehörigen zu bestimmen, ihre Beachtung zu überwachen und dafür zu sorgen, dass sie durchgesetzt werden. Die Konvention berücksichtigt, dass immigrierte Arbeitskräfte und ihre Familienangehörigen in vielen Belangen grundsätzlich nicht ausreichend geschützt sind, da sie keine Staatsangehörigen des Landes sind, in dem sie arbeiten und sich aufhalten. Die ausländischen Arbeitskräfte werden nicht als bloße Objekte im Interessengefüge der Nationalstaaten und Unternehmen betrachtet. Sie werden als eigene Rechtssubjekte ernst genommen. Werden deren Rechte und schutzbedürftige persönliche und familiäre Interessen verletzt – müssen sie eingeklagt werden können. Fundamentale Menschenrechte gelten, der Konvention gemäß, für alle Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter. Ob sie eine gültige Aufenthaltserlaubnis besitzen oder nicht. Als da sind: das Recht auf Freiheit, auf Bildung, auf körperliche Unversehrtheit und medizinische Behandlung, auf angemessene Bezahlung und rechtsstaatliche Verfahren. Reguläre Arbeitsimmigrantinnen und Arbeitsimmigranten sowie deren Familienmitglieder verfügen darüber hinaus über weitergehende Rechte, insbesondere darauf, in wesentlichen juristischen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Fragen wie die Staatsangehörigen des Einwanderungslandes behandelt zu werden. Die UN-Konvention will einer ungehemmten Ausbeutung von Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeitern vorbeugen und diese international bekämpfen. Mindestschutzstandards für immigrierte Arbeitskräfte und ihre Familienangehörigen sollen in allen Ländern gleichermaßen gelten. In Deutschland ist die UN-Konvention weitgehend unbekannt geblieben. Sie ist seit dem 1.7.2003 offiziell in Kraft getreten ist, nachdem mehr als zwanzig, vorwiegend Herkunfts- oder Entsendestaaten der weltweiten Arbeitsmigrantion sie ratifiziert haben. Verweigerte Rechte Das, was die UN-Konvention bezogen auf Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter normiert, ist im Kern bereits in der von Deutschland unterzeichneten „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ von 1948 und anderen internationalen Abkommen enthalten. Diese Menschenrechtsbestimmungen müssten in Deutschland „unmittelbar“, d.h. also auch für Wanderarbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, gelten (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG). Die tatsächlichen Lebensbedingungen dieser Menschen und zahlreiche ausländergesetzliche Regelungen entsprechen den internationalen Menschenrechtsbestimmungen jedoch nicht. Verletzt werden insbesondere die Rechte der Menschen, die keine Papiere besitzen. Sie werden in Deutschland darum als „illegal“ bezeichnet und zum menschlichen Freiwild, mit dem man diskriminierend umgehen und auf das man Vorurteile projizieren kann. Auch damit werden, offiziell und nicht „rechtsextrem“ Vorurteile geschaffen. Die rot-grüne Bundesregierung begründet ihre Weigerung, die UN-Konvention zu unterzeichnen, im Wesentlichen damit, diese könne einen „Anreiz“ für weitere Immigranten darstellen, ohne Erlaubnis in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Dabei tastet die Konvention das Recht der Nationalstaaten, über den Aufenthalt in ihren Territorien zu bestimmen, ausdrücklich nicht an. Jenseits nationalstaatlicher Grenzziehungen, die für Güter, Kapital und Dienstleistungen globalisierungsbedingt längst ihre Bedeutung verloren haben, will die UN-Konvention vielmehr innerhalb und außerhalb aller Grenzen die Menschenrechte schützen, die dem globalisierten Wettbewerb geopfert werden. Die wirtschaftspolitisch begründete und populistische Vorurteile begründende Verweigerungshaltung der Bundesregierung und aller anderen EU-Staaten halten Diskriminierungspraktiken, massive Ausbeutung und Gewaltverhältnisse aufrecht, unter denen viele Arbeiterinnen und Arbeiter weltweit zu leben gezwungen sind. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie will deshalb mit seiner Petition eine öffentliche und parlamentarische Debatte darüber entfachen, dass fundamentale Menschenrechte von Arbeitsmigrantinnen und -migranten missachtet werden. Dazu werden sie, als „illegal“ abgestempelt, regelrecht präpariert und der Diskriminierung preisgegeben. Hier zeigt sich, ob alle möglichen Antidiskriminierungsgesetze und Paragraphen ernst oder nur symbolisch gemeint sind. Man diskriminiert offiziell und lässt darüber die Antidiskriminierungsfahne klirrend flattern. Die praktischen Auswirkungen einer Unterzeichnung der UN-Konvention dürfen nicht überschätzt werden. Viele Rechte stehen aufgrund „weicher“ Formulierungen und unbestimmter Rechtsbegriffe unter dem Vorbehalt einengender Rechtsauslegungen. Flüchtlinge und Asylsuchende können sich nicht auf die UN-Konvention berufen. Ebenso enthält die Konvention keine Empfehlung zur „Legalisierung“ langjährig im Lande lebender Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis. Darum reicht die Konvention nicht aus. Deutschland und die anderen kapitalmächtigen europäischen Industrienationen müssten jedoch wenigstens einen ersten Schritt tun, wollen sie nicht selbstverschuldet und in verheerend wirksamer doppelter Moral die Menschenrechte vergeblich auch in den eigenen Ländern im Munde führen. Die UN-Konvention zu unterzeichnen und ihre Bestimmungen umzusetzen, stellte einen solchen ersten Schritt dar. Ein Mangel an Solidarität? Viele migrationspolitisch engagierte Gruppen haben die Petitionsinitiative des Komitees für Grundrechte und Demokratie unterstützt, indem sie Beiträge zum Thema veröffentlichten, die Petition auf ihrer Homepage vorstellten oder Komiteemitglieder zu Veranstaltungen einluden. Über tausend Bürgerinnen und Bürger haben sich der Petition angeschlossen und diese unterzeichnet. Ebenso die Bürger- und Menschenrechtsgruppen „Aktion Courage“, die „Humanistische Union“ und der „Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland“. Das sind ermutigende Zeichen dafür, dass Menschenrechte nicht mit gespaltener Zunge gesprochen werden. Sie gelten für uns nur, wenn wir sie für die Ärmsten der Armen wahrnehmen. Die Situation der illegalisierten Arbeitsmigrantinnen und -migranten scheint kein vordringliches Gewerkschaftsthema zu sein. Von der Gewerkschaft „ver.di“ abgesehen, die die Petitionsinitiative zumindest zur Kenntnis genommen und darauf aufmerksam gemacht hat, gab es keinerlei nennenswerte gewerkschaftliche Unterstützung. Die IG BAU, die erst kürzlich einen „Europäischen Dachverband der Wanderarbeiter“ gründete, hat sich  obwohl vom Komitee dazu befragt  bislang nicht zu der Petition zugunsten der UN-Konvention geäußert. Auch die ILO (International Labour Organization) bleibt mit ihren Forderungen hinter denen der UN-Konvention zurück. So verständlich jedoch das gewerkschaftliche Streben ist, die Arbeitsplätze in den eigenen „nationalen“ Grenzen erhalten zu wollen, so kurzsichtig ist es, der globalen Konkurrenzlogik in dieser Weise Folge zu leisten. So werden auf mittlere Dauer keine Arbeitsplätze gerettet. Unter den Arbeit Suchenden werden nur die Phasen der Angst verschieden verteilt. Die Rechte der Arbeitsimmigrantinnen und –immigranten können nur um den Preis der eigenen aufgegeben werden In einer Zeit, in der Arbeitsbedingungen und Lebensverhältnisse der arbeitenden Bevölkerung durch Regierung und Unternehmerverbände massiv unter Druck gesetzt und neue Zwangsarbeitsverhältnisse geschaffen werden, in der die Klasse der arbeitenden Armen an Umfang gewinnt und ein breites Spektrum von prekären Niedriglohnarbeiten mit „reformerischem Eifer“ in der Gesellschaft verankert wird, wäre es geradezu töricht, die besonders gewaltförmige Ausbeutung und die damit verbundene Entrechtung der Wanderarbeiterinnen und -arbeiter totzuschweigen und sich damit abzufinden. Die Menschenrechte sind unteilbar. Die tiefgreifende Entrechtung des inzwischen globalisierten Subproletariats wird die Auszehrung sozialer Grundrechte ebenfalls in den postindustriellen Dienstleistungsmetropolen vorantreiben. Dort konnten sich die besitz- und einflusslosen und die marginalisierten Bevölkerungsschichten aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft bislang zumindest vor allzu menschenverachtenden Ausbeutungspraktiken und vor dem Sturz in die Verelendung sicher wähnen. Doch die negativen Effekte neoliberaler Globalisierung schneiden tiefer. Indem die Menschenrechte eines Teils der hier lebenden und arbeitenden Menschen verletzt werden, werden die Strukturen weltweiter Klassengesellschaften geschaffen, vor denen keine Grenze sichern kann. Es kommt deshalb dringender denn je darauf an, in den illegalisierten und irregulären Wanderarbeiterinnen und -arbeitern nicht Konkurrenten auf einem globalen und national deregulierten Arbeitsmarkt zu sehen. Es handelt sich stattdessen um Menschen, die heute schon unter den Bedingungen niedrig entlohnter und informeller Arbeitsmärkte arbeiten und leben müssen, wie sie jetzt auch den Lohnabhängigen in Europa in Aussicht gestellt werden (ein Blick auf die USA kann uns dies lehren). Die Rechte der Arbeitsimmigrantinnen und -immigranten können somit nur um den Preis der eigenen aufgegeben werden. Die Konzern- und Unternehmensführungen beziehen sich seit jeher nicht nur auf eine „nationale Arbeitnehmerschaft“, wie die koloniale und imperialistische Vergangenheit zeigt. Irreguläre Arbeitskräfte und Einwanderer wurden und werden in den industriellen Kernländern stets gewinnbringend in den Prozess der Produktion und Wertschöpfung aufgesogen und nach getaner Arbeit wieder ausgespuckt. Die aktuellen politischen Auseinandersetzungen um neue „postfordistische“ Ausbeutungs- und Armutsverhältnisse und neuartige Arbeits- und Arbeitslosenzwangsgesellschaften können nur noch in einer globalen Perspektive menschenrechtlich angemessen lokal und regional geführt werden. Dies heißt konkret, sich (auch) für die fundamentalen Rechte der Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter weltweit einzusetzen. Eine Beschränkung auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der regulär im Inland beschäftigten „deutschen Arbeitnehmerschaft“ führte in die Irre einer vorurteilsschürenden, exklusiven „Standortgemeinschaft“. Sie treibt menschenrechtlich  und global betrachtet  geradewegs in den Abgrund. Das vierseitige Petitionsfaltblatt für die Unterschriftensammlung kann angefordert werden unter: Komitee für Grundrechte und Demokratie, Aquinostr. 7-11, 50670 Köln, info@grundrechtekomitee.de Oder heruntergeladen werden unter: www.grundrechtekomitee.de/node/57 Auch nach der offiziellen Einreichung der Petition Mitte Dezember 2004 an den entsprechenden Ausschuss des Deutschen Bundestages können Unterschriften nachgereicht werden, da Bearbeitung und Beratung gewöhnlich einige Zeit in Anspruch nehmen werden. Zu den Autoren: Thomas Hohlfeld, Jahrgang 1968, Politologe, arbeitet an seiner Dissertation zum Thema der Alltagsarbeit von Verwaltung, Justiz und Politik im Bereich der Flüchtlingspolitik und hat die Petition federführend miterarbeitet. Thomas Hohlfeld / Wolf-Dieter Narr / Dirk Vogelskamp Wolf-Dieter Narr, Jahrgang 1937, Politologe, emeritierter Hochschullehrer und Mitbegründer des Komitees für Grundrechte und Demokratie. Dirk Vogelskamp, Jahrgang 1957, Buchhändler, arbeitet im Sekretariat des Komitees und ist Mitherausgeber des Jahrbuchs des Komitees für Grundrechte und Demokratie, dessen aktuelle Ausgabe sich mit dem Thema „Armut, Kapitalismus und Menschenrechte“ beschäftigt (ISBN 3-88906-111-7) Das Komitee für Grundrechte und Demokratie initiierte im April diesen Jahres eine Initiative, die „Internationalen Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen“ (UN-Konvention) zu unterzeichnen, in Form einer Sammelpetition, die am 7. Dezember 2004 dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages übergeben werden soll.