29. Juli 2016
Antimilitarismus / Bundeswehr / Frieden/Pazifismus

Weißbuch: Bundesregierung setzt auf militärische Wohlstandswahrung

„Meer. Für Dich.“ Mit diesem der Postbank-Werbung entlehnten Spruch wirbt aktuell die Bundesmarine für ihre Einsätze. Seewege für „unsere“ Rohstoffe und Handelsgüter müssten militärisch gesichert werden, z.B. gegen Piraten, die von Fischern zu solchen mutierten, nachdem internationale Fischfangflotten vor Somalia ihnen ihre Lebensgrundlage entzogen hatten.

Das neue Weißbuch wird dieser Wohlstandskriegslogik folgen und für deren stärkere Akzeptanz werben. Worüber Bundespräsident Köhler vor Jahren noch gestolpert ist, gehört jetzt zum offiziellen Sprachgebrauch der Bundesregierung. Die globalisierte NATO will die Welt nach ihren Vorstel-lungen und Interessen ordnen. Interventionspolitik und Regime-Changes haben jedoch neben unendlichem Leid für die betroffenen Menschen auch nicht zu den erwünschten Zielen geführt.

Von Afghanistan über Irak und Syrien bis zu Libyen zeigen sich die interventionistisch erzeugten Desaster. Nun werden die kriegerisch selbsterzeugten Flüchtlingsbewegungen auch noch militärisch mit EUNAVFORMED vor Libyen und der NATO-Mission in der Ägäis völkerrechtswidrig abgewehrt.

Das Weißbuch wird die schon in den letzten „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ von 2011 mit dem Obertitel „Nationale Interessen wahren“  festgeschriebenen Ziele weiterentwickeln. Dort war erstmals davon die Rede, dass die Bundeswehr ein Mittel der Außenpolitik sei. Die Einbeziehung von Außen- und Entwicklungsministerium in die Weißbuch-Entwicklung bedeutet keinen Fortschritt, sondern zeigt, dass auch diese Ressorts dem außenpolitischen Militärprimat zu- und unter-geordnet werden.

Von der Vorgabe der territorialen Landesverteidigung, die gemäß Grundgesetz in Art. 87 festgelegt war, ist man (see-)meilenweit entfernt. Inzwischen gibt es Versuche, den Art. 87 selbst welt-dimensional umzuinterpretieren. Bedrohungen der kapitalistischen Lebensweise entstünden überall auf der Welt, von Gefährdungen „unserer“ Handelswege über Migrationsbewegungen bis zu terroristischen Bestrebungen. Das Bundesverfassungsgericht mit seiner zumindest seit dem out-of-area-Urteil von 1994 traditionell militärfreundlichen Rechtsprechung steht dem leider nicht mehr im Wege.

Die Bundeswehr versucht mit einer neuen Attraktivitätsoffensive in der Öffentlichkeit um mehr Akzeptanz zu werben und neue Rekruten und Rekrutinnen zu gewinnen. Der Tag der Bundeswehr, der als Propaganda-Show an 16 Standorten am 11. Juni 2016 durchgeführt wurde, bildete einen Höhepunkt in der Kampagne der Akzeptanzwerbung. Kinder und Jugendliche werden – in offenem Widerspruch zur UN-Kinderrechtskonvention – mit Begeisterung für Waffentechnik und verharmlosenden Selbstdarstellungen der Armee beworben. Die Friedensbewegung wird diesen Militärspektakeln unter dem Motto „Kein Werben für's Töten und Sterben“ entgegentreten.

Das neue Weißbuch schreibt eine fatale Entwicklung der bundesdeutschen Militärpolitik fort. Dem muss öffentlich und deutlich widersprochen werden. Das Denken in nationalen Interessenkategorien wird zu weiteren Desastern führen. Seit langem fordert die Friedensbewegung eine Umkehr zu internationalem Solidaritätsdenken und eine Umorientierung von militärischen auf zivile Konflikt-lösungsmodelle. Das erforderte zugleich eine Politik, die auf Gerechtigkeit statt nationalen Egoismen setzt. Eine solche Politik einzufordern, ist die Aufgabe der internationalen Friedens- und Gerechtigkeitsbewegung.

Die allerersten Erfordernisse einer Umorientierung der bundesdeutschen Militärpolitik sind die folgenden:

  • Beseitigung sämtlicher Offensiv- und Interventionsfähigkeiten der Bundeswehr;
  • Beendigung aller kriegerischer Interventionen
  • Abzug der Atomwaffen aus Büchel und Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe in der NATO;
  • Beendigung der militärischen Flüchtlingsabwehr zugunsten der Eröffnung legaler Fluchtwege;
  • Kündigung der Stationierungsverträge für Ramstein, EUCOM, AFRICOM;
  • Beendigung aller Rüstungsexporte, zunächst in alle Drittstaaten;
  • Umorientierung auf Modelle ziviler Konfliktbearbeitung;
  • Entwicklung einer Politik solidarischer Friedens- statt nationaler Kriegslogik.

 

Martin Singe, Referent im Komitee für Grundrechte und Demokratie